Im Altenheim Beit Nour in der Altstadt von Damaskus verbringen alte Männer ihren Lebensabend. Fast alle sind allein. Ihre Kinder haben Syrien auf der Suche nach Arbeit verlassen. Andere wollen oder können sich nicht um ihre Väter kümmern.
Das neue Jahr beginnt mit Geschenken. Für die Männer des Beit Nour in der Altstadt von Damaskus kommen die Geschenke mit einer kleinen Delegation der Schwestern des Salesianer Ordens. Das Beit Nour, was so viel heisst wie Das Haus des Lichts, ist ein Altenwohnheim, das von Schwestern des Mutter Theresa Ordens geleitet wird. Die Ordensfrauen kommen aus aller Welt, um Armen und Schwachen in Syrien zu dienen. Vier Schwestern im Beit Nour werden von drei Helfern unterstützt, um die 26 Männer zu versorgen, die in dem Haus leben. Zwei Frauen bereiten in der hauseigenen Küche die Mahlzeiten zu. In Dweila, einem anderen Stadtteil von Damaskus, leiten die Schwestern ein weiteres Haus für alleinstehende ältere Frauen, das Beit Hubi, das Haus der Liebe. Sie stehen nicht gern im Licht der Öffentlichkeit. Fotos und Tonbandaufnahmen sind nicht gern gesehen. Auf den Einwand, dass die Öffentlichkeit doch erfahren solle, wie wichtig ihre Hilfe sei, entgegnet eine der Schwestern: «Unsere Arbeit ist für Gott, das reicht.»
Anders ist es, als die Schwestern des Salesianer Ordens im Januar das Beit Nour besuchen, um Geschenke zu überbringen. Die Delegation wird von Schwester Carol Tahan geleitet, die aus Aleppo stammt. Sie leitet das Italienische Krankenhaus, das 1913 von den Salesianern in Damaskus gegründet wurde. Vor dem Krieg war das Ospedale Italiano eine der angesehensten Kliniken in Damaskus. Doch seit 2011 haben viele Ärzte, Medizintechniker, Therapeuten und Pfleger das Land verlassen, der Klinikbetrieb kann fast nur noch mit Spenden aufrechterhalten werden.
Spendengelder, mit denen den Armen geholfen wird
Zu Weihnachten habe man dank dieser Spenden an die Mitarbeiter des Krankenhauses jeweils ein Weihnachtsgeld von 100 000 Syrischen Pfund verschenken können. «Die einen spenden für den Weiterbetrieb und medizinische Geräte, die das Krankenhaus braucht. Andere helfen, damit wir den Armen helfen.» Da gebe es «beispielsweise Bernhard» aus Deutschland, der mit seinem Verein in der Nähe von München seit Jahren Geld sammle und es an sie weiterleite. «In diesem Jahr konnten wir ein gebrauchtes CT-Röntgengerät kaufen, für Computerfotografien, die immer dringend gebraucht werden. Ausserdem konnten wir von den Spenden diese warmen Pullover an die Alten verteilen. Einen Teil des Geldes haben wir an ein Textilunternehmen gezahlt, das die Pullover nähte, die wir dann hier im Beit Nour und den anderen Heimen verschenken.» Die Arbeiter hätten pro Pullover mit 15 000 Syrischen Pfund, umgerechnet etwa 4,60 Euro, einen guten Lohn erhalten. «Weil sie viele Pullover nähen konnten, haben sie auch gut verdient», sagt Schwester Carol. «Die Spenden helfen also auf beiden Seiten, den Arbeitern und den Alten. Und wir danken für die Unterstützung.»
Das Beit Nour ist ein altes Damaszener Haus und liegt versteckt in einer der vielen schmalen Gassen der Altstadt. Der hohe Innenhof ist mit einem Dach geschlossen, so dass ein Saal entstanden ist, der den Männern als Aufenthaltsraum dient. Die Pflanzen, die sich an den Mauern emporranken, sind weihnachtlich geschmückt. «Merry Christmas», «Frohe Weihnachten» steht auf einer Girlande, in der rote Weihnachtssterne aus Pappe stecken. Die Buchstaben sind aus rotem und grünem Glanzpapier geschnitten und leuchten im Sonnenlicht, das durch die Fenster im obersten Stockwerk fällt.
Drei grosse Stapel warmer Pullover
Drei grosse Stapel mit warmen Pullovern haben die Salesianer Schwestern auf einen Tisch getürmt, der wie ein Gabentisch vor der Krippe aufgebaut ist. Etwa zwanzig Männer blicken erwartungsvoll auf Schwester Carol, die eine kurze Ansprache hält. Am Ende ihrer Neujahrsgrüsse schlägt einer der Männer auf seine Trommel. Sofort fallen die anderen Männer klatschend in den Rhythmus ein, aus einer hinteren Ecke des grossen Raums tritt langsam ein Mann hervor und bewegt sich tanzend im Rhythmus. Schwester Carol, die ebenfalls zur Trommel die Hände zusammenschlägt, schliesst sich dem Tanzenden an und gemeinsam drehen sich die beiden einige Schritte lang durch den Raum. Dann ruft Schwester Carol, dass es nun Zeit sei, die Geschenke zu verteilen, und die Männer kehren auf ihre Plätze zurück.
Die Salesianer Schwestern nehmen jeweils zwei oder drei Pullover in blau, grau, weiss und braun, zwischen denen die Männer wählen können. Die Pullover werden angehalten, um die Grösse zu prüfen, dann geht es weiter zum nächsten. Ganz zum Schluss erhält auch der Tänzer seinen Pullover. So gut er tanzen kann, so wenig kann er noch die Bewegungen seiner Arme koordinieren. Die Salesianer Schwestern helfen ihm bei der Anprobe, und schliesslich steht er im Kreis der Mitbewohner in seinem neuen Pullover und lächelt stolz. Beifall braust auf, doch das ist für den Mann dann doch zu viel Aufmerksamkeit. Rasch und ohne weiter in die Runde zu sehen, zieht er sich in ein abseits gelegenes Zimmer zurück und schliesst die Türe.
Die Einsamkeit ist das Schlimmste
Während die anderen Männer mit Unterstützung der Trommel weiter singen und tanzen, findet Schwester Carol Tahan Zeit für ein kurzes Gespräch. Einige der alten Männer seien bettlägerig und könnten nicht an der kleinen Feier teilnehmen, sagt die resolute Frau, die die graue Tracht einer leitenden Salesianer Schwester trägt. Sie hätten so viele Pullover mitgebracht, damit auch für diese welche ausgesucht werden könnten. Zudem sollten die Männer die Möglichkeit haben, ihre Pullover umzutauschen, falls sie zu klein oder zu gross ausgefallen seien. In den nächsten Tagen werde sie auch die Frauen im Beit Hubi in Dweila besuchen, um dort ebenfalls Geschenke zu übergeben. Ein weiteres Seniorenwohnheim sei das Beit Saadi, in das sie auch Pullover bringen werde. «Dort leben 170 ältere Männer», erklärt sie. Einige seien Diplomaten, Professoren, Ingenieure oder angesehene Ärzte gewesen. «In ihren Zimmern hängen Fotos aus ihrem Leben, von ihren Familien und Kindern.»
Die Einsamkeit sei für die Alten das Schlimmste, weil sie keine Familie mehr in Syrien hätten. Ehepartner seien verstorben, die Kinder irgendwo im Ausland. Von den meisten der Männer im Beit Nour kennt Schwester Carol die Geschichte. «Dort drüben auf der Bank sitzt Gabriel, er ist 75 Jahre. Er kam eines Tages zu uns in den Konvent, weil er seine Tochter verloren hatte, bei der er wohnte. Er wusste nicht mehr weiter. Wir haben ihm geholfen, ein kleines Geschäft aufzubauen. Wir kauften ihm einen Trolly, mit dem er in der Nähe der Schulen Bonbons, Kekse und Kleinigkeiten für Kinder verkaufen und einen bescheidenen Lebensunterhalt verdienen konnte. Doch als der Krieg begann, musste er mit der Arbeit aufhören und dann wurde er hier im Beit Nour aufgenommen.» Die religiöse Zugehörigkeit der Männer spiele keine Rolle, sagt sie. «Niemand wird danach gefragt, alle sind willkommen.»
«Elf schreckliche Jahre vergangen»
Am nächsten Tag ist im Beit Nour wieder der Alltag eingekehrt. Morgens und nachmittags sitzen die Männer jeweils zusammen, und es ist Zeit für ein Gespräch. Manche spielen Tawla (Backgammon), ein beliebtes Brettspiel, andere blättern in Büchern oder unterhalten sich.
Der Trommler vom Vortag sitzt neben Abu Majd, der sich zu einem Gespräch bereit erklärt. Er möchte nicht, dass sein Name in der Öffentlichkeit genannt wird. In seinem «früheren Leben» war Abu Majd Inhaber von einigen der besten Restaurants in der syrischen Hauptstadt. «Ich hatte ein Restaurant in Abu Rummaneh, das Sanabel in Al Qusour, das Vendome in Mezzeh, ich hatte ein China-Restaurant und ein weiteres in der Altstadt von Damaskus. Das Al-Waha-Restaurant war auf dem Weg nach Harasta, es wurde abgerissen, weil dort eine Strasse gebaut wurde. Ein Restaurant war auf Kartoffelspeisen spezialisiert. Die Stimme des 60jährigen wird immer leiser, er wirkt bedrückt.
Auf die Frage, wie er seine Restaurants verloren habe, antwortet er kaum hörbar auf diese «schwierige Frage». 2011 habe es Probleme mit verschiedenen Unternehmen gegeben. Er sei eine Verbindung mit einem grösseren Unternehmen eingegangen, doch das habe ihm alle Restaurants abgenommen. Danach habe er keine Arbeit gehabt, alles Geld habe er verloren, seine Frau habe ihn verlassen, und er sei krank geworden. Ein Priester habe ihm geholfen, im Beit Nour aufgenommen zu werden. Von seiner Familie werde er weder unterstützt noch besucht. Zwei Söhne seien in den Vereinigten Arabischen Emiraten und suchten Arbeit. Nur seine älteste Tochter habe ihn besucht, doch auch sie habe das Land verlassen.
Das Leben im Beit Nour sei gut, sagt Abu Majd. Er verbringe die Tage mit seinen «Freunden». Er lese viel, wenn er in seinem Zimmer sei, das er sich mit zwei anderen teile. Die Bücher im Beit Nour seien «ausschliesslich religiös», er lese auch seine eigenen Bücher über Geschichte, Politik und Romane. Sein ganzes Leben habe er in sehr guten Verhältnissen gelebt, sagt er. Doch «nun sind elf schreckliche Jahre vergangen, und ich glaube nicht an eine bessere Zukunft». Im Beit Nour habe er viel über die Religion gelernt und eine neue Familie gefunden: «Wir halten zusammen und helfen uns gegenseitig.»
Im Hintergrund erklingen religiöse Lieder, die Männer schieben ihre Stühle in einen Kreis, andere ziehen sich zurück in ihre Zimmer. Eine elegant gekleidete Damaszenerin ist gekommen und hat im Stuhlkreis Platz genommen. Sie liest aus einem schmalen Buch vor, hin und wieder antworten die Männer im Chor. Die Schwester des Mutter Theresa Ordens zeigt an, dass es (für die Besucherin) Zeit ist zu gehen. Auf dem Weg zum Ausgang ruft einer der Männer: «Alles Gute zum Neuen Jahr. Kommen Sie wieder!» Fast unmerklich nickt Abu Majd mit dem Kopf zum Abschied. •
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