von Karl-Jürgen Müller
Eigentlich sollte Mitte August 2021 mit Afghanistan für jeden deutlich geworden sein, dass die Kriege der USA und ihrer europäischen Nato-Verbündeten ein grosses Desaster sind. Eigentlich – denn am 14. Oktober plazierte die deutsche Bundeswehr deutschlandweit eine Anzeige, um ihren 20jährigen Einsatz im Krieg in Afghanistan auf eine ganz abwegige Art und Weise noch einmal in Erinnerung zu rufen. Auf einer Grösse von 15 x 20 cm waren die Konturen eines deutschen Soldaten und eines deutschen Panzers samt Besatzung im Dämmerlicht (wohl in Afghanistan) zu sehen, und in grossen weissen Buchstaben war der Satz zu lesen: «Ihr habt Deutschland alle Ehre gemacht.» Kleiner geschrieben darunter: «bundeswehrkarriere.de erinnert an 20 Jahre Afghanistan-Einsatz». Dann kommt noch, mit Bild, die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu Wort: «Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bundeswehr auf ihren Einsatz in Afghanistan stolz sein kann. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben alle Aufträge, die ihnen das Parlament gegeben hat, erfüllt. […] Wir müssen in der Bilanz jetzt überlegen, was gut war, aber auch, was wir für die Zukunft besser machen müssen.»
Kein Innehalten in Anbetracht des Scheiterns
Diese Sätze zeigen auch, welche Schlüsse gezogen wurden. Kein Innehalten in Anbetracht des eigenen Scheiterns, sondern eher der Ruf nach «mehr davon»: Man will es in Zukunft «besser machen». Am 21. Oktober, dem Tag des Treffens der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel, bestätigte die noch amtierende deutsche Ministerin dies in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Deutschland habe zusammen mit Portugal, Slowenien, den Niederlanden und (dem eigentlich neutralen) Finnland ein «Gedankenpapier» formuliert, wonach, so der Deutschlandfunk, eine «schnelle militärische Eingreiftruppe der Europäischen Union» in «Ergänzung» zur Nato und mit einer «Koalition der Willigen» in der Lage sein soll, in aller Welt «robust und zügig zu handeln».
Überhaupt soll EU-Europa weiter aufgerüstet werden, auch atomar. «Das ist der Weg der Abschreckung», sagte Kramp-Karrenbauer. Wer soll «abgeschreckt» werden? Russ-land! «Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende – und das ist ja auch die Abschreckungsdoktrin – bereit sind, auch solche [militärischen] Mittel einzusetzen […].» Selbst der Deutschlandfunk sprach von «Sprachbildern wie zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes».
Propagandaformel «Abschreckung»
Hinzufügen muss man, dass die Nato-Formel von der «Abschreckung» schon im ersten Kalten Krieg eine Propagandaformel war. Die Sowjetunion hatte keine Gebietsansprüche, die über die Konferenzergebnisse von Jalta und Potsdam im Jahr 1945 hinausgingen. Sie wollte mit ihrer starken Armee erneute verheerende Zerstörungen im eigenen Land wie im Krieg gegen Napoleon und Hitler verhindern.1 Für das heutige Russland gilt dies noch mehr. Ihm Eroberungsgelüste zu unterstellen, ist sachlich nicht begründet. «Einzige Weltmacht» mit einem Herrschaftsanspruch über die ganze Welt wollten bislang nur die USA (mit ihren Nato-Verbündeten) sein. In anderen Staaten der Welt gibt es solche grössenwahnsinnigen Vorstellungen nicht – auch in Russland nicht.
Die Gegenrichtung von mehr Frieden
Wie die Spitzen von Eisbergen sind weitere Meldungen der vergangenen zwei Wochen hinzuzufügen. Alle zeigen die Gegenrichtung von mehr Frieden:
Auch die neue deutsche Regierung will auf Konfrontationskurs bleiben
Wenn es von seiten der Nato-Staaten dann immer auch gleichzeitig heisst, man sei zu einem «Dialog» bereit, dann ist das nicht glaubwürdig. Aber vielleicht verstehen die Nato-Staaten unter Dialog auch etwas anderes, als gemeinhin mit dem Wort gemeint ist. Vielleicht heisst «Dialog» für die Nato-Staaten nicht, dass gleichberechtigte Partner mit unterschiedlichen Anschauungen und Respekt voreinander das Gespräch suchen, um sich besser zu verstehen und im guten Fall aufeinander zuzugehen. Vielleicht heisst Dialog für die Nato-Staaten, dass der Dialogpartner zuerst die Bedingungen der Nato erfüllen muss.
Wie dem auch sei, die Aussichten auf eine Wende der internationalen Politik in Richtung mehr Frieden bleiben schlecht.
«Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts»
50 Jahre ist es nun her, dass ein namhafter deutscher Politiker und anderer SPD-Kanzler, Willy Brandt, den Friedensnobelpreis zugesprochen bekam. Zehn Jahre später, am 3. November 1981, sagte Willy Brandt: «Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.» Wie weit hat sich doch Deutschland, hat sich EU-Europa von diesem grundlegenden Gedanken entfernt!
Die Fragen bleiben: Was kann die politisch Verantwortlichen in EU-Europa bewegen, sich von der kriegerischen Haltung der US-Politik zu distanzieren und einen eigenständigen, wirklich friedenspolitischen Weg zu beschreiten? Ist dies noch ohne eine grosse Katastrophe möglich? Und was kann die Bürger Europas bewegen, nicht mehr still – warum auch immer – zuzuschauen, sondern ihr Recht und ihre Pflicht als Souverän auszufüllen und wahrzunehmen? •
1 vgl. hierzu Wimmer, Willy. Die Akte Moskau, 2016, Seite 11f. Dort ist zu lesen: «Im Frühsommer 1988 flog die Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einem Arbeitsbesuch nach Washington. […]. Die Fahrt ging direkt ins Hauptquartier der CIA nach Langley. Wir sollten uns lösen – so die Botschaft in der grossen Gesprächsrunde – von dem, was wir seit Jahrzehnten über militärische Potentiale und Strategien in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West in Europa gehört hatten. Die Ergebnisse einer Studie zu diesem Themenfeld seien eindeutig: Die Sowjetunion verfolge rein defensive Absichten. Es gehe einzig und alleine um Verteidigung zum Schutz von ‹Mütterchen Russland›. Die bisherige Strategie des Warschauer Pakts sei letztlich nur die konsequente Reaktion auf die mörderischen Angriffe von Napoleon und Hitler, mit Aggression habe das also rein gar nichts zu tun.»
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