Innerer und äusserer Frieden, Rechtsstaat und Demokratie nicht ohne Respekt vor dem anderen Menschen

von Karl-Jürgen Müller

Der Theorie, dass politisches Geschehen das Resultat von zwingenden Natur- oder Geschichtsgesetzen ist, dass zum Beispiel lebensfeindliche gesellschaftliche Verhältnisse zwingend zu Aufständen oder gar gewalttätigen Revolutionen führen müssen oder dass Kriege unvermeidlich sind, wenn bisherige Macht-positionen in der Welt in Frage gestellt werden – ein aktuelles Beispiel dafür ist die «Thukydides-These» für das Verhältnis zwischen den USA und China –, ist zu widersprechen. Der menschliche Faktor wird dabei zu wenig berücksichtigt: im Negativen wie im Positiven. Agitation, Hetze und Propaganda können in sozial und politisch angespannten Situationen unnötige Gewalttaten hervorrufen und sogar Völker aufeinanderhetzen. Respekt vor dem anderen Menschen hingegen fördert und unterstützt die Suche nach friedlichen, alle Seiten berücksichtigenden Lösungen im Inneren eines Landes wie auch im Umgang mit anderen Völkern und Staaten.

Das Gift von Agitation, Hetze und Propaganda

Es ist es wert, sich auch heute in Erinnerung zu rufen, wohin Agitation, Hetze und Propaganda führen können. Die Greueltaten, von denen unsere Geschichtsbücher berichten und die bis in unsere Gegenwart hinein begangen werden, sind das Extrem. Heute fällt vor allem auf, wie der mangelnde Respekt vor anderen Menschen im Inneren eines Landes, aber auch im Umgang mit anderen Staaten und Völkern und deren Regierungen nicht nur persönliche, sondern auch politische Beziehungen zerrüttet und Regieren im Sinne des Gemeinwohls gestört werden kann.

Mangel an emotionaler Orientierung und Gemeinschaftsgefühl

Mangelnder Respekt vor dem anderen Menschen zeigt sich in der Missachtung von dessen Würde und dessen Rechten. Die Rechte auf körperliche Unversehrtheit und Leben sind die wichtigsten dabei. Aber auch die anderen Grund- und Menschenrechte sind unverzichtbar. Das Recht der Völker auf Selbstbestimmung gemäss Artikel 1 der Internationalen Menschenrechtspakte gehört dazu.
  Was sind die Ursachen für einen unzureichenden Respekt vor dem anderen Menschen? Das lässt sich nicht mit einem Satz beantworten. Der Sozialnatur des Menschen entspricht der Respekt vor dem anderen Menschen. Er ist ein Gebot des Zusammenlebens. In Geschichte und Gegenwart gibt es viele Menschen, die das vorgelebt haben und vorleben. Die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte ist eine logische Schlussfolgerung daraus. Unzureichende emotionale Orientierung beziehungsweise  ein Mangel an Gemeinschaftsgefühl stehen dem entgegen. Das ist das Einfallstor für Agitatoren, Hetze und Propaganda – sie wollen keinen Dialog, der Menschen verbindet, sondern die Zuspitzung.

Wie der Dialog in den internationalen Beziehungen erstirbt

Der Dialog stirbt auch in den internationalen Beziehungen. Die nun schon Jahre währende Hetze gegen Russland und insbesondere gegen den amtierenden Präsidenten des Landes, Wladimir Putin, und die Folgen davon sind ein Beispiel dafür. Auf der Schweizer Internetseite Infosperber1 war am 18. März 2021 zu lesen: «Der Westen provoziert, Russland wird antworten. Bidens ‹Putin ist ein Mörder› ist mehr als nur Provokation. Auch in der internationalen Politik gibt es Spielregeln: Kritisiert werden dürfen Länder, Regierungen und Organisationen, aber keine Staats- und Regierungschefs persönlich.» Der Text spricht von einem «Tabubruch» und referiert eine Analyse von Dmitri Trenin, Direktor des Carnegie Centers Moscow, vom 21. Februar 2021. Das Moskauer Carnegie Center wird von US-Stiftungsgeldern finanziert, nichtsdestoweniger lohnt die Lektüre der Analyse. Da heisst es zum Beispiel: «Die Ankunft von Joe Biden und den Demokraten im Weissen Haus bedeutet mehr und gezielten Druck der USA auf Russland und Putin persönlich sowie ein viel stärkeres Engagement der USA, in der russischen Innenpolitik und in Russlands unmittelbarer Nachbarschaft mitzumischen.» [Hervorhebungen km] Aber auch: «Die Bandbreite und Intensität möglicher [russischer] Reaktionen ist gross. Der Kreml erwägt verschiedene Optionen. Er wird nicht voreilig handeln, aber er kann schnell und asymmetrisch agieren […]. Russlands Antwort hat bereits einen Namen: aktive Eindämmung (containment) der Vereinigten Staaten.» Der Autor bei Infosperber selbst fügt hinzu: «Wer am Mittwochabend […] das russische Fernsehen verfolgt hat, weiss, wie dort Joe Bidens Tabubruch angekommen ist: als Beleidigung ganz Russlands. Auch in Russland weiss man sehr genau, dass kein anderes Land seit dem Ende des Kalten Krieges mehr Kriegstote zu verantworten hat als die USA […].»
  Ist es da erstaunlich, wenn aktuelle Untersuchungen des Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum zum Ergebnis kommen, dass sich – anders als noch in den ersten 20 Jahren nach 1990 – die Mehrheit der 18 bis 24jährigen Russen keine «Westorientierung» mehr wünscht, sondern einen eigenständigen eurasischen Weg für ihr Land?2

Respekt geht anders

In einem Interview der deutschen Nachdenkseiten vom 17. März 20213 sagte Gabriele Krone-Schmalz4 auf die Frage, wie sie das derzeitige Verhältnis des Westens zu Russland beurteile: «Mit grosser Sorge. Ich vermisse nicht nur -politische Analysen, die das Knäuel aus Interessen und Moral entwirren, sondern vor allem auch eine politische Strategie, wohin diese Spirale aus Drohungen und Sanktionen denn führen soll. Es ist eine Situation entstanden, in der zwar immer noch viele das Wort ‹Dialog› und ‹Gesprächsbereitschaft› im Munde führen, aber die Praxis sieht anders aus.
  Am Ende des Interviews sagt sie: «Es liegt mir fern, Katastrophenszenarien zu entwickeln, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es einer entschlossenen Entspannungspolitik bedarf, die ohne Vorbedingungen mit Blick nach vorn agiert. Ohne vertrauensbildende Massnahmen – die, als hohle Floskel gebraucht, nichts nützen, sondern mit Inhalt gefüllt werden müssen – besteht die Gefahr, dass Situationen, die aus Missverständnissen resultieren, aus dem Ruder laufen und nicht mehr einzufangen sind. Das sollte allen bewusst sein, vor allem mit Blick auf nachfolgende Generationen.»

Die Meinungskorridore sind bedrückend schmal geworden

Im zweiten Teil des Interviews5 geht sie auch auf die innere Situation ihres Landes Deutschland ein: «Die Ideologisierung und moralische Aufladung unserer Debatten und die daraus folgende Polarisierung, die zwangsläufig auf eine Radikalisierung hinausläuft: Das alles ist gefährlich für eine demokratische, pluralistische Gesellschaft, die nur ein gewisses Mass an Polarisierung aushält, wenn sie funktionieren soll. Klimawandel, Mobilität, Gleichberechtigung bzw. gendergerechte Sprache und natürlich auch das Thema Russ-land – überall sind die Meinungskorridore bedrückend schmal geworden. Mit anderen Worten: Andersdenkende sind kein selbstverständlicher Bestandteil unserer grundsätzlich lebendigen offenen Gesellschaft mehr, sondern Störfaktoren, die man besser gar nicht erst zu Wort kommen lässt, oder sogar Feinde, die es mit aller Konsequenz auszugrenzen gilt.»
  Eine geschichtliche Erfahrung ist: Eine aggressiver werdende Aussenpolitik geht oft mit weniger Menschenrechten im Inneren eines Landes einher. Mangelnder Respekt vor dem anderen Menschen hat sich noch nie auf die «Fremden» beschränkt.  •



https://www.infosperber.ch/politik/__trashed-271__trashed/ vom 18.3.2021
2 vgl. Diesen, Glenn. «Hat der Westen Russland verloren? Jugend beim Abbau der europäischen Identität führend». In: rt deutsch vom 27.3.2021; https://de.rt.com/meinung/115017-hat-westen-russland-verloren-jugend/
3 https://www.nachdenkseiten.de/?p=70799 vom 17.3.2021
4 Das neue Buch von Gabriele Krone-Schmalz hat den Titel «Respekt geht anders. Betrachtungen über unser zerstrittenes Land».
5 https://www.nachdenkseiten.de/?p=70846 vom 18.3.2021

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