Volksdiplomatie statt Konfrontation – Städtepartnerschaften sind Botschafter der Verständigung

Eindrücke von der 16. Deutsch-Russischen Städtepartnerschaftskonferenz in Kaluga

von Eva-Maria Föllmer-Müller

Vom 28. bis 30. Juni 2021 fand im russischen Kaluga die 16. Deutsch-Russische Städtepartnerschaftskonferenz statt. Die Stadt Kaluga liegt an der Oka, rund 190 km südwestlich von Moskau und feiert in diesem Jahr ihren 650. Geburtstag. Thema der pandemiebedingt im Hybridformat veranstalteten Konferenz war «Kommunale und Regionale Verbindungen stärken – Horizonte erweitern».

Die Konferenz, Teil des laufenden Deutschlandjahres in Russland, stand im Zeichen des 80. Jahrestages des Angriffs der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Mehrfach wurde der Aufruf «Lasst uns Frieden stiften» (s. Zeit-Fragen Nr. 15 vom 29. Juni 2021) von den Konferenzteilnehmern gewürdigt.

Trotz Reiseeinschränkungen …

Trotz Reiseeinschränkungen – die deutsche Bundesregierung hatte Russland am 29. Juni kurzfristig in die höchste Corona-Risikokategorie eingestuft, was eine 14tägige Quarantäne für alle Rückreisenden nach Deutschland bedeutete und weshalb viele deutsche Teilnehmer ihre Reise absagen mussten – war die Veranstaltung ein grosser Erfolg und ein Lichtblick für die derzeit auf politischer Ebene angespannten deutsch-russischen Beziehungen. Schade war, dass wegen der Reiseeinschränkungen prominente Mitwirkende wie der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Antje Vollmer und der Vorstandsvorsitzende des Deutsch-Russischen Forums  Matthias Platzeck nicht persönlich teilnehmen konnten. Das Deutsch-Russische Forum ist Mitveranstalter.

Würdigende Grussbotschaften zur feierlichen Eröffnung

Bei der feierlichen Eröffnung im Konzertsaal der Kaluga-Gebiets-Philharmonie wurde die grosse Bedeutung der Städtepartnerschaften in Grussbotschaften des russischen Präsidenten Wladimir Putin, des russischen Aussenministers Sergej Lawrow und des deutschen Aussenministers Heiko Maas hervorgehoben. «Ich habe keinen Zweifel daran, dass Sie fruchtbare und substanzielle Gespräche führen werden, die dazu beitragen werden, unsere konstruktiven partnerschaftlichen Beziehungen weiterzuentwickeln und auch das Vertrauen und das Verständnis zwischen den Menschen in Russland und Deutschland zu stärken», erklärte der russische Präsident. «Die Antwort auf die Turbulenzen in unseren Beziehungen ist nicht weniger, sondern mehr Dialog», erklärte Heiko Maas. Zahlreiche weitere Grussbotschaften von deutschen und russischen Amts- und Würdenträgern folgten. Viele deutsche Teilnehmer, die die Veranstaltung online verfolgten, brachten ihre Verbundenheit und guten Wünsche in den «Chats» zum Ausdruck.
  «In Zeiten, in denen es auf der politischen Ebene schwierig wird, können die Beziehungen zwischen Städten und Gemeinden über manche Hindernisse hinweghelfen. Kommunale und regionale Partnerschaften sind Botschafter der Verständigung.» Diese Aussage von Matthias Platzeck war eine Art Leitstern auch der diesjährigen Konferenz.
  Der zweite Tag begann mit einer Podiumsdiskussion zum Thema «Was kann der Dialog zwischen Kommunen und Politik für die Deutsch-Russischen Beziehungen leisten?» Der deutsche Botschafter Géza Andreas von Geyr hob die wechselvolle Geschichte der Deutschen und Russen hervor, «mit glanzvollen Höhepunkten und sehr bitteren Epochen». Kein Land der Welt und kein Volk der Welt könne vor seiner Geschichte und vor seiner Biographie entfliehen; beides bestimme unser Tun heute und unsere Zukunft. Für die Deutschen sei es wichtig, sich im deutsch-russischen Verhältnis immer wieder vor Augen zu führen, was alles geschehen ist und wofür Deutsche auch Verantwortung tragen; dies müsse auch zum Ausdruck gebracht werden, wie auch die Dankbarkeit für die Versöhnung, die die Deutschen nach diesen Untiefen der Geschichte erfahren haben. «Diese Versöhnung ist eine grosse Leistung, gerade der Russen gegenüber den Deutschen; auf der Basis findet Zivilgesellschaft statt. […] Die Russen [haben uns gegenüber] Grosszügigkeit […] walten lassen und menschliche Grösse und sehr früh […] Versöhnung angeboten, um in ein gutes gemeinsames Miteinander der Menschen zu kommen.»
  Pawel Sawalnyj, der Vorsitzende des Energieausschusses der Staatsduma und der russisch-deutschen Parlamentariergruppe betonte die Bedeutung einer tiefgehenden wissenschaftlichen Geschichtsaufarbeitung und deren Verbreitung, «um bestimmte Phänomene der Gegenwart nachvollziehen zu können. […] Es geht mir immer wieder um diese Geschichte der Versöhnung der grossen Völker. Die Geschichte von Russland und Deutschland ist die Geschichte der Kriege, aber auch die Geschichte der Freundschaft. Es ist heute unsere Aufgabe, alles dafür zu tun, dass wir diese Geschichte nicht vergessen und der Opfer gedenken […] und alles dafür zu tun, dass nie wieder ein Krieg zwischen unseren Völkern geführt wird – nie wieder Krieg auch im Rahmen der heutigen Politik. Deutschland ist für mich ein ganz besonderes Land. Da sind vor allem die Menschen, die – vielleicht etwas anders als andere europäische Völker – Russland und die Russen etwas besser verstehen; sie haben ein tieferes Verständnis als die anderen, und das ist eine wichtige Grundlage für unseren Dialog.»

Wichtiger Beitrag der Jugend

Neben vielen anderen wichtigen Themen wurde auch der Frage der Staffelübergabe an die jüngere Generation diskutiert. Als Vertreter der Zivilgesellschaft blickt Dr. Andrej Zarjow, Vorstandsvorsitzender der Interregionalen Organisation zur Unterstützung von Menschen mit geistiger Behinderung und psychophysikalischen Störungen «Gleiche Möglichkeiten», in Bezug auf den Jugendaustausch optimistisch in die Zukunft. Seine Erfahrungen mit jungen Menschen aus Deutschland zeigten, dass sie sehr wohl für eine Kooperation zu gewinnen sind und auch gerne einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. «Die jungen Menschen, die zu uns kommen, sind sehr engagiert und interessiert. Sie machen gerne mit, sie bringen sich ein und sie leisten einen bedeutenden Beitrag zu unseren deutsch-russischen Projekten.» Diese Projekte haben zum Ziel, Menschen zu helfen; dies sei konkrete Arbeit vor Ort mit älteren Menschen, Menschen mit Behinderungen oder mit Kindern, die ohne Familie geblieben sind.

Am Nachmittag standen ein Internationales Wirtschaftsforum sowie die praxisnahe Arbeit und der Austausch in fünf Arbeitsgruppen zu folgenden Themen im Zentrum:

  1. Kommunale und regionale Kooperationen.
  2. Berufsorientierung für Jugendliche: Wie kann beruflicher Austausch gelingen? Inklusion und Teilhabe «Leben in Würde für alle».
  3. Deutsch-Russische Partnerstädte und Erinnerung für die Zukunft «Der 22. Juni 1941/2021 ist ein europäisches Datum».
  4. Gesundheit.

Dies ist nur ein kleiner Einblick in die reichhaltigen Diskussionen und Gespräche sowie die zahlreichen deutsch-russischen Projekte, diese Form der Volksdiplomatie, die Zukunft haben und einen wohltuenden Gegenpol bilden zu allen Anspannungen auf der politischen und medialen Ebene. Immer wieder wurde die Bedeutung der persönlichen Beziehungen von Mensch zu Mensch hervorgehoben, auf denen das engagierte zivilgesellschaftliche Engagement basiert. Eine respektvolle und freundschaftliche Atmosphäre begleitete die gesamte Veranstaltung und war durchaus auch online spürbar. Auch wurden immer wieder die wichtigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern angesprochen, die dem medialen Trommelfeuer gegen Russland der meisten westlichen Medien zum Trotz auf gutem Wege sind.
  Neue geplante Städtepartnerschaften (Bremen, Tula, Weimar und Borowsk) sollen die bereits bestehenden 102 deutsch-russischen Städtepartnerschaften ergänzen. Zum Abschluss der Veranstaltung lud die Stadt Essen zur nächsten Städtepartnerschaftskonferenz im Jahr 2023 ein.
  Es hat sich gelohnt dabeizusein.  •

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