Wie MIC, OGAM und FIRE-Sektoren die Nato erobert haben

von Michael Hudson*

Die Frage, die man sich stellen muss, ist, was der heutige neue Kalte Krieg zu ändern oder zu «lösen» versucht. Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, sich zu fragen, wer den Krieg auslöst. Es gibt immer zwei Seiten – den Angreifer und den Angegriffenen. Der Angreifer beabsichtigt bestimmte Folgen, und der Angegriffene sucht nach unbeabsichtigten Folgen, die er ausnutzen könnte. In diesem Fall gibt es auf beiden Seiten ein Duell der beabsichtigten Folgen und der besonderen Interessen.

Die aktive militärische Kraft und Aggression sind seit 1991 die Vereinigten Staaten. Da sie die gegenseitige Abrüstung der Warschauer-Pakt-Staaten und der Nato ablehnten, gab es keine «Friedensdividende». Statt dessen hat die von der Clinton-Regierung und den nachfolgenden Regierungen verfolgte US-Politik einer neuen militärischen Expansion durch die Nato eine 30jährige Dividende ausbezahlt: in Form einer Verlagerung der Aussenpolitik Westeuropas und anderer amerikanischer Verbündeter aus ihrer innenpolitischen Sphäre weg in ihren eigenen, auf die USA ausgerichteten «nationalen Sicherheits»-Blob (das Wort für Sonderinteressen, die nicht genannt werden dürfen). Die Nato ist zu Europas aussenpolitischem Entscheidungsgremium geworden, was sogar so weit geht, dass sie die heimischen Wirtschaftsinteressen dominiert.
  Den jüngsten Vorstoss gegen Russland stellte die Ausweitung der antirussischen ethnischen Gewalt durch das neonazistische ukrainische Post-Maidan Regime nach 2014 dar; er zielte (erfolgreich) darauf ab, einen Showdown zu erzwingen als Reaktion auf die Befürchtung der US-Interessen, dass sie ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss auf ihre Nato-Verbündeten und andere Satelliten des Dollar-Raums verlieren, da diese Länder ihre grössten Gewinnchancen im zunehmenden Handel und den Investitionen mit China und Russland sehen.
  Um zu verstehen, welche Ziele und Interessen der USA bedroht sind, muss man die US-Politik und den «Blob» verstehen, d. h. die zentrale Planung der Regierung, die sich nicht durch die Betrachtung der angeblich demokratischen Politik erklären lässt. Dies ist nicht die Politik der US-Senatoren und -Vertreter, die ihre Wahlbezirke im Kongress oder ihre Bundesstaaten vertreten.

Amerikas drei Oligarchien, die
die US-Aussenpolitik kontrollieren

Es ist realistischer, die US-Wirtschafts- und Aussenpolitik unter dem Gesichtspunkt des Militärisch-Industriellen Komplexes, des Öl- und Gas- (und Bergbau-)Komplexes und des Banken- und Immobilienkomplexes zu betrachten als unter dem Gesichtspunkt der Politik von Republikanern und Demokraten. Die wichtigsten Senatoren und Kongressabgeordneten vertreten nicht so sehr ihre Bundesstaaten und Bezirke, sondern vielmehr die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen ihrer wichtigsten politischen Wahlkampfspender. Ein Venn-Diagramm würde zeigen, dass in der heutigen Post-Citizens-United-Welt die US-Politiker ihre Wahlkampfspender vertreten, nicht die Wähler. Und diese Geldgeber lassen sich im wesentlichen in drei grosse Blöcke einteilen.
  Es sind drei grosse oligarchische Gruppen, die sich die Kontrolle über den Senat und den Kongress erkauft haben, um ihre eigenen politischen Entscheidungsträger in das Aussen- und Verteidigungsministerium zu bringen.

1. Der Militiärisch-Industrielle Komplex
Die erste Gruppe ist der Militärisch-Industrielle Komplex (MIC) – Rüstungsfirmen wie Raytheon, Boeing und Lockheed-Martin haben ihre Produktionsstätten und Arbeitsplätze in fast allen Bundesstaaten und insbesondere in den Kongressbezirken, in denen die Leiter der wichtigsten Kongressausschüsse gewählt werden, breit gestreut. Ihre wirtschaftliche Grundlage ist die Monopolrente, die sie vor allem aus ihren Waffenverkäufen an die Nato, an die Ölexporteure des Nahen Ostens und an andere Länder mit einem Zahlungsbilanzüberschuss beziehen. Die Aktien dieser Unternehmen stiegen sofort nach Bekanntwerden des russischen Angriffs in die Höhe und führten zu einem zweitägigen Börsenanstieg, als die Anleger erkannten, dass der Krieg in einer Welt des Kosten-Plus-«Pentagon-Kapitalismus»1, (wie Seymour Melman ihn beschrieb) einen garantierten nationalen Sicherheitsschirm für Monopolgewinne der Kriegsindustrie bietet. Senatoren und Kongressabgeordnete aus Kalifornien und Washington vertreten traditionell den MIC, zusammen mit dem solide pro-militärisch orientierten Süden. Die militärische Eskalation der vergangenen Woche verspricht rasch steigende Waffenverkäufe an die Nato und andere Verbündete der USA, die damit die eigentlichen Auftraggeber dieser Politiker bereichern. Deutschland hat schnell zugestimmt, seine Rüstungsausgaben auf über 2 % des BIP zu erhöhen.

2. Der Öl-, Gas- und Bergbausektor
Der zweite grosse oligarchische Block ist der Öl- und Gassektor, dem sich der Bergbausektor anschliesst (OGAM), der von Amerikas besonderer Steuerbegünstigung für Unternehmen profitiert, die natürliche Ressourcen aus dem Boden holen und sie hauptsächlich in die Atmosphäre, die Ozeane und die Wasserversorgung einleiten. Wie der Banken- und Immobiliensektor, der versucht, die wirtschaftliche Rente zu maximieren und die Kapitalgewinne für Wohnungen und andere Vermögenswerte zu maximieren, ist es das Ziel dieses OGAM-Sektors, den Preis für seine Energie und Rohstoffe zu maximieren, um seine Pachtzinsen für die natürlichen Ressourcen zu maximieren. Die Monopolisierung des Ölmarktes im Dollarraum und seine Isolierung von russischem Öl und Gas ist seit über einem Jahr eine wichtige Priorität der USA, da die Nord Stream 2-Pipeline die westeuropäische und die russische Wirtschaft enger miteinander zu verbinden drohte.
  Wenn Öl-, Gas- und Bergbaubetriebe auch nicht in jedem Wahlbezirk der USA zu finden sind, so sind es doch zumindest ihre Investoren. Senatoren aus Texas und anderen westlichen Öl- und Bergbaustaaten sind die führenden Lobbyisten des OGAM, und das Aussenministerium hat grossen Einfluss auf den Ölsektor, indem es die besonderen Steuererleichterungen für diesen Sektor unter den Deckmantel der nationalen Sicherheit stellt. Das politische Nebenziel besteht darin, die Bestrebungen des Umweltschutzes, Öl, Gas und Kohle durch alternative Energiequellen zu ersetzen, zu ignorieren und zurückzuweisen. Dementsprechend hat die Regierung Biden die Ausweitung von Offshore-Bohrungen unterstützt, die kanadische Pipeline zur schmutzigsten Erdölquelle der Welt erklärt, den Athabasca-Teersand gefördert und die Wiederbelebung des Frackings in den USA gefeiert.
  Die aussenpolitische Erweiterung [in Form der Nato-Erweiterung] soll verhindern, dass andere Länder, welche die Kontrolle über ihr Öl, ihr Gas und ihren Bergbau nicht den US-Firmen überlassen, auf den Weltmärkten mit den US-Lieferanten konkurrieren. Die Isolierung Russlands (und des Irans) von den westlichen Märkten wird das Angebot an Öl und Gas verringern und die Preise und Unternehmensgewinne entsprechend in die Höhe treiben.

3. Der Finanz-, Versicherungs- und Immobiliensektor
Die dritte grosse Oligarchengruppe ist der symbiotische Finanz-, Versicherungs- und Immobiliensektor (FIRE) – der moderne finanzkapitalistische Nachfolger des alten postfeudalen Landadels in Europa, der von Landrenten lebt. Da die meisten Wohnungen in der heutigen Welt von den Eigentümern selbst bewohnt werden (auch wenn die Zahl der abwesenden Vermieter seit der Obama-Räumungswelle nach 2008 stark angestiegen ist), wird die Landrente in Form von Hypothekarzinsen und Schuldentilgung grösstenteils an den Bankensektor gezahlt (aufgrund steigender Schulden im Verhältnis zum Eigenkapital, da die Bankkredite die Immobilienpreise in die Höhe treiben). Etwa 80 % der Bankkredite in den USA und Grossbritannien betreffen den Immobiliensektor, der die Grundstückspreise in die Höhe treibt, um Kapitalgewinne zu erzielen – die für die abwesenden Eigentümer faktisch steuerfrei sind.
  Dieser auf die Wall Street ausgerichtete Banken- und Immobilienblock ist noch breiter nach Bezirken aufgeteilt als der MIC. Sein New Yorker Senator von der Wall Street, Chuck Schumer, steht an der Spitze des Senats, der seit langem unterstützt wird von Delawares ehemaligem Senator aus der Kreditkartenindustrie, Joe Biden, und von Connecticuts Senatoren aus dem Versicherungssektor, der in diesem Bundesstaat zentriert ist. Im Inland besteht das Ziel dieses Sektors in der Maximierung der Bodenrenten und der «Kapitalgewinne», die aus den steigenden Bodenrenten resultieren. International ist es das Ziel des FIRE-Sektors, ausländische Volkswirtschaften zu privatisieren (vor allem, um das Privileg der Kreditschöpfung in den Händen der USA zu sichern). Damit sollen die staatliche Infrastruktur und die öffentlichen Versorgungsbetriebe in [privatisierte] gewinnorientierte Monopole verwandelt werden, die grundlegende Dienstleistungen (wie Gesundheitsfürsorge, Bildung, Transport, Kommunikation und Informationstechnologie) zu Höchstpreisen anbieten, anstatt zu subventionierten Preisen, mit denen die Lebens- und Geschäftskosten gesenkt werden könnten. Und die Wall Street war schon immer eng mit der Öl- und Gasindustrie verflochten (nämlich mit Bankenkonglomeraten wie der von Rockefeller dominierten Citigroup und der Chase Manhattan).
  Die FIRE-, MIC- und OGAM-Sektoren sind die drei Rentier2-Sektoren, die den heutigen post-industriellen Finanzkapitalismus dominieren. Ihr Vermögen ist mit dem Anstieg der MIC- und OGAM-Aktien in die Höhe geschnellt. Und die Bestrebungen, Russland aus dem westlichen Finanzsystem (und teilweise jetzt auch aus SWIFT) auszuschliessen, verbunden mit den negativen Auswirkungen der Isolierung der europäischen Volkswirtschaften von russischer Energie, versprechen, einen Zustrom in dollarisierte Finanztitel anzustossen.
  Wie eingangs erwähnt, ist es hilfreicher, die US-amerikanische Wirtschafts- und Aussenpolitik im Hinblick auf die Komplexe zu betrachten, die auf diesen drei Rentier-Sektoren basieren, als im Hinblick auf die Politik der Republikaner und Demokraten. Die wichtigsten Senatoren und Kongressabgeordneten vertreten nicht so sehr ihre Bundesstaaten und Bezirke, sondern vielmehr die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen ihrer wichtigsten Geldgeber. Deshalb spielen heute weder das verarbeitende Gewerbe noch die Landwirtschaft die dominierende Rolle in der US-Aussenpolitik. Die Konvergenz der politischen Ziele der drei vorherrschenden Rentier-Gruppen in den USA überlagert die Interessen der Arbeitnehmer und sogar des industriellen Kapitals ausserhalb des MIC. Diese Konvergenz ist das bestimmende Merkmal des heutigen postindustriellen Finanzkapitalismus. Es handelt sich im Grunde um einen Rückfall in das ökonomische Rent-Seeking, das unabhängig von der Politik der Arbeitnehmer und des industriellen Kapitals ist.
  Die Dynamik, die es heute nachzuvollziehen gilt, ist die Frage, warum dieser oligarchische «Blob» sein Interesse daran gefunden hat, Russland in eine Haltung zu drängen, die Russland offensichtlich als eine «do-or-die»-Haltung ansah, um sich den zunehmend gewaltsamen Angriffen auf die ostukrainischen russischsprachigen Provinzen Luhansk und Donezk zu widersetzen, zusammen mit den breiteren westlichen Drohungen gegen Russland.

Die erwarteten Folgen des neuen Kalten Krieges für den Rentier-«Blob»

Wie Präsident Biden erklärte, geht es bei der derzeitigen von den USA inszenierten militärischen Eskalation («Prodding the Bear») nicht wirklich um die Ukraine. Biden versprach zu Beginn, dass keine US-Truppen beteiligt sein würden. Aber er fordert seit über einem Jahr, dass Deutschland verhindert, dass die Nord Stream 2-Pipeline die deutsche Industrie und seine Wohnungen mit günstigem Gas versorgt, sondern auf die viel teureren US-Lieferanten ausweicht.
  Die US-Behörden versuchten zunächst, den Bau der Pipeline zu verhindern. Unternehmen, die den Bau unterstützten, wurden mit Sanktionen belegt, aber schliesslich stellte Russland selbst die Pipeline fertig. Die USA übten dann Druck auf die traditionell nachgiebigen deutschen Politiker aus, indem sie behaupteten, Deutschland und das übrige Europa seien einer Bedrohung der nationalen Sicherheit ausgesetzt, sollte Russland den Gashahn zudrehen, um mutmassliche politische oder wirtschaftliche Zugeständnisse zu erlangen. Konkrete russische Forderungen konnten nicht ersonnen werden, und so blieben sie im Dunkeln und blob-artig [klecksartig]. Deutschland weigerte sich, die offizielle Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu genehmigen.

Gegen Deutschland gerichtet

Ein Hauptziel des heutigen neuen Kalten Krieges ist die Monopolisierung des Marktes für US-Lieferungen von Flüssigerdgas (LNG). Bereits unter der Regierung von Donald Trump wurde Angela Merkel zum Versprechen genötigt, eine Milliarde Dollar für den Bau neuer Hafenanlagen für US-Tanker auszugeben, damit diese Erdgas für den deutschen Markt entladen können. Der Wahlsieg der Demokraten im November 2020 und das anschliessende Ausscheiden von Frau Merkel aus der deutschen Politik führten zur Stornierung dieser Hafeninvestition, so dass Deutschland wirklich keine Alternative zum Import von russischem Gas hat, um seine Häuser zu heizen, seine Energieversorgungsunternehmen mit Strom zu versorgen und Rohstoffe für seine Düngemittelindustrie und damit die Aufrechterhaltung seiner landwirtschaftlichen Produktivität bereitzustellen.
  Das vordringlichste strategische Ziel der USA im Rahmen der Nato-Konfrontation mit Russland ist also die Erhöhung der Öl- und Gaspreise, vor allem zum Nachteil Deutschlands. Höhere Energiepreise bringen nicht nur Gewinne und Börsengewinne für die US-Ölkonzerne, sondern werden auch der deutschen Wirtschaft viel Dampf nehmen. Es zeichnet sich ab, dass die Vereinigten Staaten Deutschland zum dritten Mal innerhalb eines Jahrhunderts besiegt haben – und dabei jedes Mal ihre Kontrolle über eine deutsche Wirtschaft verstärken, die in Bezug auf Importe und politische Führung zunehmend von den Vereinigten Staaten abhängig ist, wobei die Nato die wirksame Kontrolle gegen jeglichen nationalistischen Widerstand im Inland darstellt.
  Höhere Benzin-, Heizungs- und andere Energiepreise werden auch die Verbraucher in den USA und in anderen Ländern (insbesondere in den Ländern des Globalen Südens, die ein Energiedefizit haben) treffen und dazu führen, dass auch dem US-Familienbudget weniger Geld für einheimische Waren und Dienstleistungen zur Verfügung steht. Dadurch könnten an den Rand gedrängte Hausbesitzer und Investoren unter Druck geraten, was zu einer weiteren Konzentration des Eigentums an Wohn- und Gewerbeimmobilien in den Vereinigten Staaten führen könnte, zusammen mit dem Aufkauf von notleidenden Immobilienbesitzern in anderen Ländern, die mit steigenden Heiz- und Energiekosten konfrontiert sind. Dies wird jedoch als Kollateralschaden des postindustriellen Blobs angesehen.

  Auch die Lebensmittelpreise werden steigen, allen voran die für Weizen. (Auf Russland und die Ukraine entfallen 25 % der weltweiten Weizenexporte.) Dies wird viele Länder des Nahen Ostens und des Globalen Südens, die ein Nahrungsmitteldefizit haben, in Bedrängnis bringen, ihre Zahlungsbilanz verschlechtern und die Gefahr eines Zahlungsausfalls bei Auslandsschulden mit sich bringen.
  Als Reaktion auf die Devisen- und SWIFT-Sanktionen könnten russische Rohstoffexporte von Russland blockiert werden. Dadurch drohen Unterbrechungen der Versorgungsketten für wichtige Materialien wie Kobalt, Palladium, Nickel und Aluminium (dessen Herstellung vor allem viel Strom verbraucht, was dieses Metall verteuert). Sollte China beschliessen, sich als nächste Nation bedroht zu sehen und sich Russland in einem gemeinsamen Protest gegen den Handels- und Finanzkrieg der USA anschliessen, steht den westlichen Volkswirtschaften ein schwerer Schock bevor.
  Der langfristige Traum der neuen Kalten Krieger der USA ist die Zerschlagung Russlands oder zumindest die Wiederherstellung der Manager-Kleptokratie der Jelzin/Harvard-Boys, wobei die Oligarchen versuchen, ihre Privatisierungen an den westlichen Aktienmärkten zu Geld zu machen. Der OGAM träumt immer noch davon, die Mehrheitskontrolle über Yukos und Gazprom zu übernehmen. Die Wall Street würde gerne einen neuen russischen Börsenboom erleben. Und die MIC-Investoren freuen sich auf die Aussicht, mehr Waffen zu verkaufen, um all dies zu ermöglichen.

Wie Russland von den von Amerika unbeabsichtigten Folgen zu profitieren gedenkt

Was will Russland? Vor allem will es den neonazistischen, antirussischen Kern beseitigen, der durch das Massaker und den Putsch auf dem Maidan im Jahr 2014 installiert worden ist. Die Ukraine soll neutralisiert werden, was für Russland bedeutet, dass sie im wesentlichen pro-russisch ist und von Donezk, Luhansk und der Krim dominiert wird. Damit soll verhindert werden, dass die Ukraine zu einem Schauplatz für von den USA orchestrierte antirussische Aktionen à la Tschetschenien und Georgien wird.
  Russlands längerfristiges Ziel ist es, Europa von der Nato und der Vorherrschaft der USA loszulösen – und dabei zusammen mit China eine neue multipolare Weltordnung zu schaffen, in deren Mittelpunkt ein wirtschaftlich integriertes Eurasien steht. Ziel ist es, die Nato ganz aufzulösen und dann die von Russland angestrebte umfassende Abrüstungs- und Entnuklearisierungspolitik zu fördern. Dies wird nicht nur die ausländischen Waffenkäufe der USA einschränken, sondern könnte auch zu Sanktionen gegen künftige militärische Abenteuer der USA führen. Damit hätte Amerika weniger Möglichkeiten, seine Militäroperationen zu finanzieren, da sich die Entdollarisierung beschleunigt.
  Nun, da es für jeden informierten Beobachter offensichtlich sein sollte, dass (1) der Zweck der Nato in der Aggression und nicht in der Verteidigung besteht und (2) es für die Nato kein weiteres Territorium aus den Überresten der alten Sowjetunion zu erobern gibt, was hat Europa von einer weiteren Mitgliedschaft? Es ist offensichtlich, dass Russland nie wieder in Europa einmarschieren wird. Es hat nichts zu gewinnen – und hatte auch nichts zu gewinnen, indem es die Ukraine bekämpfte, ausser die stellvertretende Expansion der Nato in dieses Land und die von der Nato unterstützten Angriffe auf Noworossija zurückzudrängen.
  Werden die national orientierten Führer Europas (die Linke ist grösstenteils pro-USA) fragen, warum ihre Länder für US-Waffen bezahlen sollten, die sie nur in Gefahr bringen, höhere Preise für US-LNG und Energie zahlen, mehr für Getreide und Rohstoffe aus russischer Produktion bezahlen, während sie gleichzeitig die Möglichkeit verlieren, Exportverkäufe und Gewinne aus friedlichen Investitionen in Russland zu erzielen – und vielleicht auch China verlieren?
  Nach dem kürzlichen Diebstahl der afghanischen Reserven (und der Beschlagnahme der venezolanischen Goldbestände durch England) bedroht nun die Konfiszierung der russischen Währungsreserven durch die USA das Festhalten aller Länder am Dollarstandard und damit auch die Rolle des Dollars als Vehikel für Deviseneinsparungen durch die Zentralbanken der Welt. Dies wird den internationalen Entdollarisierungsprozess beschleunigen, der bereits von Russland und China eingeleitet wurde, die sich auf den gegenseitigen Besitz ihrer Währungen verlassen. Längerfristig wird Russland wahrscheinlich gemeinsam mit China eine Alternative zum US-amerikanisch dominierten IWF und zur Weltbank bilden. Die Ankündigung Russlands, die ukrainischen Nazis zu verhaften und einen Kriegsverbrecherprozess abzuhalten, scheint darauf hinzudeuten, dass nach Russlands militärischem Sieg in der Ukraine eine Alternative zum Haager Gerichtshof geschaffen wird. Nur ein neuer internationaler Gerichtshof könnte Kriegsverbrecher aburteilen, von der ukrainischen Neonaziführung bis hin zu US-Beamten, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der Nürnberger Gesetze verantwortlich sind.
  Ich kann mir nicht vorstellen, dass Russland die Absicht hat, Ressourcen und Menschenleben für eine Besatzung zu verschwenden. Seine erste Aufgabe war es, den Angriff auf die russischsprachigen Ostprovinzen zu stoppen und die Krim zu schützen. Ihre zweite Aufgabe bestand darin, die neonazistischen Streitkräfte auszulöschen, ihre Anführer nach Möglichkeit gefangen zu nehmen und sie wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen – und dann die Leiter zu ihren US-Sponsoren, des NED usw. hinaufzusteigen.
  Es ist natürlich möglich, dass Europa auseinanderbricht. In diesem Fall wird sich Russland China und den anderen SCO-Mitgliedern zuwenden. Europa wird unter schwerwiegenden Problemen in der Lieferkette, einer Inflation der Rohstoffpreise und Haushaltsengpässen für seine Bevölkerung und seine Regierungen leiden.

Hat der amerikanische Blob die Folgen des Nato-Krieges wirklich durchdacht?

Es ist fast schon schwarzer Humor, wenn man sich die Versuche der USA ansieht, China davon zu überzeugen, dass es sich den Vereinigten Staaten anschliessen und Russlands Vorgehen in der Ukraine anprangern sollte. Die grösste unbeabsichtigte Folge der US-Aussenpolitik war, dass Russland und China zusammen mit dem Iran, Zentralasien und anderen Ländern entlang der Belt-and-Road-Initiative zusammengeführt wurden.
  Russland träumte davon, eine neue Weltordnung zu schaffen, aber es war das Abenteurertum der USA, das die Welt in eine völlig neue Ordnung getrieben hat – eine, die von China als Standardgewinner dominiert zu werden scheint, jetzt, da die europäische Wirtschaft im wesentlichen auseinandergerissen ist und Amerika mit dem zurückbleibt, was es sich von Russland und Afghanistan geschnappt hat, aber ohne die Fähigkeit, zukünftige Unterstützung zu gewinnen.  •



1 Cost-plus pricing: Von der Angebotsseite, hier der Rüstungsindustrie, bestimmte Preisbildung, bei der zu den Herstellungskosten ein festgelegter Gewinnaufschlag dazugerechnet wird, der den Profit sichert.
2 Ein Rentier ist eine Person, die von regelmässigen Zahlungen aus in Aktien oder Anleihen angelegtem Kapital, der Vermietung von Immobilien oder der Verpachtung von Land lebt. (Wikipdia)

Michael Hudson (*1939) ist Präsident des «Institute for the Study of Long-Term Economic Trends» (ISLET), das sich mit der Erforschung des nationalen und internationalen Finanzwesens, des Volkseinkommens und der Bilanzierung von Immobilien sowie der Wirtschaftsgeschichte des Alten Orients befasst. Er war Finanzanalyst an der Wall Street und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Missouri, Kansas City. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel und Wirtschaftsberater für Regierungen weltweit, darunter Island, Lettland und China, in den Bereichen Finanzen und Steuerrecht.

 

Quelle: https://www.counterpunch.org/2022/03/01/america-defeats-germany-for-the-third-time-in-a-century/

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Russland wird weithin unterschätzt

von Guy Mettan

Die dramatischen Ereignisse, die sich in diesen Tagen in der Ukraine abspielen, zwingen uns, noch einmal auf das Problem Russ-land und Europa zurückzukommen. […]
    Was heute geschieht, ist die Folge der fatalen Spirale, die nach 1991 in Gang gesetzt wurde und die einige US-Verantwortliche wie Henry Kissinger, Zbigniew Brezinski oder Georges Kennan vorausgesehen hatten, wenn Moskau weiterhin ins Kreuzfeuer geraten würde.
    Bis wir mehr Klarheit über die Ursachen und Folgen dieses bewaffneten Konflikts haben, sollten wir [die Behauptung], die in den Kommentaren immer wieder auftauchen, aus dem Weg räumen […], dass Russland eine zweitklassige Wirtschaft sei, die sich in einem rapiden Niedergang befinde und deren BIP geringer sei als das Spaniens.
    Solche Äusserungen erfreuen die Russo-phoben, die sie von sich geben, und die ihr Wunschdenken für Realität halten. Aber sie sind falsch.
    In einer Studie, die in der Novemberausgabe der Zeitschrift Foreign Affairs veröffentlicht wurde, die als Bibel für die imperiale Politik der USA dient, warnten zwei Forscher vor dieser Illusion. Die russische Wirtschaft ist nicht nur stärker, als man ihr gerne nachsagt – sie steht nach Kaufkraftparität weltweit an sechster Stelle und in Europa hinter Deutschland an zweiter Stelle –, sondern auch widerstandsfähig und seit 2014 wegen oder vielmehr dank der gegen sie verhängten Sanktionen sehr viel stärker geworden.
    Natürlich entwickeln diese Autoren, die Mitglieder eines dem Pentagon nahestehenden Think tanks (des Center for a New American Security) sind, diese These weiter, um noch mehr militärische Kredite und Mittel im Kampf gegen Russland zu fordern. Die USA, so schreiben sie, müssen sich die Mittel verschaffen, um sowohl Russland als auch China in Schach zu halten, um ihre «demokratische» Hegemonie in der Welt zu bewahren.
    Aber zumindest geben sie das Offensichtliche zu. Sehen wir uns die Fakten an: In finanzieller Hinsicht verfügt Russland mit 650 Milliarden US-Dollar über einige der grössten Reserven der Welt und kann damit vorausschauend handeln. Seine Abhängigkeit vom Dollar wurde drastisch reduziert. Ein paralleles Zahlungssystem zu SWIFT wird derzeit eingerichtet. Seine Auslandsverschuldung ist gering, und seine öffentlichen Haushalte sind ausgeglichen – Phänomene, die bei uns unbekannt sind. Seine Exporte wurden stark diversifiziert, insbesondere nach Asien und in den Nahen Osten. Seine landwirtschaftliche Produktion ist so stark angestiegen, dass es seit 2017 zum weltweit grössten Weizenexporteur geworden ist. Es ist nach wie vor der grösste Gas- und Öllieferant Europas (und paradoxerweise der zweitgrösste der USA im Jahr 2021!).
    Russland reindustrialisiert sich mit hoher Ge-schwindigkeit, insbesondere in der Petrochemie, bei Kunststoffen und Verbundwerkstoffen, wobei diese von billiger Energie profitieren. Es hat seine eigenen digitalen Technologien und Internetplattformen entwickelt, unabhängig von den kalifornischen Giganten. Und schliesslich ist seine Rüstungsindustrie erfolgreich, wie die Verkaufszahlen belegen, und in einigen Bereichen wie Hyperschallraketen und Cyberkrieg sehr innovativ. Nebenbei sei erwähnt, dass Russland in der Lage ist, begrenzte Kriege zu führen, die wenig Geld und Menschenleben kosten, wie man in Syrien gesehen hat. Im Vergleich zu den Billionen Dollar, welche die USA und die Nato in Afghanistan und im Irak vergeblich ausgegeben haben, ist das kein geringer Vorteil.
    Eine letzte Feststellung ist die Demografie, von der man sagt, dass sie rückläufig ist. Der russische Bevölkerungsrückgang ist real, aber weit davon entfernt, katastrophal zu sein, da er durch Arbeitskräfte aus den zentralasiatischen verbündeten Ländern ausgeglichen wird. Die Lebenserwartung und der Index für menschliche Entwicklung haben sich stark verbessert, während andere Indikatoren wie die Selbstmordrate und die Kindersterblichkeit deutlich zurückgegangen sind. […]

Quelle: https://bonpourlatete.com/debat/ l-ukraine-et-les-precedents-du-golan-et-du-kosovo (Auszug)
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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