80 Jahre nach Stalingrad – Deutschland führt wieder Krieg gegen Russland

Den Preis dafür müssen die Bürger zahlen

von Karl-Jürgen Müller

In Deutschland haben nicht viele daran erinnert – und schon gar nicht im voreiligen «Sieges»-Taumel der vergangenen Tage: Vor 80 Jahren, im Spätsommer 1942, begann die deutsche Wehrmacht, unterstützt von anderen Kriegsgegnern der Sowjetunion, ihren Angriff auf die am unteren Wolgalauf gelegene Gross- und Industriestadt Stalingrad. Am 12. September 1942 verlangte Hitler vom Befehlshaber der deutschen Truppen General Paulus die Einnahme Stalingrads. «Die Russen», so auch Hitler damals, seien «am Ende ihrer Kraft.»1 Am 13. September begann der deutsche Grossangriff mit der Bombardierung durch Sturzkampfbomber und massivem Beschuss aus Feldartillerie und Mörsern auf den inneren Verteidigungsgürtel Stalingrads. Am Ende stand eine vernichtende deutsche Niederlage und der Schlachten-Tod von mehr als 1 Million Menschen.

Immer mehr deutsche Waffen für die Ukraine

Heute, 80 Jahre später, fordern deutsche Politiker – auf breiter Front und angetrieben von privaten und öffentlich-rechtlichen Medien –, noch mehr schwere Waffen in die Ukraine zu liefern. So berichtete die ARD-Tagesschau am 11. September auf ihrer Internetseite: «Führende Politiker der Ampel-Parteien im Bundestag haben mehr Unterstützung für die ukrainische Militäroffensive gegen die russischen Angreifer gefordert. ‹Deutschland muss umgehend seinen Teil zu den Erfolgen der Ukraine beitragen und geschützte Fahrzeuge, den Schützenpanzer Marder und den Kampfpanzer Leopard 2 liefern›, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Nachrichtenagentur dpa. Deutschland stehe damit an der Seite des ukrainischen Volkes und übernehme eine ‹führende Rolle in Europa im Kampf für Demokratie in Frieden und Freiheit›. Die FDP-Politikerin forderte auch, keine Zeit zu verlieren. ‹Und schon gar nicht ist dies die Zeit des Zauderns und Zögerns›, so Strack-Zimmermann weiter.»2 Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil nahm ähnlich Stellung. Die aktuellen militärischen Erfolge des ukrainischen Militärs seien nicht zuletzt das Resultat davon, «dass der Westen, dass Deutschland, dass wir wahnsinnig viele Waffen geliefert haben in den letzten Wochen und Monaten. Und das muss weitergehen. Das wird auch weitergehen».3 Anders noch als in den vergangenen Monaten könne es nun auch darum gehen, deutsche Kampfpanzer zu liefern – nach Abstimmung mit den Nato-Partnern. Jetzt aber will die deutsche Politik der gedankliche Vorreiter sein. Klingbeils Parteikollege Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, sekundierte, nun gehe es darum, die Ukraine schnell mit weiteren Waffen zu beliefern – für den Sieg auf dem Schlachtfeld.4 Mehr schwere deutsche Waffen für die Ukraine, so war am 12. September zu lesen5, fordert auch der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Omid Nouripour.

Deutschland hat «rote Linien» überschritten und agiert wie ein Feind Russlands

So darf es niemanden verwundern, wenn die in Deutschland verbotene Internetseite RT DE am 4. September schreibt: «Deutschland agiert wie ein Feind Russlands.» Der ehemalige russische Präsident und Ministerpräsident Dmitri Medwedew, heute stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, hatte dies nach einer Pressekonferenz der deutschen Regierungsparteien vom selben Tag mit einer Kurznachricht verbreitet. RT DE schrieb dazu: «Medwedew ist nicht der einzige, der sich angesichts dessen, dass deutsche Waffen wieder russische Soldaten und Zivilisten im Donbass töten, wundert, was Deutschland denn aus der Niederlage 1945 gelernt hat. Offensichtlich nicht das, was die Sieger den Deutschen beibringen wollten.» Und fügte hinzu: «Die deutsche Aggression gegen russische Sicherheits- und Existenzinteressen hat übrigens schon 2013 auf dem Kiewer Maidan begonnen. Spätestens.» RT DE hat seinem Artikel ein Bild beigefügt, das Olaf Scholz vor einem deutschen Gepard-Panzer im deutschen Trainingslager für ukrainische Soldaten in Putlos in Schleswig-Holstein zeigt.
  In einem am 12. September von der russischen Zeitung «Iswestija» veröffentlichten Interview mit dem Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Sergej Netschajew, sagte dieser: «Allein die Lieferung tödlicher Waffen an das ukrainische Regime, die nicht nur gegen russische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung im Donbass eingesetzt werden, ist eine ‹rote Linie›, die die deutsche Regierung […] nicht hätte überschreiten dürfen.»6 Die deutsche Regierung habe im Zuge der Ukraine-Krise die guten bilateralen Beziehungen zu Russland zerstört und höhle den Versöhnungsprozess zwischen den Völkern aus. Deutschland sei auch eine der treibenden Kräfte bei der Sanktionspolitik des Westens gegen Russland.

Den Preis für den Krieg zahlen die Bürger

Wie in allen Kriegen, so gilt auch jetzt wieder: Den Preis für den deutschen Krieg gegen Russland wird der deutsche Bürger zahlen müssen. Deutsche im Osten des Landes – also in dem Landesteil, der sich schon einmal, vor mehr als 30 Jahren, dem Westen des Landes beugen musste – haben offensichtlich ein grösseres Sensorium dafür, sie merken es jetzt schon. Das zeigen die zahlreichen Stellungnahmen aus Ostdeutschland: Sie reichen von mittelständischen Betrieben7 über Bürgermeister8 bis hin zum Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen9. Und wohl auch die meisten derjenigen, die am 5. September zu einer ersten «Montagsdemonstration» in Leipzig zusammenkamen, werden so denken – auch wenn erneut damit zu rechnen ist, dass sich Falschspieler an die Spitze der Bewegung zu stellen versuchen.
  Hinzu kommt, dass es nicht nur Kriegsverlierer, sondern wieder einmal auch Kriegsgewinnler gibt. Der Ökonom Christian Kreiß hat in den deutschen Nachdenkseiten am 6. September darauf hingewiesen: «Wer profitiert von der deutschen Aussen- und Wirtschaftspolitik? Des einen Leid, des anderen Freud.»10
  Schliesslich ist auch die These zu prüfen, dass nicht nur die Kriegspolitik der deutschen Regierung, sondern auch die fatalen Folgen für die deutsche Bevölkerung sowohl zu ideologischen Konzepten einer deutschen Regierungspartei passen, als auch dem wirtschaftlichen Konkurrenten USA genehm sind.
  Die deutsche Politik und die deutschen Medien wissen um den Unmut unter den Bürgern. Sie steuern mit Durchhalteparolen gegen. Ein Beispiel dafür war die ARD-Sendung «Hart aber fair» vom 5. September. «Der Winter naht, der Krieg wirkt fern: Was ist uns die Freiheit der Ukraine wert?» war der Titel der Sendung. Auf der Internetseite des Politik-Talks ist zu lesen: «Deutschland sorgt sich um teures Gas, die Ukraine kämpft ums Überleben. Ist die warme Wohnung hier wichtiger als der Krieg dort?»11 Alle Talk-Teilnehmer waren Kriegsbefürworter.
  Historiker weisen allerdings darauf hin: Als im Sommer 1942 die Schlacht um Stalingrad begann, sei der Krieg für das Deutsche Reich bereits verloren gewesen.12

PS: Am 13. September haben der deutsche Kanzler Olaf Scholz und der russische Präsident Wladimir Putin 90 Minuten lang miteinander telefoniert. In unseren Medien ist davon die Rede, Scholz habe auf eine diplomatische Lösung des Krieges in der Ukraine gedrängt. Wenn man die Presseerklärung der deutschen Regierung (siehe Kasten) zum Telefonat liest, erkennt man allerdings nur die bekannten deutschen Forderungen, so wie sie schon vor dem 24. Februar 2022 formuliert worden waren, und Ermahnungen an die russische Seite. Aber keinerlei Eingehen auf die russische Position, keinerlei Kritik an der Politik der derzeitigen ukrainischen Regierung und Kriegsführung und keinerlei Thematisierung der Frage, ob es der Bevölkerung in den mehrheitlich russisch sprechenden Landesteilen nach allem, was geschehen ist, überhaupt noch zuzumuten ist, in einem Staat Ukraine mit einer radikal und gewaltsam antirussischen Politik zu leben. Die Presseerklärung des russischen Präsidialamtes listet demgegenüber konkrete Punkte auf, über die es sich lohnen würde, auch in unseren Medien zu berichten.  •



1 zitiert nach https://www.dw.com/de/stalingrad-als-wende-im-zweiten-weltkrieg/a-42320785 vom 2.2.2018
2 https://www.tagesschau.de/inland/ampel-bundesregierung-waffenlieferungen-ukraine-101.html vom 11.9.2022
3 ebenda
4 ebenda
5 https://www.berliner-zeitung.de/news/gruenen-chef-omid-nouripour-fordert-mehr-waffen-fuer-ukraine-verteidigungsministerinchristine-lambrecht-skeptisch-li.266086 vom 12.9.2022
6 zitiert nach https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-russischer-botschafter-berlin-ueberschreitet-mit-waffen-rote-linie/28675340.html vom 12.9.2022
7 https://www.handwerk-pro-leipzig.de/m/news/1/749467/nachrichten/offener-obermeisterbrief-an-den-bundeskanzler-und-ministerpr%C3%A4sidenten-von-sachsen.html; https://www.bbglive.de/2022/08/19/offener-brief-der-kreishandwerkerschaft-an-das-bundeskanzleramt/; http://www.khs-anhalt.de/Obermeisterbrief_2022.pdf
8 https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Buergermeister-auf-Ruegen-fordern-Macht-Nord-Stream-2-auf,nordstream766.html vom 27.7.2022
9 «‹Die Waffen müssen schweigen, sonst stürzt die ganze Welt ins Chaos›. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verteidigt seine Aussage, den Krieg in der Ukraine ‹einzufrieren›». In: Neue Zürcher Zeitung vom 8.9.2022
10 https://www.nachdenkseiten.de/?p=87655 vom 6.9.2022
11 https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/video-der-winter-naht-der-krieg-wirkt-fern-was-ist-uns-die-freiheit-der-ukraine-wert-102.html
12 https://www.deutschlandfunk.de/80-jahre-schlacht-von-stalingrad-interview-soenke-neitzel-militaerhistoriker-dlf-1e1b967d-100.html vom 20.8.2022


Presseerklärung der deutschen Bundesregierung

Bundeskanzler Olaf Scholz hat am heutigen Nachmittag (13. September) mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Das Gespräch erfolgte im Nachgang zu dem Telefonat des Bundeskanzlers mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski in der vergangenen Woche (7. September). Das 90minütige Gespräch war dem andauernden russischen Krieg gegen die Ukraine und seinen Folgen gewidmet.
  Der Bundeskanzler drängte angesichts der Ernsthaftigkeit der militärischen Lage und der Konsequenzen des Krieges in der Ukraine gegenüber dem russischen Präsidenten darauf, dass es so schnell wie möglich zu einer diplomatischen Lösung komme, die auf einem Waffenstillstand, einem vollständigen Rückzug der russischen Truppen und Achtung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine basiert. Der Bundeskanzler betonte, dass etwaige weitere russische Annexionsschritte nicht unbeantwortet blieben und keinesfalls anerkannt würden.
  Der Bundeskanzler forderte den russischen Präsidenten auf, gefangengenommene Kombattanten gemäss den Vorgaben des Humanitären Völkerrechts, insbesondere der Genfer Abkommen, zu behandeln sowie einen ungehinderten Zugang des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sicherzustellen.
  Mit Blick auf die Lage am Atomkraftwerk Saporischschja betonte der Bundeskanzler die Notwendigkeit, die Sicherheit des Atomkraftwerks zu gewährleisten. Der Bundeskanzler forderte in diesem Zusammenhang, jegliche Eskalationsschritte zu vermeiden und die im Bericht der Internationalen Atomenergieagentur empfohlenen Massnahmen umgehend umzusetzen.
  Der Bundeskanzler und der russische Präsident sprachen zudem über die globale Lebensmittellage, die infolge des russischen Angriffskrieges besonders angespannt ist. Der Bundeskanzler hob die wichtige Rolle des Getreideabkommens unter der Ägide der Vereinten Nationen hervor und appellierte an den russischen Präsidenten, das Abkommen nicht zu diskreditieren und weiter vollständig umzusetzen.
  Der Bundeskanzler und der russische Präsident vereinbarten, weiterhin in Kontakt zu bleiben.

Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bundeskanzler-scholz-telefoniert-mit-dem-russischen-praesidenten-putin-2125516 vom 13.9.2022

Presseerklärung des russischen Präsidialamtes

Wladimir Putin führte ein Telefongespräch mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz.
  Die beiden Staats- und Regierungschefs befassten sich mit den Entwicklungen in der Ukraine im Zusammenhang mit der speziellen Militäroperation Russlands. Wladimir Putin lenkte die Aufmerksamkeit des Bundeskanzlers insbesondere auf die eklatanten Verstösse der Ukraine gegen das Humanitäre Völkerrecht und den anhaltenden Beschuss von Städten im Donbass, bei dem Zivilisten getötet und die zivile Infrastruktur absichtlich beschädigt werden.
  Auch die Sicherheit des Kernkraftwerks Saporischschja (ZNPP) wurde erörtert. Der russische Präsident erläuterte ausführlich die von der IAEO koordinierten Massnahmen zur Gewährleistung des physischen Schutzes des KKW, das in der Ukraine trotz der ernsten Gefahr einer Katastrophe grösseren Ausmasses ständigen Raketenangriffen ausgesetzt ist.
  Bei einem Meinungsaustausch über die Umsetzung des am 22. Juli in Istanbul geschlossenen Getreideabkommens betonte Wladimir Putin dessen Paketcharakter und erläuterte seine Besorgnis über die geografische Unausgewogenheit der ukrainischen Getreidelieferungen auf dem Seeweg, von denen nur ein verschwindend geringer Teil an die bedürftigsten Länder geht. Darüber hinaus gibt es keine Fortschritte bei der Beseitigung von Hindernissen für russische Lebensmittel- und Düngemittelausfuhren. Der Präsident bestätigte, dass Russland bereit ist, grosse Mengen an Getreide auf externe Märkte zu liefern und bedürftigen Ländern den in europäischen Häfen blockierten Dünger kostenlos zur Verfügung zu stellen.
  Auf eine Frage des Bundeskanzlers antwortete Wladimir Putin, dass Russland im Gegensatz zu Kiew dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Zugang zu Kriegsgefangenen gewährt.
  Zur aktuellen Energiesituation in Europa betonte Wladimir Putin, dass Russland immer ein zuverlässiger Lieferant von Energieressourcen gewesen sei und bleibe und alle seine vertraglichen Verpflichtungen erfülle, während etwaige Unterbrechungen, zum Beispiel beim Betrieb von Nord Stream 1, auf antirussische Sanktionen zurückzuführen seien, die die technische Wartung der Pipeline behinderten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gaslieferungen über die Ukraine und Polen von deren Regierungen gestoppt wurden, sowie der Weigerung, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, wirken die Versuche, die Schuld für Europas Energieprobleme auf Russland zu schieben, sehr zynisch.
  Die Staats- und Regierungschefs kamen überein, den Kontakt aufrechtzuerhalten.

Quelle: http://en.kremlin.ru/events/president/news/69343 vom 13.9.2022

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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