von Johannes Irsiegler
«Wer die Wahrheit nicht weiss, der ist bloss ein Dummkopf. Aber wer sie weiss und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!»
Bertolt Brecht
«Kriege beginnen fast immer mit Lügen. […] Dem Beginn der Kriege gehen zumeist monate- oder sogar jahrelange Propaganda- und Hetzkampagnen gegen den Gegner voraus, der damit zum angreifbaren Feind wird. […] Eine besonders perfide Form verdeckter Kriegsführung ist die Sanktionierung missliebiger oder widerständiger Staaten. Dass durch den entstehenden Mangel viele Menschen leiden oder sogar sterben, wird in Kauf genommen. Dabei beruft man sich auf ‹westliche Werte›, die zumeist nicht einmal im eigenen Land eingehalten werden.»
Mit diesen Gedanken beginnt Wolfgang Bittner sein neuestes Buch «Ausnahmezustand – Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts». Sie sind Auftakt einer Darstellung und klärenden Analyse des Ausnahmezustandes, in dem sich Deutschland und die gesamte westliche Welt befinden.
Wolfgang Bittner ist deutscher Schriftsteller und Publizist und lebt in Göttingen. Der promovierte Jurist schreibt seit den siebziger Jahren sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche und Kinder und erhielt mehrere Literaturpreise. Von 1996 bis 1998 war er Mitglied im Rundfunkrat des WDR. Zudem gehörte er von 1997 bis 2001 dem Bundesvorstand der Gewerkschaft Verband deutscher Schriftsteller an. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.
Ausnahmezustand?
Wolfgang Bittner steht in der Tradition der Entspannungspolitik Willy Brandts der 1960er und 1970er Jahre. Damals galt die Devise: Abbau der Spannungen in Europa und Wandel durch Annäherung. Brandt begründete eine neue Ost- und Deutschlandpolitik: «Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein – im Innern und nach aussen.» Dadurch wurde international der Helsinki-Prozess angestossen, der die Gründung der KSZE und späteren OSZE ermöglichte. Die heutige Realität ist jedoch eine andere, was Bittner beklagt: «Die Chancen, die sich auf Grund von Brandts Entspannungspolitik für ein friedliches Miteinander nicht nur in Europa ergaben, wurden verspielt und die Möglichkeiten obrigkeitlicher Überwachung und Reglementierung radikal erweitert und verfestigt. […] So wurden die Friedensbemühungen früherer Generationen verraten und vergessen, viele der mühevoll erkämpften Rechte der arbeitenden Bevölkerung nach und nach abgebaut.» Minutiös zeichnet Bittner die Entwicklung von der Friedenspolitik Brandts bis zur heutigen Kriegspolitik nach: Deutschland wurde zur «Speerspitze gegen Russland» gemacht, dem die Rolle des neuen Feindes zugedacht worden war. Die Verantwortung für diese unheilvolle Entwicklung liegt bei den USA und ihren Vasallen in Europa. Ziel war es von Anfang an, Russland in einen Krieg zu verwickeln, von dem sich Kreise in den USA erhofften, dass Russland dadurch für immer geschwächt würde. Die von den USA vorangetriebene Trennung von Westeuropa und Russland bezeichnet Bittner treffend als «Jahrhunderttragödie». Grosse Verlierer sind Europa und vor allem Deutschland. Dessen Regierende fanden immer mehr an der aggressiven Kriegspolitik gegen Russland Gefallen, allen voran die Grünen, die seit den 1990er Jahren eine Wandlung von Pazifisten hin zur eigentlichen Kriegspartei vollzogen und für diese Rolle Anerkennung vom grossen Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks erhielten. Der Krieg nach aussen ging mit drastischen Veränderungen im Innern einher, so dass Deutschland kaum wiederzuerkennen ist. Es befindet sich in einem Ausnahmezustand, in dem grundlegende Freiheiten und Rechte immer mehr beschnitten werden: «Wer hätte gedacht, dass in Deutschland eine Regierung an die Macht kommt, die den Ruin der Wirtschaft und die Verarmung weiter Teile der Gesellschaft betreibt? Wer hätte sich vorstellen können, dass Grundrechte per Verordnung ausser Kraft gesetzt werden, dass zensiert und die freie Meinungsäusserung eingeschränkt wird, Andersdenkende drangsaliert, als ‹Querdenker› und Verschwörungstheoretiker diffamiert werden, dass sich eine ganze Gesellschaft derart verändert?»
Bittner stützt sich bei seiner Analyse auf Originalquellen, die er im Anhang ausführlich dokumentiert. Er überlässt es dem Leser, sich aus den Stellungnahmen in Ost und West eine eigene Meinung zu bilden. Viele Entwicklungen sind dem Leser vielleicht in dieser Deutlichkeit nicht immer so klar gewesen: So zum Beispiel der Umstand, dass die damalige Sowjetunion durch «Sabotageakte, Terroranschläge, die Inszenierung von Aufständen und immense Nachrüstungskosten in den Staatsbankrott» getrieben werden sollte. Erst durch die Ausbeutung der Ressourcen der zerfallenden Sowjetunion konnten die USA in den achtziger und neunziger Jahren ihre eigene, sich zuspitzende wirtschaftliche Krise überwinden. Der damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme, erklärter Gegner dieser konfrontativen Politik, wurde kurz vor einem Treffen mit Michail Gorbatschow ermordet. Für die Bevölkerung in der ehemaligen Sowjetunion bedeutete dies aber Hunger und Elend. Die Russen und ihre politischen Vertreter haben dies nie vergessen.
Das Grundbedürfnis der
Menschen ist, in Frieden zu leben
Bittner fordert: «Anzustreben ist zuvorderst – ganz pragmatisch – Frieden mit Russland, China und anderen von den USA drangsalierten Ländern sowie der Austritt aus der Nato und die Besinnung auf deutsche Interessen, die es, ohne in nationale Egozentrik zu verfallen, zu vertreten gilt.» Es geht ihm dabei nicht darum, sich von den USA abzuwenden, es müssen aber «die auf die Weltherrschaft ausgerichteten destruktiven Kräfte in die Schranken gewiesen werden». Und auch die «deutsche Regierung wird ihre destruktive Politik nicht ewig weiterführen können. So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das Grundbedürfnis der Menschen ist, in Frieden zu leben.» In Ansätzen zeichnet Bittner ein Bild, wie Deutschland nach dem überfälligen Politikerwechsel aussehen könnte: «Dazu gibt es Vorstellungen von einer menschenfreundlich organisierten Wirtschaft, einem vernünftigeren Finanzsystem und einer auf Solidarität fussenden friedlichen Gesellschaft. […]
Kluge, humane Menschen haben sich Gedanken gemacht, vieles steht bereits in Verfassungen oder Gesellschaftsverträgen, wie der Charta der Vereinten Nationen.»
Bittner schliesst: «Freiheit, Gleichheit, Mitmenschlichkeit! Zu hoffen ist, […] dass diese Vorstellungen dauerhaft durchgesetzt werden können. Sonst ist unsere Zivilisation, die schon länger nicht mehr Kultur genannt werden kann, am Ende.» Andernfalls droht der Menschheit ein «technologisch perfekt organisierter Totalitarismus». •
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