60 Jahre nach der Konferenz der Blockfreien Bewegung in Belgrad

Eine Bewegung für Blockfreiheit ist auch heute noch notwendig*

von Živadin Jovanović

zf. In diesem Jahr feiert Serbien mit 119 Staaten gemeinsam den 60. Geburtstag der Blockfreien Bewegung.
  Im Vorfeld des offiziellen Gedenk-Gipfels (s. Kasten) fanden am 2. September 2021 in Belgrad die «Blockfreien Gespräche» statt. Veranstalter dieses Forums war das Belgrader Museum für Afrikanische Kunst (MAA). Teilnehmer waren hochrangige Diplomaten (Botschafter), Wissenschaftler aus einer Reihe europäischer Länder, Historiker, Studenten sowie die allgemeine Öffentlichkeit.
  Anlässlich dieses Forums hat der Präsident des «Belgrade Forum for a World of Equals» und ehemalige Aussenminister der Bundesrepublik Jugoslawien Živadin Jovanović zum Thema des II. Podiums «Diplomatie des blockfreien Jugoslawiens» einen bemerkenswerten Vortrag gehalten, den wir im folgenden dokumentieren.

Am 11. und 12. Oktober 2021 werden in Belgrad hohe Vertreter der blockfreien Länder zusammenkommen, um den 60. Jahrestag des ersten Gipfels der Blockfreien Bewegung (englisch Non-Aligned Movement NAM) vom 1. bis 6. September 1961 zu feiern.

Blockfreien Bewegung 1961 und 2021

Damals zählte die Bewegung 25, heute sind es 120 Mitglieder. Serbien bewahrt die Tradition der fruchtbaren Zusammenarbeit mit den blockfreien Ländern, den tiefen gegenseitigen Respekt und das Vertrauen und ist bestrebt, seine Freundschaften unter den aktuellen neuen Bedingungen zu erneuern und zu stärken, ungeachtet der Tatsache, dass es heute den Status eines Beobachters hat. In diesen Tagen wird Belgrad erneut der Ort sein, von dem aus ein gemeinsamer Aufruf an das «Gewissen der Menschheit» ergeht – an diejenigen, die die grösste Verantwortung für die Zukunft der Menschheit tragen, um Frieden, Toleranz, Dialog und eine friedliche Koexistenz zu gewährleisten. Wenn vor 60 Jahren von Belgrad die Botschaft ausging, dass eine Blockkonfrontation nicht unvermeidlich ist, können wir in den kommenden Tagen eine Einladung zu Dialog und Toleranz aussenden, anstatt sich erneut auf Spannung auszurichten.
  Blockfreiheit in der Aussenpolitik und Selbstverwaltung in der Innenpolitik waren die beiden Säulen der jugoslawischen Strategie nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der das Land im Westen, Osten, Norden und Süden gleichermassen identifiziert und anerkannt wurde. Seine wirtschaftliche Wachstumsrate gehörte zu den höchsten der Welt (nach Japan), und das Bildungs- und Gesundheitswesen waren kostenlos. Das Beispiel Jugoslawiens war gleichzeitig inspirierend für die neu befreiten und sich entwickelnden Länder und fragwürdig für die Blockländer in Ost und West. Heute legt Serbien Wert auf Unabhängigkeit, militärische Neutralität und das Streben nach guten Beziehungen zu allen wichtigen Akteuren in den internationalen Beziehungen.
  Mit Indien, Ägypten und Indonesien gehört Jugoslawien zu den Hauptverantwortlichen für die Gründung und politische Profilierung der Bewegung der Blockfreien.

Jugoslawiens Diplomatie genoss international Respekt und Vertrauen

Die Blockfreiheit gab Jugoslawien und seiner Diplomatie neue Kraft und viel Raum für Aktionen auf der internationalen Bühne, für die Entwicklung bilateraler Beziehungen und für die Stärkung seines internationalen Ansehens und seiner Position. Der jugoslawischen Diplomatie standen viele Türen offen, weil sie eines der führenden Länder der Blockfreien Bewegung darstellte und sich an klare Prinzipien hielt. Jugoslawien war bereit, anderen in vielen Bereichen zu helfen, von Sicherheit und Verteidigung über Gesundheit und Ernährung bis hin zu Bildung und Ausbildung von Personal. Ihre Partner waren davon überzeugt, dass Jugoslawien die Gleichheit und den gegenseitigen Nutzen achtete und sich insbesondere nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischte. Aus diesem Grund wurden Jugoslawien und seine Diplomatie mit grossem Respekt und Vertrauen aufgenommen.
  Präsident Josip Broz Tito war in allen Teilen der Welt ein gefragter und gern gesehener Gesprächspartner und Gast, und Belgrad wurde zu einem bedeutenden Zentrum für diplomatische Aktivitäten in allen wichtigen Bereichen, von Politik und Sicherheit bis hin zu Handel, Entwicklung, Finanzen und Kultur. Belgrad wurde nicht nur von den Führern der Blockfreien Staaten und der Nachbarländer besucht, sondern auch von den Präsidenten und Monarchen der USA, der UdSSR, Grossbritanniens, Deutschlands, der Niederlande, Belgiens, Skandinaviens und vieler anderer Länder. Jugoslawien war der Initiator der koordinierten Aktivitäten der neutralen und bündnisfreien europäischen Länder für den Aufbau und die Einrichtung des Europäischen Sicherheits- und Kooperationssystems (KSZE-OSZE).
  In den neu befreiten Ländern konnten sich die jugoslawischen Diplomaten praktisch aussuchen, was sie brauchten, von grundlegenden Arbeitsbedingungen bis hin zu Konzessionen für jugoslawische Unternehmen in Wirtschaftsbereichen, die von strategischer Bedeutung waren, zum Beispiel Erdöl oder die begehrtesten Bodenschätze. Unter diesen Bedingungen hing die Zusammenarbeit mehr von der Kreditwürdigkeit und der Fähigkeit der Unternehmen im Bereich der Investitionen, des Bauwesens und der Industrie ab, auch grosse Projekte und Aufträge anzunehmen, als von irgendwelchen Hindernissen, Vorurteilen oder Vorbehalten der Kunden. So konnten sich die jugoslawischen Unternehmen bei Ausschreibungen für Projekte, die von internationalen Finanzinstitutionen finanziert wurden, selbst im härtesten Wettbewerb behaupten.

Aufforderung zu Dialog und Abbau von Spannungen – auch heute aktuell

Die Bewegung der Blockfreien hat sich in vielen wichtigen Bereichen engagiert. In Anbetracht der damaligen Realität war das Wichtigste der Kampf für den Frieden, die Verhinderung eines Atomkonflikts und einer globalen Konfrontation im allgemeinen. In diesem Zusammenhang ist der Appell bemerkenswert, den die Teilnehmer des ersten Gipfels dieser Bewegung in Belgrad an die Führer der beiden Supermächte – USA und UdSSR – richteten und mit dem sie zum Dialog und zum Abbau der Spannungen aufforderten. Ist dieser Appell nicht auch heute noch von Bedeutung?
  Die Strategie der Blockfreien Bewegung umfasste den Kampf um den erfolgreichen Abschluss der Entkolonialisierung, die Verhinderung des Neokolonialismus, die Verteidigung gegen den Druck der militärisch-politischen und ideologischen Blöcke sowie die Beschleunigung der sozioökonomischen Entwicklung. Die Stärkung der gegenseitigen Zusammenarbeit der blockfreien Länder, bekannt als Süd-Süd-Kooperation, beschleunigte die wirtschaftliche und politische Emanzipation der blockfreien Länder und gab Jugoslawien als einem weiter entwickelten Entwicklungsland die Möglichkeit, den Vorteil seines Wissens und seiner Technologien wahrzunehmen.

Errungenschaften Jugoslawiens als zuverlässiger Partner

Die blockfreien Länder akzeptierten Jugoslawien als den zuverlässigsten Partner bei der wirtschaftlichen Entwicklung, der Stärkung der erreichten Unabhängigkeit und der Demokratisierung der internationalen Beziehungen durch das UN-System. Manchmal waren die Erwartungen an Jugoslawien unrealistisch und sogar idealistisch. So wurde beispielsweise von einigen blockfreien Ländern gefordert, dass Jugoslawien die Verwaltung der aufgegebenen grossen Marinestützpunkte der ehemaligen Kolonialmetropolen übernimmt. Jugoslawien führte unter anderem den Vorsitz in der Gruppe der 17 blockfreien Länder, die mit der Überwachung des Unabhängigkeitsprozesses von Namibia betraut waren, und initiierte die Einrichtung des Pools blockfreier neuer Einrichtungen.
  Dank der Gründung der Blockfreien Bewegung und ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit als unabhängiger Faktor auf der internationalen Bühne gewann Jugoslawien eine grosse Zahl enger Freunde und zuverlässiger Partner. Die Zusammenarbeit und die koordinierten Aktivitäten der Bewegung innerhalb der Uno und bei multilateralen Aktivitäten im allgemeinen erwiesen sich als besonders effektiv. Sie war nicht nur eine «Wahlmaschine», sondern ein starkes und unverzichtbares Organ, mit vielen neuen und mutigen Initiativen, die selbst die mächtigsten Mächte nicht ignorieren konnten. Deshalb konnte die Bewegung einen grossen Beitrag zur Demokratisierung der Arbeit der Uno sowie der internationalen Beziehungen insgesamt leisten. Die Einschätzungen und Standpunkte der jugoslawischen Diplomatie zu wichtigen internationalen Fragen und deren Lösungsmöglichkeiten wurden mit grossem Respekt aufgenommen und in den meisten Fällen unterstützt und akzeptiert.
  Die jugoslawische Wirtschaft war weiter entwickelt als in den meisten Entwicklungsländern, verfügte über eine hochentwickelte Bau-, Wasserbau-, Werkzeugmaschinen-, Lebensmittel- und Pharmaindustrie sowie über andere Fähigkeiten und konnte mit Unterstützung einer stets agilen und hochprofessionellen Diplomatie neue Märkte, Rohstoffquellen und Engagements in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Bildung und Massenmedien erschliessen. Jugoslawien und seine Diplomatie hatten auch die Brückenfunktion zwischen den Entwicklungsländern und der entwickelten Welt, insbesondere in Europa.

Beachtliche Projekte in Lateinamerika und Afrika

In den vergangenen Jahrzehnten hat die jugoslawische Bauindustrie viele beachtliche Projekte durchgeführt. Ein einziges Unternehmen aus Belgrad, und zwar ein Energieprojekt, baute in Peru ein Wassersystem namens Chira-Piura im Wert von rund 1,4 Milliarden US-Dollar, das das Erscheinungsbild der Region veränderte und zu ihrer langfristigen Entwicklung beitrug. Das gleiche Unternehmen baute in Kenia zwei Wasserkraftwerke am Tana-Fluss, Wasser- und Abwassersysteme in Nairobi und Thika, Konferenzsäle und Wohnsiedlungen in Lusaka (Sambia), Harare (Simbabwe) und Accra (Ghana). In mehreren afrikanischen Ländern hat das Saatgutinstitut Zemun Polje aus Belgrad die Produktion von Maissaatgut entwickelt, das an die afrikanischen Klimabedingungen angepasst ist und so zur Lösung des Ernährungsproblems beiträgt. Es gibt viele ähnliche Beispiele für andere hochangesehene jugoslawische Unternehmen, die strategische Projekte in der ganzen Welt durchgeführt haben. Jugoslawische Unternehmen haben einen wichtigen Beitrag zur Lösung eines der wichtigsten Probleme der afrikanischen Länder geleistet – Bewässerung und Wasserversorgung (Kenia, Tunesien, Libyen, Angola).
  Jugoslawien war ein weithin akzeptierter Partner für die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Verteidigung und Militärindustrie. Viele neu befreite Länder waren bereit, sich mit Militärausrüstung, Waffen, Kleidung und Schuhen aus Jugoslawien auszustatten, und Tausende von Offizieren und Experten wurden an Militärakademien und anderen Einrichtungen in Serbien und anderen ehemaligen jugoslawischen Republiken ausgebildet und geschult.

Neunziger Jahre: Sanktionen gegen Jugoslawien –
Diplomatie unter schwierigen Bedingungen

In den 1990er Jahren unterlag die Bundesrepublik Jugoslawien Sanktionen, wie sie in der jüngeren Geschichte der internationalen Beziehungen noch nicht vorgekommen waren, mit erschöpften Devisenreserven, ohne Aussenhandelsbeziehungen und ohne Zugang zu internationalen Finanzinstitutionen. Eine der Aufgaben der jugoslawischen Diplomatie bestand darin, die Eintreibung von Schulden bei den Partnern unter den blockfreien Ländern sicherzustellen, um den Devisenmangel wenigstens etwas zu lindern. Eine Kollegin, die Geschäftsträgerin der jugoslawischen Botschaft in einem afrikanischen blockfreien Land, erreichte durch Intervention auf höchster Regierungsebene die Einziehung einer umfangreichen Schuld im Zusammenhang mit abgeschlossenen Investitionsprojekten. Unter den damaligen Bedingungen war dies ein immenser Beitrag zur Milderung der Folgen der Blockade der Bundesrepublik Jugoslawien. Nach einem beschleunigten Verfahren wurde sie zur Botschafterin befördert, worüber das gesamte diplomatische Netz informiert wurde. Dies bleibt ein Beispiel für die überragende Professionalität und Aufopferung der jugoslawischen Diplomatie unter schwierigen Bedingungen, aber auch ein Beispiel für das Verständnis und die Solidarität der bündnisfreien Partner gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro).
  Es gab auch Fälle, in denen die jugoslawische Seite anderen blockfreien Ländern Geld schuldete, die zum Zeitpunkt der Sanktionen auf einen Teil ihrer Forderungen verzichteten oder deren Rückzahlung auf bessere Zeiten verschoben.

Aktiver Einsatz für Frieden, Dialog und Koexistenz auch heute dringend nötig

Unter den Bedingungen, unter denen die Blockfreien Länder von den Blöcken stark unter Druck gesetzt wurden, sich für die eine oder andere Ideologie und das eine oder andere System der sozioökonomischen Organisation zu entscheiden, entschied sich die Bewegung der Blockfreien für die Prinzipien der aktiven friedlichen Koexistenz als Kern und Grundlage ihrer Strategie. Dazu gehörte die Freiheit, den Entwicklungsweg des eigenen sozioökonomischen Systems zu wählen und dabei die Besonderheiten jedes einzelnen Landes zu respektieren, d. h. die Vielfalt der Ideologien und Entwicklungswege durfte kein Grund sein, sich in die inneren Angelegenheiten einzumischen oder den Grundsatz der souveränen Gleichheit zu verletzen. Fertige Rezepte für politische und wirtschaftliche Systeme wurden weder vom Osten noch vom Westen kommend akzeptiert. Es ist nicht übertrieben, sich zu fragen, wie es heute um die Achtung der Besonderheiten und die freie Wahl der eigenen Entwicklungswege, um die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten unter irgendeinem Vorwand bestellt ist.
  Wenn wir in jenen Jahren, was Jugoslawien betrifft, ab 1948 für die unabhängige Regelung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gekämpft haben, trotz des Vorwurfs des Revisionismus, was hat sich dann in unserem Verständnis geändert, wenn sich nach dem 5. Oktober 2000 die Botschafter der sogenannten «Quint» (USA, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien) an die serbische Führung wenden und ihr diktieren, wer Mitglied der neuen Regierung sein kann und wer nicht, und bestimmen, was für die Regierung wichtig ist und was nicht?! Wenn wir in den Jahren der Selbstverwaltung und der Blockfreiheit die Schule von Korčula1 hatten, wo gibt es in unserer «Demokratie» heute so etwas wie diese Schule? Oder sollen wir vielleicht alle glauben, dass das heutige System des liberalen, multinationalen Konzernkapitalismus perfekt ist, so dass sich jeder Gedanke an Veränderung erübrigt?
  Gelegentlich treffe ich ausländische Forscher, Historiker und Analysten, die sich dafür interessieren, ob es in Belgrad Literatur über Blockfreiheit und Selbstverwaltung in einer der Weltsprachen gibt. Es ist klar, dass keiner von ihnen daran interessiert ist, weil «sie» sich mit «L’art pour l’art-ismus» beschäftigen, oder weil sie kopieren, transplantieren, mechanisch kombinieren wollen. Solche Fragen kommen von Menschen, die erkannt haben, dass das derzeitige rückschrittliche und entmenschlichende liberal-kapitalistische System unhaltbar geworden ist, und die nicht an die Wirksamkeit der Schönredner aus Davos oder ähnlichen Weltsalons glauben, sondern die den Willen und den Mut haben, über ein neues, menschlich geprägtes System nachzudenken.
  Die Bewegung der Blockfreien und die Konferenz in Belgrad hatten also das Ziel, die globale Konfrontation zu stoppen, bevor es zu spät war, insbesondere einen globalen Atomkonflikt zu verhindern, den Dialog und die Koexistenz in Vielfalt zu fördern. Sind wir heute, 60 Jahre nach der ersten Konferenz der Blockfreien Bewegung in Belgrad, frei von globaler Konfrontation, neuen Klassifizierungen, Wettrüsten und Militarisierung? Die Gefahren sind auch heute noch unsere Realität; die globalen Trends in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit, Sicherheit, Umwelt, Migration und anderen Bereichen sind, abgesehen von der Multipolarisierung, nicht ermutigend. Das Wichtigste sind jedoch die Geisteshaltung, das Bewusstsein und der politische Wille. Wir glauben, dass das bevorstehende Jubiläum der Blockfreien Bewegung und das grosse Treffen in Belgrad nicht im Format einer protokollarischen Veranstaltung stattfinden werden, sondern eher als ein Impuls für die «grösste Friedensbewegung», um das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines stärkeren Engagements aller zu schärfen, insbesondere derjenigen, die für Frieden, Dialog und Koexistenz eintreten.

Achtung der Souveränität und territorialen Integrität aller Länder

Eines der grundlegenden Ziele der Bewegung der Blockfreien Staaten ist die Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität eines jeden Landes. Können wir zählen, wie viele souveräne Staaten in der Zwischenzeit zerbrochen sind, wie viele Nationen auseinandergerissen wurden, zu nationalen Minderheiten, Flüchtlingen, Migranten geworden sind? Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, Gründungsmitglied der Uno und der OSZE, ein Land mit einem einzigartigen internen sozioökonomischen System, mit Selbstverwaltung und Blockfreiheit, wurde durch aktives Handeln von aussen und durch Exponenten von innen zerschlagen. Es war weder ein spontaner Vorgang noch ein Prozess, den wir nur durch die Analyse des Verhaltens der internen Rollenträger verstehen können. Danach haben die Macher und Vollstrecker der Geopolitik der mächtigsten Kräfte des Westens die Bundesrepublik Jugoslawien, die Gemeinschaft Serbien und Montenegro, aufgelöst. Jetzt ist selbst Serbien zu gross für sie, so dass sie mit Gewalt und Intrigen versuchen, es ebenfalls zu zerschlagen. Es ist höchste Zeit, dass die Angelegenheit an den UN-Sicherheitsrat zurückgegeben wird, wo sie von Anfang an angesiedelt war, bevor die Entwicklung ausser Kontrolle gerät.

Politik und Ziele der Blockfreien Bewegung auch heute relevant und notwendig

Die Politik und die Ziele der Bewegung der Blockfreien sind auch heute noch relevant und notwendig. Die Methoden des Kalten Krieges, die Politik des Teilens und Herrschens, die Einteilung und Klassifizierung in demokratische und autokratische Länder, die Versuche, neue «Eiserne Vorhänge» und «Mauern» zu errichten, die grobe Einmischung in innere Angelegenheiten, die bedrohlich wachsende Kluft zwischen reichen und armen Ländern und Menschen – sind Teil der harten Realität. Der Rüstungswettlauf verschlingt heute 1,5 Billionen Dollar pro Jahr. Wie sähen Afghanistan, der Irak, Syrien, Libyen, der Jemen, Somalia und andere zerfallene, verwüstete und vom Unglück verfolgte Länder aus, wenn Billionen von US-Dollars in die Entwicklung statt in die Zerstörung investiert würden? Gäbe es so viele Wellen von Flüchtlingen und Migranten wie heute? Während die EU immer noch nicht in der Lage ist, sich auf «Quoten» für alte und neue Flüchtlinge zu einigen, scheint jemand auf die Idee gekommen zu sein, den Balkan neben all den anderen Problemen in einen Sammelplatz oder eine Quarantäne für diese unglücklichen Männer, Frauen und Kinder zu verwandeln, die von der «Koalition der Willigen» zur Flucht gezwungen wurden! Es ist offensichtlich, dass viele von ihnen, die hierher kommen, Schwierigkeiten haben, mit etwas anderem als Waffen umzugehen. Wer und in welchem Namen zwingt die Balkanländer, die Last der katastrophalen Fehler der reichsten und mächtigsten Mächte der Welt auf ihre schwachen Schultern zu laden?
  Die Gründung der Blockfreien Bewegung im Jahr 1961 kann auch als der Beginn der Schaffung einer multipolaren Welt gesehen werden. Zusätzlich zu zwei militärisch--politischen Allianzen und zwei gegensätzlichen Ideologien entstand eine neue Kraft, die sich gegen Spaltungen und Konfrontationen wandte und die Grundsätze der Achtung der Souveränität und territorialen Integrität, der souveränen Gleichheit, der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen, der Nichtmitgliedschaft in Blöcken und der Nichtakzeptanz ausländischer Militärstützpunkte nachdrücklich unterstützte. Heute befindet sich der Prozess der Multi-polarisierung der globalen Beziehungen in einer Phase, aus der es keine Rückkehr zur bipolaren oder unipolaren Ordnung gibt. Die blockfreien Länder haben ein grosses Interesse daran, diesen Prozess zu unterstützen, weil er weite Wege für die Demokratisierung der globalen Beziehungen, für Frieden und Stabilität und damit für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller, insbesondere der unterentwickelten Länder, eröffnet.
  Belgrad ist der Geburtsort der Bewegung der Blockfreien Staaten. Die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Bestehens und der Aktivitäten dieser Bewegung sind eine Gelegenheit, ihr Frische und neue Energie zu verleihen und die historische Rolle Belgrads als Ursprungsort von Ideen für Frieden, Dialog und Fortschritt zu bekräftigen. Obwohl Serbien heute Beobachter in der Bewegung ist, hat es deren wertvollste Errungenschaften geerbt. Deshalb ist die Bewegung der Blockfreien nach wie vor ein wichtiger Partner für Serbien, wenn es um wirtschaftliche, politische, wissenschaftliche, technische und andere Formen der Zusammenarbeit geht. Für Serbien ist es besonders wichtig, dass die überwiegende Mehrheit der 120 blockfreien Staaten seine Souveränität und territoriale Integrität unterstützt und die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates als unveränderliche Grundlage für eine friedliche, ausgewogene und nachhaltige Lösung der Frage der Provinz Kosovo und Metohija behandelt.  •



1 Zwischen 1963 und 1974 trafen sich auf der Insel Korčula kritische Intellektuelle aus Ost und West zu einer alljährlichen «Sommerschule». Über die Grenzen des Kalten Krieges hinweg war die Sommerschule ein Ort des Austauschs und der Suche auch nach einer politischen Perspektive im Sinne eines «humanistischen Sozialismus». Veranstalter war eine Gruppe jugoslawischer Philosophen und Sozialwissenschaftler, die die Zeitschrift Praxis herausgaben. (Anmerkung der Redaktion)

* Vortrag auf dem Forum «NAM Talks», Museum für Afrikanische Kunst, Belgrad, 2. September 2021

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Gedenk-Gipfel zum 60. Jahrestag der Bewegung der Blockfreien in Belgrad

ef. Weitgehend unbeachtet von den westlichen Medien fand am 11. und 12. Oktober 2021 in Belgrad der offizielle Gedenk-Gipfel zum 60. Jahrestag der Bewegung der Blockfreien statt.
  Die Blockfreien Bewegung war im September 1961 auf Einladung des damaligen Präsidenten Jugoslawiens Josip Broz Tito ins Leben gerufen und gemeinsam mit den damaligen Präsidenten von Indien, Indonesien und Ägypten Javaharlal Nehru, Sukarno und Gamal Abdal Nasser gegründet worden: eine «dritte Kraft zwischen Ost und West» mit den Zielen: die Dekolonisierung und das Verbot von Massenvernichtungswaffen.
  Zu dieser Bewegung gehören heute 120 Mitgliedsländer, zudem 17 Beobachterländer. Zu den Beobachtern gehören alle ehemaligen jugoslawischen Republiken bis auf Slowenien und Nordmazedonien sowie Argentinien, Brasilien, China, die Ukraine und Russland. Die Blockfreien Bewegung ist nach der Uno die grösste Staatengruppe weltweit. Über 100 Mitgliedsländer und 9 internationale Organisationen haben an diesem Gipfel mit hochrangigen Staatsvertretern teilgenommen. Der serbische Präsident Alexandar Vučić erklärte in seiner Rede: «Die Zukunft der Gleichen ist die Richtung, in die sich diese Bewegung entwickelt hat. Dies ist nicht nur eine Frage der Interessen der Länder, sondern eine der wichtigsten zivilisatorischen Bewegungen.» Zur Freude der Teilnehmer zitierte er auch ein altes afrikanisches Sprichwort: «Wenn du schnell gehen willst, geh’ allein. Aber wenn du weit gehen willst, dann gehe gemeinsam.»
  UN-Generalsekretär António Guterres würdigte die Bewegung «als ein Forum für Konsultation und Zusammenarbeit, das sich konsequent für Frieden, Zusammenarbeit und Freundschaft einsetzt». Als ein Grundpfeiler des globalen multilateralen Systems werde sie heute genauso gebraucht wie vor 60 Jahren.
  Mehrere Staats- und Regierungschefs kritisierten deutlich die Anhäufung von Covid-19-Impfstoffen durch die reichen westlichen Länder und forderten mehr Solidarität und eine gerechtere Verteilung.
  Kurz vor dem Gipfel hatte der serbische Aussenminister Nikola Selaković Libanon, Simbabwe, Sambia, Kenia, Angola, Namibia, Ägypten und Jordanien besucht. Den meisten dieser Länder hat er entweder Covid-19-Impfstoffe gespendet oder eine Spendenzusage gegeben.

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