Die Sanktionen richten sich auch gegen Deutschland

von Prof. Dr. Eberhard Hamer, Mittelstandsinstitut Niedersachsen e. V.

Noch immer ist das Nato-Konzept: «To keep the Americans in, the Russians out and the Germans down!»
  Dieses Prinzip herrscht auch bei den Sanktionen gegen Russland vor. Die USA handeln konsequent nach eigenem Vorteil:

  • Sie können ihr Frackingöl und -gas nur verkaufen, wenn Europa nicht mehr die Chance hat, das billigere russische Gas zu bekommen. Seit Jahren sind sie deshalb gegen die Nord Stream 2-Leitung, und US-Präsident Biden hatte bei dem letzten Besuch des deutschen Kanzlers Scholz deren wirtschaftliches Ende verkündet. Seitdem hat sich der Gaspreis in Europa verdoppelt und ist das amerikanische Frackinggas absetzbar, ist Europa sogar auf die amerikanische Belieferung angewiesen, um seine Energielücke zu decken. Der Boykott des russischen Gases dient also vorrangig dazu, das zu teure amerikanische Gas in den Markt zu bringen und absetzen zu können.
  • Dass die USA Europa das russische Gas abklemmen, selbst aber der zweitgrösste Öl-/Gasbezieher von Russland bleiben, hat seine Gründe: «To raise the rival’s costs.»
      Unerklärlich bleibt dennoch, weshalb auch deutsche Politiker wie Baerbock, Röttgen und Co. den deutschen Billiggasbezug aus Russland so fanatisch bekämpfen und damit ihre eigenen Wähler vorsätzlich schädigen. Die atlantisch finanzierte Presse jubelt sogar über den Stop von Nord Stream 2 durch den Bundeskanzler, als wäre dies ein deutscher Sieg über Russland; dabei haben wir damit weniger Russland als uns selbst ins Knie geschossen. Nur wir verlieren Billig-Gas, unsere Industrie und unsere Haushalte.
      Was dies für Folgen hat, werden die nächsten Monate beweisen: Billige Energie ist die Grundlage internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Wir haben schon die höchsten Löhne und Sozialkosten in der Welt. Wenn wir jetzt auch noch die höchsten Energiepreise haben, wird dies den Produktionsstandort Deutschland dramatisch schwächen, wird es zuerst die energieintensive Industrie vertreiben und dann auch bei den Heiz- und Elektrizitätskosten jeder mittelständischen Firma und jedes einzelnen Haushaltes ankommen, also flächendeckend Wohlstand reduzieren.

      Eine Politik, die dies nicht nur zulässt, sondern geradezu freudig will, ist keine Politik in deutschem Interesse, schadet uns mehr als sie nützt.
  • Die nächste beabsichtigte Sanktion der USA gegen Russland betrifft das Weltabrechnungssystem (SWIFT), welches Russland nicht mehr nutzen soll, um Russland «aus dem internationalen Zahlungsverkehr kaltzustellen».
  • Auch diese Massnahme würde mehr Deutschland als die USA schädigen, weil wir die grösseren Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen zu Russland haben als die USA und vom Russlandhandel langfristig existentiell abhängig sein werden. Sich auf die bankrotte und implodierende Weltmacht USA als Wirtschaftspartner allein zu verlassen, wird immer gefährlicher. Der offene und für uns näher liegende Markt Russland könnte viel eher einen weiteren Wohlstand in Europa tragen als einseitige Atlantikorientierung. Aber: «To keep the Russians out.» Für die USA würde es gefährlich, wenn im Zentrum Europas eine Kooperation mit Russland entstünde. Dies würde die amerikanische wahnhaft noch aufrechterhaltende Vorstellung von der Weltmachtposition gefährden.
      
    Dass die USA Russland aus dem SWIFT-Abrechnungssystem vertreiben wollen, könnte ein Pyrrhussieg werden, weil China längst ein Konkurrenzabwicklungssystem1 entwickelt hat und die Russen gerne darin aufnimmt. Dann müssen auch alle anderen Länder, die mit Russland und China Handel treiben, nicht mehr über SWIFT, sondern über das russische2 und chinesische System abrechnen, verliert der Dollar seine Monopolstellung und verlieren die Amerikaner die Möglichkeit, im Dollar-Imperium durch Dollar-Drucken auf Kosten der übrigen Welt weiter üppig zu leben. Insofern könnten solche Finanzsanktionen ein Wendepunkt der US-Dollar- und Wirtschaftsherrschaft in der Welt werden.
  • Auch die Beschlagnahmung des russischen Vermögens in der Welt durch die US-Sanktionen könnte ein Bumerang für die USA werden. Die USA haben ein chronisches Handelsdefizit (etwa 650 Mia. Dollar), welches mit Finanzzuflüssen nur mühsam zu decken ist. Die Finanzzuflüsse aus der Welt in den Dollar und in die USA setzten aber voraus, dass die Menschen glauben, ihr Geld sei in den USA sicherer als in anderen Staaten. Nun müssen die Anleger der Welt lernen, dass ihr Geld und Vermögen in den USA und der Welt (wie das deutsche nach 1945) plötzlich blockiert, beschlagnahmt oder gar weg ist, dass im Dollar-Imperium das Vermögen offenbar ebenso oder gar unsicherer ist als in anderen Staaten, dass dort die Politik über Eigentumsrecht steht. Jetzt trifft es nur die Russen, vielleicht bald auch die Chinesen und alle, die mit diesen weiter Handel treiben wollen. Und es könnte bald auch viele Deutsche treffen, welche ihr Vermögen oder Teile davon in die USA «gesichert» haben. Schon einmal nach 1945 war deutsches Vermögen von den USA in der ganzen Welt eingezogen worden. Warum sollten eine in Finanz-Atemnot geratene USA zum Überleben nicht wieder nach fremdem Vermögen greifen? Offenbar ist jetzt Auslandsvermögen in den USA gefährdeter als anderswo. Die russischen Oligarchen sind nur die ersten, die dies jetzt erleiden müssen.

Bewertet man also die Sanktionen, so treffen sie vordergründig und auch schädlich Russland («To keep the Russians out»).
  Sie stärken aber die Position der USA in Europa («To keep the Americans in»), weil sie ihr Weltenergiemonopol wieder stärken können (Europa kauft teures US-Frackinggas statt billigem russischen) und weil sie den Zahlungsverkehr zwischen Europa und Russland stilllegen wollen («To keep the Germans down»).
  Das US-Imperium wird – zumindest in Europa – durch die Ukraine-Krise entscheidend gestärkt: Die US-Nato verlangt und bekommt Rückendeckung aller europäischen Vasallen, wird als eigentlich längst überflüssige Organisation (Macron: «hirntot») wieder belebt, was etwa 200 Milliarden Umsatz für die amerikanische Rüstungsindustrie bedeutet. Und die europäischen Satelliten haben freiwillig (Johnson) oder gezwungen (Scholz) den politischen Weisungen aus den USA nach «gemeinsamen Strafmassnahmen» noch einmal Folge geleistet (obwohl z. B. Deutschland dadurch selbst grössere Wirtschaftsnachteile erleidet).
  Der Autor hat in einer Studie nachgewiesen, dass Südafrika im letzten Weltkrieg dadurch zum Industrieland geworden ist, dass es von seinen traditionellen Wirtschaftsbeziehungen weitgehend abgeschnitten war. Je mehr deshalb die USA Russland und China aus dem Dollar-Imperium vertreiben, um so stärker werden deren Autarkie und eigene Wirtschaftsstärke. Die Sanktionen gegen Russland dürften also nur ein kurzfristiger und kurzsichtiger Erfolg für die USA, aber langfristiger Schaden für Europa («To raise the rival’s costs») werden.
  Die beiden Weltkriege sollten uns Deutsche gelehrt haben, dass Frieden und Wohlstand bei uns nur sicher sind, wenn wir keine Feinde haben und uns vor allem keine Feinde mutwillig machen. Deutschlands Zentrallage in Europa gebietet Ausgleich und Offenheit nach allen Seiten. Sich für unsichere, korrupte Systeme (Ukraine) in fremde Machtkämpfe reissen und zu Sanktionen hinreissen zu lassen, liegt jedenfalls nicht in deutschem Interesse, folgt selbstschädigend nur fremden Weisungen («To keep the Russians out and the Germans down»).  •



1 CIPS (Cross Border Interbank Payment System)
2 Russland hat bereits nach der Krim-Krise SPFS (System for Transfer of Financial Messages) als Alternativabrechnungssystem gegründet und ist eifrig dabei, die Banken der Welt zu zwingen, in diesem Konkurrenzabrechnungssystem ebenfalls vertreten zu sein. Ein Ausschluss Russlands aus SWIFT würde also ein Schub für die alternativen Abrechnungssysteme und ein Dauerschaden für SWIFT werden.


Westliche Sanktionspolitik findet weltweit kaum Unterstützung

«Die Bestrebungen der transatlantischen Mächte, Russland möglichst weltweit zu isolieren, stossen auf breiten Widerstand. Indien verweigert sich der Forderung, sich der Sanktionspolitik anzuschliessen, arbeitet an einem alternativen, nicht auf SWIFT und den US-Dollar angewiesenen Zahlungssystem und plant eine Ausweitung seiner Erdölimporte aus Russland. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sperren sich gegen das Verlangen, ihre Ölförderung stark auszuweiten, um ein globales Ölembargo gegen Russland zu ermöglichen; der britische Premierminister Boris Johnson kehrte gestern nach Verhandlungen auf der Arabischen Halbinsel mit leeren Händen heim. Mehrere Staaten Südamerikas, darunter Argentinien, Brasilien und Chile, machen Druck, zumindest russische Düngemittelexporte zu ermöglichen; andernfalls, heisst es, sei die globale Versorgung mit Lebensmitteln in Gefahr. Die Staaten Lateinamerikas sowie Afrikas halten sich von der Sanktionspolitik ebenso fern wie die Türkei, beinahe alle Staaten Südostasiens und des Nahen und Mittleren Ostens sowie China. Die im Westen beliebte Aussage, Russland sei ‹in der Welt isoliert›, trifft nicht zu.»

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8874 vom 18.3.2022

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