«Yes, we can» war auf der Blache eines Lastwagens mit einem Schweizer Autokennzeichen zu lesen, der auf der Autobahn vor mir herfuhr. Hoffentlich, dachte ich, schliess-lich war es eine Logistikfirma, die sich offenbar durch «logische» Werbesprüche auszeichnen wollte. Aber warum eigentlich auf Englisch (und zudem mit Obamas Wahlversprechen), führte doch ihr Weg durch die Schweiz? Nun ja, es war ja ein Werbespruch, und ich war mir sicher, dass ich mich in ihrem Fall darauf verlassen konnte, dass es keine billige Lüge war und die Firma ihre Aufgabe verantwortungsbewusst wahrnehmen würde.
Bald fiel mir ein anderes Transportunternehmen mit seinem Lastwagen auf, das mit «We know the way» für seine Dienste warb. Oh ja, den Weg zu kennen ist für eine solche Firma wichtig, dachte ich und war schon fast dankbar über deren Pflichtbewusstsein. Warum wurde es wohl von seiner Werbeagentur so beraten? Vermutlich war der Laster unterwegs in den angelsächsischen Raum, vermutete ich, und dort musste sein Angebot verstanden werden, darum auch hier die englische Sprache.
Oder auch nicht, und man baute ganz einfach auf den Erfolg des Frühenglisch-Unterrichts von Schweizer Kindern, dessen Wirksamkeit zwar durch keine seriöse wissenschaftliche Studie nachgewiesen ist (im Unterschied zur Abnahme der Deutschkenntnisse, die allseitig beklagt und empirisch erhärtet ist). Aber dazu passten die transportierten Kühlschränke nicht – Kinder haben lieber Bonbons. Für sie war «The world of sweets» bestimmt, ein Werbespruch für Süssigkeiten, den ich bald darauf bei einem weiteren Lastauto entdeckte. Die Vielfalt der englischen Werbesprüche auf den Gefährten war beachtlich, denn schon bald entdeckte ich auf einem grossen Brummer den Schriftzug «Oil of Switzerland», was mich angesichts der Sorgen über hohe Energiepreise tief durchatmen liess. Doch fragte ich mich, was wohl «Energy for free» im aktuellen Zusammenhang zu bedeuten hatte.
Nach all diesen Übersetzungsaufgaben auf meinem Weg in die nächste Kleinstadt war ich froh, dort meine Buchhandlung nicht als «Library» vorzufinden. Auch hatte sie kein «Sale»-Werbebanner auf der Scheibe, wie viele andere Läden in der gleichen Gasse. Ich freute mich sogar, endlich eine Werbung in einer unserer vier Landessprachen zu finden, hatte ich doch Französisch in der Schule ausgiebig und erfolgreich gelernt. Aber verkaufte man in diesen Geschäften tatsächlich schmutzige Ware, wie ich «Sale» souverän übersetzte, oder gestanden die Inhaber einfach ein, dass ihre Produkte allenfalls zu schmutzigen Löhnen in Entwicklungsländern produziert worden und drum so billig waren? Das hingegen stimmte mich nachdenklich.
Ich war gespannt auf mein neues Buch in meinem Rucksack zu den Mechanismen von Propaganda1, dann würde ich sicher besser verstehen, wie man mich mit diesen Werbesprüchen an der Nase herumführen wollte. Nicht mit mir! Es lag in meinem Rucksack, wodurch sich eine umweltfreundliche Verpackung – «Paper wrap», wie sie auf einem Lieferwagen angepriesen worden war – erübrigt hatte.
Auf dem Weg zu meinem Auto kam ich schliesslich noch an einem Plakat vorbei, das mich mit dem Motto «Be the game changer» dazu aufforderte, ein neues Auto zu kaufen und damit wichtige Impulse für richtungsweisende Neuerungen zu geben. Auch das noch, mir reichte es langsam … Platt, platter, Plattitüden! Da konnten mich auch die Verlockungen auf einer Plakatsäule für eine «Beauty week» und für «Fun TV» nur noch ärgern. Vielleicht wäre das Kursangebot «Smile and breathe» der rettende Anker? Aber zum Lächeln oder gar zum Lachen war mir nicht mehr zumute, und glücklicherweise atmete ich noch regelmässig.
Da klingelte mein «Mobile», und eine Freundin erzählte mir, dass sie neuerdings die Mitteilungen von ihrer Schweizer Universität auf Englisch erhalten würde – mir stockte der Atem, und eine Wut übermannte mich. Zu Hause legte ich mich mit meinem neuen Buch aufs Sofa. So wie Wilhelm Tell auf dem Vierwaldstättersee gegen den Föhnsturm angekämpft und die Freiheit gewonnen hatte, kämpfte ich nun gegen den Gedankensturm in meinem Kopf auf der Suche nach Klarheit: Wo leben wir eigentlich? Warum diese Häufung von englischen Ausdrücken in unserem Alltag? War das nicht eine Form von «kultureller Aneignung» (oder Übernahme), verbunden mit der Entwertung und Vernachlässigung unserer deutschen Sprache? War es nicht so, dass die Kolonialmächte ihren besetzten Ländern die eigene Sprache aufgezwungen hatten, sei es Englisch, Französisch, Spanisch oder Portugiesisch, und damit die indigenen Sprachen und Kulturen herabsetzten und verdrängten? Oder wie war es in Sri Lanka, der Perle im Indischen Ozean, nach dem Abzug der englischen Kolonialherren, als die Diskriminierung der tamilischen Bevölkerung einsetzte, indem die Regierung deren Muttersprache und die bisher zweite Amtssprache verboten hatte – verbunden mit der Diskriminierung dieser Sprachgruppe?
Oder in jüngerer Zeit in der Ukraine, als die russische Minderheit im Osten des Landes nicht mehr in ihrer Muttersprache unterrichtet werden durfte? Ja, der wirtschaftlich-militärische Imperialismus war schon immer zusammen mit der Sprache gekommen, das war schon bei den Römern so gewesen. Und was bedeutete das für uns? Warum hat die englische Sprache in den letzten Jahren in unserem Land so viel Gewicht erhalten? Nicht einfach als international anerkanntes Kommunikationsmittel in Wissenschaft und Wirtschaft, sondern als Teil eines kulturellen Wandels, aus dem angloamerikanischen Raum herkommend, «American Way of Life». Ja, sogar im Fremdsprachenunterricht an den Schulen wurde Englisch, trotz gewichtiger Einwände, dem Erlernen einer zweiten Landessprache vorgezogen. War das nicht eine «unfreundliche» Übernahme des kulturellen Diktats in Musik, Literatur und Kunst, verbunden mit einem schleichenden Prozess der Missachtung der eigenen kulturellen Werte und Errungenschaften im Zusammenleben als nicht mehr «zeitgemäss» und «spiessig»?
Ich ging zu meinem Büchergestell. Dort zog ich ein Buch heraus mit dem Titel «Die fünfte Landessprache? Englisch in der Schweiz»2. Es war vor zwanzig Jahren erschienen und hatte konstatiert, dass die englische Sprache als Kommunikationsmittel einer globalen Marktwirtschaft zwar von eminenter Bedeutung sei (und damit auf die Hintergründe dieser Entwicklung hingewiesen), hatte jedoch gleichzeitig zur Diskussion aufgefordert und zu bedenken gegeben: «[…] will die Schweiz gerade deswegen eine ihrer wichtigsten Trumpfkarten ausspielen – ihre wertvollen Erfahrungen mit dem Zusammenleben verschiedener Kulturen und deren Mehrsprachigkeit?» Ja, wollen wir alles aufgeben, nur um scheinbar «dabei» zu sein? Aber wer will das in unserem Lande eigentlich und wozu? •
1 Bernays, Edward (2021). Propaganda: Die Kunst der Public Relations. Berlin: orange-press
2 Watts, Richard J./Murray, Heather (2001). Die fünfte Landessprache? Englisch in der Schweiz. Zürich: vdf (leider vergriffen)
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