Was braucht es, um die Uno vom Joch der Geopolitik zu befreien?

von Hans-Christof von Sponeck, Deutschland*

Viel gibt es zu sagen über die Befreiung der Uno vom Joch ihrer geopolitischen Unterdrückung. Es geht um Befreiung. Zunächst aber einige kurze Hinweise auf den Ursprung des Jochs.

Zu diesem Ursprung gehört das geschichtsträchtige Treffen im Februar 1945 von Stalin, Roosevelt und Churchill in Jalta auf der Krim. In Vorbereitung auf die Gründung der Vereinten Nationen als Nachfolger des gescheiterten Völkerbundes wollten drei alte Männer – ein Kommunist und zwei Kapitalisten – eine Einrichtung schaffen, die den Frieden und das weltweite Wohlergehen sichern sollte.
  Ihre individuellen Machtinteressen, so einigten sie sich, mussten durch das Vetorecht im Sicherheitsrat garantiert sein. Jeder brauchte jeden für die Macht des einzelnen. Dies war eine faustische Absprache, eine machiavellistische Verschwörung! Es war wohl der gewichtigste Teil des entstehenden Uno-Jochs.

Westlicher Führungsanspruch in der Uno

Das konnte nicht gut gehen!  Das bedeutete einen Zusammenprall von Ideologien und nationalen Eigeninteressen, die erheblich verschärft wurden durch das Erwachen der Welt der Kolonien. Bereits zwei Jahre nach Schaffung der Uno zeigten sich die harten Gesichter des Kalten Kriegs, der bis heute unsere Welt begleitet.
  In diesem Kalten Krieg war der Westen politisch erheblich mächtiger, wirtschaftlich und finanziell viel stärker und ausserdem bestens vorbereitet für Führungsansprüche in der neuen Organisation.
  Bis heute ist das gesamte Uno-System fest im Westen verankert:

  • Die politische Zentrale der Uno ist in New York;
  • Uno-Einheiten wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds haben ihre Ämter in Washington;
  • der Internationale Gerichtshof befindet sich in Den Haag;
  • die Sonderorganisationen sind überwiegend in Westeuropa und Nordamerika angesiedelt;
  • drei der permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats sind westliche Länder.

Ein Fazit: Der Traum des Möglichen der Uno ist über 77 Jahre der Alptraum des Unmöglichen geblieben! Das geopolitische Joch hat der Uno weitgehend die Handlungsfreiheit genommen, die ihr die Uno-Charta zugeordnet hat und die sie braucht, um ihren Auftrag für weltweiten menschlichen Fortschritt zu erfüllen.

Das Joch

Schauen wir uns dieses Joch etwas genauer an und versuchen dann einzugehen auf die Frage: Was braucht es, um die Uno von diesem Joch zu befreien, und was beinhaltet eine solche Joch-Befreiung?
  Zunächst: Die Welt des 21. Jahrhunderts ist heute tiefer gespalten denn je. Die Hauptverantwortung hierfür liegt bei den Weltmächten, insbesondere bei den Vereinigten Staaten und dem von ihnen erzwungenen Unilateralismus, aber natürlich auch bei den anderen vier Mitgliedern des Sicherheitsrats.
  Alle fünf Mächte des Sicherheitsrates (P5) haben Angst, Angst vor der Mehrheit der Nationen in der Generalversammlung, die «das Joch der Fünf» nicht länger akzeptieren wollen.
  Die Angst erklärt das Joch:

  • Das P5-Verhalten hat nukleare und allgemeine Abrüstung, wie sie von der überwiegenden Mehrheit der Generalversammlung seit langem verlangt wird, verhindert.
  • Wie die Doha Handelsrunde der UNCTAD gezeigt hat, wurde die Schaffung einer neuen und gerechteren Weltwirtschaftsordnung, einer sogenannten New International Economic Order (NIEO), immer wieder von den permanenten Mitgliedern und anderen OECD-Ländern blockiert.
  • Entkolonisierung bleibt weiterhin ein wichtiges Uno-Thema, weil Unabhängigkeit für Territorien in Asien, Lateinamerika, im Pazifik und in Afrika von den Besitzern der Kolonien nicht zugestanden wird.
  • Weltmächte wie China und die USA gehören zu den grössten Umweltverschmutzern, haben aber in Paris, Kopenhagen und Glasgow (2021) ihre Unterstützung im Kampf gegen die Welterwärmung nur langsam und zögerlich zugesagt.
  • Die Zusammenarbeit zwischen der politischen Uno (Generalversammlung und Sicherheitsrat) und der Zivilgesellschaft und den NGOs ist, trotz Fortschritten in den letzten Jahren, nur schleppend vorangekommen. Mächtige Länder, nicht nur die P5-Länder, auch Länder wie Indien und Brasilien, haben eine solche Zusammenarbeit gebremst, aus Furcht, dass die Souveränität der Regierungen eingeschränkt werden könnte.
  • Internationales Recht hat bisher hauptsächlich nur für die Schwachen gegolten. Die Mächtigen dieser Welt beanspruchen weiterhin Straflosigkeit für ihre völkerrechtswidrigen Handlungen. Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Syrien, Libyen und die Ukraine sind nur einige, aber schwerwiegende Beispiele. Der internationale Gerichtshof der Uno kann Urteile abgeben, die aber keine Einhaltungspflicht beinhalten. Er ist damit machtlos geblieben. Es bleibt weiterhin eine erschütternde Tatsache, dass der Internationale Strafgerichtshof (der keine Uno-Einrichtung ist) weitgehend ein Gerichtshof für Afrika geblieben ist.
  • Das Joch der finanziellen Abhängigkeit des Uno-Systems von den Geberländern ist über die Jahre schwerer geworden, obwohl die Pflichtbeiträge peinlich wenig sind. Das Budget des Generalsekretärs der Weltorganisation ist geringer als das Budget des Polizeichefs in New York! Im Vergleich zu den Pro-Kopf-Beiträgen der USA und Deutschlands zahlt das kleine Königreich Bhutan einen höheren Beitrag. Hinzu kommt eine zunehmende -Politisierung der freiwilligen Beiträge durch Auflagen der Geberländer, wie diese Beiträge zu verwenden sind. Damit wird dem Uno-System die Freiheit genommen, eigene Prioritäten durchzuführen.
  • Versuche von Mitgliedsstaaten, einen permanenten internationalen auswärtigen Dienst der Uno, wie ihn alle Nationalstaaten haben, abzuschaffen, sind bisher zwar gescheitert, haben aber ein Klima der Unsicherheit unter den Uno-Mitarbeitern und denen, die sich für eine Laufbahn in der Uno interessieren, hinterlassen.

Diese acht Beispiele sind Hinweise auf das gewichtige Joch, das die Arbeit der Vereinten Nationen bis heute so erheblich erschwert hat.

Befreiung vom Joch

Es wäre naiv zu meinen, dass das Erkennen der normativen, strukturellen und inhaltlichen Hindernisse im Uno-System und die Forderung nach entsprechenden Reformen durch die Mehrheit der Uno-Mitgliedsstaaten ausreichen, um die Uno vom Joch der Unterdrückung zu befreien.
  Wie erwähnt, Reformversuche hat es zu allen Zeiten gegeben. Sie alle waren erfolglos und werden erfolglos bleiben, solange – und dies ist entscheidend für die Zukunft der Uno – die Grossmächte nicht bereit sind anzuerkennen, dass die Welt des 21. Jahrhunderts nicht die Welt von 1945 geblieben ist, und dass sie akzeptieren, dass der Wandel von einer Ungemeinschaft hin zu einer echten Völkergemeinschaft, wie sie in der Präambel der Charta genannt wird, unumgänglich ist. Ohne einen Wandel der P5-Länder vom Recht der Macht zur Macht des Rechts wird dies nicht gehen!
  Dazu gehört, dass geopolitischer Egoismus, Unilateralismus und Straflosigkeit durch Kompromiss- und Konvergenzbereitschaft und Rechenschaftsverpflichtung für alle ersetzt werden.
  Die Konflikt- und Krisenkarte der Welt von heute macht deutlich, dass die Zeit für grundsätzliches Umdenken und die Befreiung der Uno von ihrem Joch wahrlich nicht vor der Türe steht. Aber diese Zeit wird kommen. Ohne Umdenken hat die Welt keine Zukunft.

«In uns allen steckt mehr, als wir glauben»

Als mitdenkende Bürger müssen wir uns, gerade in diesen Tagen des erneuten Krieges in Europa, verpflichtet fühlen, mit dem Mut der Überzeugung unseren Einsatz für eine friedliche Welt weiter zu stärken. 
  Es heisst mit den Füssen auf dem Boden zu bleiben, aber immer auch nach den Sternen zu schauen. In uns allen steckt mehr, als wir glauben!  •



* Vortrag bei der Jahreskonferenz der Arbeitsgemeinschaft «Mut zur Ethik» («Europa – welche Zukunft wollen wir?») vom 2.–4. September 2022

Hans-Christof von Sponeck war 32 Jahre bei der Uno tätig. In dieser Zeit arbeitete er unter anderem in New York, Ghana, Pakistan, Botswana, Indien und war Direktor des Europa-Büros des Entwicklungsprogramms der UNDP in Genf. Von 1998 bis 2000 war er als UN-Koordinator und beigeordneter UN-Generalsekretär verantwortlich für das humanitäre Programm «Öl für Lebensmittel» im Irak. Im Februar 2000 trat er aus Protest gegen die Sanktionspolitik gegen den Irak zurück. Hans-Christof von Sponeck wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Coventry Peace Prize der Church of England, mit dem Peacemaker Award der Washington Physicians for Social Responsibility und dem Bremer Friedenspreis. Zurzeit arbeitet er gemeinsam mit Richard Falk an einem Buch zur Uno-Reform, das 2022 erscheinen wird.

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK