von Werner Voss, Deutschland
Gabriele Krone-Schmalz, Jahrgang 1949, ist eine deutsche promovierte Historikerin, freie Journalistin, Publizistin und Hörbuchsprecherin. Sie war von 1987 bis 1991 Moskau-Korrespondentin der ARD und moderierte anschliessend bis 1997 den ARD-Kulturweltspiegel. Seit 2011 ist sie Professorin für TV und Journalistik an der Hochschule Iserlohn.
Das neue Buch von Gabriele Krone-Schmalz ist ein wertvoller Beitrag, der -Polarisierung in unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Es vermittelt anhand verschiedener Debatten, die in unserem Land geführt werden, dass ein Entweder-oder-Denken nicht zu gemeinschaftlich entwickelten Lösungen beitragen kann. Es bedarf vielmehr eines Sowohl-als-auch, was einen respektvollen Umgang mit Andersdenkenden erfordert. Nur die Abkehr von zwei extremen Polen hin zum Kompromiss fördert die Demokratie und den Gemeinsinn. Erreichbar ist dies nur, indem man dem Andersdenkenden zuhört, seine Argumente zunächst einmal gedanklich überhaupt entgegennimmt, um vielleicht auch darin einen Funken Wahrheit zuerkennen.
Aufteilung der Welt in die «Guten» und die «Bösen»
Viele heutzutage gebräuchliche Begriffe wie «Putin-Versteher», «Rechtspopulist», «Rassist», «Wutbürger», «Corona-Leugner», um nur einige zu nennen, konterkarieren oben Beschriebenes. Die Welt aufzuteilen in «Klimaleugner» und «Klimaretter», in «die Guten» und «die Bösen», trägt beileibe nicht zur Demokratie bei, sondern grenzt von vornherein bestimmte Personengruppen aus.
So warnt Frau Krone-Schmalz vor einem Deutschland als Hysterikerland, wenn beispielsweise nach Ansicht von Pegida und weiten Teilen der AfD Deutschland vor einer «Umvolkung» stehe und demnächst von Moslems beherrscht werde. In einer anderen Ecke befürchtet man die baldige Machtübernahme durch Nazis. «Noch» gebe es die Demokratie.
Anderen Äusserungen von linker Seite, nämlich, dass die Armut in Deutschland immer dramatischer werde, hält sie entgegen, dass der Armutsbegriff hierzulande an falschen Kriterien gemessen werde. Nämlich dass einer arm ist, der über weniger als 60 % des durchschnittlichen Nettomedianeinkommens zur Verfügung hat, was in Deutschland etwa 1136 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden ausmacht. Dies sei in der Tat wenig, aber von existenzieller Not könne nicht die Rede sein, weil ausreichend Nahrung und Obdach davon bestritten werden könnten. Im Vergleich dazu liegt dieser statistische Wert in unserem Nachbarland Luxemburg bei 1716 Euro. Laut Weltbank liegt die Schwelle für absolute Armut bei 58 US-Dollar im Monat. Armut sei somit sehr relativ.
Statt hier von Armut zu sprechen, findet sie das Wort soziale Ungleichheit für die Situation bei uns passender. Dabei übersieht sie aber nicht, dass es sich lohnt, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, nur helfen die sich immer wiederholenden Beschreibungen und eine eher rituelle Empörung den sozial Schwachen in unserer Gesellschaft überhaupt nicht.
Ein weiteres Thema, bei dem sich die -Polarisierung zeigt, ist die im Jahre 2015 beginnende Flüchtlingskrise, wo Gabriele Krone-Schmalz vor Überspitzung auf beiden Seiten warnt: Sie sieht auf der einen Seite eine überschwengliche «Willkommenskultur». Zum anderen hält sie aber auch eine Äusserung von Alexander Gauland (AfD) für übertrieben, der im Jahre 2018 sagte, «er fühle sich angesichts des Merkel-Regimes an die letzten Tage der DDR erinnert».
In einem weiteren Abschnitt kritisiert Gabriele Krone-Schmalz das Gut- und Böse-Schema in unserer Gesellschaft. Dieses Schema bezeichnet Teile der Welt als gute Staaten, andere hingegen als böse Staaten. Demnach gehören wir mit unseren westlichen Verbündeten auf der einen Seite zu den Guten. Auf der anderen Seite standen oder stehen die sogenannten Bösen, zu denen beispielsweise Länder wie der Irak, Iran, Syrien, Libyen und Russland samt ihren politischen Führern, gezählt werden, denen man zeigen muss, was «richtig» ist. Dies notfalls auch mit militärischer Gewalt, um einen Regime change herbeizuführen und die Völker solcher Länder vom «Bösen» zu «befreien». Dass dies mit dem Bruch des Völkerrechts einhergeht, findet dann seine vermeintliche Rechtfertigung in der «Responsibility to Protect».
Als weiteres Beispiel für diese Gut-Böse-Einteilung greift die Autorin Ausführungen zum Thema Klimaschutz auf, in der es eben Klimaengel und Klimateufel gibt, die sich dann unter anderem auch in böser und guter Mobilität wiederfinden.
Der Autorin ist daran gelegen, die Schattierungen, die Nuancen zwischen den Extremen stärker in den Fokus zu rücken, weil der Mensch als ein von Natur aus mit Vernunft begabtes Wesen durchaus zu mehr Differenzierung fähig sei.
Die Würde des Andersdenkenden in einer pluralistischen Gesellschaft wahren
Die Würde des Andersdenkenden in einer pluralistischen Gesellschaft liegt ihr sehr am Herzen. Die Freiheit des einzelnen finde ihre Grenzen dort, wo sie das Gegenüber verletze. Hierzu bedürfe es vom mündigen Bürger getragener und gelebter Regeln zum Schutze des anderen. Ohne diese Regeln (Gesetze) würden wir in einer Anarchie leben. Dazu gehöre, wie sie sagt, ein anständiges Streiten. Dem Gegenüber sei mit Respekt zu begegnen, auf gleicher Augenhöhe, dessen Meinung müsse in ihrer Substanz zur Kenntnis genommen werden. Man habe sich auf den Sachverhalt zu konzentrieren, statt nach einem Etikett zu suchen, das die Aussage des Andersdenkenden abwertet. Als Beispiele für diffamierende Etiketten nennt sie Begriffe wie Populist, Rassist, Antisemit, Rechter oder Linker, Neo-Nazi, Verschwörer usw.
Des weiteren warnt sie vor der Spaltung von Jung und Alt, im Sinne von «wir müssen für die Alten schuften», oder die Alten hinterliessen uns eine Erde, die wegen der Klimaerwärmung bald nicht mehr lebenswert sei. Wie sich das im Alltag niederschlägt, illustriert ein Satire-Video des WDR, in der ein Vers eines Kinderliedes – «Meine Oma ist ’ne ganz patente Frau» – umgetextet wurde in «unsere Oma ist ’ne alte Umweltsau».
Eine wichtige Rolle, so Gabriele Krone-Schmalz, spielt in diesem Zusammenhang die «vierte Gewalt» im Staat, also die Medien, denen es in erster Linie um Quote und Auflage gehe, um den wirtschaftlichen Erfolg sozusagen als Werbeträger zu sichern. Hierbei blieben aus Kostengründen gründliche Recherche und Sachlichkeit zur Wahrheitsfindung auf der Strecke, weil reisserische Schlagzeilen, untermauert mit entsprechenden Bildern, in viel höherem Masse dem kommerziellen Zweck dienten.
Das letzte Kapitel ist dem Frieden gewidmet, den sie als einen Prozess harter Arbeit beschreibt. In diesem Zusammenhang erwähnt sie exemplarisch die Geschichte deutscher Aussenpolitik zu Beginn der 1970er Jahre, als die Annäherung im Verhältnis zwischen West und Ost von persönlicher Beziehung und Vertrauen getragen war. Am 12. August 1970 unterschrieben der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt auf der einen Seite und der sowjetische Ministerpräsident Alexei Kossygin auf der anderen Seite den Moskauer Vertrag zum gegenseitigen Verzicht auf Gewaltanwendung. «Wandel durch Annäherung», so das Credo von Egon Bahr, dem damaligen Staatssekretär im Bundeskanzleramt.
Zur Dialogfähigkeit gehöre eben, miteinander zu reden, sich gegenseitig zuzuhören, nicht schon nach dem ersten Halbsatz die Klappe fallen zu lassen, weil man ja ohnehin wisse, was jetzt komme. Dies auch dann zu tun, wenn man seinen Gesprächspartner überhaupt nicht leiden kann. Nur der persönliche Dialog mit dem anderen könne zu Kompromiss und Interessenausgleich und somit zum Frieden auf allen Ebenen beitragen.
Ein Buch, das zum vertieften Nachdenken anregt, gerade in der heutigen, auch von der Pandemie geprägten Zeit. •
«Kompromisse sind das Schmiermittel der Demokratie. […] Nur wer davon ausgeht, dass auch in der Gegenposition ein Körnchen Wahrheit liegen kann, ist fähig zu Kompromissen. Wer ihn dagegen als ‹böse› betrachtet, der konstruiert Feindbilder, die mit der Realität meist wenig zu tun haben.» (S. 33 und 58)
«Ich glaube, dass sich Menschen weltweit nach einer Kombination aus marktwirtschaftlicher Freiheit (ohne es unbedingt so zu nennen) und staatlicher Sicherheit sehnen. Sich selbst entfalten können, Verantwortung übernehmen für das, was man tut oder nicht tut, und sicher sein, dass man von der Gemeinschaft, in der man lebt, aufgefangen wird, wenn man Hilfe braucht. Utopie? […] Ist das christlich oder kommunistisch? Warum muss immer ein Stempel drauf? Damit man weiss, ob man dafür oder dagegen zu sein hat?» (S. 41)
«Wieviel Freiheit braucht eine Gesellschaft, um sich pluralistisch nennen zu können? Wie viele Regeln verträgt eine Gesellschaft, um sich noch pluralistisch nennen zu dürfen? Um diese Frage zu entscheiden, bedarf es nicht nur formaler demokratischer Prozesse, sondern auch einer Reihe von Tugenden, über die der viel zitierte mündige Bürger – auf den eine funktionierende Demokratie angewiesen ist, […] verfügen sollte: Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit, kurz Streitkultur, die zwischen sachlicher Argumentation und Beleidigung zu unterscheiden weiss.» (S. 87)
«Die Demokratie muss dafür sorgen, dass ihre Bürger so gut wie möglich ausgebildet und informiert werden. Das ist das Unbequeme an Demokratie, wenn man sie ernst nimmt und nicht zur hohlen Hülse verkommen lassen will.» (S. 99)
«Am Anfang müsste stehen, die Gedanken eines Andersdenkenden in ihrer Substanz zur Kenntnis zu nehmen, sich nur auf den Sachverhalt zu konzentrieren und nicht nach einem Etikett zu suchen, das die Aussage des Andersdenkenden be- bzw. abwertet und mit dem diese Aussage dann in einer Schublade verbannt wird, die all die Gleichgesinnten erst gar nicht öffnen mögen, weil man mit dem, was drauf steht, doch ohnehin nichts zu tun haben möchte. […] Es gibt eine Reihe von Methoden, Andersdenkende auf diese Weise auszugrenzen oder zu diffamieren und sie damit aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen. Sehr beliebt und sozusagen ‹kleines Besteck› ist der Vorwurf des Populismus.» (S. 99)
«Die bequemste und sicherste Methode, jemand loszuwerden und sich nicht inhaltlich auseinandersetzen zu müssen, ist, eine möglichst abscheuliche Ecke zu finden, in die man ihn stellen kann. Die mit Abstand abscheulichste ist die mit der Aufschrift Antisemitismus.» (S. 101)
«Miteinander reden, sich gegenseitig zuhören, nicht schon nach dem ersten Halbsatz die Klappe fallen lassen, weil man ja angeblich ohnehin weiss, was jetzt kommt, nach dem Motto: Was ist von dem schon anderes zu erwarten? Sein Gegenüber ernst nehmen, selbst wenn man es nicht leiden kann. Das, was der andere sagt und meint, in den Vordergrund stellen, und nicht das, was man zu wissen glaubt. Eigentlich gar nicht so schwer, zumindest in der Theorie.» (S. 170)
«Der persönliche Kontakt zwischen Menschen weltweit ist das A und O, vermittelt eigene Urteilskompetenz und macht immun gegen dummes, verhetztes Gerede. Engagement für den Jugendaustausch auf den unterschiedlichsten Ebenen ist für mich aktive Friedenspolitik in der überzeugendsten Form. Nur so bestehen wenigstens die Chancen, dass künftige Generationen in der Lage sein werden, aus Krisen keine Kriege zu machen.» (S. 173)
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