Ich habe als Kleinkind selbst den Krieg erlebt, erinnere mich an Bilder von Nächten im Keller, von der Flucht meiner damals 23jährigen verwitweten Mutter mit zwei Kindern aus der Stadt und vor den Bomben in ein Forsthaus, wo wir Aufnahme fanden, an Jahre, in denen jede Nahrung eine Kostbarkeit war. Diese junge Frau hat es im Rahmen der Grossfamilie, die zusammenhielt, geschafft, uns Kindern damals trotz allem ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Wie ging das?
Das habe ich mich später immer wieder gefragt, auch angesichts der nicht zu Ende gehenden Kriege im Vorderen Orient oder in anderen Regionen der Welt und der Kinder, die aus solchen Kriegsgebieten in unsere Schulen kamen. Es braucht Auseinandersetzung mit diesem Thema.
Eine wichtige Neuerscheinung nimmt sich nun der Frage an, wie Erwachsene mit Kindern über die schwierige Frage von Krieg und katastrophalen Ereignissen in ein angemessenes Gespräch kommen können. Das Buch von Rüdiger Maas und Eliane Perret geht auf dieses dringliche Anliegen in gut verständlicher Weise ein. Es stellt einen Leitfaden für Eltern und Pädagogen dar, in dem es fundierte Ergebnisse aus Wissenschaft und Schulpraxis lebendig, einfühlsam und gut lesbar aufzeichnet. Es gibt keine Tips, sondern regt zum Nachdenken und Durchdringen dieser Frage an.
Im ersten Kapitel werden die Eltern angesprochen, die in unseren Ländern bisher vorwiegend in gesicherten Verhältnissen lebten und nun mit einem Krieg vor der Haustür konfrontiert sind. Ihre Bedeutung als Vorbild ist vielen Eltern heute nicht mehr klar bewusst. Gerade die kurz gefassten anschaulichen Ausführungen der Autoren zu den Forschungsergebnissen von Lern- und Entwicklungspsychologie können dies den Eltern wieder vermitteln. Sachlichkeit gegenüber verstörenden Bildern und Nachrichten, so dass die Kinder Halt finden und den Mut nicht verlieren; ein eigener informierter, gut begründeter Standpunkt; das Bestehen auf seriösen Quellen: dies sind Haltungen, die den Eltern im Interesse ihrer Kinder nahegelegt werden.
Das zweite Kapitel geht auf die Rolle der Medien in solchen Krisen ein: Jugendliche und Erwachsene benutzen in der Regel unterschiedliche Quellen. Um so wichtiger ist es, im ruhigen Gespräch zu bleiben, auch einmal eine mediale Auszeit zu nehmen und keine Pauschalurteile zu fällen. Sonst besteht die Gefahr, an den Kindern und Jugendlichen «vorbeizusprechen». Wertvoll ist hier der Rückgriff auf das Vorwort, in dem uns Lesern die Prinzipien der Kriegspropaganda vorgestellt werden. Sie wurden schon vor 100 Jahren erforscht, ihre Methoden lassen sich auch in den modernen Medien ablesen. So erhalten Eltern und Pädagogen ein Instrument zur unabhängigen Beurteilung von Katastrophenmeldungen, aus dem sich ein sachlicherer Umgang mit solchen Vorgängen ergeben kann.
Nach der Klärung dieser Voraussetzungen gehen die Autoren auf die Anforderungen der verschiedenen Altersstufen der Kinder ein: Welche Gesprächsebene braucht ein Vorschulkind, ein Unter- oder Mittelstufenkind, ein Jugendlicher ab 13 Jahren? Diese Altersangaben gelten natürlich nicht absolut, denn jedes Kind hat seine Individualität, auf die es feinfühlig einzugehen gilt. Gerade diese Ausführungen erscheinen mir zentral. Sie zeichnen anhand von Beispielen ein Bild, wie sich Fragen der Kinder in der Familie weder über- noch unterfordernd beantworten lassen. Sie malen aus, wie dies gelingen kann, indem die Eltern sich Zeit nehmen, nicht voreilig antworten, sondern den Sinn und Umfang der Fragen ihrer Kinder erfassen.
Ein Beispiel: Ein Vorschulkind hat im Fernsehen weinende Frauen und ein zerbombtes Haus gesehen. Es fragt die Mutter, was da passiert sei. Nach ihrer Rückfrage, was sich das Kind dabei vorstellt, kann die Mutter die Situation mit einfachen Worten erklären, aber dennoch Zuversicht vermitteln, dass es eine Lösung geben wird:
«Zwischen dem Land, in dem diese Frauen und Kinder wohnen, und einem anderen Land hat es einen grossen Streit gegeben. Nun kämpfen die Soldaten der beiden Länder gegeneinander. Sie machen vieles kaputt, das hast Du auf dem Bild gesehen. Darum sind diese Frauen traurig, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen. Aber jetzt müssen sich viele Menschen in vielen Ländern Gedanken machen, wie man diesen Streit beenden könnte. Denn alle Menschen möchten in Frieden leben können.» (S. 29)
Es geht immer darum, das Anliegen des Kindes seinem Alter entsprechend genau zu erfassen und es nicht unnötig zu belasten.
Das abschliessende Kapitel weitet den Themenkreis aus auf die Schule und andere ausserfamiliäre Betreuungsangebote. Es gibt Einblick in Projekte und Themen, die sich in der Schulpraxis bewährt haben, aber auch auf andere Einrichtungen übertragen werden können. Diese wertvollen Beispiele sind wieder als Richtwert in drei Altersstufen eingeteilt, ich würde ihre Lektüre als Anregung für eigene Projekte jedem Schulhaus, jeder Tagesstätte empfehlen.
So beschreiben die Autoren zum Beispiel die Auseinandersetzung von Jugendlichen mit dem Humanitären Völkerrecht. Es ist Ergebnis der Bemühungen der Völker, in der Welt friedlich zusammenzuleben und auch im Kriegsfall Regeln zum Schutz der betroffenen Menschen aufzustellen. Dieses Thema ist in einem Lehrmittel des Roten Kreuzes für Schulen sorgfältig ausgearbeitet. Es regt mit vielen Beispielen zum Nachdenken an. Und es gibt den Jugendlichen Hoffnung, dass die Zukunft trotz aller drohenden Gefahren friedlicher werden könnte und dass sie einen Beitrag dazu leisten können. Nach dieser Auseinandersetzung war es beispielsweise für die Jugendlichen klar, «dass ein Kriegsgeschehen möglichst schnell durch einen Waffenstillstand gestoppt werden muss, gefolgt von dringender humanitärer Hilfe und einer internationalen Konferenz, auf der versucht wird, einen Kompromiss zu finden, der zu einem dauerhaften Frieden in der Region beiträgt.» (S. 71)
Ein Literaturverzeichnis vermittelt Titel, die sich zur vertieften Auseinandersetzung mit einem der behandelten Themen eignen.
Diese Neuerscheinung gerade in Zeiten von grosser Unsicherheit, bedenklichen Entscheidungen und einem bedrohlichen Rüstungswettlauf ist ein Leitfaden, mit dem viele Eltern, aber auch Pädagogen Zugang zu diesen anspruchsvollen Aufgaben finden werden.
«Mögen Ratgeber wie dieser irgendwann nicht mehr nötig sein.» •
Der Diplompsychologe und bekannte Generationenforscher Rüdiger Maas studierte in Deutschland und Japan. Er forschte und arbeitete lange im Ausland. Sein Buch «Generation lebensunfähig» wurde ein Bestseller.
Dr. Eliane Perret hat als Lehrerin, Heilpädagogin und Psychologin einen breiten Erfahrungshintergrund. Sie studierte an der Universität Zürich Psychologie und Sonderpädagogik und arbeitete lange Jahre als Lehrerin und Schulleiterin an einer Sonderschule für Kinder mit Lern- und Verhaltensproblemen. Sie ist Autorin von Artikeln zu psychologischen Themen, Erziehungs- und Bildungsfragen sowie zu Gewalt- und Mobbingprävention.
Maas, Rüdiger; Perret, Eliane.
Wie ich mit Kindern über Krieg und andere Katastrophen spreche.
Ein Leitfaden für Eltern, Lehrpersonen und Pädagogen.
Kiedrich 2022
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