Dr. med. Beat Richner – Pionier einer weltweit tauglichen Kindermedizin

von Kathrin Pampaluchi Küpfer

Vor 30 Jahren wurde das erste Kinderspital von Beat Richner eröffnet

Am 27. Oktober 2022 jährte sich zum 30. Mal die Eröffnung des Kinderspitals in Kambodscha. Dieses Jubiläum war Anlass für einen eindrücklichen Gedenkabend im Vortragssaal des Kunsthauses Zürich. Gründer und guter Geist des damals entstehenden medizinischen Zentrums war der Schweizer Arzt und Cellist Dr. Beat Richner, mit dem Künstlernamen Beatocello. Wie Dr. iur. René Schwarzenbach in seiner Begrüssung betonte, ging es bei diesem Gedenkanlass ganz zentral um die Würdigung des Werks und die Persönlichkeit von Dr. Beat Richner.
  Dr. iur. René Schwarzenbach präsidiert die Stiftung Kinderspital Kantha Bopha in Kambodscha ehrenamtlich. Seine grosse Hochachtung vor dem Lebenswerk von Beat Richner war bei allen seinen Äusserungen spürbar. Als die Corona-Krise dazu führte, dass die regelmässigen Besuche von Fachleuten und Freunden über zwei Jahre ausblieben – und dies nach dem unerwartet frühen Tod von Beat Richner im Jahre 2018 –, waren viele unsicher, ob es ohne Beat Richner überhaupt weitergehen kann. Um so glücklicher waren sie, dass alles so verlief und weitergeführt wurde wie zu seinen Lebzeiten, auf gleichem Niveau und mit der gleichen Hinwendung zu den kranken Kindern.
  Der Abend gab auch den Rahmen zur Premiere des berührenden Dokumentarfilms «Wer war Beat Richner?» von Georges Gachot über Beat Richner und sein Werk. Georges Gachot war an diesem Abend persönlich anwesend. Nachdem er die Freundschaft von Beat Richner gewonnen hatte, begleitete er ihn und sein Wirken filmisch seit 1996. Früher entstandene DVDs von Gachot über Richners Arbeit sind bei der Stiftung erhältlich (www.gachot.ch).
  Viele der Zuhörer am Abend waren offensichtlich im selben Alter wie Beat Richner, der am 13. März 1947 in Zürich zur Welt gekommen war. Viele von ihnen haben sicher die alljährlich durchgeführten Veranstaltungen regelmässig besucht und haben seinerzeit durch die Ausführungen von Dr. Richner selbst viel Wissenswertes über den Aufbau seines grossartigen Werkes aus erster Quelle erfahren. Heute findet man viel von diesen mündlichen Schilderungen in Richners Büchern, die der NZZ-Verlag publiziert hat. Über eine solche Spendenaufruf-Veranstaltung für die Stiftung Kinderspital Kantha Bopha hat der Artikel «Kinderarzt Dr. Beat Richner, Schweizer des Jahres 2003» in Zeit-Fragen Nr. 15 vom 25. April 2003 berichtet.
  Diese jährlichen Veranstaltungen fanden in allen grossen Städten der Schweiz statt. Heute noch fliessen viele Millionen Spendengelder in der Schweiz zusammen. Die Kinderspitäler in Kambodscha haben sich aber nicht zuletzt durch den persönlichen Einsatz Beat Richners dermassen entwickelt, dass heute ein Drittel des nötigen Aufwandes (42 Millionen im Jahr) in Kambodscha selbst durch Spenden und durch Staatsbeiträge zusammenkommen. In diesen 30 Jahren sind fünf Kinderspitäler und eine Maternité entstanden, die nebst der Hauptaufgabe im Dienst des kranken Kindes eine Ausbildungsstätte für kambodschanische Ärzte und Fachleute wurden.

Eine bewegte und bewegende Biographie

Beat Richner kam in Zürich zur Welt und verlebte seine Jugend in einer gut situierten Familie als jüngstes von vier Kindern. Musik und Bildung waren ihm wichtig, und er stellte auch gerne dar, was ihm am Herzen lag. Als junger Mann trat er dann mit seinem Cello als Beatocello auf, um die Menschen zu erfreuen. Cello spielte er gut, auch damals ging er zielstrebig vor – aber für eine Solokarriere habe es nicht gereicht, und im Orchestergraben zu sitzen, das sei nichts für ihn gewesen, vernahm man im Film von seiner Schwester Annaregula.
  Neben seinen Auftritten als Beatocello vertiefte er sich in das Medizinstudium, das er mit Erfolg abschloss. Im Rahmen eines Rotkreuz-Einsatzes war er in Kambodscha als Arzt tätig und musste schliess-lich nach der Machtübernahme der Roten Khmer fluchtartig und unter Lebensgefahr das Land verlassen. Dieses Schicksal teilte er mit dem entmachteten Prinz Sihanouk. Erst Anfang 1991 kam es nach dem Vietnam-Krieg zwischen den Roten Khmer und der kambodschanischen Regierung zum Friedensschluss. Beat Richner entschloss sich, im völlig zerstörten Land das Kinderspital wieder aufzubauen. Bereits eineinhalb Jahre nach seiner Ankunft in Kambodscha eröffnete er unter Anwesenheit des Königs, umrahmt von seinem Cellobeitrag, das erste Kinderspital Kantha Bopha.

Originalität, Energie und Eigenständigkeit richten sich auf ein grosses Ziel

Die Zeitzeugen im Film beschreiben Richner als Einzelgänger und eher konservativ denkend. Sein Jugend-Nachbar, Peter Spring, Journalist, wurde erst auf ihn aufmerksam, als sich Beat Richner als Student gegen die revoltierenden Studenten der 68er Jahre äusserte. Es kommt im Film zum Ausdruck, dass Beat Richner kein Aufrührer war. Lieber spielte er, als Beatocello unter dem roten Regenschirm, im Freien zur Freude der Zuhörer Musik, als dass er sich in rebellische Wortgefechte einliess. Er setzte schon damals als Student und junger Arzt auf Versöhnung und Verständigung und nicht auf Provokation und Gewalt, schon damals verfolgte er eine Friedensbotschaft. Für ihn war Friedensarbeit vor allem die Tat, und er fragte sich, wie man gerechtere Zustände auf der Welt fördern könnte.
  Diese Tat verfolgte er später in Kambodscha: eine gerechte Medizin. Entschieden machte er klar, dass er keine Einwände duldete gegen seinen Anspruch, dass er auch als Arzt in Kambodscha die gleiche Medizin betreiben könne, die in wohlhabenden Ländern wissenschaftlich gesichert eingesetzt werde. Er wandte sich entschieden gegen eine Zwei-Klassen-Medizin: «Keine arme Medizin für arme Länder!» Er liess das die Schweiz und auch den König wissen. Er entschied, wie was gebaut werden sollte. Seine Entschiedenheit hatte immer den Hintergrund, sich für die Interessen erkrankter Kinder einzusetzen.

Beat Richner gewinnt Freunde und Helfer für sein Projekt

Durch Sammelaktionen in der Schweiz fliessen Millionen von Franken für Kantha Bopha in Kambodscha zusammen. Die Spender mit kleinem, mittlerem und grossem Einkommen sind überzeugt, dass dieses Hilfswerk den richtigen Weg geht. Entscheidend für die Spendentätigkeit ist der Journalist Peter Rothenbühler. Er und seine Frau erfuhren in der Kinderarztpraxis am Zürichberg von Richners Absicht, nach Kambodscha zu gehen, um im Land das zerstörte Spital wieder aufzubauen. In der «Schweizer Illustrierten» stellte er als dort tätiger Journalist dieses Unterfangen und den weiteren Verlauf einer breiten Leserschaft immer wieder vor. Und diese gehaltvollen Reportagen verfehlten ihre Wirkung nicht. Ebenso informativ ist Rothenbühlers 2019 erschienenes Buch «Dr. Beat Richner, Kinderarzt – Rebell – Visionär», das der Verlag Schweizer Illustrierte herausgegeben hat. Auch das Engagement des Nationalzirkus Knie ist zu erwähnen. Auf Initiative von Franco Knie Junior findet alljährlich eine Galaveranstaltung zugunsten von Kantha Bopha statt. In einem verkürzten Zirkusprogramm erfährt man viel Wissenswertes über die Entwicklung in den Spitälern.

Jeder wird gratis behandelt

Man kann dem Film entnehmen, dass in Kantha Bopha eine korrekte Medizin betrieben wird, die die Kinder heilt, auch dass das gesammelte Geld dazu verwendet wird, weiter im Sinne medizinischer Gerechtigkeit zu wirken. Beat Richner spricht in diesem Zusammenhang von der «Pflicht zur Wiedergutmachung».
  Jeden Morgen das unfassbare Bild: Hunderte von Müttern, die zum Teil mit ihren oft schwerkranken Kindern von weit her angereist sind und nun dicht an dicht geduldig auf dem Boden sitzend warten, bis sie ihr Kind beim Arzt vorstellen können. Eine Mutter bringt es auf den Punkt: «Jeder wird gratis behandelt. Im andern Medizinzentrum bekamen wir die nötigen Medikamente nicht. Das Krötenblut, das wir statt dessen verabreichen mussten, machte unser Kind lebensbedrohlich krank. Jetzt bin ich hier und ich weiss, dass ich nicht bezahlen muss, da ich nichts habe, und trotzdem wird meinem Kind geholfen. Es herrscht hier auch keine Korruption.» Dieses Prinzip der Gerechtigkeit überzeugt die Bürger in der gut aufgestellten Schweiz, dass ihre Spende dem richtigen Mann zufliesst.

Unbeirrt geht Beat Richner seinen Weg

Beat Richner gilt als Einzelgänger, lebt sein eigenes Leben, zieht sich zur Mittagszeit in das immer gleiche Lokal zurück und isst für sich alleine. Wo immer man ihn antrifft, ist er bei der Arbeit. Er ist Organisator, Bauherr, bespricht sich mit allen Beteiligten ausführlich. So entstehen grosse, schlichte, aber teils hochmoderne schöne Bauten. Dort, wo keine Wände nötig sind, fallen sie weg. Es sind grosse Krankensäle mit einfachen, dicht nebeneinander stehenden Betten, von denen keines leer steht.
  Bei vielen Kindern sitzt die Mutter am Bett, manchmal auch der Vater. Es ist ruhig. Die Atmosphäre stimmt zuversichtlich. Jeden Samstagnachmittag gibt Dr. Richner ein Konzert mit seinem Cello. Das Cello ist sein ständiger Begleiter, Unterstützer und Tröster. Mit diesen Konzerten sammelt er Blutspenden und Geld bei den Touristen. Daneben bildet er zusammen mit Fachkräften kambodschanische Ärzte und kambodschanisches Fachpersonal aus und verlangt von ihnen eine disziplinierte, zielorientierte Arbeitsweise. Er erkundigt sich aber auch nach dem Wohlbefinden des Arztes, ob er müde sei, und erfährt zum Beispiel, dass die letzte Patientenaufnahme nach Mitternacht um halb zwei Uhr war. Dann wieder sieht man ihn, wie er als «Boss» entschieden mit der Hand gestikuliert und damit klarmacht, wo es lang geht. Ein anderes Mal, wie er mit den Fingern ein filigranes Spielzeug bewegt, um die Seele des ängstlichen Kindes zu beruhigen, damit es sich getrost auf die Behandlung einlässt. Auch dafür findet er Zeit. Sein Humor und seine Eigenheiten blitzen im Film immer wieder auf. In der Schluss-einstellung des Films denkt Beat Richner laut darüber nach, ob es für die Schweiz nicht sparsamer wäre, wenn sie zu einem unentgeltlichen Gesundheitssystem überginge, mit fairen Löhnen, und dafür auf Kranken- und Invalidenversicherungen verzichtete.
  Viele Kollegen aus dem Kinderspital und Private aus der Schweiz hat er gewonnen für jährliche Weiterbildungen. Denn für ihn ist Wissenschaft kein Wettbewerbsobjekt – das nur Auserwählten gehört – Wissenschaftserkenntnisse sind Güter, die allen gleichermassen zustehen. Es ist eine Fähigkeit des Menschen, solide Erkenntnisse zu erarbeiten, und diese sind universal und unverkäuflich. Das Credo, dass gelebte Menschlichkeit die Menschen überall auf der Welt überzeugt, hat der neue Film einmal mehr deutlich gemacht.

Die Arbeit geht weiter

Die Arbeit heute geht weiter, auch nach dem frühen Tod Dr. Richners. Er leitete bis zu seiner Erkrankung den täglichen Rapport. Das Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, auch zu seinen Kollegen, war distanziert freundschaftlich. Privates trennte er von seiner Arbeit. Diese Haltung behielt er auch bei, als sich bei ihm ernste Anzeichen einer Erkrankung zeigten. So kam es, dass er sich in der Schweiz behandeln liess. Er wird nach seinem Tod am 9. September 2018 feierlich beigesetzt. In tiefster Betroffenheit begleiten seine Urne Tausende von Kambodschanern.
  Das Vorgehen, das er im Spitalalltag eingeführt hatte, bleibt gleich. In einem riesigen Hörsaal sitzen, weiss gekleidet, die kambodschanischen Mitarbeiter frühmorgens beim gemeinsamen Rapport unter der Leitung eines kambodschanischen Chefarztes. Das Personal hat eine Entlöhnung, die die Ernährung der Familie ermöglicht, und fundiertes Fachwissen. Diszipliniert und zielstrebig verlassen alle den Rapport und arbeiten verantwortungsvoll und eifrig. Jeder an seinem Ort, sei es direkt am Krankenbett oder im Umfeld, wo Aufmerksamkeit für Hygiene, Medikamentenordnung in der Apotheke und Sorgfalt in der Administration benötigt wird. Es ist kein Gerangel um Ansehen und übertriebene Geltung.
  Dr. Beat Richner wird in Kambodscha «Mister God» genannt. Das ist kein Ausdruck der Überhöhung, sondern der grossen Dankbarkeit der Kambodschaner für sein Werk.
  Der Filmemacher und die getreuen Wegbegleiter zeigen in unserer heutigen Zeit, die von Zerstörung, Hungersnöten und Wirtschaftskrisen gekennzeichnet ist, wie ein beherzter Schweizer wahrhaftige Friedensarbeit leistet. Er schritt zur Tat und prangerte in aller Offenheit Missstände auch internationaler Organisationen an, aber nicht, um sie zu schwächen, sondern um Abhilfe zu schaffen, damit die «Erste Welt» nicht weiter durch Fehlleistungen Elend bewirkt. Eine Szene aus einer früheren DVD (1999) bleibt unvergesslich: Beat Richner sitzt im Korridor eines seiner Spitäler und singt, mit grossem Ernst und heiliger Empörung, mit eindringlicher Begleitung durch sein Cello, das «Lied von den Funktionären». Funktionäre und Bürokraten lassen in ihrem Alltagstrott wertvolle Zeit verstreichen, in der dringend gehandelt werden muss, und derweil sterben Kinder.
  Sein Werk bleibt erhalten. Es ist offenbar, dass er das mitmenschlich gemeinschaftsgebundene Empfinden der Menschen berührt und gestärkt hat. Wo internationale Organisationen versagen, die dem Wohl aller Menschen verpflichtet wären, handelte Beat Richner ganz unabhängig im Sinne der mitmenschlichen, weltweiten Gerechtigkeit. Dafür sind wir ihm, nicht nur Menschen in Kambodscha, unendlich dankbar.  •

Franz Hohler beschreibt die tiefe Menschlichkeit von Beat Richner

kpk. Der Künstlerkollege und Musikerkollege Franz Hohler zeigt sich im Buch von Peter Rothenbühler tief beeindruckt von der Persönlichkeit Beat Richners, alias Beatocello. Natürlich sei ihm, Hohler, nicht entgangen, dass Beatocello, wie er, ein Cello als Begleitinstrument habe. Zwei wesentliche Unterschiede gebe es allerdings zwischen ihnen: Beat Richner sei der bedeutend bessere Cellist gewesen und er habe sein Studium im Unterschied zu ihm neben seinen musikalischen Auftritten erfolgreich abgeschlossen. Er hatte sich für seinen Hauptberuf entschieden: «Mit viel Aufmerksamkeit verfolgte ich später seine Aufbauarbeit in Kambodscha. Seine Unbedingtheit, wie er seiner Idee folgte, in einem völlig zerstörten Land Kindern einen besseren Einstieg ins Leben zu verschaffen, bevor die Finanzierung auch nur im mindesten gesichert war, erfüllte mich mit grossem Respekt. Auch dass er mit seinem Anliegen oft schroff abgewiesen wurde, all das stand er durch. Das Cello, dachte ich mir, muss ihm eine grosse Hilfe gewesen sein. Die Bach-Suiten spielte er auswendig. Oder muss man sagen inwendig? Die dritte Bach-Suite spielte ich für ihn im Heim, wo er nach seiner schweren Erkrankung in Zürich untergebracht war, bei meinem letzten Besuch. Er erschien mit dem Rollstuhl, als er die Klänge vernahm, dirigierte er lächelnd unter der Tür das Stück mit. Er freute sich, dass ihm sein Bach zurückgebracht worden war. Ein kleines Gespräch kam sogar noch zustande. Auf meine Frage, ob er noch oft an Kambodscha denke, antwortete er: ‹Ich weiss es noch nicht.› Zum Abschiedsgruss winkte er mir nach.»

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