Wozu eine «Ukraine Recovery Conference» in Lugano?

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA wird am 4. und 5. Juli 2022 in Lugano eine «Ukraine Recovery Conference (URC2022)» veranstalten, bei der der «Wiederaufbau» der Ukraine diskutiert werden soll. Den Wiederaufbau besprechen, bevor Friede geschaffen ist? Diese und weitere Fragen stellen sich dem kritischen Zeitgenossen.

Bundespräsident und EDA-Chef Ignazio Cassis erklärte in der SRF-Tagesschau vom 30. Mai, es werde eine «sehr hochkarätige» Konferenz werden. Minister, Premierminister oder Präsidenten aus 41 Staaten sowie 19 internationale Organisationen seien eingeladen. In Lugano finde der «Kick-off» eines Wiederaufbauplanes statt: Es gelte, Prinzipien zu definieren und in welchem Tempo man vorwärtskommen wolle, und so weiter und so fort. Tatsächlich geht es in erster Linie um eine weitere Geldbeschaffungsaktion für die unersättliche Regierung in Kiew. Ignazio Cassis: «Diejenigen, die ‹pledgen› [Geld versprechen] werden, sagen: Wir unterstützen den Wiederaufbau.» Es gehe um schätzungsweise 600 bis 1000 Milliarden Dollar (!).
  Im folgenden werden einige kritische Punkte genannt.

Schweiz und Ukraine laden ein – Russland wird ausgelassen

Die beiden Aussenminister Ignazio Cassis und Dmytro Kuleba laden ein. Russland gehört weder zu den einladenden Staaten noch steht es auf der Gästeliste. Dies verstosse nicht gegen das Neutralitätsgebot, so die bekannte Floskel des EDA – auch durch ständige Wiederholung wird sie nicht wahrer.

Die üblichen westlichen «Player» bleiben unter sich

Die Gästeliste entspreche denjenigen der letzten Konferenzen, so das EDA. In Vilnius 2021 nahmen kurz zusammengefasst sämtliche EU/Nato-Staaten teil (plus die Schweiz, Israel, Japan und Südkorea) sowie die wichtigsten von den USA und Brüssel beherrschten Organisationen: IWF, Weltbank, Nato, EBRD1, EIB2, OECD, UNDP3, der Europarat und die EU-Institutionen EU-Rat, EU-Kommission und EU-Parlament. Der «Rest der Welt» wird auch nach Lugano nicht eingeladen, wie gehabt.

Wiederaufbau-Konferenz soll Reformkonferenzen ersetzen

Seit 2017 fanden in verschiedenen westlichen Städten sogenannte Ukraine-Reformkonferenzen statt (2017 in London, 2018 in Kopenhagen, 2019 in Toronto und 2021 in Vilnius (wegen Covid-19 gab es 2020 keine Konferenz). Dort wird laut EDA «jeweils Bilanz gezogen über die Entwicklungen im vergangenen Jahr». Die Ukraine könne die laufenden Fortschritte erläutern, die internationalen Partner würden ihre Unterstützung bekräftigen, und die nächsten Reformschritte würden besprochen.
  Welche Fortschritte gab es denn an diesen «hochkarätigen» Konferenzen zu feiern? Die versammelten westlichen Staatschefs und Organisationen haben es seit sieben Jahren versäumt, von der ukrainischen Regierung die Umsetzung der vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Minsker Abkommen von 2014/2015 einzufordern (so zum Beispiel die Verabschiedung einer Verfassung, die alle Volksgruppen im Land gleichstellt, die Durchführung gleicher und fairer Wahlen im ganzen Staatsgebiet, den Autonomiestatus für Donezk und Lugansk). Insbesondere die deutsche und die französische Regierung, welche die Abkommen mitunterzeichnet haben, wären hier seit Jahren in der Pflicht. Und jetzt soll die Reform des undemokratischen und korrupten Staatsgebildes Ukraine ganz offiziell ausgelassen werden, statt dessen spricht man von «Wiederaufbau» und verpulvert weitere Steuermilliarden der europäischen Völker!

Finanzierung des Wiederaufbaus vor der Schaffung von Frieden?

«Auch wenn das Kriegsende heute noch nicht absehbar ist, ist es von zentraler Bedeutung, jetzt mit ersten Überlegungen zum Wiederaufbauprozess […] zu beginnen», ist auf der genannten Homepage des EDA zu lesen.
  Die Schweiz hätte wahrhaftig Besseres zu tun in dieser Welt voller Kriege, als ihr Geld zum Fenster hinauszuwerfen – für ein Insider-Treffen, bei dem alle mit der grossen Kelle Geld versprechen werden, der eine dem anderen auf die Schulter klopft, dann geht man zum nächsten Event, und das Sterben geht weiter.  •



1 European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) / Europäische [EU] Bank für Wiederaufbau und Entwicklung
2 European Investment Bank / Europäische Investitionsbank (EIB), die Bank der Europäischen Union
3 UN Development Programme / Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen

Quellen:

Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA. Ukraine Recovery Conference (URC2022) vom 4. und 5. Juli 2022 in Lugano (https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/das-eda/aktuell/dossiers/alle-dossiers/urc2022-lugano.html)
Lipp, Reto. «Bundespräsident Cassis lädt zur Ukraine-Konferenz in Lugano». SRF News vom 30.5.2022

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