Merkel entlarvt die Doppelzüngigkeit des Westens

«Krieg, so scheint es, war die einzige Option, die Russlands Gegner je in Betracht gezogen hatten»

von Scott Ritter*

Die jüngsten Äusserungen der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel1

Während der sogenannte «kollektive Westen» (die USA, die Nato, die EU und die G7) weiterhin behauptet, Russlands Einmarsch in die Ukraine sei ein Akt «unprovozierter Aggression» gewesen, ist die Realität eine ganz andere: Russland wurde vorgegaukelt, es gebe eine diplomatische Lösung für die Gewalt, die nach dem von den USA unterstützten Maidan-Putsch in Kiew 2014 in der ostukrainischen Region Donbass ausgebrochen war.
  Stattdessen haben die Ukraine und ihre westlichen Partner lediglich Zeit gekauft, bis die Nato ein ukrainisches Militär aufbauen konnte, das in der Lage war, den Donbass in seiner Gesamtheit zu erobern und Russland von der Krim zu vertreiben.
  In einem Interview mit der Zeit2 spielte Merkel letzte Woche auf den Münchner Kompromiss von 1938 an. Sie verglich die Entscheidungen, die der ehemalige britische Premierminister Neville Chamberlain gegenüber Nazi-Deutschland treffen musste, mit ihrer Entscheidung, die ukrainische Mitgliedschaft in der Nato abzulehnen, als das Thema auf dem Nato-Gipfel 2008 in Bukarest angesprochen wurde.
  Indem sie die Nato-Mitgliedschaft hinauszögerte und später auf das Minsker Abkommen drängte, glaubte Merkel, der Ukraine Zeit zu verschaffen, um einem russischen Angriff besser begegnen zu können, so wie Chamberlain glaubte, Grossbritannien und Frankreich Zeit zu verschaffen, um ihre Kräfte gegen Hitler-Deutschland zu sammeln.
  Die Erkenntnis aus diesem Rückblick ist verblüffend. Vergessen Sie für einen Moment die Tatsache, dass Merkel die Bedrohung durch Hitlers Nazi-Regime mit der durch Wladimir Putins Russland verglich, und konzentrieren Sie sich stattdessen auf die Tatsache, dass Merkel wusste, dass die Aufnahme der Ukraine in die Nato eine militärische Reaktion Russlands auslösen würde.
  Anstatt diese Möglichkeit gänzlich auszuschliessen, verfolgte Merkel eine Politik, die die Ukraine in die Lage versetzen sollte, einem solchen Angriff zu begegnen.
  Krieg, so scheint es, war die einzige Option, die Russlands Gegner je in Betracht gezogen hatten.

Putin: Minsk war ein Fehler

Merkels Ausführungen decken sich mit denen, die der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko im Juni gegenüber mehreren westlichen Medien gemacht hat.3 «Unser Ziel», erklärte Poroschenko, «war es, erstens die Bedrohung zu stoppen oder zumindest den Krieg zu verzögern – um acht Jahre für die Wiederherstellung des Wirtschaftswachstums und den Aufbau starker Streitkräfte zu sichern.» Poroschenko machte deutlich, dass die Ukraine nicht in gutem Glauben an den Verhandlungstisch über die Minsker Vereinbarungen gekommen war.
  Zu dieser Erkenntnis ist auch Putin gekommen. Bei einem kürzlichen Treffen mit russischen Ehefrauen und Müttern russischer Truppen, die in der Ukraine kämpfen, darunter auch einige Witwen gefallener Soldaten, räumte Putin ein, dass es ein Fehler war, den Minsker Vereinbarungen zuzustimmen, und dass das Donbass-Problem damals mit der Anwendung von Gewalt hätte gelöst werden müssen, vor allem angesichts des Mandats, das ihm die russische Duma erteilt hatte, um den Einsatz russischer Streitkräfte in der «Ukraine» und nicht nur auf der Krim zu genehmigen.4
  Putins verspätete Einsicht sollte all jenen im Westen einen Schauer über den Rücken jagen, die von dem Irrglauben ausgehen, dass der russisch-ukrainische Konflikt nun irgendwie auf dem Verhandlungswege beigelegt werden kann.
  Keiner von Russlands diplomatischen Gesprächspartnern hat auch nur ein Minimum an Integrität bewiesen, als es darum ging, ein echtes Engagement für eine friedliche Lösung der ethnischen Gewalt zu zeigen, die von den blutigen Ereignissen auf dem Maidan im Februar 2014 ausging, bei denen ein von der OSZE anerkannter, demokratisch gewählter ukrainischer Präsident gestürzt wurde.

Reaktion auf den Widerstand

Als russischsprachige Menschen im Donbass sich gegen den Putsch wehrten und diese demokratische Wahl verteidigten, erklärten sie ihre Unabhängigkeit von der Ukraine. Die Antwort des Kiewer Putschregimes war ein acht Jahre andauernder bösartiger Militärschlag gegen sie, bei dem Tausende von Zivilisten getötet wurden. Putin wartete acht Jahre, um die Unabhängigkeit anzuerkennen, und startete dann im Februar eine gross angelegte Invasion im Donbass.
  Zuvor hatte er darauf gehofft, dass die Minsker Vereinbarungen, die von Deutschland und Frankreich garantiert und vom UN-Sicherheitsrat (einschliesslich der USA) einstimmig gebilligt worden waren, die Krise lösen würden, indem sie dem Donbass Autonomie gewähren würden und er gleichzeitig Teil der Ukraine bliebe.5 Aber Kiew hat die Vereinbarungen nie umgesetzt und wurde vom Westen auch nicht ausreichend unter Druck gesetzt, dies zu tun.
  Die Abgehobenheit, die der Westen an den Tag legte, als jede Säule der vermeintlichen Legitimität bröckelte – von den OSZE-Beobachtern (von denen einige nach russischen Angaben dem ukrainischen Militär gezielte Informationen über russische Separatisten lieferten)6; bis hin zum Normandie-Format von Deutschland und Frankreich, das sicherstellen sollte, dass die Minsker Vereinbarungen umgesetzt würden; bis hin zu den Vereinigten Staaten, deren selbsternannte «defensive» Militärhilfe für die Ukraine von 2015 bis 2022 kaum mehr als ein Wolf im Schafspelz war – all dies unterstreicht die harte Realität, dass es nie eine friedliche Lösung für die Probleme geben wird, die dem russisch-ukrainischen Konflikt zugrunde liegen.

Und es wird sie auch nie geben

Krieg, so scheint es, war die Lösung, die der «kollektive Westen» anstrebte, und Krieg ist die Lösung, die Russland heute anstrebt.
  Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
  Wenn ich darüber nachdenke, hatte Merkel nicht unrecht, als sie das Jahr 1938 als Vorläufer der heutigen Situation in der Ukraine anführte. Der einzige Unterschied ist, dass es hier nicht um edle Deutsche ging, die die brutalen Russen aufhalten wollten, sondern um doppelzüngige Deutsche (und andere Westler), die leichtgläubige Russen täuschen wollten.
  Das wird weder für Deutschland noch für die Ukraine noch für diejenigen gut ausgehen, die sich in den Mantel der Diplomatie gehüllt haben, während sie das Schwert, das sie hinter ihrem Rücken trugen, zu verbergen suchten.  •



1 https://www.zeit.de/2022/51/angela-merkel-russland-fluechtlingskrise-bundeskanzler vom 7.12.2022
2 ebenda
3 https://www.hornobservers.com/2022/06/17/minsk-deal-was-used-to-buy-time-ukraines-poroshenko/
4 http://en.kremlin.ru/events/president/news/69935; https://globalbridge.ch/putin-gesteht-eine-eigene-fehleinschaetzung-ein-sein-vertrauen-in-die-beteiligten-von-minsk-ii-im-jahr-2014-15/
5 https://press.un.org/en/2015/sc11785.doc.htm
6 https://tass.com/world/1442057

Quelle: https://consortiumnews.com/2022/12/05/scott-ritter-merkel-reveals-wests-duplicity/ vom 5.12.2022;
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors

(Übersetzung Zeit-Fragen)



Scott Ritter ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des US Marine Corps, der in seiner mehr als 20jährigen Laufbahn unter anderem in der ehemaligen Sowjetunion bei der Umsetzung von Rüstungskontrollabkommen, im Stab von US-General Norman Schwarzkopf während des Golf-Kriegs und später als Chefwaffeninspektor der Uno im Irak von 1991–1998 tätig war.

Angela Merkel: «Das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben»

«Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe [Eisenbahnerstadt im Donbass, Oblast Donezk, d. Red.] Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen.»

Interview mit Angela Merkel in der «Zeit» vom 7.12.2022

Kriegslogik

«Angst, dass der Krieg zu Ende geht»

ds. «Der amerikanische Waffennachschub wird knapp», titelte die «Neue Zürcher Zeitung» am 30. November auf Seite 3. Sie berichtet von «Engpässen» bei verschiedenen Waffensystemen und der dazu passenden Munition.
  Wenn es um die Ukraine ginge, liest man weiter, zeige sich der amerikanische Präsident Joe Biden stets standhaft. Die amerikanische Entschlossenheit, einen Erfolg Putins zu verhindern, spiegle sich auch in Zahlen: Der amerikanische Kongress habe bereits 68 Milliarden Dollar für die Ukraine bewilligt. Davon seien drei Viertel bereits aufgebraucht oder fest verplant. Und kürzlich habe das Weisse Haus das Parlament gebeten, weitere 38 Milliarden Dollar für Kiew zur Verfügung zu stellen.
  Mit dieser Hilfe habe die Ukraine das Blatt auf den «Schlachtfeldern» im Osten und Süden wenden können. Mitentscheidend für diesen Erfolg sei die Lieferung von Haubitzen und mehr als 800 000 Artilleriegeschossen gewesen. Die ukrainischen Streitkräfte feuerten täglich bis zu 7000 Artilleriesalven ab, doch nun schwänden die amerikanischen Lagerbestände.
  Engpässe gäbe es auch bei Mehrfachraketenwerfern. Diese müssten allerdings zunächst hergestellt werden, und bis sie an der Front ankämen, würden Monate oder gar Jahre vergehen.
  Die Rüstungsfirmen schreckten aber davor zurück, ihre Produktionskapazität zu stark auszubauen. Ihnen fehle es an langfristigen Zusagen für Waffenkäufe seitens der Regierung. «Sie haben Angst, dass der Krieg zu Ende geht, die Aufträge ausbleiben und sie auf ihren ausgebauten Fabriken sitzen bleiben.»

* * *

In der Ukraine stehen sich zwei Atommächte gegenüber, Russland und die USA. Einen Sieg auf dem Schlachtfeld kann es nicht geben. Irgendwann werden die Waffen schweigen müssen.
  In Russland und in der Ukraine weinen Menschen. Sie trauern um ihre verlorenen Kinder, Männer und Frauen, Brüder und Schwestern, Eltern und Grosseltern. Manche haben alles verloren.
  Mehr Waffen verlängern den Krieg und schaffen noch mehr Leid. Es braucht einen Waffenstillstand, und zwar jetzt!  •

Ungarn bemüht sich um Frieden

Die Bürgerbewegung Forum für den Frieden begrüsst die Haltung der ungarischen Regierung, die sich für eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ukraine einsetzt. Wir halten es für richtig, dass Péter Szijjártó auf dem Nato-Aussenministertreffen in Bukarest nicht darauf hingewiesen hat, was in bezug auf zusätzliche militärische und finanzielle Unterstützung für Kiew getan werden muss, sondern auf den strategischen Dialog mit Russland. Wir sind auch damit einverstanden, dass Ungarn weiterhin sein Veto gegen den Beitritt der Ukraine zur Nato einlegt. Allerdings tut es dies nicht mit dem Hinweis auf den Frieden unseres Landes und Europas, sondern auf die immer noch nicht behobene Verletzung der ethnischen Rechte der transkarpatischen Ungarn. Das Friedensforum ist der Meinung, dass die Rechte unserer ungarischen Landsleute durchgesetzt werden können, wenn das Haupthindernis, die chauvinistische Führung in Kiew, nicht mehr im Weg steht. Solange die Nato Kiew unterstützt, können unsere Ungarn nicht erwarten, dass sich ihr Los verbessert, sondern im Gegenteil, unsere jungen Leute werden als Kanonenfutter für die Zwecke der herrschenden Nation im Dienste der amerikanischen Interessen benutzt. Das Friedensforum ist der Ansicht, dass der Schlüssel zur Lösung in der Akzeptanz der legitimen Sicherheitsgarantien Russ-lands vom 15. Dezember 2021 liegt. Moskau hat deutlich gemacht, dass es, wenn die Sicherheit seiner Grenzen gewährleistet ist, auch die Sicherheit anderer im Rahmen des europäischen Systems der Zusammenarbeit auf der Grundlage der Selbstbestimmung der Völker garantieren wird. Solange die Nato, einschliesslich Ungarns, die legitime russische Forderung nicht anerkennt, wird es keinen Frieden geben, und es werden nicht nur die Rechte der ungarischen Minderheit verletzt, sondern auch der Frieden unseres Landes ist nicht gewährleistet.

Association for the Rule of Law,
Hungarian Anti-Fascist League, Labor Party, Hungarian Community for Peace,
István Balog Tibor Bognár, Zsolt Fehérvári, József Hajdú, Balázs Hetényi,
Tamás Hirschler, Ferenc Kleinheincz, Gyöngyi Krajcsovicz, József Zsolt Nagy,
László Petráss, István Salga, Endre Simó Gyula Thurmer

Quelle: Stellungnahme des ungarischen Friedensforums, Budapest 1. Dezember 2022

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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