Washingtons Stellvertreterkrieg in der Ukraine ist das globalistische Programm zur Überwindung der Kontinuität von Geschichte, Kultur und Geographie, die der Nationalstaat verkörpert.
Während der Luftangriffe im Kosovo 1999 sagte Präsident Bill Clinton den Amerikanern: «Darum geht es bei dieser Kosovo-Sache: […] Es geht um Globalismus versus Tribalismus».
Im Jahr 1999 schenkten nur wenige Amerikaner Clintons Äusserungen Beachtung. Der Kosovo war ein weiterer Konflikt auf fremdem Boden, der wenig oder gar keine Bedeutung für das tägliche Leben in Amerika hatte. Offen gesagt, hat Clintons Verwendung des Wortes «Tribalismus» wahrscheinlich viele Amerikaner verwirrt. Für die meisten Amerikaner bedeutet «national gesonnen» die Hingabe an das Land, die Bereitschaft des US-Bürgers, in Krisen oder Konflikten die Bedürfnisse des Landes über die eigenen zu stellen. Amerikaner, die an der Nation orientiert sind, denken nicht stammesbezogen (tribal). Sie wollen die Vereinigten Staaten, ihre historischen Institutionen und die in ihren Gesetzen verankerten Rechte schützen und verteidigen und keine Kriege führen.
Seither hat sich der Begriff «Globalismus» weiterentwickelt und bedeutet weit mehr als Freihandel und Völkerverständigung. Heute werden der westliche Nationalstaat und die von ihm inspirierte Liebe zur Nation von Globalisten als Quelle von Vorurteilen, Ausschliesslichkeit und Krieg verurteilt. Rückblickend betrachtet, steht Clintons Verwendung des Begriffs «Globalismus» in Kontinuität mit dem Stellvertreterkrieg der Biden-Regierung gegen Russland.
Für die gegenwärtig herrschende politische Klasse in Washington bedeutet Globalismus mehr als den Kauf von Produkten, die von billigen Arbeitskräften in nicht-westlichen Ländern hergestellt werden. Der von Washington angeführte Globalismus verspricht nun die Auflösung traditioneller politischer und sozialer Formen menschlicher Organisation – nationale Regierungen, Grenzen, Identitäten, Kulturen – und ersetzt sie durch eine Welt von Konsumenten, die nur durch ihre Abhängigkeit von amorphen Unternehmen, nicht rechenschaftspflichtigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und supranationalen Institutionen vereint sind.
Anders ausgedrückt: Globalismus ist jetzt gleichbedeutend mit der Auffassung der sich fortschrittlich gebenden Linken von der liberalen internationalen Sicherheitsordnung der Nachkriegszeit, die expandieren muss, um zu überleben. Washingtons Stellvertreterkrieg in der Ukraine ist das globalistische Vorhaben, die Kontinuität von Geschichte, Kultur und Geographie, die der Nationalstaat verkörpert, zu überwinden und ungleiche Völker zu homogenisieren, um den schnellen sozialen und technologischen Wandel zu vollziehen. In diesem Sinne passt die jüngste Aufforderung des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski an Washington und seine strategischen Partner, eine globale Kontrolle über die russischen Atomwaffen einzuführen, gut zu der progressiven globalistischen Vision der Regierung Biden.
Und genau da liegt das Problem. Staaten und ihre Völker entwickeln sich nicht im luftleeren Raum, und sie geben ihre Existenz nicht kampflos auf.
Russlands nationale Identität und Kultur in Frage gestellt
Diese Punkte sollten Washington darauf aufmerksam machen, dass sein Stellvertreterkrieg für den Globalismus in der Ukraine die nationale Identität betrifft, eine dynamische Kraft, die die tiefsten menschlichen Empfindungen berührt. Doch es sind nicht nur zwei Arten von Nationalbewusstsein, das ukrainische und das russische, die in Sprache, Kultur und Geschichte verwurzelt sind, die im Konflikt miteinander stehen. Washingtons Globalismus unter dem Deckmantel der Nato-Erweiterung stellt die russische nationale Identität und Kultur direkt in Frage. Russlands einzigartige geographische Rolle als Bindeglied zwischen der europäischen und der asiatischen Zivilisation sowie seine christlich-orthodoxe Kultur – ein Glaubenssystem, das in der derzeitigen russischen Staatsideologie und Aussen- und Sicherheitspolitik verankert ist – sind gefährdet.
Angesichts der von den USA geführten militärischen Interventionen der Nato auf dem Balkan, in Afghanistan und im Irak ist es grundsätzlich unehrlich, so zu tun, als sei das Vordringen der Nato an die russische Westgrenze harmlos. Weitaus gefährlicher ist es jedoch, die Tatsache zu ignorieren, dass die Nato-Expansion in die Ukraine nach Ansicht Moskaus untrennbar mit der Ausweitung des Globalismus auf Russland verbunden ist.
Die Erklärungen des amerikanischen Verteidigungs- und des Aussenministers, Washington wolle Russland «schwächen», machen deutlich, dass Washingtons angeblich wohlwollende «regelbasierte Ordnung» für Russland nicht von Vorteil ist. In der Tat bestätigen diese Äusserungen in den Köpfen der Russen lediglich die Überzeugung, dass die USA im Kampf der Ukraine für die Nato-Erweiterung ein Kriegsverbündeter sind.
Vielleicht noch wichtiger ist der Vorschlag, dass Polen, das sprichwörtliche Sorgenkind der Nato, der Ukraine sogenannte «Friedenstruppen» zur Verfügung stellen würde. Es ist für die Europäer kein Geheimnis, dass Polen fast 400 Jahre lang den grössten Teil der Ukraine beherrschte oder dass Moldawien, obwohl formal rumänisch, 300 Jahre lang ein Vasallenstaat des Osmanischen Reiches war. Washingtons offensichtliche Bereitschaft, revanchistische polnische Truppen in die Westukraine und möglicherweise revanchistische rumänische Truppen in Moldawien einzuschleusen, deutet darauf hin, dass Washingtons Globalisten alles tun werden, um Russland zu schaden, selbst wenn sie damit die territorialen Ambitionen von Russlands historischen Feinden fördern.
Der Krieg stellt immer noch die Legitimität der Regierenden in den kriegführenden Staaten sowie die Widerstandsfähigkeit ihrer Gesellschaften auf die Probe. Diese Feststellung gilt für die Regierung Biden ebenso wie für die Regierungen von Selenski und Putin. Präsident Biden und seine Unterstützer im Capitol rühren in einem regionalen Topf, der schnell überkochen könnte, mit gefährlichen Folgen für Washington und seine Nato-Partner, denn Biden ist der Präsident der Finanzkrise, der Knappheit und der zunehmenden Kriminalität in Amerika und stellt seine vorsätzliche Ignoranz gegenüber Osteuropa und seinen Völkern zur Schau. Wie Sigmund Freud schon über Bidens «internationalistischen» Vorgänger Woodrow Wilson schrieb, hat auch Biden «die wunderbare Fähigkeit, Fakten zu ignorieren und zu glauben, was er will». Allerdings ist es heute viel schwieriger als 1917, die Amerikaner hinters Licht zu führen.
Washington hat den Krieg der Ukraine mit Russland viele Jahre lang aktiv kultiviert und den ukrainischen Nationalismus – eine aufrührerische Kraft, die die Globalisten angeblich verabscheuen – in den Dienst seiner Sache gestellt. Es hat funktioniert. Jetzt verlängern dieselben Globalisten den Krieg mit Waffen, Ratschlägen und Ermutigung, obwohl die Ukraine zerstört wird.
In den letzten 30 Jahren hat Washingtons Überbetonung der militärischen Unterstützung und Intervention bei der Verfolgung von Regimewechseln die USA in Konflikte und Krisen auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Nordafrika und Südwestasien hineingezogen. Amerikaner mit Nationalbewusstsein sind nicht für den aktuellen Krieg in der Ukraine oder die letzten drei Jahrzehnte der selbstzerstörerischen Kriege Washingtons verantwortlich. Aber Amerikaner mit Nationalbewusstsein werden jetzt mehr denn je gebraucht, um den globalistischen Krieg gegen Russland zu stoppen, bevor sich dieser Krieg wie ein Krebsgeschwür über Osteuropa ausbreitet. •
Quelle: The American Conservative vom 4. Mai 2022;
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors
(Übersetzung Zeit-Fragen)
* Douglas Macgregor ist pensionierter Colonel der US-Army, Politikwissenschafter, Militärtheoretiker, Berater, renommierter Autor und Fernsehkommentator. PhD in internationalen Beziehungen. Häufiger Kommentator militärischer Sachverhalte bei Fox News, CNN, RT und BBC.
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