Was wir Schweizer unter Freiheit und Demokratie verstehen

Ueli Maurer verabschiedet sich als Bundesrat

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Am 7. Dezember 2022 ist Ueli Maurer nach 13 Jahren als Bundesrat zurückgetreten. Ein Schweizer, der aus dem «gewöhnlichen Volk» kam und auch in seinem «hohen» Amt bescheiden blieb – ein Diener des Volkes eben. Seit den Anfängen seiner politischen Teilhabe hielt Ueli Maurer an der grösstmöglichen Unabhängigkeit der Schweiz und der Entscheidungshoheit des Schweizer Souveräns, des Volkes, fest. Auch als Nationalrat und Bundesrat liess er sich nicht vom Schweizer Weg abbringen, es lag ihm fern, nach EU- und Nato-Würden zu schielen.

Kein «Studierter» –
Überschätzte haben wir genug

Zugegeben, auch in der Schweiz haben die meisten Bundesräte einen Universitätsabschluss im Sack, aber die Vereinigte Bundesversammlung (National- und Ständerat) wählt doch immer wieder einmal einen «nicht Studierten» in die eidgenössische Exekutive. Legendär ist Willi Ritschard (SP), Bundesrat von 1974–1983, von Beruf Heizungsmonteur, oder – in der Zeit der Aktivdienstgeneration – der Landwirt Ruedi Minger (BGB, heute SVP), Chef des Eidgenössischen Militärdepartements von 1930–1940.
    Auch Ueli Maurer ist kein Akademiker. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und erwarb das eidgenössische Buchhalterdiplom. Beruflich war er ab 1974 zwanzig Jahre lang Geschäftsführer der landwirtschaftlichen Genossenschaft Hinwil-Bauma (ZH), wo er aufgewachsen war, und ab 1994 Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbands. Er brachte also ideale Grundlagen für sein letztes Amt als Chef des Finanzdepartements in Bundesbern mit. Ueli Maurer ist verheiratet und Vater von sechs Kindern. Wie es in der Schweiz früher die Regel und auch heute sinnvollerweise noch häufig ist, hat Ueli Maurer als Politiker (der SVP) alle drei Staatsebenen der föderalistischen Schweiz durchlaufen: Zuerst wurde er in Hinwil in den Gemeinderat (Exekutive) gewählt, dann in den Kantonsrat (Parlament), und von 1991–2008 sass er im Nationalrat.1
    2008 wurde Ueli Maurer in den Bundesrat gewählt, wo er zunächst für sechs Jahre das VBS (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport) leitete. Als Angehöriger der Schweizer Milizarmee kannte er sich in der Landesverteidigung aus: Ueli Maurer war Major und versuchte, gegen den Widerstand mancher Nato-Turbos im VBS, an einer starken Schweizer Armee festzuhalten – ein schwieriges Unterfangen. Als Bundespräsident besuchte er 2019 sowohl Donald Trumpals auch Wladimir Putin und Xi Jinping, als Leiter des Finanzdepartements ab 2016 auch zahlreiche andere Staatschefs und Minister dieser Welt. Ueli Maurer war als SVP-Bundesrat entgegen bösen Zungen nicht für die «Abschottung» unseres Landes, zeigte aber in seinen ersten Jahren als nicht Nato-affiner Verteidigungsminister wenig Motivation, in die Machtzentren der Grossmächte zu drängeln.
    «Ueli wurde in Bundesbern lange unterschätzt, mangels Universitätsabschluss und Sprachkenntnissen. […] Jetzt, am Schluss, müssen sie zugeben, dass sie falschlagen. Seine Genugtuung ist, dass sie ihn nicht überschätzt haben. Von denen haben wir genug. Er hat es allen gezeigt. Er war einer der Besten. Es gebührt ihm der Dank des Landes, dass er diese ‹Fussnote der Geschichte› mit Bravour bestanden hat.»2 

Die Schweiz in der Welt: «Die Neutralität ist das Gütesiegel der Schweiz»

In einem Zeitungsinterview zum Jahreswechsel hält der scheidende Bundesrat Ueli Maurer wesentliche Grundsätze für den Platz der Schweiz in der Welt fest: Wir sollten nicht nur auf die Europäische Union fixiert sein, «sondern die ganze Welt im Blick haben». Die EU gehöre natürlich auch dazu. «Aber die Schweiz hat es vor allem deshalb zu Wohlstand gebracht, weil sie immer schon mit der ganzen Welt Handel getrieben hat.»3 Zur Beziehung Schweiz-EU kurz und klar: «Es gibt Themen, wo man nicht nachgeben darf, bei der EU-Frage zum Beispiel.»
    Mit besonderem Nachdruck erinnert Ueli Maurer an die grosse Bedeutung der Neutralität als unabdingbarer Teil des Schweizer Modells. Auf die Frage der Journalisten, wie man im Ausland auf die Schweiz schaue, antwortet er: «Mit grossem Respekt. Unser grösstes Kapital ist die Neutralität. Das schätzen wir hier innenpolitisch völlig falsch ein. […] Wir können weltweit mit allen Handel treiben, weil man in uns einen zuverlässigen Partner ohne politische Machtansprüche sieht. Deshalb wären wir auch gut geeignet, um in bewaffneten Konflikten eine glaubwürdige Vermittlerrolle einzunehmen. Die Neutralität ist das Gütesiegel der Schweiz.»



1 Historisches Lexikon der Schweiz HLS
2 Blocher, Christoph. «Ueli gebührt Lob». In: Die Weltwoche vom 23.12.2022
3 Neuhaus, Christina/Biner, David. «Zwischendurch muss man es halt mal krachen lassen». Interview mit Bundesrat Ueli Maurer. In: Neue Zürcher Zeitung vom 31.12.2022

Abschiedsrede von Bundesrat Ueli Maurer am 7. Dezember 2022

«Herr Präsident [des Nationalrates], geschätzte Damen und Herren. Manchmal tönt das fast wie eine Abdankung! (Heiterkeit) Aber es ist ja noch nicht so weit, obwohl ich mich auf die Zeit danach jetzt wirklich riesig freue. Trotzdem möchte ich sozusagen einen Boxenstopp einschalten, weil der heutige Tag für die Schweiz wichtig ist. Nicht weil wir zwei neue Bundesräte wählen oder zwei bisherige abtreten, sondern weil die Schweiz heute, in der 174jährigen Geschichte der Bundesverfassung, die Bundesräte Nummer 120 und Nummer 121 wählt.
    Wenn wir uns vergegenwärtigen, was in diesen 174 Jahren rund um uns herum passiert ist – Kriege, Reiche, Länder, die entstanden und wieder verschwunden sind, Hunderte von Regierungen, die ausgewechselt wurden – und wir, wir wählen in freudiger Erregtheit die Nummer 120 und Nummer 121. Das spricht für die Schweiz, für unser System. Und daher, glaube ich, ist es wirklich ein wichtiger Tag für die Schweiz: dass wir uns, wie gesagt, daran erinnern, wie einzigartig wir sind.
    Ich frage mich natürlich: Weshalb ist die Schweiz ein solcher Spezialfall? Für mich finde ich die Antwort in der Bundesverfassung, im Zweckartikel, dem Artikel 2 Absatz 1, der sagt: ‹Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes […]›. Ich glaube, in diesem Begriff der Freiheit liegt wohl das Geheimnis unseres Staates. Ohne Freiheit keine Demokratie, und ohne Demokratie, ohne die Mitwirkung aller Stufen des Volkes, ist diese Stabilität nicht zu erreichen. Dieser Freiheit müssen wir Sorge tragen. Sie begleitet uns ja auch in der Mythologie unserer Geschichte, hier in diesem Saal. Hinter mir die Rütliwiese, Gertrud Stauffacher, Wilhelm Tell – alles Symbole, die wir mit unserer Freiheit, mit unserem Staat verbinden. Und diese Freiheit ist enorm, ist enorm wichtig.
    Ich glaube auch, dass wir dieser Freiheit immer Sorge tragen müssen. Sie war immer ein bisschen gefährdet, sie ist gefährdet und wird wohl auch in Zukunft immer wieder gefährdet sein. Ich meine die Freiheit des Landes, ich meine aber auch die Redefreiheit, die Meinungsfreiheit – das alles sind Güter, die zur Stabilität in unserer Demokratie beitragen. Dem müssen wir Sorge tragen. Die Freiheit finden Sie übrigens auch beim Geld, sozusagen bei meinem Hobby. Ein gesunder Finanzhaushalt bedeutet ebenfalls Freiheit – Freiheit für Sie, zu entscheiden, was Sie können und wollen. Mir ist ja der Ruf des Sparonkels oder des Rappenspalters etwas nachgegangen. Ich bin stolz darauf! Wissen Sie, es gibt nichts Einfacheres, als fremdes Geld auszugeben. Ich habe dieses Geld immer genau angeschaut. Wenn Sie beispielsweise einmal das Fünfrappen-, das Zehnrappen- oder das Zwanzigrappenstück betrachten, dann sehen Sie dort nicht etwa das Bildnis der Helvetia, sondern das der römischen Göttin der Freiheit, Libertas. Es steht auch auf ihrem Diadem: ‹Libertas›, Freiheit. Also bin ich täglich in meinem Job mit der Freiheit verbunden gewesen. Nebenbei schadet es ja auch nicht, wenn wir das Bargeld behalten. Sie haben dann immer etwas Freiheit im Sack. (Heiterkeit)
    Ich glaube wirklich: 174 Jahre, die Nummern 121 und 120 – das sagt sehr viel über unser Staatswesen aus. Es ist dann halt so: Bundesräte sind nicht die Hauptpersonen, sondern sie sind sozusagen die Fussnoten unserer Geschichte. Ich wäre, wenn man einmal etwas über mich schreibt, die Fussnote Nr. 111. So ist unser System.
    Et voilà, maintenant, Mesdames et Messieurs, je vous remercie pour cette excellente collaboration. C'était toujours un très grand plaisir et un honneur de collaborer avec vous, de travailler avec vous; toutes ces discussions, ces émotions dans cette salle, cela va me rester. Et maintenant, Mesdames et Messieurs, chers amis, je m'annonce partant, merci.»
    (Ovations debout; le président remet un bouquet de fleurs à Monsieur le conseiller fédéral Maurer.)
    [«Und nun, meine Damen und Herren, bedanke ich mich für die hervorragende Zusammenarbeit. Es war immer eine grosse Freude und eine Ehre, mit Ihnen zusammenzuarbeiten; all die Diskussionen, die Emotionen in diesem Saal, das wird mir bleiben. Und jetzt, meine Damen und Herren, liebe Freunde, melde ich mich ab, danke.»
    (Stehende Ovationen; der Nationalratspräsident übergibt Herrn Bundesrat Maurer einen Blumenstrauss. Bundesrat Maurer bedankt sich mit einem «Juchzer».)] •

Quelle: https://par-pcache.simplex.tv/content/simvid_1.mp4?externalid=311415  vom 7.12.2022»

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