«Es sind die Amerikaner und die Nato, die diesen Krieg ausgelöst haben»

Pierre de Gaulle, Enkel von Charles de Gaulle, über die intellektuelle Unehrlichkeit und Heuchelei Europas in der Ukraine-Krise und die Notwendigkeit guter Beziehungen zu Russland

Globalbridge. Irina Dubois, die verantwortliche Leiterin der Vereinigung «L’Association Dialogue Franco-Russe», hat kurz vor Weihnachten mit Pierre de Gaulle, dem Enkel von General de Gaulle, ein Interview gemacht. Das Thema des Interviews waren die internationalen Beziehungen zwischen Frankreich und der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Pierre de Gaulle hat keine Hemmungen, die Verlogenheit der USA und der Nato und der grossen europäischen Medien öffentlich an den Pranger zu stellen und auf die wirtschaftlichen Probleme in der EU hinzuweisen, zu denen die westlichen Sanktionen gegen Russland jetzt führen werden.

Irina Dubois: Guten Tag, Monsieur de Gaulle. Vielen Dank, dass Sie heute bei uns beim Französisch-Russischen Dialog sind. Sie beraten in den Bereichen Unternehmensstrategie und Finanzen, Sie haben 15 Jahre Erfahrung in der Leitung von Privatbanken, und es ist wahrscheinlich unnötig, an die grossen Taten Ihres Grossvaters General de Gaulle zu erinnern. Wir schreiben das Jahr 2022, und es ist ein beispielloses und sehr, sehr komplexes, schwieriges Jahr für die französisch-russischen Beziehungen. Es ist in gewisser Weise ein antirussisches Jahr, würde ich sagen, ganz zu schweigen von der Politik. Und doch gibt es seit September/Oktober immer mehr Persönlichkeiten, vorsichtig ausgedrückt, die sich für die Normalisierung unserer französisch-russischen Beziehungen aussprechen, und Sie gehören dazu. Warum glauben Sie, dass es für Frankreich so wichtig ist, sich nicht von Russland zu trennen?
Pierre de Gaulle: Guten Tag, Madame. Ich danke Ihnen für Ihren Empfang und dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, in diesem Kulturhaus zu sprechen, das all das feiert, was das französische und das russische Volk durch die Kultur miteinander verbindet.
    Natürlich denke ich, dass es für Frankreich äusserst wichtig ist, eine Beziehung der gegenseitigen Verständigung und Zusammenarbeit mit Russland aufrechtzuerhalten und zu fördern. Dies schon auf Grund der historischen Bande und der Schicksalsgemeinschaft, die uns verbindet, und auch weil die Aufrechterhaltung und Pflege einer guten Beziehung zu Russland die Garantie für Stabilität und Wohlstand in Europa und der Welt ist. Die Folgen der aktuellen Krise wirken sich leider auf Europa, die Welt und auch auf Frankreich aus. Alle leiden darunter, und das Gleichgewicht, das mein Grossvater immer zu bewahren versucht hat, selbst in den schwierigsten Zeiten der Geschichte und während des Kalten Krieges und des Zweiten Weltkriegs, wird stark beeinträchtigt. Da Russland eines der Länder war, die zusammen mit Frankreich auf der Seite der Sieger gegen die Nazi-Besatzer standen, war mein Grossvater stets bemüht, diese Beziehung zu Russland immer, immer zu bewahren.
    Ich denke, es liegt im Interesse Frankreichs, diese Politik fortzusetzen und dieses Gleichgewicht zu bewahren, weil es für die Stabilität Europas von entscheidender Bedeutung ist. Ich denke, die öffentliche Meinung beginnt, sich des perversen Spiels und der Lügen der Amerikaner und insbesondere der Nato bewusst zu werden, welche die Ukraine-Krise nutzen, um Europa zu destabilisieren. Das mit Russland verbündete Europa bildet einen sowohl politisch als auch wirtschaftlich, kulturell und sozial starken Block von etwa 500 Millionen Menschen. Die Amerikaner haben seit dem Vietnam-Krieg und seit den darauf folgenden Wirtschaftskrisen, die insbesondere mit der Aufgabe des Goldstandards für den Dollar zusammenhingen, immer versucht, durch Gewalt, durch List und durch ihre Politik diesen Verlust an Einfluss sowohl wirtschaftlich als auch politisch zu kompensieren, den Verlust an Einfluss des Dollars als einzige Handelswährung in der Welt wettzumachen. Und diese Politik geht weiter.
    Ich empöre mich und ich protestiere gegen diese intellektuelle Unehrlichkeit in der Ukraine-Krise, denn es sind die Amerikaner und die Nato, die den Krieg ausgelöst haben. Als Beweis möchte ich die jüngsten Äusserungen von Frau Merkel anführen, die sagte, sie habe nie die Absicht gehabt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen – die Minsker Abkommen, die ausgehandelt und unterzeichnet wurden, um die Sicherheit, Integrität und den Respekt vor der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass zu gewährleisten. Die Deutschen und die Franzosen haben sich für diese Abkommen für das Gleichgewicht, die Stabilität und den Schutz der Bevölkerung in dieser Region verbürgt.
    Frau Merkel, die sagte, sie habe nie die Absicht gehabt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, hat somit alles getan, um der Nato zu erlauben, die Ukraine zu bewaffnen, hat alles getan, um die Grundlagen für diesen Konflikt zu legen, und ich finde das schlimm, weil Millionen von Menschen darunter leiden.
    Indem sie diese ukrainische nationalistische Expansion zuliess, hat sie zugelassen, dass 16 000 bis 18 000 Menschen [im Donbass] bombardiert und getötet wurden. Sie hat zugelassen, dass diese nationalistischen ukrainischen Bevölkerungsgruppen die russische Kultur zunichtemachen, das Gefühl ihrer Zugehörigkeit zu Russland auslöschen. Sie hat ihnen die Möglichkeit genommen, die eigene Sprache zu sprechen, und sie hat leider zugelassen, dass sich diese Verbrechen etablieren. Das heisst, man hat wissentlich zu diesem Krieg beigetragen und man hat wissentlich zu dieser Eskalation beigetragen. Leider setzen die USA diese militärische Eskalation fort, unter der die ukrainische Bevölkerung als erste leidet, aber auch die übrige europäische Bevölkerung.
    Das Ausmass, die Anzahl und die Tiefe der Sanktionen zeigen, dass dies alles sehr lange im voraus organisiert wurde und dass es sich in Wirklichkeit auch um einen Wirtschaftskrieg handelt, von dem die Amerikaner profitieren. Die Amerikaner verkaufen ihr Gas vier- bis siebenmal teurer an die Europäer, als sie es für ihr eigenes Land tun, und leider leidet in Europa jetzt jeder in seinem Alltag darunter, denn all dies führt zu einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die absolut beispiellos ist. Nun ja, man wird diesen Leuten sagen: «Das ist die Schuld der Russen!» Die Russen sind schuld, sehr gut … Aber die Russen verteidigen sich, denn es wurden 11 000 Sanktionen gegen sie verhängt, plus ein neuntes Sanktionspaket, das gestern beschlossen wurde. Es ist völlig legitim und normal, dass die Russen sich verteidigen.
    Ich würde sagen: Wir befinden uns derzeit in einem Modell, in dem die grundlegenden Eigenschaften des Patriotismus, der Liebe zum Vaterland und der Verteidigung des Volkes als anormal angesehen werden. Ich denke, das ist sehr ernst, und ich bin froh, dass eine Reihe von Politikern, Intellektuellen, Wirtschaftsvertretern und Eliten zu Überlegungen des Gleichgewichts, zu einer gewissen Logik zurückkehren, darauf, was immer die Geschichte der Beziehungen zwischen Frankreich und Russ-land ausgemacht hat, nämlich dieses Gleichgewicht zu bewahren, die Verständigung zu bewahren, die Zusammenarbeit zu bewahren, den Dialog der Zivilisationen zu bewahren, und ich denke angesichts der bevorstehenden Weihnachtszeit an all das, was uns für die Zukunft und für unsere Schicksalsgemeinschaft vereint.
    Deshalb ist für mich diese Notwendigkeit, dieser Imperativ, zu Russland eine gute Beziehung zu bewahren, nicht nur vollkommen legitim, sondern eine Pflicht für Europa und die Stabilität in der Welt und in Europa.

Genau, da Sie von Stabilität sprechen, wir sprechen im Französisch-Russischen Dialog viel über Souveränität, über die Souveränität der Staaten. Die berühmte Formel von General de Gaulle «L’Europe des Nations» existiert nicht mehr. Wie kann man in der heutigen globalisierten Welt eine unabhängige internationale Beziehung aufbauen?
Was also Europa betrifft, so war mein Gross-vater Charles de Gaulle tatsächlich ein Befürworter eines Europas der Nationen, d. h., dass jedes Land im Hinblick auf eine Europäische Union sowohl wirtschaftlich als auch politisch mit den anderen zusammenarbeiten würde, aber selbstverständlich auch mit einer gewissen politischen Autonomie und Entscheidungsfreiheit.
    Wir befinden uns in einem System, in dem es um eine Technokratie geht, die Richtlinien auferlegt, die in jedem Mitgliedsstaat umgesetzt werden müssen, eine Technokratie, die leider extrem korrupt ist. Man spricht jetzt nicht mehr darüber, aber damals, als die Präsidentin der Europäischen Kommission ernannt wurde, hinterliess sie immerhin einen Schuldenberg von etwa 100 Millionen Euro an unerklärten Kosten für die Beschäftigung von externen Beratern und Beratungsfirmen aus der Zeit, als sie Deutschlands Verteidigungsministerin war.
    Diese Dinge werden verschwiegen. Es wurde auch viel über die Verbindungen der Präsidentin der Europäischen Kommission mit der Pharmaindustrie gesprochen. Ich möchte daran erinnern, dass ihr Sohn für ein amerikanisches Biotechnologieunternehmen arbeitet und dass kürzlich, was die Verbindungen zwischen Frau von der Leyen und dem Vorstandsvorsitzenden von Pfizer betrifft, der Vorstandsvorsitzende von Pfizer zweimal aufgefordert wurde, als Zeuge vor der Europäischen Kommission auszusagen. Zweimal hat er sich geweigert.
    Ich würde mir wünschen, dass es auf der Ebene der Europäischen Kommission, die bestimmte Gesetze erlässt, etwas mehr Ehrlichkeit und Transparenz gäbe. Sie, die nicht gewählt sind, haben keinen Respekt vor dem gegebenen Wort. Darin liegt leider das Übel. Die heutigen europäischen Führer! Ich würde mir wünschen, dass es da etwas mehr Transparenz gibt.
    Vor kurzem haben wir in der Katar-Affäre Geldkoffer gesehen, die sich seltsamerweise in der Wohnung einer der Präsidentinnen des Europäischen Parlaments befanden.
    Zu einem Zeitpunkt also, an dem wir uns in einer grossen Krise befinden, einer politischen Krise, einer Wirtschaftskrise, die wiederum von den Amerikanern und der Nato perfekt gewollt und gezielt inszeniert wird, wünsche ich mir erneut mehr Transparenz und Ehrlichkeit im Dialog und vor allem die Einhaltung des gegebenen Wortes. Noch einmal: Wenn Deutschland, Frankreich und die OSZE, die sich für das Minsker Abkommen verbürgt haben, zu ihrem Wort gestanden hätten, wären wir nicht in der gegenwärtigen Situation.
  

Der General [de Gaulle] wollte immer, und Sie haben es gerade auch gesagt, die Beziehung zu Russland zu jeder Zeit weiterführen. Und in seinen Kriegserinnerungen – gerade gestern vor unserem heutigen Treffen las ich die Auszüge seiner Reise nach Russland, 1944, als er Stalin traf – [schrieb er], und ich erlaube mir zu zitieren:
    «Ich stellte fest, wie sehr die Tatsache, dass Russland und Frankreich sich voneinander getrennt hatten, die Entfesselung der deutschen Ambitionen beeinflusst hatte. Angesichts der deutschen Gefahr lag das gemeinsame Vorgehen Russlands und Frankreichs in der Natur der Sache.»

    Der General betrachtete die französisch-russische Beziehung als natürlich, was er in verschiedenen Auszügen aus seinen Memoiren mehrfach aufgreift und wiederholt.

Ich möchte Sie fragen: Glauben Sie, dass der Gaullismus in Frankreich heute noch lebendig ist? Wer sind diese Politiker Ihrer Meinung nach – falls Sie sie benennen wollen? Oder wo sehen Sie so etwas wie ein Erbe des Generals?
Hören Sie, ich werde nicht für einen bestimmten Politiker in Frankreich Partei ergreifen, ausser dass ich gegen die Politik bin, die derzeit vom Präsidenten der Republik und seiner Regierung praktiziert wird, insbesondere was die Beziehungen zu Russ-land betrifft. Ich denke, wie ich schon oft in Interviews gesagt habe, dass man mit Ländern, die so stark, so selbständig und so wichtig sind wie Russland, China oder auch Algerien, kein «zur gleichen Zeit» machen kann.1 Das hiesse, die russische Kultur nicht zu verstehen und die russische Mentalität nicht zu begreifen. Es hiesse auch, die gesamte Geschichte, die gesamte Vergangenheit und die gesamte Nähe der Beziehungen, die man mit Russland hatte, nicht zu respektieren.
    Was den Gaullismus betrifft, so ist er ein Erbe, ein Beispiel, die Fähigkeit, vor allen Dingen die Grösse Frankreichs, der Nation und des Landes zu fördern, was normale und grundlegende Werte sind, die heute leider verpönt sind.
    Ihr Präsident [Putin] hatte gerade eine Sendung lanciert, ich glaube, sie hiess Grundwerte oder Grundrealitäten für die russische Jugend, in der das Vaterland, das Hissen der Flagge und die patriotischen Werte und die Liebe zur Nation geehrt wurden. Das ist doch völlig normal. Auch ich bin in so einem Umfeld aufgewachsen.
    In vielen Ländern wie Algerien, wie China, wie Grossbritannien, oder auch den USA, feiert man das Hissen der Farben, der Flagge und die Liebe zum Vaterland. Das ist völlig normal und wird nun von einem System, das dazu neigt, die wesentlichen Werte wie Familie, Tradition und Religion zu demontieren, zur Abnormalität erhoben. Glücklicherweise hält in Ihrem Land Präsident Putin diese Werte aufrecht, und ich würde mir wünschen, dass es in Frankreich einen politischen Führer gäbe, der diese Werte und die Grösse Frankreichs ebenfalls fördert.
    Das Erbe von General de Gaulle ist in der Tat eine bestimmte Vorstellung von Frankreich. Ein Frankreich, das auf der internationalen Bühne präsent ist, aber auch ein Frankreich, das sich die Mittel für seine Politik selber verschafft. Es ist auch das Erbe eines charismatischen Führers mit einer Vision, einer echten Strategie und einer republikanischen Legitimität.
    Ich denke, eine unabhängige internationale Beziehung zu entwickeln bedeutet natürlich, die Mittel für diese Politik zu haben, aber auch diese ganze Perspektive der Vorausschau auf Entscheidungen zu haben, eine klare Strategie zu haben, eine klare Vision zu haben, offene Botschaften, präzise Botschaften, eine echte Strategie für die Franzosen und für das Volk zu haben, denn das ist es, was diese Führer repräsentieren, da sie im Dienst des Volkes stehen. Sie stehen im Dienst der Nation, sie stehen im Dienst des Vaterlandes, und sie müssen in allem die Werte ihres Landes fördern und tragen.
    Leider sehe ich keine aufstrebenden Persönlichkeiten in Frankreich, die diese Fackel übernehmen, aber mein Grossvater hat sein ganzes Leben lang für die Grösse Frankreichs gearbeitet, er hat auch ein Erbe hinterlassen, und dieses Erbe liegt in den Händen der Franzosen. Es wurde von der Geschichte geschrieben, und es liegt an jedem Einzelnen von uns, dieses Werk fortzusetzen und die Fackel zu übernehmen.

Die Gesellschaft in Frankreich ist in bezug auf den Konflikt in der Ukraine gespalten: in Gruppen von Menschen, die denken, dass es egal ist, was Russland tut, aber sie sind dagegen, weil sie Russland für eine Diktatur halten, ein Land, das nichts mit den demokratischen Werten Europas zu tun hat. Es gibt eine andere Gruppe, die denkt, dass die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs schliesslich nicht in der Ukraine liegen und nichts mit diesem Konflikt zu tun haben. Und dann gibt es diejenigen, die, glaube ich, dem Konflikt gegenüber einfach gleichgültig sind. Und es gibt eine weitere Gruppe von Menschen, die wirklich glauben, dass es sich um einen Kampf der Zivilisationen handelt, etwas, das über den Krieg in der Ukraine hinausgeht. Sie (Monsieur de Gaulle) haben das ganz am Anfang erwähnt. Könnten Sie diesen Aspekt ein wenig weiter ausführen?
    
Nun, dieser Konflikt hat Auswirkungen auf die Welt und auf Europa. Er wurde durch den Willen der Amerikaner und der Nato ausgelöst und er wird von der Europäischen Kommission weitgehend aufrechterhalten. Eine grundlegende und grosse Krise, die das tägliche Leben aller Menschen betrifft.
    Ja, ich habe Aussagen von kleinen Handwerkern erhalten, kleinen Geschäftsleuten, von Menschen, die unter dieser Situation leiden, zum Beispiel von Bäckern. Etwa 50 Prozent von ihnen sind, sowohl in Frankreich als auch in Belgien und im übrigen Europa, bereits bankrott, weil ihre Stromrechnung von 1500 Euro pro Monat auf 5000 Euro gestiegen ist, was die Fortsetzung ihrer Tätigkeit völlig unmöglich macht und Hunderttausende Menschen in Europa in die Arbeitslosigkeit und in die Krise stürzen wird.
    Diese Krise ist ernst, weil die Auswirkungen viel weiter reichen, was leider von Journalisten und von der intellektuellen Gemeinschaft verschwiegen wird, die die Menschen in prorussisch oder proamerikanisch oder pro-Putin einteilen oder was weiss ich für eine Diktatur, um jede Debatte und jeden Dialog zu vermeiden. Man muss wissen, dass weniger als 50 Prozent der Hilfe, oder genauer gesagt der Subventionen, die jetzt den Ukrainern gewährt werden, bei den Ukrainern wirklich ankommen. Man muss wissen, dass 50 Prozent der Waffen, die den Ukrainern gegeben werden, auf den internationalen Märkten weiterverkauft werden, um Terroristen zu versorgen, um politische Krisen, Konflikte und Revolutionen zu alimentieren. Vor kurzem hat die ukrainische Regierung einen fast 1000 Seiten umfassenden Katalog mit Waffen veröffentlicht, die nach Südamerika, Afrika und in die arabischen Länder verkauft werden sollen und die den Terrorismus auf der ganzen Welt anheizen werden. Es handelt sich dabei um schwere und leichte Waffen.
    Die Ukraine ist leider eines der korruptesten Länder der Welt. Ich kritisiere keinesfalls die Ukrainer, sondern das Regime, das 2014 von den Amerikanern mit diesem berühmt-berüchtigten Staatsstreich eingesetzt wurde, bei dem Victoria Nuland, die ukrainischer Abstammung ist, ebenso wie dieser Biden, sich mit den Worten «Fuck the EU!» äusserte. Verzeihen Sie mir, ich zitiere sie, ich zitiere sie wörtlich, das heisst, dass sie unter Missachtung jeglicher Rücksichtnahme, selbst auf die Ukrainer, eine Diktatur errichtet hat.
    Ich protestiere dagegen und bin empört, dass in Frankreich und Europa ein Bataillon mit dem Namen Asow verherrlicht wird, das die gleichen Embleme wie die [SS-]Division «Das Reich» verwendet!
    Meine Eltern haben gegen den Nationalsozialismus gekämpft, meine Grosseltern wurden sogar aus Gründen des Widerstands deportiert, und für mich ist es absolut skandalös, dass man heute Leute fördert, die im Donbass Massaker, Mord und Diskriminierung an der Bevölkerung verübt haben.
    Bereits 2019 gab es Aussagen des engsten Beraters des späteren Präsidenten Selenski, Arestowitsch – er sagte das in einem Interview im Februar 2019 –, dass man unbedingt einen Krieg gegen Russland führen müsse, dass er ihn wolle und dass sie auf jeden Fall Subventionen, Waffen, Unterstützung aus Europa und der Europäischen Union, Unterstützung von der Nato erhalten würden und dass die Ukraine nicht verlieren könne.
    Die Amerikaner haben die ukrainische Bevölkerung und die ukrainische Regierung übrigens völlig getäuscht, was den meiner Meinung nach völlig unrealistischen Sieg der Ukraine in diesem Krieg betrifft, denn der grosse Verlierer dieses Krieges ist ohnehin die ukrainische Bevölkerung selbst und als Folgewirkung auch Europa mit der ganzen Krise, in die es sich durch den Willen der Politiker hineinmanövriert hat.

Das ist eigentlich sehr, sehr traurig, es ist das Leiden Europas, es ist das Leiden des Volkes …
Es ist traurig, aber ich glaube an dieses Wiederaufleben, an diese Rückkehr zu den Realitäten, deshalb ist es für mich sehr wichtig, all diese Lügen und die ganze Logik, die zu diesem Konflikt geführt haben, zu entlarven.
    Aber in diesem Konflikt versucht man uns glauben zu machen, dass Russland isoliert ist.
    Das ist völlig falsch, zunächst weil es Menschen gibt, die sich der Herausforderungen und Realitäten sowohl in Frankreich als auch in Europa und der Welt bewusst sind, und diese Menschen haben die Aufgabe, die grundlegenden Wahrheiten wiederherzustellen, die Lügen aufzudecken und die Logik, die zu diesem Krieg geführt hat, anzuprangern.
    Und dann ich glaube auch an die Erneuerung, ich glaube auch an den Wiederaufbau, der ganz einfach folgen wird, weil ich glaube – und ich komme auf das zurück, was Sie über meinen Gross-vater gesagt haben –: Man kann nicht ohne Russland auskommen, man kann nicht ohne diesen Kontinent an sich auskommen. Es ist nicht ganz ein Kontinent, aber es ist auf jeden Fall das grösste Land der Welt, das auf Grund seiner Geographie, Kultur und Geschichte ein absolut beträchtliches wirtschaftliches, politisches, industrielles, geo-politisches und kulturelles Potential darstellt.
    Russland profitiert in dieser Krise meiner Meinung nach zu Recht von einer Neuausrichtung der politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessenzentren nach Osten und wird einer der Schiedsrichter dessen sein, was man Eurasien nennt, d. h. ein phantastischer Kontinent, der sowohl Europa als auch Asien vereint und auf dem neue Entscheidungszentren entstehen werden.
    Leider wird Europa diese Chance verpassen, die absolut phantastisch ist, wenn man berücksichtigt, dass Eurasien ein Kontinent ist, der sich selbst genügt.
    Ich möchte auch die Scheinheiligkeit des Sanktionsregimes anprangern, da wir weiterhin russisches Öl kaufen, ohne das wir natürlich nicht auskommen können. Wir kaufen weiterhin russisches Gas, wir kaufen weiterhin Industriemetalle. 60 Prozent der Industriemetalle auf den Weltmärkten werden, würde ich sagen, von Russland dominiert.
    Wir kaufen weiterhin Uran. Auch die Amerikaner. Man kauft und liefert weiterhin Magnete für die neue Generation von Kernreaktoren, und glücklicherweise setzen wir das fort, was uns vereint, nämlich die Kunst, das gemeinsame historische Schicksal und all das, was die wissenschaftliche Gemeinschaft ausmacht, was den Austausch der intellektuellen Gemeinschaft ausmacht.
    Die internationale Raumstation wird dank dieser Zusammenarbeit, die über diesen Konflikt hinausgeht, fortgesetzt, und das ist es, was uns eint und was wir unbedingt fortsetzen müssen.

 

Es gibt eben noch Dinge, die uns verbinden, und das ist insbesondere die Kultur am Vorabend der Weihnachtsfeierlichkeiten. Die Franzosen werden Weihnachten ein wenig früher feiern, nämlich vor dem russisch-orthodoxen Weihnachtsfest, das am 7. Januar gefeiert wird, und gerade im Französisch-Russischen Dialog, da wir an unsere sehr starken historischen und kulturellen Bindungen glauben, organisieren wir am 22. Dezember ein Weihnachtskonzert. Ist es aber nur die Kultur, die uns in diesem Moment bleibt, die uns vereint?
Es gibt noch viele andere Dinge, die uns vereinen. Ich habe es Ihnen gesagt, und mein Grossvater hat das betont: dass Frankreich und Russland beide Töchter Europas sind, gemeinsame Ursprünge haben und durch eine Schicksals- und Interessengemeinschaft verbunden sind.
    Das geht weit über die Kultur hinaus. Davon abgesehen sind Kultur und wirtschaftlicher Austausch das, was Nationen einander näher bringt, was uns vereint und was jenseits von Konflikten und Interessenunterschieden bestehen bleibt.
    Was ich auch sagen möchte, ist, dass in dieser gemeinsamen Geschichte Frieden gemacht werden muss. Frieden muss gemacht werden, Frieden ist unumgänglich.
    Der Frieden folgt auf jeden Konflikt. Es ist der Frieden, der die Menschen verbindet.
    Dieser Frieden erfordert notwendigerweise eine Wiederherstellung des Dialogs, dann eine Verständigung und dann eine wirtschaftliche Zusammenarbeit.
    Das ist es, was die Kontinuität selbst zur Zeit des Kalten Krieges wiederhergestellt hat, ich würde sagen, was die Kontinuität zwischen den Völkern ausmacht, und ich möchte eine Botschaft der Hoffnung und der Einheit vermitteln, weil ich an diese Kultur- und Schicksalsgemeinschaft glaube.
    Ich glaube, was uns vereint, die Beziehungen zwischen Frankreich und Russland sind extrem alt, und alle sprechen derzeit vom Frieden.
    Ich war einer der ersten, der die Lügen, die Ungerechtigkeit und die Enteignung Ihres Volkes angeprangert hat, was ich für absolut skandalös halte, denn man kann nicht eine Nation bestrafen, man kann nicht ein Volk aus Gründen einer Krise bestrafen, wohl wissend, dass dies nicht nur gegen die Grundfreiheiten verstösst, sondern auch gegen das Völkerrecht und eine sehr grosse Ungerechtigkeit ist.
    Ich glaube, dass kein anderes Volk seit den Judenverfolgungen während des Zweiten Weltkrieges so viele Enteignungen erlitten hat wie jetzt das russische Volk.
    Für mich ist das schockierend, es ist eine grosse Ungerechtigkeit. Ich denke, dass man über die aktuellen Krisen hinaus das Gleichgewicht der Völker, das Gleichgewicht der Nationen, das Gleichgewicht der Welt und das Gleichgewicht Europas sehen muss.
    Natürlich ist die Kultur einer der bevorzugten und universellen Wege, um unsere beiden Völker einander näherzubringen.
    Ich denke, was uns vereint, ist auch unsere gemeinsame Geschichte, und was uns vereint, ist der Rest, wie soll ich es Ihnen sagen, die Liebe, die immense Wertschätzung, die ich und meine Familie für den Reichtum der russischen Kultur und der russischen Welt aufbringen.
    Vor kurzem sagte ein Nobelpreisträger für Physik folgendes:
    «Man will die russische Kultur zerstören, aber wie kann man ein Land zerstören, das für mehr als die Hälfte der grundlegenden Entdeckungen in Chemie, Physik und Mathematik verantwortlich ist?»
    Sie [Madame Dubois, also Russland] sind ein grosses Land, Sie sind ein Land mit einer phantastischen Geschichte, und leider zielt das von den Amerikanern inspirierte neoliberale Modell darauf ab, etwas viel Grundlegenderes zu zerstören, als nur ein wirtschaftliches und politisches Gleichgewicht zu verwalten. Es zielt auch darauf ab, eine ganze Kultur zu zerstören, und wie ich Ihnen gesagt habe, untergräbt man die Fundamente, man untergräbt das Bewusstsein eines Volkes, weil man die beiden Säulen der Zivilisation, die Religion und den Glauben, zerstören will, um sie durch eine Kultur der Kurzfristigkeit, der persönlichen Befriedigung zu ersetzen.
    Man greift die Grundlagen an, und ich habe gerade gesehen, man greift sogar die Grundlagen der Bildung an, und ich denke, das ist eine ernste Sache, und man muss seine Bollwerke bewahren. Das ist es, was uns traditionell seit langem mit der russischen Kultur verbindet.
    Es ist diese Vorstellung, wie soll ich sagen, ein klein wenig irrational, ein klein wenig verrückt, die Dostojewski sehr gut beschrieben hat, und es ist das, was den Glauben ausmacht. Tatsächlich ist der Glaube eine der Säulen, eine der Säulen Russlands, und ich glaube, Dostojewski hat ihn zitiert:
    «Niemand kann dem Russen seinen Glauben entreissen, ausser er selbst.»
    Das ist es, was Ihre Stärke und Ihren Zusammenhalt ausmacht, das ist es, was auch die Stärke der Franzosen ausmacht, das ist es, was die Stärke jeder Nation jedes europäischen Landes ausmacht, genauso wie die Begriffe Patriotismus, Liebe zur Nation, Familie und Religion, die leider Werte sind, die man heute tendentiell zerstören möchte, um die Fähigkeit der Völker und Individuen, sich zu emanzipieren, besser reduzieren zu können, weil das zu einem Verlust der Orientierung führt. Es wird darauf abgezielt, die Integrität der Völker und der Individuen zu zerstören, um sie besser manipulieren zu können. 

Vielen Dank für diese hoffnungsvolle Botschaft. Wir werden unsere Aktionen in den kommenden Jahren – ich betone: in den kommenden Jahren – fortsetzen, weil wir diese starken, strategischen und herzlichen Beziehungen zwischen Russland und Frankreich, brauchen werden und weil der Dialog nie aufhören darf. Ich danke Ihnen vielmals.
Sie sollten auf jeden Fall wissen, dass Sie nicht allein sind, dass es viele Menschen in der Welt gibt, noch einmal, zwei Drittel der Weltbevölkerung, in Frankreich und in Europa, die mit Ihnen sind und die diese Arbeit mit Ihnen fortsetzen werden, und Sie können auf meine Unterstützung und meine Zusammenarbeit zählen, um diesen Wiederaufbau in Hoffnung und Erneuerung fortzusetzen. Vielen Dank, Madame.



Mit dem Begriff «en même temps» spielt Pierre de Gaulle auf eine kritische Auseinandersetzung mit der häufigen Verwendung dieses Ausdrucks durch Emmanuel Macron an. Sie thematisiert die verführerische Komponente dieses Begriffes: Man stelle sich so dar, als ob man eine wahre Mitte vertrete, die Komplexität der Probleme berücksichtige, in Wirklichkeit aber unvereinbare politische Aspekte nebeneinander erwähne, um letztlich nur den einen wirklich zu verfolgen. Man spreche beispielsweise vom Bewahren der Autorität des Staates und lagere dessen Aufgaben «gleichzeitig, zur gleichen Zeit», «en même temps», aus, indem man sie der Finanzspekulation überlässt. Man beschwöre die Heiligkeit des Sozialen, um gleichzeitig (und in Wirklichkeit) die technokratisch-ökonomische Bevormundung der Völker zu installieren usw. Im Prinzip spricht de Gaulle auch hier die Thematik der Unredlichkeit bzw. der Notwendigkeit eines ehrlichen Umgangs mit andern Ländern an. (Anmerkung der Redaktion)

Quelle https://www.agoravox.fr/tribune-libre/article/nouvelle-intervention-de-pierre-de-245717  vom 27.12.2022.
Das Interview wurde am 16. Dezember 2022 geführt.

(Übersetzung https://globalbridge.ch/pierre-de-gaulle-enkel-von-charles-de-gaulle-spricht-klartext-ueber-die-usa-die-nato-und-die-europaeischen-medien/  vom 1.1.2023/Zeit-Fragen)

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