Baltasar Garzón – Anwalt für Völkerrecht und Menschenrecht

Laudatio von Prof. Dr. iur. Dr. phil. Alfred de Zayas auf Baltasar Garzón zur Verleihung des Kant-Weltbürgerpreises 2011 (Auszüge)*

Es ist mir eine besondere Ehre, heute über Juez Baltasar Garzón Real einige Worte zu sagen.
  Weltbekannt als ein Pionier im völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Bereich, hat der heutige Preisträger bedeutende Impulse sowohl zur Entwicklung der Doktrin als auch zur praktischen Anwendung der Normen des Völkerrechts gegeben.
  Juez [spanisch: Richter] Garzón hat sich Verdienste vor allem als Pionier bei der Erweiterung und Umsetzung des völkerrechtlichen Prinzips der universellen Jurisdiktion erworben, ein Prinzip, das auf das sich entwickelnde «Weltrecht» aufbaut.
  Sie, Richter Garzón, haben einen Durchbruch im Kampf gegen die Straflosigkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit erreicht. Mit Recht gelten Sie als ein Pionier für die Rechte von verschwundenen Personen, den sogenannten desaparecidos, in Lateinamerika, aber auch in Europa und in der Welt.
  Nun sind viele Opfer von Ungerechtigkeiten auch Opfer des Schweigens – víctimas del silencio. Sie, Juez Garzón, haben ihnen eine Stimme verliehen und somit auch eine gewisse Rehabilitierung ermöglicht, denn die Opfer wollen vor allem Anerkennung, Opfer zu sein. Diese Opferperspektive, diese Anerkennung des individuellen Leidens ist schliess-lich eine Voraussetzung, um die allgemeinen Menschenrechte, die auf der Würde jedes einzelnen beruhen, umsetzen zu können. […]
  In seinem neuesten Buch «La Fuerza de la Razon» («Die Kraft der Vernunft») schreibt Richter Garzón über den Begriff des universellen Opfers – «victima universal» –, denn jeder von uns ist Opfer, wenn Verbrechen irgendwo begangen werden. So beginnt Garzón sein zweites Kapitel mit dem Satz von Baron de Montesquieu: «Die einem einzelnen zugefügte Ungerechtigkeit ist eine Bedrohung für alle.» Wir können Montesquieu und Garzón zustimmen. Denn die Menschenrechte verpflichten uns, nicht selektiv gegen Menschenrechtsverletzungen anzugehen, sondern auch gegen Ungerechtigkeiten gegen jeden einzelnen. In der Tat sind Opfer keine abstrakten Konstruktionen. Es sind Menschen aus Fleisch und Blut, und wir alle haben eine Verpflichtung gegenüber den Opfern. Wie der erste UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Dr. José Ayala Lasso (Ecuador), oft sagte, gibt es keine Opfer zweiter Klasse. Es gibt auch kein Völkerrecht nach Belieben noch Menschenrechte à la carte. Garzón ist ebenso ein Gegner der Politik der doppelten Moral und verurteilt «la doble moral o vara de medir».
  Garzón beendet sein Buch mit einer Mahnung – er erinnert uns an die Würde des Opfers und an seinen Anspruch auf Rehabilitierung: «Ich möchte meine Schlussworte an all diejenigen richten, die sich mit all ihrer Kraft einsetzen, um für Gerechtigkeit, Wahrheit und die Rehabilitierung der Opfer so vieler Grausamkeiten zu kämpfen, Opfer, die manchmal vergessen, geschmäht, zu Schuldigen gemacht oder unterschiedlich behandelt werden. Keine Anstrengung kann zu gross sein, um eine wirkliche Wiedergutmachung zu erreichen. Alle öffentlichen Institutionen und Verantwortlichen und darüber hinaus unsere ganze Gesellschaft müssen sich dafür einsetzen und kämpfen, um dieses Ziel zu erreichen, denn wir alle sind verantwortlich. Die Opfer zeigen uns den Weg, dem wir folgen müssen, wenn wir unsere Würde wiedergewinnen wollen, denn sie haben sie niemals verloren.» [Übersetzung aus dem spanischen Original] […]
  Die nobelste Aufgabe der Justiz ist also, die Opfer zu schützen – alle Opfer, ohne Diskriminierung – und sie auch zu rehabilitieren. […]
  Baltasar Garzón Real wurde am 26. Oktober 1955 in Torres in der Provinz Jaen in Andalusien geboren. Er hat Rechtswissenschaft an der Universität Sevilla studiert und sich dann als Richter qualifiziert. Seine Laufbahn als Richter begann in Valverde del Camino, in Villacarrillo und Almería, ehe er im Jahre 1983 abgeordneter Inspekteur für Andalusien am Consejo General del Poder Judicial wurde. 1988 wurde Garzón einer der sechs Untersuchungsrichter an der Audiencia Nacional in Madrid, dem höchsten Gericht für Strafsachen. In den Jahren 1990 und 1991 eröffnete er Ermittlungsverfahren gegen Organisierte Kriminalität vor allem gegen den Drogenhandel in der spanischen Provinz Galicia.
  Im Jahre 1993 kandidierte er bei der Parlamentswahl und zog in das Abgeordnetenhaus für die sozialistische Partei von Felipe Gonzalez ein. Er wurde alsbald Beauftragter für den nationalen Anti-Drogenplan im Rang eines Staatssekretärs, kehrte jedoch nach einem Jahr zu seiner eigentlichen Liebe zurück – zur Gerichtsbarkeit. […]
  Der Name Garzón ist vielleicht am berühmtesten für seine Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika, insbesondere für den Kampf gegen die Straflosigkeit von ehemaligen Führern der Militärjuntas, etwa den argentinischen Militärchef in Rosario, Leopoldo Fortunato Galtiere, gegen den er einen internationalen Haftbefehl bereits am 24. März 1997 erliess. Dann erliess Garzón am 16. Oktober 1998 einen internationalen Haftbefehl gegen den ehemaligen chilenischen Staatspräsidenten General Augusto Pinochet, dem vorgeworfen wurde, Verantwortung für die Ermordung und Folter spanischer Staatsangehöriger in Chile zu tragen. Dabei stützte sich Garzón auf Berichte der chilenischen «Wahrheitskommission», die in den Jahren 1990 und 1991 die Verbrechen während der Diktatur aufklärte. Hier hat man es mit einer Pionierleistung zu tun, denn bisher hatten Staatsoberhäupter und höhere Militärs weitestgehend Immunität genossen – nicht nur während der Amtszeit, sondern, gemäss der Doktrin der «Act of State», auch weiterhin, nachdem sie nicht mehr im Amt waren.  •



* Erstveröffentlichung in Zeit-Fragen vom 23.5.2011

UNO-Menschenrechtsausschuss rügt das Berufsverbot für den spanischen Richter Baltasar Garzón

gl. Im Februar 2012 war der bekannte Untersuchungsrichter Baltasar Garzón vom Obersten Spanischen Gerichtshof wegen angeblicher Rechtsbeugung mit einem zwölfjährigen Berufsverbot belegt worden. Er hatte in einem der grössten Korruptionsfälle Spaniens, der sogenannten «Gürtel-Affäre», als Ermittlungsrichter Telefongespräche zwischen Politikern und ihren Anwälten abhören lassen. Dies war damals jedoch nicht unzulässig.
  Bereits zuvor hatte sich Garzón sowohl bei linken wie auch rechten Parteien unbeliebt gemacht durch seine Ermittlungen gegen Drogenhändlerringe, ETA-Terrorismus, Korruptionsfälle und Verbrechen aus der Franco-Zeit. 2009 ermittelte er auch gegen die US-Regierung wegen der im Gefangenenlager Guantánamo begangenen Folterverbrechen.
  Der UNO-Menschenrechtsausschuss erklärt in seiner Stellungnahme, dass «die Verurteilung des Beschwerdeführers (Garzón) willkürlich und nicht nachvollziehbar war, da sie nicht auf hinreichend ausdrücklichen, klaren und präzisen Bestimmungen beruhte, die das verbotene Verhalten genau definieren.»1 Ausserdem habe der Oberste Spanische Gerichtshof gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstossen. Garzón habe gegen das Berufsverbot keine Berufungsinstanz anrufen können, auch die richterliche Unparteilichkeit sei nicht gegeben gewesen.
  Es ist das erste Mal, dass vom Menschenrechtsausschuss der UNO ein Staat gerügt wird, weil er strafrechtlich gegen einen Richter vorgegangen ist. Spanien wird aufgefordert, den Eintrag im Strafregister zu löschen und Garzón eine angemessene Entschädigung für den erlittenen Schaden zu zahlen. Ausserdem sollen Massnahmen von seiten des Staates ergriffen werden, um sicherzustellen, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholt.
  Baltasar Garzón kündigte in einem Interview mit «El País» am 26. August an, er wolle wieder in sein Amt als Richter in Spanien eingesetzt werden. Seit seiner Amtsenthebung vor elf Jahren arbeitete er in Lateinamerika als Rechtsanwalt und koordiniert u. a. die Verteidigung von Julian Assange. Für seinen Einsatz für die Menschenrechte hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten.



1 https://baltasargarzon.org (Zugriff am 14.9.2021)

Quellen: «Spaniens Starrichter Garzón kämpft um seine Rehabilitierung». In: Neue Zürcher Zeitung vom 30.8.2021; https://elpais.com/espana/2021-08-26/baltasar-garzon-voy-a-pedir-mi-reingreso-en-la-carrera-judicial.html

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