von Dr. iur. Marianne Wüthrich
Auf Bundesebene werden die Stimmberechtigten am 13. Februar über vier Vorlagen abstimmen. Eine davon, die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot», ist aus rechtlichen und ethischen Gründen äusserst problematisch. Ebenfalls am 13. Februar wird im Kanton Basel-Stadt über die kantonale Volksinitiative «Grundrechte für Primaten» abgestimmt. Beide Initiativen haben denselben ideologischen Hintergrund und sollen hier deshalb gemeinsam thematisiert werden.
I. Eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot»
Die Volksinitiative vom 18. März 2019 «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» will alle Tierversuche in der Schweiz sowie den Import von Produkten, die auf Grund von Tierversuchen produziert wurden, verbieten. Ebenso Versuche an «nichtzustimmungsfähigen» Menschen (in einem Rechtsstaat selbstverständlich). Entsprechend soll Art. 80 der Bundesverfassung geändert werden (Abstimmungsbüchlein, S. 22f.).1
Initiativtext (Auszüge):
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 80
3 Tierversuche und Menschenversuche sind verboten. Tierversuche gelten als Tierquälerei bis hin zum Verbrechen. Dies und alles Nachfolgende gelten sinngemäss für Tier- und Menschenversuche:
a. Erstanwendung* ist nur zulässig, wenn sie im umfassenden und überwiegenden Interesse der Betroffenen (Tiere wie Menschen) liegt; die Erstanwendung muss zudem erfolgversprechend sein und kontrolliert und vorsichtig vollzogen werden.
b. Nach Inkrafttreten des Tierversuchsverbotes sind Handel, Einfuhr und Ausfuhr von Produkten aller Branchen und Arten verboten, wenn für sie weiterhin Tierversuche direkt oder indirekt durchgeführt werden; bisherige Produkte bleiben vom Verbot ausgenommen, wenn für sie keinerlei Tierversuche mehr direkt oder indirekt durchgeführt werden.
d. Es muss gewährleistet sein, dass tierversuchsfreie Ersatzansätze mindestens dieselbe staatliche Unterstützung erhalten wie vormals die Tierversuche.
(* dazu der Bundesrat: «Wie sich Erstanwendungen von Versuchen unterscheiden, lässt die Initiative offen.» Abstimmungsbüchlein, S. 15)
Ein Unikum: Sämtliche National- und Ständeräte empfehlen die Initiative zur Ablehnung (0 Ja-Stimmen).
Initianten stellen Menschen und Tiere auf dieselbe Ebene
Weil beide leidensfähig seien, dürften Tiere nicht für die Gesundheit von Menschen geopfert werden. Weiter behaupten die Initianten, dass Tierversuche meistens gar keine brauchbaren Ergebnisse brächten: «Von 100 Wirkstoffen versagen 95 im Menschenversuch, trotz scheinbar erfolgversprechender Ergebnisse im Tierversuch.» (Abstimmungsbüchlein, S. 18f.)
Als (ungeheuerliches!) Beispiel die Aussage eines Arztes auf der Homepage der Initianten (https://tierversuchsverbot.ch): «Im Gegensatz zu den Forschern der Pharmaindustrie stehe ich als Arzt jeden Tag am Bett von schwerkranken Menschen und muss gemeinsam mit den Patienten aushalten, dass es keine effektiven Therapien gibt, was unter anderem daran liegt, dass noch immer auf Tierversuche in der Forschung gesetzt wird.» (Dr. med. Alexander Walz, Facharzt für Innere Medizin, Diploma of Tropical Medicine & Hygiene, Zürich).
Es sei dem Leser überlassen, was er von einem Arzt hält, der seinen schwerkranken Patienten erzählt, es gebe (als Folge der Tierversuche!) «keine effektiven Therapien».
Gewichtige Argumente gegen die Initiative (Bundesrat)
Der Bundesrat stellt im Abstimmungsbüchlein (Seite 20/21) eine ganze Reihe bedeutsamer Gegenargumente zusammen:
Schwere Gefängnisstrafen für Wissenschaftler angedroht!
Der zweite Satz des geplanten Art. 80 Absatz 3 BV: «Tierversuche gelten als Tierquälerei bis hin zum Verbrechen» kommt in den Argumenten des Bundesrates im Abstimmungsbüchlein nicht vor. Hat der Bundesrat ihn übersehen? Artikel 10 Absatz 2 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB) definiert: «Verbrechen sind Taten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind.» Dieses hohe Strafmass gilt zum Beispiel bei Entführung mit Todesdrohung (Art. 185 Ziff. 2) oder bei Vergewaltigung mit Einsatz einer gefährlichen Waffe (Art. 190 Abs. 3). Es kann doch nicht sein, dass ein Wissenschaftler der medizinischen Forschung ins Zuchthaus gesperrt wird, weil er dem Menschenrecht auf Gesundheit den Vorrang gibt vor dem Recht der Tiere auf Unversehrtheit!
Fragwürdige Gleichstellung von Menschen- und Tierrechten
Die Initiative folgt der fragwürdigen Vermischung der Menschenrechte mit den «Rechten» von Tieren, Pflanzen und unbelebter Natur gemäss der Theorie von Peter Singer («Animal Liberation») aus den 1970er Jahren (siehe Kasten «Ideologischer Hintergrund»).
Tatsache ist: Dem Schutz der Tiere kommt in der Schweiz grosse Bedeutung zu. Dazu besteht eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen mit strengen Vorschriften in den Bereichen Tierschutz, Nutztier- und Haustierhaltung, Zucht, Wildtiere (zum Beispiel Schutz der Grossraubtiere), Tierschutz beim Schlachten und Tierversuche.2
Aber: die Menschenrechte an erster Stelle! Dazu gehört das Recht aller Menschen auf eine genügende Gesundheitsversorgung – und damit auch auf die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Besonders in Zeiten von Pandemie und Lieferengpässen dürfen gewiss nicht die Forschung und die notwendigen Importe zusätzlich erschwert werden.
II. Basler Volksinitiative «Grundrechte für Primaten»
Ebenfalls am 13. Februar stimmt das Volk des Kantons Basel-Stadt über die Volksinitiative «Grundrechte für Primaten» ab. Die Ziele der Initianten gehen in dieselbe Richtung wie die oben vorgestellte Tierversuchsverbot-Initiative.
Initiativtext
Die Verfassung des Kantons Basel-Stadt wird wie folgt geändert:
§ 11 Grundrechtsgarantien
2 Diese Verfassung gewährleistet überdies:
c. (neu) das Recht von nicht-menschlichen Primaten auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrtheit.
Problematische Vermengung von Mensch und Tier
Die Basler Initiative beruft sich auf ein Positionspapier von Sentience Politics, «Grundrechte für Primaten», vom April 2016, das sich seinerseits auf die bedenkliche Theorie von Peter Singer stützt, insbesondere auf sein Great Ape Project (GAP) von 1993 (siehe Kasten «Ideologischer Hintergrund»). GAP verlor allerdings rasch an Zuspruch und «stagniert [laut seinen Befürwortern] seit einigen Jahren ohne greifbares Ergebnis vor sich hin».3
Und ausgerechnet in Basel soll es wiedererweckt werden? Einer der bekanntesten Zoologischen Gärten, der Basler «Zolli», und seine vielen Besucher würden sich jedenfalls nicht darüber freuen, wenn dort keine Menschenaffen mehr beherbergt werden dürften. Der Zoo ist zwar in Privatbesitz und wäre deshalb laut den Initianten «lediglich indirekt von den neuen Gesetzen betroffen». Aber der geplante neue Absatz in § 11 der Kantonsverfassung hat es in sich: Denn genauso wie die Rechte der Menschen wären auch diejenigen der Menschenaffen moralisch und gesetzlich zu schützen, das heisst, sie wären gerichtlich einklagbar!
So drängen die Initianten schon im Voraus darauf, dass private Organisationen wie der Zoo oder die Basler Pharmaunternehmen «beispielsweise strengere Regeln zum Schutz von nicht-menschlichen Primaten einführen. Zur Durchsetzung wäre eine vom Kanton geschaffene Ombudsperson oder ein eigenständiger Beistand denkbar […]».4 So ganz freiwillig klingt das nicht – man kann sich den Druck, den die Initianten einsetzen würden, lebhaft vorstellen.
Gültigkeit der Initiative mit Fragezeichen
Die Initiative wurde von der Basler Regierung und dem Grossen Rat (Parlament) 2018 als verfassungswidrig für ungültig erklärt. Mit rätselhafter Begründung entschied das Bundesgericht 2020, die Initiative verstosse nicht gegen die Bundesverfassung und sei deshalb gültig: «Den Kantonen sei es ausdrücklich erlaubt, eigene Grundrechte zu erlassen, die über die in der Bundesverfassung und der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) verankerten Mindeststandards hinausgehen. Spezielle Rechte für nicht-menschliche Primaten seien zwar ungewöhnlich, aber mit dem Bundesrecht vereinbar – zumal die grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Rechten für Tiere und den menschlichen Grundrechten damit nicht in Frage gestellt werde.»5
Einzige Rechtfertigung für diesen «trümmligen» Bundesgerichtsentscheid ist die Hochhaltung der direkten Demokratie. In der Schweiz werden Volksinitiativen auf allen Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) ganz selten aus materiellen Gründen für ungültig erklärt, was aus demokratischer Sicht an sich unterstützenswert ist. •
1 https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/abstimmungen/20220213.html
2 https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/tiere/rechts--und-vollzugsgrundlagen/gesetzgebung.html
3 https://www.greatapeproject.de/was-genau/
4 https://www.primaten-initiative.ch/de/
5 Alder, Kathrin. «Grundrechte für Tiere: mehr als nur ein Affentheater». In: Neue Zürcher Zeitung vom 15.10.2020
mw. Beide Initiativen folgen der bedenklichen Gleichsetzung der Menschenrechte mit den «Rechten» von Tieren, Pflanzen und unbelebter Natur gemäss der Theorie von Peter Singer («Animal Liberation» von 1975): «Der Australier Singer argumentiert, es gebe keine moralische Rechtfertigung, das Leid eines Wesens nicht zu berücksichtigen. Tiere, allen voran Säugetiere, Vögel oder Fische, seien empfindsam und hätten ein Interesse daran, dass ihnen keine Schmerzen zugefügt würden. Dieses Interesse müsse bei einer utilitaristischen Abwägung zwingend mitberücksichtigt werden, sonst betreibe man ‹Speziesismus› – in Anlehnung an die Begriffe Rassismus oder Sexismus.»1
Als Konsequenz fordert Singer die Abschaffung der industriellen Nutztierhaltung, beziehungsweise er propagiert eine vegetarische oder vegane Lebensweise. Tierversuche lehnt er zu grossen Teilen, wenn auch nicht kategorisch, ab.2
Aus dem Positionspapier von «Sentience Politics», Basis der Basler Initiative Grundrechte für Primaten: «Einer der zentralsten Gerechtigkeitsgrundsätze lautet, dass Gleiches gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln ist. In diesem -Positionspapier zeigen wir auf, dass nichtmenschliche Primaten in bezug auf ihre Interessen, nicht zu leiden und nicht getötet zu werden, menschlichen Primaten gleichwertig sind und ihnen deshalb – wie den Menschen – ein Grundrecht auf Leben und ein Grundrecht auf Unversehrtheit zusteht.»3 (Hervorhebung mw)
In der Folge dehnt «Sentience Politics» das Diskriminierungsverbot für alle Menschen zu den Primaten hinüber: «Noch vor nicht allzu langer Zeit wurden bestimmte Menschen auf Grund willkürlicher Kriterien wie Hautfarbe, Ethnie, Herkunft oder Geschlecht als minderwertig eingestuft und diskriminiert.» Das Positionspapier zählt die Diskriminierungsformen von der Sklaverei über die früher fehlenden politischen Rechte der Frauen bis zur Nichtbeachtung von LGBT-Rechten auf und kommt dann nahtlos zum «Ziel dieses Positionspapieres», nämlich «dass die Interessen von nichtmenschlichen Primaten durch Grundrechte geschützt werden müssen». (Einleitung, S. 1)
Die «Neue Zürcher Zeitung» vom 19. Januar ordnet diese Sichtweise mit Recht als äusserst gefährlich ein: «Sentience Politics vollzieht einen fundamentalen Bruch mit unserem Verständnis vom Umgang mit Tieren. Dieses basiert auf der Überzeugung, dass Tiere zwar geschützt sind, das Leben des Menschen grundsätzlich aber höherwertig ist.» Die Basler Abstimmung über die rechtliche Sonderstellung für Primaten sei «ein Testlauf, um diese Debatte in Schwung zu bringen», warnt der Autor.4
Am 13. Februar haben wir Schweizer und die Basler Stimmbürger die Gelegenheit, solchen Werte-Umbrüchen entgegenzutreten.
Selbstverständlich haben wir Menschen eine Verantwortung für einen sorgsamen Umgang mit unserer Erde und auch dafür, dass Tiere nicht unnötig leiden. Aber gemäss dem Grundsatz, dass «Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist», können die Menschenrechte und die Rechtsstellung der Tiere eben gerade nicht auf dieselbe Ebene gestellt werden. Nach Artikel 11 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) ist jeder Mensch rechtsfähig – Tiere sind es nicht.
1 Alder, Kathrin. «Grundrechte für Tiere: mehr als nur ein Affentheater». In: Neue Zürcher Zeitung vom 15.10.2020
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Tierrechte
3 https://sentience.ch/de/initiativen/grundrechte-fuer-primaten/
4 Gerny, Daniel. «Der Trend zum totalen Veganismus ist gefährlich: wie zwei Volksinitiativen die Tierschutzdebatte radikalisieren». In: Neue Zürcher Zeitung vom 19.1.2022
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