OPEC-Schlag gegen Präsidentschaft von Biden

von M. K. Bhadrakumar*

Die Regierung von Joe Biden verbreitet eilig das Narrativ, dass die jüngste Entscheidung der OPEC, die Ölproduktion um zwei Millionen Tonnen zu kürzen, eine geopolitische «Gleichschaltung» von Saudi-Arabien und Russland sei. Damit wird die Russophobie im Beltway angestachelt und die Aufmerksamkeit von der demütigenden Niederlage der persönlichen Diplomatie von Präsident Biden mit Saudi-Arabien abgelenkt. Aber diese Aufmerksamkeit ist auch nicht unbegründet.

Die Aussenpolitik, die als Bidens Stärke galt, entpuppt sich als Untergang, als Nemesis. Ein schmachvolles Ende ist nicht unwahrscheinlich; wie bei Jimmy Carter könnte Westasien zur Grabstätte seines sorgfältig gepflegten Rufs werden.
  Das Ausmass dessen, was sich hier abspielt, ist einfach atemberaubend. Biden hat mit Verspätung erkannt, dass die territorialen Eroberungen in der Ukraine nicht der Kernpunkt sind, sondern der Wirtschaftskrieg und damit der Energiekrieg, der sich in den letzten acht Monaten nach den westlichen Sanktionen gegen Russland angebahnt hat.

Wer gewinnt den Energie- und Wirtschaftskrieg?

Das Paradoxe daran ist, dass Biden selbst dann, wenn Selenski den Krieg gewinnt, den Krieg verloren hätte, wenn er nicht den Energiekrieg und auch den Wirtschaftskrieg gewinnt.
  Präsident Wladimir Putin hat ein solches Ergebnis bereits 2016 ins Auge gefasst, als sich am Rande des G20-Gipfels in Hangzhou die verlockende Idee einer OPEC+ zwischen ihm und dem damaligen stellvertretenden saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman herauskristallisiert hat.
  Damals schrieb ich: «Eine Einigung zwischen Russland und der OPEC hat das -Potential, die geopolitischen Ausrichtungen im Nahen Osten völlig zu verändern […]. Diese Verschiebung kann sich nur auf das Petrodollar-Recycling auswirken, das – historisch gesehen – eine robuste Säule des westlichen Finanzsystems war. Auch in strategischer Hinsicht wird der Versuch Washingtons, Russland zu ‹isolieren›, unwirksam gemacht.» Das war vor sechs Jahren (siehe «Pay heed to the butterfly effect of Putin-Salman oil deal in Hangzhou», Asia Times vom 7. September 2016).

«Die Trümmer, die Biden heute umgeben»

Die Trümmer, die Biden heute umgeben, sind ein grosser unordentlicher Haufen. Er hat nicht bemerkt, dass die russische Offensive in der Ukraine nur deshalb so lasch vor sich ging, weil Putin sich auf den Wirtschaftskrieg und den Energiekrieg konzentrierte, deren Ausgang über die Zukunft der globalen Hegemonie der USA entscheiden wird, die auf den Dollar als Reservewährung angewiesen ist.
 Anfang der 1970er Jahre hat Saudi-Arabien vereinbart, dass der Ölpreis in Dollar festgelegt wird und dass Öl, der meistgehandelte Rohstoff der Welt, international in Dollar gehandelt wird, was praktisch bedeutet, dass jedes Land auf der Welt Dollarreserven halten muss, um Öl kaufen zu können. Die USA verpflichteten sich natürlich im Gegenzug, allen Ländern freien Zugang zum Dollar zu gewähren.

Das Ende der Dollarherrschaft?

Diese Zusicherung hat sich jedoch als falsch erwiesen, seitdem der Dollar zu einer Waffe geworden ist und die USA in absurder Weise versucht haben, sich die Dollarreserven anderer Länder anzueignen. Es überrascht nicht, dass Putin auf die Notwendigkeit der Schaffung einer alternativen Reservewährung zum Dollar hingewiesen hat, und das findet in der Weltöffentlichkeit Anklang.
  Alles deutet darauf hin, dass das Weisse Haus, anstatt sich zu besinnen, neue Formen der Bestrafung von Saudi-Arabien und Russland in Betracht zieht. Während es schwierig ist, Russland zu «bestrafen», da die USA alle Optionen ausgeschöpft haben, denkt Biden wahrscheinlich, dass die USA Saudi-Arabien an der Gurgel haben: als Waffenlieferant und Verwahrer der massiven saudischen Reserven und Investitionen und als Mentor der saudischen Eliten.
  Brian Deese, der Direktor des Nationalen Wirtschaftsrats, sagte am Donnerstag zu Reportern: «Ich möchte in dieser Sache [OPEC-Produktionskürzung] klarstellen, dass der Präsident angeordnet hat, dass wir alle Optionen auf dem Tisch haben, und das wird auch weiterhin der Fall sein.» Bereits am Donnerstag hatte Biden selbst gegenüber Reportern erklärt, dass das Weisse Haus «Alternativen prüft».
  Weder Biden noch Deese nannten explizit, was diese «Alternativen» sein könnten, ausser dass sie noch einmal betonten, sie seien in der Lage, auf die strategischen Erdölreserven zurückzugreifen, auf die Energieunternehmen einzuwirken, um die Verbraucherpreise zu senken, und mit dem Kongress zusammenzuarbeiten, um rechtliche Optionen zu prüfen.

Biden hat sich der Lächerlichkeit preisgegeben

Das ist ein aussenpolitisches blaues Auge für Biden, der sich wegen seiner Reise nach Saudi-Arabien im Juli, die von Demokraten und Republikanern gleichermassen kritisiert wurde, der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Die politischen Eliten der USA halten die Entscheidung der OPEC für einen gezielten saudischen Schachzug, um Biden und die Demokraten im Vorfeld der Wahlen im November zu schwächen.

Verändertes Sicherheitsbild in Westasien

Dies könnte Auswirkungen haben, die über die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien hinausgehen und das Sicherheitsbild in Westasien mehr verändern als alles andere seit der iranischen Revolution von 1979. Schon jetzt bewegt sich die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) auf Westasien zu, indem der Iran ihr beitritt und Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain, Kuwait und Ägypten den Status eines Dialogpartners erhalten und die Türkei eine Vollmitgliedschaft anstrebt. Der SOZ-Gipfel in Samarkand hat einen Fahrplan für die schrittweise Erhöhung des Anteils der nationalen Währungen an den gegenseitigen Zahlungen aufgestellt und damit die Ernsthaftigkeit dieser Absicht unterstrichen.
  Die amerikanische Rüstungsindustrie wird sich allen Versuchen, ihre Geschäfte in Saudi-Arabien rückgängig zu machen, hartnäckig widersetzen. Sie hat extrem enge Beziehungen zur Regierung Biden. Aber Washington könnte auf eine Art Regimewechsel in Riad hinarbeiten. Prinz Salman hat gesagt, es sei ihm «egal», ob Biden ihn missversteht. Es gibt wenig Zuneigung zwischen den beiden. Der Punkt ist, dass es sich hier nicht nur um einen Schluckauf handelt.

Regimechange-Politik hat ausgedient

Eine farbige Revolution ist unrealistisch, doch ein Palastputsch, um Prinz Salman an der Nachfolge zu hindern, wäre durchaus möglich. Aber das ist riskant, denn ein Putschversuch wird wahrscheinlich scheitern. Selbst wenn er gelingt: Wird ein Nachfolgeregime in der Region legitimiert sein und in der Lage sein, die Kontrolle zu übernehmen? Eine chaotische Situation wie im Irak nach Saddam Hussein könnte die Folge sein. Die Folgen können für die Stabilität des Ölmarktes katastrophal sein und die Weltwirtschaft ins Wanken bringen. Es könnte zu einem Aufschwung islamistischer Gruppen führen.
  Was Biden ärgert, ist, dass sein letzter Trumpf, die hohen Öleinnahmen Russlands zu reduzieren, ohne das Angebot durch eine «Preisobergrenze» zu drücken, in Wirklichkeit ein grosses Problem ist, das jetzt viel schwerwiegender geworden ist. Daher auch Bidens Wut darüber, dass sich die Saudis auf die Seite Russlands geschlagen haben, das nun nicht nur von den höheren Ölpreisen vor einer Preisobergrenze profitieren wird, sondern, falls Russland tatsächlich jemals aufgefordert wird, Öl mit einem Preisnachlass zu verkaufen, zumindest die Reduzierung auf einem höheren Preisniveau beginnen wird!
  Die «Financial Times» schreibt: «Es ist unwahrscheinlich, dass das Königreich und seine Verbündeten am Golf Russland den Rücken zukehren werden. Die Golfstaaten haben sich nicht gegen die Invasion in der Ukraine ausgesprochen, und Russland näher an die OPEC heranzuführen ist ein langfristiges Ziel.»

Die Beschlagnahmung russischer
Dollar-Reserven wird zum Bumerang

Der Kern der Sache ist, dass das, was Biden Russland angetan hat, indem er sich die Reserven des Landes geschnappt hat, die Saudis und andere Golfregime nur verunsichern kann. Sie sehen in dem jüngsten «Preisobergrenzen»-Projekt gegen Russland einen gefährlichen Präzedenzfall, der eines Tages zu Versuchen der USA führen könnte, die Ölpreise zu kontrollieren, und sogar zu einem direkten Angriff auf die Ölindustrie.
  Es genügt zu sagen, dass Russland zumindest in den nächsten drei bis vier Jahren nicht in die Enge getrieben werden kann, wenn eine solche Gratwanderung bevorsteht. Die Entscheidung der OPEC+ wird Russland in mehrfacher Hinsicht zugutekommen. Sie wird Russlands Öleinnahmen auf dem Weg in den Winter, wenn die Nachfrage nach russischer Energie aus Europa wie gewöhnlich ansteigt, heben – im wesentlichen wird sie Russland helfen, seinen Marktanteil zu halten, selbst wenn seine Produktion in absoluten Zahlen zurückgeht.

Russland wird profitieren

Ironischerweise muss Moskau kein einziges Barrel der Produktion reduzieren, da es bereits deutlich unter dem vereinbarten OPEC-Ziel produziert und gleichzeitig von dem höheren Ölpreis profitiert, der hauptsächlich durch die Kürzungen der OPEC-Golfproduzenten erreicht wird, die von Saudi-Arabien (–520 000 barrels per day (bpd)), Irak (–220 000 bpd), den VAE (–150 000 bpd) und Kuwait (–135 000 bpd) geschultert werden.
  Ist es nicht erstaunlich, dass die russischen Ölgesellschaften von den höheren Preisen profitieren, während sie gleichzeitig die Produktion konstant halten? Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Zentralbank in Moskau die 300 Milliarden Dollar an Reserven, die von den westlichen Zentralbanken zu Beginn des Ukraine-Krieges eingefroren wurden, bereits mehr als zurückerhalten haben dürfte.
  In Wirklichkeit haben sich Saudi-Arabien und andere Golfstaaten, die an der OPEC+ beteiligt sind, effektiv auf die Seite des Kremls gestellt, was es Russland ermöglicht, seine Kassen aufzufüllen und die Auswirkungen der westlichen Sanktionen zu begrenzen. Die Auswirkungen sind weitreichend, vom Ukraine-Krieg bis hin zu den künftigen Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien und der entstehenden multipolaren Weltordnung.  •

Quelle: https://www.indianpunchline.com/opecs-body-blow-to-biden-presidency/ vom 8.10.2022

(Übersetzung Zeit-Fragen)

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, im Iran und in Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Süd-asien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst Indian Punchline.

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