In einer Filiale der staatlichen syrischen Handelsbank in Qasaa, einem Stadtteil von Damaskus, herrscht dichtes Gedränge. Hinter den hohen Schaltertischen sitzen die Bankangestellten vor ihren Computern, tippen Namen und Zahlen in Formulare, um die Kunden dann weiter zur nächsten Stelle zu schicken. Manche Kunden warten geduldig, andere drängen sich wenig rücksichtsvoll nach vorne. Manche laufen suchend mit ihren Formularen von einem Schalter zum nächsten, bis sich einer der Angestellten ihrer annimmt und sie zum richtigen Schalter begleitet.
In der Handelsbank werden Gebühren für Strom oder Wasser, Steuern oder die Versicherung für das Auto eingezahlt. Aber auch Pensionen werden abgeholt oder Sonderzahlungen an Familien von Gefallenen oder Verletzten ausgezahlt.
Die Autorin muss an diesem Tag die Gebühren für ihre jährlich neu zu beantragende Aufenthaltserlaubnis begleichen. Als die Bankangestellte den deutschen Pass in der Hand hält, schaut sie ungläubig auf: «Was machen Sie denn hier», fragt sie. «Warum kommen sie aus Deutschland nach Syrien, wo wir Syrer doch alle nach Deutschland wollen?!» Die Umstehenden lachen und blicken kurz herüber, um sich dann wieder ihren eigenen Geschäften zuzuwenden.
Eine Frau mittleren Alters, das Kopftuch eng umgebunden, erzählt leise, dass sie die Pension für ihren Vater abhole. Sie komme alle zwei Monate, für ihren Vater sei der Weg zu mühsam geworden. In den Kriegsjahren sei die Pension einige Male an die Inflation angepasst worden. Heute bekomme ihr Vater 8000 Syrische Pfund im Monat, fast doppelt so viel wie vor dem Krieg. Seine monatliche Pension damals entsprach etwa 80 US-Dollar, heute ist dieses Geld nicht mehr als 3 US-Dollar wert. Alle zwei Monate hole sie nun 16 000 Syrische Pfund ab, sagt die Frau mit gesenkter Stimme: «Das reicht gerade für eine Mahlzeit.»
Verschuldet und zerstört
Seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 hat sich die damals sehr stabile wirtschaftliche Situation kontinuierlich verschlechtert. 2011 war das Land schuldenfrei. Die Folgen des Krieges und anhaltende Sanktionen von EU und USA tragen zur Auflösung der wirtschaftlichen und sozialen Struktur in der syrischen Gesellschaft bei. Zeichen dafür ist das Verschwinden einer stabilisierenden Mittelschicht, Schwarzmarkthandel und Korruption nehmen zu.
Ende 2021 galten rund 12 Millionen Menschen, 55 Prozent der syrischen Vorkriegs-Gesellschaft, nach Angaben des Welternährungsprogramms WFP als arm und waren auf Lebensmittelhilfen angewiesen. Ressourcen wie Öl, Gas oder Baumwolle – die in Syrien vorhanden sind – können nicht vom ganzen Land genutzt werden und müssen auf dem internationalen Markt eingekauft werden.
Zahlreiche syrische staatliche Einrichtungen, darunter auch die Zentralbank, sind vom internationalen Geldmarkt wegen westlicher Sanktionen ausgeschlossen. Syrien ist verschuldet und verfügt kaum über ausländische Devisen. Die Landeswährung Syrische Lira (SYP) hat an Wert verloren. Im Jahr 2011 lag der Umtauschkurs Syrische Lira zum US-Dollar bei 1 US-Dollar = 50 SYP. Heute liegt der inoffizielle Umtauschkurs bei 1 US-Dollar = 3800 SYP. Offiziell beträgt der Kurs 1 US-Dollar = 2000 SYP.
Al Souk al Adiq – Der Alte Markt
In den Tagen des Fastenmonats Ramadan füllen sich die Märkte erst am Nachmittag. Dann strömen die Menschen an den vielen Ständen mit Obst und Gemüse, Käse, Fisch und Süssigkeiten vorbei, um aus dem grossen Angebot einiges für das Fastenbrechen am Abend mit nach Hause zu bringen. Der Alte Souk, Al Souk al Adiq sagen die Damaszener zu dem beliebten Markt auf der Alnbsp;Ammara Strasse, am nördlichen Ende der Altstadt. Früher kamen die Bauern aus dem Umland mit ihrem Obst und Gemüse, mit Hühnern, Eiern und Milch, um alles frisch anzubieten. Als der neue Grossmarkt, der Souk alnbsp;Hal in Zablatani, wenige Kilometer weiter südlich gebaut wurde, brachten die Bauern ihre Waren direkt dorthin. Heute werden auf dem neuen Souk alnbsp;Hal auch die Lastwagen beladen, die Waren in den Irak oder bis nach Saudi-Arabien transportieren.
Der Alte Souk bietet alles: Erdbeeren, Kräuter aller Art, Datteln aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es gibt Kiwis aus Tunesien, Ingwer aus China, Datteln und Granatäpfel aus Jordanien. «Die sind nicht frisch, die kommen aus dem Kühlschrank», sagt entschuldigend ein Verkäufer. «Es ist jetzt keine Saison für Granatäpfel.» Die Produkte aus dem Ausland sind teuer und werden von Kunden nur in sehr kleinen Mengen gekauft, sagt der Dattelverkäufer, der früher und vor allem während des Fastenmonats Ramadan deutlich mehr Umsatz hatte. Die Datteln gehören zum Ritual des Fastenbrechens, doch viele Familien verzichten heute aus Kostengründen darauf.
An einem gesonderten Stand gibt es Käse und Eier, die aus dem rund 30 km entfernt liegenden Sednaya gebracht werden. Früher kostete eine Palette mit 30 Eiern 250 bis 300 Syrische Pfund. Heute liegt der Preis pro Palette bei 11 000 SYP.
Am Nachbarstand gibt es Obst und Gemüse, das bis auf die ägyptischen Kartoffeln aus Syrien stammt: Grosse Avocados von der Küste, wo auch die Orangen herkommen. Knoblauch, Kartoffeln, Gurken, Tomaten, Zwiebeln, Auberginen, Salat – alles ist kunstvoll aufgeschichtet und ausgestellt.
Gute Tomaten aus dem Hauran
Hier verkauft Abu Ahmad, der gerade 15 Jahre alt war, als er 2003 seine Arbeit am Gemüsestand aufnahm. Gerade ist er dabei, aus einem grossen, weit ausladenden Korb mit Tomaten die weichen und weniger ansehnlichen Exemplare auszusortieren. Er arbeite sieben Tage die Woche von 9:00 Uhr morgens bis 9:00 Uhr abends, erzählt er nebenbei. Sein Tageslohn betrage 15 000 SYP, das reiche aber für ihn, die Frau und drei Kinder nicht aus. Auch während des Krieges habe er hier gearbeitet, erzählt er weiter. 2009 hatte er seinen Wehrdienst abgeschlossen und wurde glücklicherweise während des Krieges nicht wieder eingezogen.
Die Tomaten seien mit 3000 SYP pro Kilo sehr teuer, weil sie unter Plastikplanen bei Banias, an der Küste gezüchtet worden seien. Von dort müssten sie nach Damaskus transportiert werden, und das sei teuer: «Diesel ist teuer, aber auch der Dünger, der im Ausland eingekauft werden muss, ist teuer», erklärt Abu Ahmad, der Vater von Ahmad. Was im Ausland gekauft werde, müsse mit US-Dollar bezahlt werden, das verteuere alles. Die guten, natürlich – nicht unter Plastikplanen – gewachsenen Tomaten gebe es zwischen Mai und Dezember und die kämen aus dem Hauran (Deraa). Das sei nicht weit von Damaskus entfernt, und so seien die Tomaten von dort nicht nur besser, sondern auch billiger. Aber sie seien eben nicht immer zu haben. Als Abu Ahmad vor 19 Jahren anfing, auf dem Markt zu arbeiten, hätten die Leute 5 Kilo-Kisten mit Tomaten für 100 SYP gekauft, erinnert er sich. Heute kauften sie ein Viertel oder vielleicht ein halbes Kilo Tomaten, mehr sei zu teuer.
Frischer Fisch kaum bezahlbar
Wenige Schritte weiter steht Abdul Rahman Afan vor seinem Fischgeschäft. Sein Fisch sei gut und frisch, preist er die Ware an. Die Fische kommen aus Fischzüchtereien im Ghab, einer fruchtbaren Landschaft entlang des Orontes Flusses in Idlib. Andere kommen von Fischfarmen in Anjar, im benachbarten Libanon. Auch Fische aus dem Euphrat habe er anzubieten, und der Hai, der hinter ihm von der Decke herunterhängt, sei im Mittelmeer bei Latakia gefangen worden. Lachs werde importiert und koste 50 000 SYP pro Kilo – für manche Menschen ist das ein Monatsgehalt. Vor dem Krieg sei sein Geschäft richtig gut gelaufen, erinnert er sich. Restaurants und Hotels gehörten zu seinen Kunden und die einfachen Leute, Familien, hätten 3 Kilo Fisch für 100 bis 200 SYP gekauft, je nach Fischart.
Heute koste ein Kilo mindestens 18 000 SYP, kaum jemand könne sich das noch leisten. Die Menschen kauften den Fisch stückweise oder sie kaufen die kleinen, billigeren Sardinen, sagt Afan: «Und wenn sie Fisch kaufen, brauchen sie Öl, das sehr, sehr teuer geworden ist. Und sie brauchen mindestens noch Kartoffeln dazu, deren Preis auch gestiegen ist», sagt Abdul Rahman Afan und zuckt mit den Schultern. Den Fischladen hat Abdul Rahman von seinem Vater übernommen, der den Betrieb wiederum von seinem Vater geerbt hatte. Nie werde er das Familiengeschäft aufgeben, doch er überlege, den Laden hier im Alten Souk zu verkaufen und vielleicht drei, vier kleinere Läden an verschiedenen Standorten zu öffnen. Doch wer könne 1 Milliarde Syrische Pfund aufbringen, um den Laden zu kaufen?! Das Geschäft laufe schlecht, aber wenn er jetzt verkaufe, werde er zusätzlich Geld verlieren.
Leder und Seile
Eine der unzähligen Gassen und engen Strassen führt in einen stillen, überdachten Gang, der an einer Mauer endet. Hier ist der Markt für Leder und Seile, hier ist der Laden von Bassam Hawary, der wie die meisten der Händler auf dem Alten Markt auch aus einer Händlerfamilie stammt. Sein Vater verkaufte Reifen für Autos, Zweiräder und Karren, Bassam Hawary verkauft Netze aus Leinen und Nylon. Sie würden für den Transport, für Dekorationen oder im Sport für Hand- und Fussballtore gebraucht, erklärt er. Mit Blick auf eine Hängematte, die unter der Decke hängt meint er, so etwas sei heute nicht sehr gefragt.
Vor 25 Jahren habe er seinen Laden geöffnet und vor dem Krieg seien die Geschäfte gut gewesen. Selbst während des Krieges habe er noch gut verkaufen können, aber nun sei die Situation so schlecht wie nie. Er habe das Geschäft aufgebaut, damit seine Söhne es einmal übernehmen könnten. Aber die lebten heute in Abu Dhabi, in den Vereinigten Arabischen Emiraten: «Hier finden sie keine ordentliche Arbeit mehr.»
Die Preise seien enorm gestiegen, sagt Hawary. Es gäbe nicht mehr so viel syrische Baumwolle wie vor dem Krieg, der Transport sei wegen der Benzin- und Dieselknappheit sehr teuer geworden. «Dabei haben wir genug Öl um das ganze Land zu versorgen! Wir haben Öl, Baumwolle und Weizen und alles ist in unserem Land.» Aber die syrischen Ressourcen sind nicht mehr für ganz Syrien da. Die grössten Baumwollanbaugebiete im Euphrat-Tal stehen unter US-Besatzung und kurdischer Kontrolle und erreichen nur zu einem Bruchteil und teuer die verarbeitenden Textilfabriken in Aleppo. Dort wird heute vor allem die Baumwolle aus Al Ghab, dem fruchtbaren Orontes-Tal verarbeitet, das jahrelang von Islamisten – mit Unterstützung der Türkei – besetzt war. Die meiste Baumwolle, die in Syrien heute verarbeitet wird, kommt – ebenso wie die Nylonseile –aus China. Und muss mit Devisen bezahlt werden.
Umm Issa, die Netzknüpferin
Die Netze, die Bassam Hawary in seinem Laden verkauft, werden in Yabroud, rund 80 km nördlich von Damaskus noch von Hand geknüpft. Verantwortlich für die Produktion ist Umm Issa Barakati, die die Aufträge an weitere fünf Frauen verteilt. Sie selber habe die Arbeit von ihrer Mutter gelernt, damals sei sie sechs Jahre alt gewesen. »Und, was meinen Sie, wie alt ich heute bin,» schmunzelt sie. «Heute bin ich 79 Jahre alt und habe nur einige Probleme mit meinen Knien.» Mehr als 100 Jahre seien die Frauen aus ihrer Familie bekannt als Netzknüpferinnen. Damals seien auch Netze für die Jagd geknüpft worden, keine Maschine könne diese Arbeit machen wie sie und die anderen Frauen, ist sie überzeugt.
Umm Issa, die Mutter von Issa, lebt mit der Tochter und deren Familie zusammen. Die Tochter habe einen Laden, sie koche und putze die Wohnung und helfe, wo sie könne, erzählt sie stolz. Auch der Sohn habe Arbeit, fügt sie hinzu. «Ich danke Gott, dass wir gut leben können.»
Der einfache Arbeitsplatz ist im Empfangszimmer ihrer Wohnung. Auf einem Holzbock ist die Baumwolle aufgerollt. Vor ihr, auf einem Stuhl ist ein weiterer Bock befestigt, auf dem das fertig geknüpfte Netz aufgerollt ist, dass sie mit einem Holzschiffchen knüpft. Am Tag knüpfe sie etwa fünf Meter Netz, sagt Umm Issa. Dafür erhalte sie 2000 SYP und sei zufrieden. Gerade habe sie – über Bassam Hawary, den sie Abu Muhannad nennt, den Vater von Muhannad – einen Auftrag aus Saudi-Arabien erhalten: «Wir sollen Vorhänge für Türen knüpfen. 1,70 Meter breit und 2,25 Meter hoch. Wir warten auf die Seile, um mit der Arbeit beginnen zu können.» •
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