Menschenrechte als Waffe

von Professor Alfred de Zayas

Die 53. Tagung des UN-Menschenrechtsrats, die jetzt in Genf stattfindet, könnte eine perfekte Gelegenheit bieten, den Frieden als Menschenrecht zu fördern und die vielen Fahrpläne und Entwürfe für den Frieden in der Ukraine sowie Vorschläge für den Frieden in allen Konfliktgebieten in Lateinamerika, Afrika und Asien sinnvoll zu unterstützen.

Leider ist der Menschenrechtsrat in erster Linie zu einer Plattform für diejenigen geworden, die Kriegstreiberei und Aufstachelung zum Hass betreiben. Ungeachtet des eindeutigen Wortlauts von Artikel 20 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) praktizieren viele Staaten unverhohlene Russophobie, Sinophobie und andere Phobien. Artikel 20 legt fest:

«1. Jede Propaganda für den Krieg ist gesetzlich verboten.
  2. Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, das eine Aufstachelung zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt darstellt, ist gesetzlich verboten.»

Einsatz für Menschenrechte
 oder geopolitische Interessen?

Der kollektive Westen lehnt jedoch diese entscheidende Bestimmung des ICCPR ab. Die meisten westlichen Staaten, einschliesslich der USA, formulierten sogar «Vorbehalte» gegen diesen Artikel, damit sie ihre Dämonisierung von Rivalen, ihre Aufstachelung zum Hass vor dem Krieg und ihre «fake news» und Kriegspropaganda in der Mitte des Krieges munter fortsetzen konnten.1
  Was bedeutet «Menschenrechte als Waffe»? Einfach die Instrumentalisierung der Menschenrechte für geopolitische Zwecke. In der Tat erleben wir, wie die Menschenrechte für aggressive Zwecke missbraucht werden. Diese «Bewaffnung» hat den individuellen und kollektiven Anspruch auf Hilfe, Schutz, Respekt und Solidarität – der auf unserer gemeinsamen Menschenwürde und Gleichheit beruht – in ein feindliches Arsenal verwandelt, um Konkurrenten und politische Gegner ins Visier zu nehmen. Im Waffenarsenal der Menschenrechte ist die Technik des «naming and shaming» zu einer Art allgegenwärtiger Kalaschnikow geworden.

Jargon zur Legitimierung von
 Regimewechsel und Einmischung

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass «naming and shaming» das Leid der Opfer nicht lindert und nur die strategischen Ziele bestimmter Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und einer florierenden Menschenrechtsindustrie befriedigt, die die Menschenrechte instrumentalisieren, um andere zu destabilisieren und oft genug einen «Regimewechsel» zu erleichtern, ungeachtet dessen, wie undemokratisch das klingen mag, und ungeachtet des ius cogens-Rechts auf Selbstbestimmung der Völker und des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechtsgrundsatzes, der eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten verbietet. Das ganze Konzept der «farbigen Revolutionen» ist ein propagandistischer Jargon, um militärische Interventionen in anderen Ländern zu rechtfertigen. Der «Arabische Frühling» klingt positiv, aber haben wir nicht einen «Arabischen Winter» in Libyen eingeläutet, das nach unserer «humanitären Intervention» von 2011 weiterhin in Chaos und Elend lebt?
  Kurz vor dieser Sitzung des Menschenrechtsrates wurde mein neues Buch «The Human Rights Industry» von Clarity Press veröffentlicht.2 Es stellt eine klare Diagnose, die die Funktionsstörungen der UN-Mechanismen zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte aufzeigt, und liefert eine Prognose mit konkreten, umsetzbaren und pragmatischen Vorschlägen für die Sanierung des Systems.
  In einer Zeit globaler Herausforderungen würde man erwarten, dass der Menschenrechtsrat sich um nachhaltige globale Lösungen bemüht. Leider ist der Rat zu einer Arena von Gladiatoren geworden, die sich gerne gegenseitig mit Dolchen bewerfen, anstatt sich hinzusetzen, nach den Ursachen von Menschenrechtsverletzungen zu suchen und Präventivstrategien zu entwickeln, um die Missstände zu beseitigen, anstatt lediglich ein bestimmtes Land oder einen bestimmten Politiker zu verurteilen. Bestrafung ist keine Lösung für Menschenrechtsprobleme, vor allem weil Bestrafung immer nachträglich erfolgt und weil es keinen Beweis dafür gibt, dass Bestrafung jemals Politiker, transnationale Unternehmen, Waffenlieferanten und private Sicherheitsfirmen davon abgehalten hat, Verbrechen und Missbräuche zu begehen.

Nicht alle NGOs sind NGOs

Wie bei jeder Tagung nehme ich an Nebenveranstaltungen teil, bei denen ich verschiedene Nichtregierungsorganisationen vertrete. Auch hier muss ich den Leser auf das Phänomen aufmerksam machen, dass nicht alle NGOs echt sind. Viele stehen direkt im Dienst von Regierungen oder deren Unterorganisationen. Viele werden als «gongos» oder Regierungs-NGOs bezeichnet. Andere sind «gemischte Säcke», die sich mit sehr positiven Aktivitäten wie dem Schutz von Journalisten, der Forderung nach Medienfreiheit und dem Zugang zu allen Informationsquellen befassen, was für eine funktionierende Demokratie unerlässlich ist. In dieser Kategorie kann ich Amnesty International, Human Rights Watch, Reporter ohne Grenzen und PEN International nennen. Diese Nichtregierungsorganisationen haben wiederholt die Freilassung von Julian Assange und anderen Whistleblowern, echten Menschenrechtsverteidigern, gefordert. Doch manchmal verstricken sich gute NGOs in unerklärliche Widersprüche und befürworten beispielsweise die Verhängung einseitiger Zwangsmassnahmen gegen Länder wie Kuba, Nicaragua, Syrien und Venezuela, obwohl die Beweise erdrückend sind, dass solche Sanktionen den Schwächsten in diesen Ländern schaden und eine Form der «Kollektivstrafe» darstellen. Unilaterale Sanktionen sind in der Tat tödlich.
  Die Behauptung, dass solche unilateralen Sanktionen dazu dienen, ein Land für tatsächliche oder angebliche Menschenrechtsverletzungen zu «bestrafen», ist eine Form von Sakrileg oder Blasphemie. Auch hier gilt: Die Medizin ist schlimmer als die Krankheit. Es gibt zahlreiche Studien, die die negativen Auswirkungen von unilateralen Sanktionen dokumentieren, darunter die von Jeffrey Sachs und Marc Weisbrot über die kontraproduktiven unilateralen Sanktionen, die von den USA gegen Venezuela verhängt wurden.3

Wenn im Namen der Menschenrechte
 Hass statt Versöhnung gefördert wird …

Ich war Präsident des PEN Centre Suisse Romand (des PEN-Clubs der französisch-schweizerischen Kantone) in den Jahren 2006–2009 und erneut 2013–2017. Ich bin immer noch sein Delegierter im Komitee «PEN Writers for Peace». In dieser Funktion nahm ich an der Jahrestagung des Komitees in Bled, Slowenien, teil, die vom 15. bis 18. Mai 2023 stattfand. Ich hatte konkrete Vorschläge für den Frieden auf allen Kontinenten, in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali, im Sudan, in Israel/Palästina, im Jemen und natürlich in der Ukraine erwartet. Leider war dieses Treffen von einer Atmosphäre der Kriegshetze und des Hasses geprägt, also genau von dem, was Artikel 20 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verbietet. Es gab eine klare Mehrheit von Falken und eine Minderheit von Tauben. Auch hier wurde ich Zeuge dessen, was ich aus dem Menschenrechtsrat kenne, nämlich wie einige Nichtregierungsorganisationen die Menschenrechte, insbesondere das Menschenrecht auf Frieden, untergraben können, wie einige Nichtregierungsorganisationen zum Hass aufstacheln können, anstatt zu versuchen, Brücken der Verständigung zu bauen.

… Waffenlieferungen befürwortet
 und Diplomatie abgelehnt werden

Ich war schockiert, als ich Delegationen hörte, die mehr Waffen für die Ukraine befürworteten und die Möglichkeit eines Waffenstillstands oder einer diplomatischen Lösung des Ukraine-Konflikts ablehnten. Ich war entsetzt, als ich hörte, dass Delegierte, die durch die Charta des PEN verpflichtet sind, sich für den Frieden einzusetzen, den Dialog und die Diplomatie ablehnen. Das war surrealistisch. Aus diesem Grund habe ich im Namen des PEN-Centre Suisse Romand eine Resolution verfasst, die die dringende Notwendigkeit von Diplomatie und Vermittlung im Geiste des Bled Manifesto for Peace betont. Der Text des Resolutionsentwurfs (siehe Kasten) wird an der nächsten Jahresversammlung von PEN International im September 2023 vorgestellt werden.
  Ich verteilte auch gedruckte Exemplare meines Essays «A Blueprint for Peace in Ukraine», der am 20. Dezember 2022 in Counterpunch veröffentlicht wurde.4 Es ist in der Tat besorgniserregend, dass nicht nur im Menschenrechtsrat, sondern auch in der Welt der Nichtregierungsorganisationen die Werte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte allzuoft in Vergessenheit geraten und Personen, die es besser wissen müssten, in einer Weise handeln, die mit den Grundsätzen, zu denen sie sich angeblich bekennen, unvereinbar ist.
  Ich schliesse mit dem Motto des Westfälischen Friedens: Pax optima rerum, der Friede ist das höchste Gut.  •



1 https://www.ohchr.org/sites/default/files/ccpr.pdf
2 https://www.claritypress.com/product/human-rights-industry/
3 https://cepr.net/images/stories/reports/venezuela-sanctions-2019-04.pdf
4 https://www.counterpunch.org/2022/12/20/a-blueprint-for-peace-in-ukraine/

Quelle: https://www.counterpunch.org/2023/07/03/the-weaponization-of-human-rights-at-the-human-rights-council/ vom 3.7.2023

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Entwurf einer Erklärung des Komitees «Writers for Peace» von PEN International zur Notwendigkeit eines Waffenstillstands in der Ukraine und einer Vermittlung für ein nachhaltiges Friedensabkommen im Rahmen der UN-Charta

Wir, die Mitglieder des  Komitees «PEN Writers for Peace», bringen unsere tiefe Besorgnis über den Krieg in der Ukraine zum Ausdruck und setzen uns für eine Vermittlung ein, um ein Friedensabkommen zu erreichen, das einen dauerhaften Frieden in Europa garantiert und ein Übergreifen auf andere Teile der Welt verhindert.
  Wir bekräftigen unsere Verpflichtungen, die wir unter anderem in unserem Bled-Manifest zum Ausdruck gebracht haben:

«[…] 
2. PEN fördert die Diskussion und den Dialog zwischen Schriftstellern aus Ländern, die sich in einem Konflikt befinden, und aus Regionen der Welt, in denen die Wunden offen sind und der politische Wille nicht in der Lage ist, die Spannungen zu beseitigen.
3. PEN versucht, Menschen aus der ganzen Welt durch Literatur und Diskussionen unter Schriftstellern und mit der breiten Öffentlichkeit zusammenzubringen.
4. PEN sieht eine der grössten Herausforderungen der Welt darin, den Übergang von Gewalt zu Debatte, Diskussion und Dialog zu schaffen. Wir sind bestrebt, aktiv an diesem Prozess mitzuwirken und gegebenenfalls die Grundsätze des internationalen Rechts zu fördern.»

Wir begrüssen alle Friedensinitiativen von Schriftstellern, Institutionen und führenden Politikern der Welt, insbesondere die von lateinamerikanischen1, afrikanischen2, asiatischen3 und europäischen4 Politikern geäusserten Entwürfe für den Frieden. Wir schliessen uns den Worten des Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias an: «Es ist an der Zeit, mutigere Anstrengungen zu unternehmen, um in der Ukraine Frieden zu schaffen. Krieg kann sich wie Feuer unkontrolliert ausbreiten, und […] dieser besondere Brand hat das Potential, einen Atomkrieg auszulösen. […] Die Welt steht heute genauso kurz vor dem nuklearen Abgrund wie während der Kuba-Krise.»5
  Wir rufen die Schriftsteller aller Länder auf, ihr Möglichstes zu tun, um den Friedensauftrag der Charta des PEN und das Friedensmandat der UN-Charta zu fördern.



1 https://foreignpolicy.com/2023/05/02/brazil-russia-ukraine-war-lula-diplomacy-active-nonalignment/
2 https://www.nytimes.com/2023/06/16/world/europe/ukraine-russia-african-peace-mission.html
3 https://www.mfa.gov.cn/eng/zxxx_662805/202302/t20230224_11030713.html
4 https://www.transcend.org/tms/2022/05/a-nordic-initiative-for-peace-in-ukraine-and-lasting-world-peace/
5 https://thehill.com/opinion/international/3565996-nuclear-strategy-and-ending-the-war-in-ukraine/

Quelle: https://www.counterpunch.org/2023/07/03/the-weaponization-of-human-rights-at-the-human-rights-council/
 vom 3.7.2023

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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