von Heini Hofmann
Einfache Denkmuster orten bei uns Menschen bezüglich Arbeitsmoral ein Nord-Süd-Gefälle: von Workaholic zu Siestakünstler. Ob es solche Nuancen auch bei Tieren gibt? Das wollten wir wissen und machten die Probe aufs Exempel. Das Resultat ist verblüffend!
Als tierliches Vergleichsobjekt wählten wir jenes Miniatur-Nutztier, von dem es heisst, dass es extrem arbeitsam sei – die Honigbiene, unsere Inkarnation von Fleiss. «The bee is a very hard working creature», meinen auch die Briten. Um einen Vergleich zu unseren Breitengraden anzustellen, schauten wir einem Imker in Südsardinien über die Schultern und stellten fest, dass es bezüglich Emsigkeit der Immen – naturbedingt – ein reziprokes Süd-Nord-Gefälle gibt.
Zwei Arbeitswelten
In Mittel- und Nordeuropa sind die Honigbienen als emsige Arbeiterinnen unter königlicher Aufsicht während der warmen Jahreszeit unterwegs zu blühenden Trachtpflanzen, wo sie Nektar und Pollen sammeln. In der anderen Jahreshälfte dagegen, wenn Kälte oder gar Schnee dies verunmöglichen, machen unsere Bienenvölker, in Form einer Traube eng zusammengekuschelt, eine monatelange Winterruhe (nicht Winterschlaf).
Davon können ihre südländischen Artgenossen nur träumen; denn hier blühen ganzjährig Trachtpflanzen, und Schnee ist (fast immer) ein Fremdwort. Das bedeutet, dass sie zwölf Monate durchgehend arbeiten, ohne freie Tage oder gar Siestaferien – eine übertierliche Leistung. Das stellt selbst menschliche Workaholics in den Schatten!
Imker Luigi Deiana betreibt zusammen mit seiner Frau Fiorella Di Luca eine selbst aufgebaute Imkerei in der Provinz Sarrabus im Südosten Sardiniens, am Ufer des Flusses Uri, nordwestlich von San Vito, inmitten typischer Macchia (französisch: Maquis), dieser niedrigen, immergrünen Gebüschformation mediterraner, küstennaher Hügellagen. Zur Imkerei fand er wie die Jungfrau zum Kind, als er als Maschinenschlosser und technischer Zeichner in Deutschland arbeitete und im Fernsehen bei seiner Schlummermutter einen Imkerfilm sah. Das war sein Schlüsselerlebnis.
Von der Pike auf
Zurück in Sardinien kaufte er sich ein Stück Macchialand, schlug sich als Taglöhner durch, um seinen Traum vom Berufsimker zu verwirklichen – im Selbststudium und mit «learning by doing».
Mit vier Bienenvölkern begann er – und scheiterte erst einmal. Doch sein Durchhaltewille war gross. Plötzlich waren’s 20 Völker, und 1982, mit Unterstützung der Region, konnte er deren 50 zusätzlich beschaffen – und war fortan Berufsimker mit Leib und Seele.
Während in der Schweiz vier Bienenrassen beheimatet sind (die dunkle Landrasse Mellifica, die Graubiene Carnica, die Südländerin Ligustica und die Eurasierin Caucasica), gibt es in Sardinien nur eine Rasse, logischerweise die mediterrane Ligustica mit den typisch gelben Hinterleibsringen, notabene heute die meistvertretene Rasse weltweit.
In Sardinien ist (wie bei uns vorwiegend in der Welschschweiz) das Dadant-Haltungssystem üblich, mit freistehenden, nebeneinander aufgestellten Einzelkästen, die je nach Wachstum der Völker beliebig erweitert werden können. Der Arbeitszugang, nach Wegnahme des Deckels, erfolgt von oben und nicht – wie beim deutschschweizer System an den im Bienenhaus fix eingebauten Kästen – von hinten.
Trachtpflanzen ganzjährig
Während in unseren Breitengraden die Honigernte nur einmal im Jahr stattfindet, verteilt sie sich in südlichen Gefilden übers ganze Jahr, weil hier ja ständig etwas blüht, von Januar bis Dezember. Und es handelt sich notabene nur um wilde Pflanzen. Den traditionellen Mischhonig verschiedener Blüten gibt es als Haupttracht im Frühling (Ende April/Anfang Mai).
Im Jahresverlauf kommen dann die Einblütenhonige zum Tragen – im Frühling von Affodil (Liliengewächs) über Lavendel (Schopflavendel) und Zitrusblüten bis Rosmarin. Im Sommer gibt es neben Eukalyptushonig nochmals Mischhonig aus Brombeere, Distel, Königskerze und Kaktusfeige. Im Herbst dann eine spezielle Tracht vom Johannisbrotbaum und im Winter (Dezember/Januar, aber nicht immer) den sogenannt bitteren Honig vom Erdbeerbaum.
Um diese jahreszeitlich und lokalgeographisch anfallenden Trachtquellen optimal zu nutzen, hat der Imker die Möglichkeit, seine Dadant-Kästen jeweilen in diejenige Region zu versetzen, wo ein Trachtpflanzenangebot gerade überwiegt – analog wie dies unsere Wanderimker mit mobilen Bienenständen in verschiedenen Gebirgskantonen tun.
Rund fünfmal mehr Honig
Den Bienen dient als flüssiger Rohstoff zur Herstellung von Blütenhonig der zuckerhaltige Blütensaft Nektar, ein Sekret der Nektarinen, der Honigdrüsen der Blüten, den die Bienen im Honigmagen transportieren. (Waldhonig aus Honigtau, produziert von Blattläusen, gibt es in der niederwüchsigen sardischen Macchia nicht.) Pollen dagegen, das heisst Blütenstaub, welcher der Brut als Nahrung dient, wird «gehöselt» eingetragen.
Während in der Schweiz pro Bienenvolk und Jahr rund zehn Kilo Honig der Norm entsprechen (mit grossen Schwankungen je nach Witterung), können Imker in der sardischen Macchia mit ihrem ganzjährigen, üppigen Blütenreichtum rund fünfmal soviel Honig ernten.
Die sardische Götterspeise gilt deshalb als besonders delikat, weil die Macchia eine ideale Bienenweide ist. Honig, Mandeln und Nüsse sind denn auch die Grundstoffe vieler sardischer Süssigkeiten. Zudem ist Honig auch ein unvergleichlicher Kraftspender, hat er doch fünfmal mehr Kalorien als Milch, dreimal jene von Fleisch und doppelt so viele wie Eier.
Paradies mit Problemen
Kurz: An sich wären die Gegebenheiten in der blütenreichen sardinischen Macchialandschaft für die Bienen und für den Imker mit überschaubarem Familienbetrieb (heute gut 80 Völker) paradiesisch. Doch da gibt es ein Problem: Anfang achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde in Sardinien erstmals die Varroatose (Milbenseuche der Honigbienen) nachgewiesen, die Anfang der siebziger Jahre vom Ural nach Europa verschleppt worden war.
Nach Sardinien hätten es die Varroamilben von alleine nie geschafft, wenn sie nicht durch Grossimker vom italienischen Festland, die mit verseuchten Völkern als Wanderimker auf die Insel kamen, eingeschleppt worden wären. Doch wie soll man bei ganzjähriger Trachtvielfalt und dadurch ununterbrochener Sammeltätigkeit und Brutpflege ein krankes Bienenvolk behandeln, das keine Winterpause macht wie bei uns?
Während der Bruttätigkeit ist eine Varroa-Bekämpfung nicht möglich. Da hilft nur ein (leider notwendiger, aber nicht gerade sympathischer) Trick: Man ist gezwungen, im Sommer die Königin für einige Zeit einzusperren, damit sie keine Eier mehr legt und so einige Tage keine gedeckelte Brut vorhanden ist, womit dann, in diesem Zeitfenster, eine Oxalsäure-Behandlung möglich wird. Eine weitere Erschwernis für Imker im Süden stellt der wunderschöne, aber leider gefrässige Bienenfresser dar (vgl. Kasten).
Im Einklang mit der Natur
Bei Imker Luigi Deiana spürt man seine grosse Naturverbundenheit; sein Arbeitsplatz ist die wilde, menschenleere Macchialandschaft. Er weiss, dass er seine Bienenkästen nicht an schattige Stellen plazieren darf und dass er mit seinen Ligustica-Bienen ruhig arbeiten muss, denn auch sie sind von Natur aus sanft, nicht aggressiv und zudem arbeitstüchtig. «Böse Bienen», so ist er überzeugt, «sind auch eine Frage des Imkers und seines Umgangs mit diesen Miniaturlebewesen.»
Wie er mit den Gaben der Natur mit Bedacht umgeht, zeigt sich auch daran, dass er beim Vertrieb seiner Naturprodukte nicht von seinen Kunden, sondern von seinen Freunden spricht. Sein Prinzip ist der Direktverkauf im eigenen kleinen Betrieb, wo seine Frau Fiorella die Produkteverarbeitung tätigt, sowie auf Dorfmärkten (wo auch wir, in Villasimius, erste Bekanntschaft mit ihm machten).
Daneben betreibt er auch Versandverkauf, vorab aufs italienische Festland. Doch auch hier der kleine, sympathische Unterschied: Seine Bienenprodukte-Preziosen verkauft er nicht kübelweise an Grossisten, wie dies Grossimker tun, sondern in Kleingebinden an seine vertraute Kundschaft. Sein grösster Wunsch ist, dass seine Kinder das, was er aus dem Nichts aufgebaut hat, einmal weiterführen können. Nicht nur die südländischen Bienen haben uns imponiert – auch ihr Imker. •
HH. Er gehört zu den farbenprächtigsten Vögeln der Welt und ernährt sich hauptsächlich von Bienen, Wespen und Hummeln – der kastanienbraun-blaugrün gefärbte Bienenfresser (Merops apiaster) mit gelber Kehle. Typisch sind der lange, spitze und leicht abwärts gebogene Schnabel, die langen Pfeilflügel und die kurzen Beine (im Bild gut sichtbar). Seine Insektennahrung erbeutet er im schwalbenartigen Flug. Bienenfresser sind gesellig lebende Vögel und brüten meist in Kolonien. Nach Sardinien kommen sie als Zugvögel Mitte April vom Winterquartier in Afrika und kehren Mitte September dorthin zurück.
Für die Imker sind sie ein echtes Problem, und weil sie geschützt sind, dürfen sie auch nicht bekämpft werden. Magenuntersuchungen toter Spinte wiesen Reste von bis zu dreissig Bienen auf. Imker Luigi Deiana spricht aus Erfahrung: «Beim Auftauchen der Vögel breitet sich in den Bienenvölkern Angst aus, die Arbeiterinnen getrauen sich kaum auszufliegen. Besonders gefährdet sind Königinnen, weil sie ihrer Grösse wegen langsamer fliegen. Ein weiselloses Volk aber ist dem Untergang geweiht.»
Anders in der Schweiz: Hier ist der Bienenfresser für die Imkerei (vorderhand) keine Gefahr. 1991 erfolgte die erste Brut; doch erst 2017 wurde die Zahl von hundert Brutpaaren überschritten. Dieser Trend dürfte mit zunehmender Klimaerwärmung jedoch zunehmen.
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