Vom «Kalten Krieg» zum «Hass-Krieg» gegen Russland

von Christian Müller

Die Zeit von 1945 bis um 1990 läuft in Europa historisch unter dem Namen «Kalter Krieg». Die Kontakte mit Russland in Kultur und Sport aber waren auch in dieser Zeit freundlich. Heute aber werden auch sportliche, kulturelle und sogar wissenschaftliche Kontakte mit Russland vom Westen unterbunden: Man soll Russland einfach nur noch hassen. 

Am 8. Mai 1945 – in Moskau war es schon der 9. Mai – kapitulierte Nazi-Deutschland bedingungslos. Damit war der Zweite Weltkrieg formal zu Ende, auch wenn in verschiedenen Regionen der Welt weiterhin gekämpft wurde. Deutschland wurde in vier Zonen aufgeteilt, und diese wurden den vier Siegermächten Sowjetunion, USA, Grossbritannien und Frankreich zugeteilt. Aber vor allem der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme wegen – Kapitalismus im Westen, Kommunismus in der Sowjetunion – blieben zwischen den Siegermächten massive Spannungen erhalten. Es war die Zeit des sogenannten Kalten Krieges, der sich ab dem 13. August 1961 mit dem Mauerbau in Berlin auch in erheblichen Reisebeschränkungen sichtbar machte.
  Nichtsdestotrotz: Man verkehrte miteinander, hatte Kontakte, nicht zuletzt in den Bereichen Sport und Kultur. In der Schweiz gab es zum Beispiel Konzerte des Chors der Don Kosaken unter Serge Jaroff, ich selber ging in Baden (Aargau) zum Beispiel auch an ein Konzert der absolut phantastischen slowakischen Sängerin Hana Hegerová. Und umgekehrt: Ich selbst begleitete im Jahr 1972 meinen Freund, den Musiker André Jacot, mit seinem Streichquartett nach Prag und nach Warschau, wo das Quartett Konzerte gab.
  Gut in Erinnerung geblieben ist mir aber vor allem auch meine erste Reise nach Moskau, damals im Kalten Krieg, im Jahr 1986. Ich war damals Chefredakteur der «Luzerner Neusten Nachrichten» (LNN), und wir waren die Sponsoren des Fussball-Clubs Luzern FCL mit den unvergesslichen Leibchen «Siehe LNN.» Da am 17. September 1986 ein UEFA-Cup-Spiel des FCL gegen den Fussballclub Spartak Moskau auf dem Programm stand, beschloss Friedel Rausch, der damalige Trainer des FCL, zwei Wochen vor diesem Cup-Spiel ein Spiel Spartak gegen Dniepr in Moskau zu besuchen, um die Spielweise und Taktik von Spartak zu studieren und damit die Gewinnchancen des FCL zu erhöhen. Mit ihm reisten der damalige FCL-Präsident Romano Simioni und der Vizepräsident Fredy Egli – und eben auch ich als interessierter Medien-Mann. Noch konnte man damals nicht von Zürich nach Moskau fliegen, wir mussten mit dem Zug nach Paris fahren, um dort einen Flug nach Moskau nehmen zu können. Und in Moskau, wo wir einen Dolmetscher hatten, schauten wir uns natürlich auch die Stadt an.

Heute werden Sport- und Kulturkontakte mit Russland gezielt unterbunden

Um beim Fussball zu bleiben: Die Europäische Fussball-Union UEFA hat beschlossen, dass Russland nicht an der Nations League und an der Frauen-EM teilnehmen darf, und Russland darf sich auch nicht mehr für die Austragung der Europameisterschaften 2028 und 2032 – in mehr als zehn Jahren! – bewerben. Und um auf die Kultur und auf Luzern zurückzukommen: «Lucerne Festival» hat die beiden Konzerte des «Mariinsky Orchestra» mit dem russischen Dirigenten Valery Gergiev am 21. und 22. August 2022 aus politischen Gründen abgesagt.
  Heute werden sogar Konzerte, in denen Kompositionen des russischen Komponisten Peter Tschaikowski (1840–1893) auf dem Programm stehen, abgesagt. Und die Universität Milano-Bicocca wollte sogar eine Vorlesung des italienischen Dichters Paolo Nori über den russischen Dichter Fjodor Dostojewski (1821–1881) verbieten, musste dann allerdings zurückkrebsen.
  Unnötig zu erwähnen, dass der internationale Katzenverband «International Cat Federation» den Veranstaltern von Katzenausstellungen verboten hat, russische Katzen zu zeigen. Worüber man, wenn es nicht zum Weinen wäre, wenigstens lachen könnte. Aber was, wenn der Europäische Verband der Wissenschaftler und Ärzte, die sich in der Forschung der Krebsbekämpfung mit radioaktiver Bestrahlung engagieren – «European Association of Nuclear Medicine» EANM – den russischen Verband ausschliesst? Auch zum Lachen? (Vielleicht ist es kein Zufall, dass die gegenwärtige Präsidentin dieses Verbandes, Dr. Jolanta Kunikowska, eine Polin ist.)

Nicht nur all diese Absagen und Verbote, jetzt wird Musik sogar zur Polit-Propaganda missbraucht

Die Musik ist die einzige «Sprache», die rund um die Welt verstanden wird und auch Menschen mit ganz unterschiedlichem kulturellem Hintergrund zusammenbringen kann. Doch nicht genug, dass Musik von russischen Komponisten oder mit russischen Musikern jetzt wo immer möglich blockiert wird. Jetzt wird sogar umgekehrt die Musik eingesetzt, um Polit-Propaganda zu machen. Am Eurovision Song Contest ESC am 14. Mai in Turin in Italien, wo Russland ebenfalls ausgeschlossen war, haben, wie von politischen Beobachtern prognostiziert, nicht die musikalisch besten Teilnehmer gewonnen, sondern einfach die ukrainische Band «Kalush Orchestra» – zum Zeichen der Solidarität des Millionen-TV-Publikums mit der Ukraine. Wie recht hat doch der Musik-Journalist Stefan Künzli, der am 30. April 2022 den folgenden Satz schrieb: «Der Eurovision Song Contest wurde im Kalten Krieg ins Leben gerufen. Um den europäischen Zusammenhalt zu fördern. Nun hält der russische Angriffskrieg den Contest fest im Griff. Der einst friedliche Lieder-Wettbewerb wird zur Farce.»
  Es gab von 1945 bis 1991 den Kalten Krieg. Was jetzt abläuft, ist nicht nur der Kalte Krieg 2.0, es ist der – neue – Russenhass-Krieg. Wie wichtig und wie schön wäre es doch, wenn wir auch heute noch – auch im Westen – den russischen Poeten und Chansonnier Bulat Okudschawa hören könnten und dürften: «Hol deinen Mantel. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen.»  •

Quelle: www.globalbridge.ch vom 17.5.2022

zf. Christian Müller (*1944) ist ein Schweizer Journalist und Buchautor. Er studierte Geschichte und Staatsrecht an der Universität Zürich und schloss, nachdem er journalistisch bereits sehr engagiert war, 1974 mit einer sozialhistorischen Dissertation ab. Danach war er 35 Jahre als Redaktor und Chefredaktor verschiedener Schweizer Tages- und Wochenzeitungen sowie im Medien-Management und in der Medien-Beratung tätig, einige Jahre davon auch in der Tschechischen Republik. Er bereiste als Journalist mehr als 50 Länder, u.a. in Amerika, Afrika, Australien/Neuseeland und China, immer mit besonderem Blick auf die kulturellen Eigenarten der jeweiligen Länder und auf deren soziale Verhältnisse.
  Seit 2009 arbeitet er wieder ausschliesslich als unabhängiger Journalist mit Schwerpunkt West-Ost-Spannungen und weiteren geopolitischen Themen. Die West-Ost-Konflikte der letzten 30 Jahre hat er als Journalist aufmerksam verfolgt.
  Er lebt abwechselnd in der Schweiz, Italien und Tschechien.

Globalbridge

Im März 2022 gründete Christian Müller die politisch und finanziell unabhängige Plattform «Globalbridge», um nach eigenen Angaben «im Rahmen des uns Möglichen etwas gegen den Hass auf dieser Welt zu unternehmen, die Menschen aufzurufen, miteinander zu reden, statt einander gegenseitig zu beschuldigen oder gar aufeinander zu schiessen. Das unsäglich viele Geld, das international für die militärische Aufrüstung ausgegeben wird, muss umgeleitet werden in gegenseitige Verständigung und Ausgleich zwischen Reich und Arm. Wir müssen lernen, Andersgläubige und Andersdenkende zu akzeptieren und mit oder auch ohne Grenzen friedlich zusammenzuleben.»
  Auf «Globalbridge» findet der Interessierte eine reiche Auswahl gut recherchierter Beiträge zum gegenwärtigen internationalen Geschehen. Christian Müller: «Die Geopolitik [ist] zu sehr aus dem Fokus der grossen Medien geraten. Und da, wo sie noch oder wieder ein aktuelles Thema ist, ist die Sicht beängstigend einseitig – einseitig aus der Sicht der Nato.»
  Machen Sie sich selbst ein Bild: globalbridge.ch

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