«Ein neutrales Land darf keine Kriegspartei besserstellen»

Interview mit Nationalrat Thomas Aeschi (SVP ZG)

Zeit-Fragen: Die Parlamentsbüros haben auf Anfrage der Ukraine beschlossen, dass Präsident Selenski per Video im Parlament sprechen kann. Dürfen die Büros denn überhaupt Leute einladen, die das Parlament einseitig beeinflussen?
Thomas Aeschi: Was Selenski sagen wird, ist ein anderes Thema, das wissen wir noch nicht. In den letzten 50 Jahren kam es 16mal vor, dass ausländische Staatsgäste oder andere Gastredner vor der Vereinigten Bundesversammlung gesprochen haben. Es gibt zwei Kategorien: die eine während einer Sitzung des Parlaments, die andere ausserhalb der formellen Sitzung. Das Büro hat beschlossen, dass Präsident Selenski ausserhalb der formellen Sitzung sprechen wird, zum Beispiel während einer Mittagspause oder abends, nach dem Sitzungsende um 19 Uhr. Die Teilnahme der National- und Ständeräte ist also freiwillig. Ich habe mich gegen diese Videoansprache von Präsident Selenski vor dem Schweizer Parlament gewehrt, aber die Mehrheit war der Meinung, eine solche Anfrage von Selenski könne man nicht ablehnen.

Er wird ja sicher etwas sagen zu den Waffenlieferungen.
Ich bin mir sicher, dass er etwas dazu sagen wird. In der Sommersession ist das Thema «Indirekte Waffen- und Munitionslieferung an die Ukraine» traktandiert. Aus staatspolitischer Sicht ist es höchst problematisch, dass wir gleichzeitig Präsident Selenski einladen, da er das Parlament direkt zu beeinflussen versuchen wird.

Sie haben den Antrag auf Ablehnung gestellt und dazu geschrieben: Unsere Neutralität wird verletzt! Wie begründen Sie das?
Es herrscht Krieg zwischen Russland und der Ukraine, und das Neutralitätsrecht legt fest, dass ein neutrales Land keine Kriegspartei besserstellen darf. Mit Waffen- und Munitionslieferungen, auch wenn sie indirekt sind [über Drittländer, welche die Rüstungsgüter in der Schweiz gekauft haben], gewährt man einem der beiden Kriegsstaaten einen Vorteil. Das gleiche Argument gilt, wenn man einen der beiden kriegführenden Staaten einlädt, um vor der Bundesversammlung seine Position und seine Anliegen an die Schweiz darzulegen. Die Mehrheit der Vertreter in den Büros der Räte sieht dies jedoch anders: Die Neutralität werde durch eine solche Ansprache nicht verletzt. Persönlich erachte ich aber schon die Symbolik des gemeinsamen Auftritts mit Aussenminister Cassis vom März 2022 oder nun die Ansprache im Schweizer Parlament als problematisch.

Wenn der Text der Neutralitätsinitiative dann einmal in der Bundesverfassung steht, haben wir dann die Mittel gegen solche Einseitigkeiten?
Ja, bei einer Annahme der Neutralitätsinitiative dürfen Bundesrat und Parlament bei einer zukünftigen kriegerischen Auseinandersetzung die Neutralität nicht wieder so fahrlässig aufgeben, wie dies heute geschieht.

Was sagen Sie einem Bürger, einer Bürgerin, warum sie die Neutralitätsinitiative unterschreiben sollen?
Die immerwährende, bewaffnete und umfassende Neutralität hat die Schweiz in der Vergangenheit vor Krieg und grossem Leid beschützt. An dieser gilt es um jeden Preis festzuhalten – zum Schutze der Schweizerinnen und Schweizer und der territorialen Integrität der Eidgenossenschaft!

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Nationalrat Aeschi.  •

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