pk. In letzter Zeit häufen sich bei uns öffentliche Stellungnahmen, sogar offizielle Einmischungen in unsere inneren Angelegenheiten, welche auf den Schweizer Bundesrat Druck ausüben, sich an den Waffenlieferungen anderer Länder an die Ukraine unverzüglich zu beteiligen. Seine bisherige Weigerung werde im befreundeten Ausland nicht verstanden und damit abgelehnt. Für die Schweiz entstehe dadurch ein Reputationsschaden. Solche Töne sind neu. Bisher galt bei uns wie im Ausland vorwiegend das Gegenteil: hohe Anerkennung der schweizerischen Neutralität.
Nichtschweizer aus der Generation, welche die Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch erlebten und nicht nur vom Hörensagen «kannten», bezeugen ihre Dankbarkeit dafür, dass es mitten im Inferno einen Ort gab, der nicht zu einem kriegerischen Block gehörte. Dies hat für unsere geschichtsvergessene Zeit unter anderen der Beitrag von Gotthard Frick bestätigt (Anschmiegen an die Nato führt Schweiz in möglichen nächsten Krieg, Zeit-Fragen Nr. 11 vom 16. Mai 2023). Viel Linderung des Leids für die betroffenen Menschen war dadurch möglich. Es stimmt, dass in dieser Zeit Züge durch die Schweiz fuhren mit Ladungen, die dem Krieg dienten. Das war nicht zu vermeiden, wenn der Bundesrat seiner anderen Verpflichtung nachkommen wollte: Sicherheit für die Bevölkerung. Retuschen an der «reinen» Neutralität waren nicht Kuschen vor Hitler, sondern ergaben sich aus der Notwendigkeit, die Bevölkerung (mit den zahlreichen Internierten und Flüchtlingen) zu ernähren und sie durch die kalten Kriegswinter zu bringen. Es fuhren auch Züge mit verwundeten Soldaten aus den Kriegsgebieten durch die Schweiz. Sie wurden von freiwilligen Schweizer Helfern betreut, ohne Ansehen ihrer Uniform, einfach weil sie Menschen waren.
In unserer Verfassung ist die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz als Staatsziel unverrückbar festgehalten. Für die neutrale Schweiz gehört dazu die konsequente Blockfreiheit. Das urschweizerische Beharren auf seiner Neutralität hat diesem kleinen Land seine Unabhängigkeit bewahrt. Die Schweizer Bevölkerung zeigte sich gegenüber Bedrängten in Krisenzeiten ausgeprägt solidarisch – mit den Menschen, nicht mit dem oder jenem Machtblock. Seit wann soll es ehrenrührig sein, sich für die Menschen überall auf der Welt einzusetzen? Als Gastland des Internationalen Roten Kreuzes hat die Schweiz hier ein besonderes Mandat. Wir sollten eine wichtige Stellungnahme nicht vergessen, welche die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mit Sitz in Genf kürzlich in einem Interview geäussert hat. Es berührte auch das Problem, dass das IKRK seinen grundlegenden Aufgaben, das Leid in Kriegen zu lindern, nicht mehr uneingeschränkt nach-kommen kann, aus Geldnot (es finanziert sich von freiwilligen Beiträgen, hauptsächlich staatlichen). Die IKRK-Präsidentin sagte dort:
«Aufgrund unserer Neutralität und Unabhängigkeit sind wir oftmals die einzige Organisation, die Hilfe leisten kann. Ich war im Nordosten von Syrien und in Russland. Ausser uns hat dort niemand Zugang zu Gefangenen.»
Die Präsidentin spielte damit an auf das segensreiche Wirken des IKRK bei seinen Kontakten in Gefangenenlagern an aktuellen Kriegsschauplätzen dieser Welt. Wie sieht es wohl für einen Kriegsgefangenen aus, wenn er weiss, dass sich niemand in der Welt mehr um ihn kümmert?
Neutralität ist eine Ausrichtung der Aussenpolitik. Sie ist aber auch eine Haltung, eine zutiefst antikriegerische. Solange sie konsequent das Staatshandeln prägt, wird sie ernstgenommen. Wenn aber Genf mit seinem Uno-Sitz und dem Sitz des IKRK in Zukunft in einem Staat läge, der sich faktisch an ein militärisches Bündnis anlehnt, das seine Befehle aus den Nato-Zentralen empfängt und mit Eifer umsetzt, wie dies bei der EU heute real der Fall ist, dann entstünde viel Schaden – für die Schweiz wie für die Menschheit, nicht nur Reputationsschaden. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, entstanden in der Schweiz und mit Sitz in der Schweiz, würde dann konsequenterweise auch sein Emblem, das rote Kreuz im weissen Feld, ändern müssen. Und wenn die Schweiz dann immer noch konsequent wäre, müsste auch sie ihre Fahne ändern, das tiefe Rot der Bündnistreue, auch mit anderssprachigen und andersdenkenden Mitbürgern, in ein sehr blasses Brüsseler Blau. •
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