Vom 22.–24. August 2023 trafen sich im südafrikanischen Johannesburg die Vertreter der bisherigen fünf BRICS-Staaten zum XV. Gipfel. Die bis zu 600 Mitglieder umfassenden Delegationen der fünf Staaten Brasilien, Indien, China und Südafrika wurden von ihren Präsidenten bzw. ihrem Ministerpräsidenten angeführt, für Russland hatte dies Aussenminister Lawrow übernommen. Der russische Präsident Putin hatte nach Absprache mit der südafrikanischen Regierung auf eine Anreise verzichtet, um Südafrika aus dem Dilemma zu befreien, das ein Haftbefehl des ICC verursacht hatte. Wladimir Putin war dem Gipfel aber per Video zugeschaltet und meldete sich mehrfach zu Wort.
Neben den fünf BRICS-Staaten waren Vertreter von 61 weiteren Staaten zugegen, darunter 46 aus Afrika mit 20 Präsidenten oder Ministerpräsidenten, sowie Uno-Generalsekretär António Guterres – aber kein Staat aus Nato oder EU. Dem dreitägigen Gipfel folgten weitere BRICS-Foren.
Umfangreiche Abschlusserklärung
und konkrete Ergebnisse
Die umfangreiche Abschlusserklärung des Gipfels (https://brics2023.gov.za/wp-content/uploads/2023/08/Jhb-II-Declaration-24-August-2023-1.pdf) umfasst 26 Seiten mit 94 Punkten. Nach einer Präambel folgen Erklärungen zu einer «Partnerschaft für inklusiven Multilateralismus», zur «Förderung eines friedens- und entwicklungsfördernden Umfelds», für eine «Partnerschaft für beschleunigtes Wachstum» und eine «Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung» (die beiden grössten Kapitel der Abschlusserklärung), für eine «Vertiefung der Beziehungen der Völker» und schliesslich für die «Weiterentwicklung der Institutionen».
Alle Beschlüsse der BRICS müssen einstimmig gefällt werden.
Wichtige Ergebnisse des Gipfels waren
Berichte und Kommentare
unterschiedlicher Qualität
Die Berichte, Kommentare und Analysen der vergangenen drei Wochen über den BRICS-Gipfel und die darin enthaltenen Urteile aus aller Welt sind breit gefächert. Im Mainstream Deutschlands zum Beispiel (ähnlich aber auch in Österreich und in der Schweiz) gibt es keinerlei Unterstützung für BRICS, BRICS plus und deren Anliegen. Hier dominiert ein explizites oder implizites «Freund-Feind-Denken». Da reichen die Schlagzeilen von «BRICS bekommt mehr Mitglieder: Warum man das Bündnis ernst nehmen sollte» (Wirtschaftswoche), über «Weltpolitische Zäsur: Wie die Erweiterung der BRICS den Westen herausfordert» («Merkur»), bis hin zu «USA und Deutschland sehen keine grossen Veränderungen» («Frankfurter Allgemeine Zeitung») oder (implizit auch offen, was die westlichen Ziele betrifft): «Warum auch ‹BRICS plus› die westliche Dominanz nicht brechen kann» (Focus). Eine Pressekonferenz der deutschen Aussenministerin veranlasste das «Handelsblatt» zum «erstaunlichen» Titel «Baerbock: Gespräche auch mit BRICS-Beitrittsländern». Und den Vogel abgeschossen hat die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung, «Bild»: «BRICS-Erweiterung: Wie gefährlich wird dieser Tyrannen-Block für uns?»
Wer andere Stimmen lesen möchte, der muss auf die Medien anderer, nicht-westlicher Länder zurückgreifen. Das sind keine Begeisterungsstürme, sondern differenzierende Analysen, durchaus auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Urteilen und kritischen Fragen. Diese Vielzahl an Stimmen kann hier nicht angemessen wiedergegeben werden.
Stimmen der Akteure vor Ort
Statt dessen sollen hier die unmittelbaren Akteure vor Ort und deren Arbeitsergebnisse zu Wort kommen. Sie sollen für sich stehen, unkommentiert bleiben, Nachdenken anregen – und vielleicht auch erwärmen für das, was sich jenseits der westlichen Welt bewegt. •
Der Leiter der Konferenz, der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa, sagte zum Abschluss:
«Wir teilten unsere Vision von BRICS als Verfechter der Bedürfnisse und Anliegen der Völker des Globalen Südens. Dazu gehören die Notwendigkeit eines positiven Wirtschaftswachstums, einer nachhaltigen Entwicklung und einer Reform der multilateralen Systeme. Wir bekräftigen unser Engagement für einen integrativen Multilateralismus und die Einhaltung des Völkerrechts, einschliesslich der in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Ziele und Grundsätze. Wir sind besorgt über die anhaltenden Konflikte in vielen Teilen der Welt. Wir betonen unser Engagement für die friedliche Beilegung von Differenzen und Streitigkeiten durch Dialog und umfassende Konsultationen. […]
Wir ermutigen die multilateralen Finanzinstitutionen und internationalen Organisationen, eine konstruktive Rolle bei der Erzielung eines globalen Konsenses über die Wirtschaftspolitik zu spielen. Wir haben festgestellt, dass es eine globale Dynamik für die Verwendung lokaler Währungen, alternativer Finanzvereinbarungen und alternativer Zahlungssysteme gibt. Als BRICS sind wir bereit, Möglichkeiten zur Verbesserung der Stabilität, Zuverlässigkeit und Fairness der globalen Finanzarchitektur zu prüfen. […]
Mit diesem Gipfeltreffen haben die BRICS ein neues Kapitel in ihren Bemühungen um den Aufbau einer fairen, gerechten, integrativen und wohlhabenden Welt aufgeschlagen.»
Ein zivilisatorisches Treffen
Der brasilianische Präsident Lula da Silva wird in einer Pressemitteilung seiner Regierung wie folgt zitiert:
«Dies ist ein zivilisatorisches Treffen. Auch die armen Länder können sprechen, auch sie haben das Recht dazu, auch sie haben den Wunsch, dies zu tun. Wir wollen zum Ausdruck bringen, was wir unserem Volk geben möchten. Es ist an der Zeit, unser tägliches Brot besser zu teilen. Ich bin neu geboren – in der Politik und mit Hoffnung. Ich verlasse Südafrika mit der Gewissheit, dass ich den Menschen, die mir zuhören, endlich sagen kann, dass eine andere Welt möglich ist – eine Welt, die noch vor kurzem unmöglich schien. […]
Ich denke, dies ist ein historischer Moment für die Menschheit, in dem die Länder des Südens zum ersten Mal ihre Stärke nutzen können. Ich denke, die Dinge werden sich weiterentwickeln; es wird jetzt einfacher sein, sich zusammenzusetzen und zu reden. Wer weiss, vielleicht wird sich der BRICS-Block mit dem G-7-Block treffen, um über Handel, wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt – und über Demokratie – zu sprechen.»
Chancen schaffen und die Zukunft gestalten
Auf der Internetseite des indischen Ministerpräsidenten Shira Narendra Modi heisst es unter anderem:
«In seiner Ansprache rief der Premierminister zu einer gestärkten BRICS auf, die eine solche sein wird, welche:
Barrieren bricht; die Volkswirtschaften wiederbelebt; Innovation anregt; Chancen schafft; die Zukunft gestaltet [im englischsprachigen Original beginnen diese fünf Punkte mit den Buchstaben B, R, I, C und S].
In seinen verschiedenen Beiträgen hob der Premierminister folgendes hervor: Er forderte die Festlegung von Zeitplänen für die Reformen des UN-Sicherheitsrates; eine Reform der multilateralen Finanzinstitutionen; eine Reform der WTO; er forderte die BRICS auf, einen Konsens über ihre Erweiterung zu erzielen; [und hat] die BRICS aufgefordert, eine globale Botschaft der Einheit und nicht der Polarisierung zu senden.»
«Es ist an der Zeit, dass alle beginnen,
gleichwertige Beziehungen aufzubauen»
Der seinen Präsidenten vertretende russische Aussenminister Sergej Lawrow sagte in einer Pressekonferenz nach dem Gipfel:
«Der Unterschied zwischen BRICS und den G7 oder anderen westlich orientierten Verbänden besteht darin, dass in diesen Verbänden alle zu den Vereinigten Staaten aufschauen. Es mag kleine Differenzen geben, und einige Parteien können versuchen, andere Entscheidungen als den von Washington vorgegebenen strategischen Kurs durchzusetzen – aber die Vereinigten Staaten diktieren den allgemeinen Kurs.
Unser Verband hat einen völlig anderen Ansatz. […] Jeder Teilnehmer ist den anderen gleichgestellt. Wenn jemand mit einer Entscheidung nicht zufrieden ist, wird es keinen Konsens geben. Wenn sich jemand unwohl fühlt, werden die anderen Parteien ihr Bestes tun, um eine Formulierung oder Entscheidung zu finden, die unsere Einigkeit gewährleistet. Auf diese Weise erreichen wir einen Konsens, anstatt dem grossen Boss zu gehorchen. Ein Konsens braucht mehr Zeit, aber die auf diese Weise erzielten Vereinbarungen sind wesentlich stabiler, dauerhafter und fruchtbarer. […]
Dieser Gipfel hat die Diskussion über Gerechtigkeit auf eine qualitativ neue Ebene gehoben, indem er darauf beharrte, dass es nicht ewig so weitergehen dürfe, dass man den Entwicklungsländern Ressourcen entziehe. Die Afrikaner erinnern sich nur allzugut an die Kolonialzeit und wofür sie gekämpft haben. Nachdem sie ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, erkannten sie, dass der Westen erneut versuchte, sie nur als Lieferanten kostengünstiger Ressourcen zu nutzen, während er sich den ganzen zusätzlichen Nutzen und seine Vorteile aneignete. Sie sind nicht glücklich darüber. […]
Es ist an der Zeit, dass alle beginnen, gleichwertige Beziehungen aufzubauen, sich gegenseitig zu respektieren und nach einem Interessenausgleich zu suchen. Es ist an der Zeit, dass die Nationen aufhören, anderen Dinge zu diktieren, und dass sich alle Regierungen an die Anforderungen halten, die in vollem Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen stehen, die die souveräne Gleichheit aller Staaten, ob gross oder klein, festlegt. Wenn der Westen zumindest einmal versuchen würde, eine Politik zu verfolgen, die mit der Forderung in Einklang steht, die er bei der Gründung der Uno unterzeichnet und ratifiziert hat, hätte vielleicht der gesunde Menschenverstand eine Chance.»
Fairness und Gerechtigkeit in internationalen Angelegenheiten
Schliesslich der chinesische Präsident Xi Jinping. Er sagte:
«Wir versammeln uns zu einer Zeit, in der die Welt in eine neue Phase der Turbulenzen und des Wandels eingetreten ist. Sie durchläuft grosse Veränderungen, Spaltungen und Umschichtungen, die zu unsicheren, instabilen und unvorhersehbaren Entwicklungen führen.
BRICS ist eine wichtige Kraft bei der Gestaltung der internationalen Landschaft. Wir wählen unsere Entwicklungswege unabhängig, verteidigen gemeinsam unser Recht auf Entwicklung und marschieren gemeinsam in Richtung Modernisierung. Dies stellt die Richtung des Fortschritts der menschlichen Gesellschaft dar und wird sich tiefgreifend auf den Entwicklungsprozess in der Welt auswirken. Unsere Erfolgsbilanz zeigt, dass wir konsequent nach dem BRICS-Geist der Offenheit, der Inklusivität und der Win-win-Kooperation gehandelt und die BRICS-Kooperation zu neuen Höhen geführt haben, um die Entwicklung unserer fünf Länder zu unterstützen. Wir haben Fairness und Gerechtigkeit in internationalen Angelegenheiten hochgehalten, sind für das Richtige in wichtigen internationalen und regionalen Fragen eingetreten und haben die Stimme und den Einfluss der Schwellen- und Entwicklungsländer gestärkt. Die BRICS-Länder vertreten und praktizieren stets eine unabhängige Aussenpolitik. […] Wir verschachern keine Prinzipien, beugen uns nicht dem Druck von aussen und handeln nicht als Vasallen anderer. Wir BRICS-Länder teilen einen weitreichenden Konsens und gemeinsame Ziele. Ganz gleich, wie sich die internationale Lage verändert, unser Engagement für die Zusammenarbeit seit den Anfängen und unser gemeinsames Streben werden sich nicht ändern. […]
Die Mentalität des Kalten Krieges spukt noch immer in unserer Welt, und die geopolitische Lage wird immer angespannter. Alle Nationen sehnen sich nach einem soliden Sicherheitsumfeld. Internationale Sicherheit ist unteilbar. Versuche, absolute Sicherheit auf Kosten anderer zu erlangen, werden letztendlich fehlschlagen. Die Ukraine-Krise hat sich aus komplexen Gründen zu dem entwickelt, was sie heute ist. Jetzt kommt es darauf an, Friedensgespräche anzuregen, die Deeskalation zu fördern, die Kämpfe zu beenden und Frieden zu schaffen. Niemand sollte Öl ins Feuer giessen, um die Situation zu verschlimmern.»
Die Abschlusserklärung
Zu all diesen Wortmeldungen passt der zweite Absatz in der Präambel der Abschlusserklärung:
«Wir bekräftigen unser Bekenntnis zum BRICS-Geist der gegenseitigen Achtung und des Verständnisses, der souveränen Gleichheit, der Solidarität, der Demokratie, der Offenheit, der Inklusivität, der verstärkten Zusammenarbeit und des Konsenses. Auf der Grundlage von 15 Jahren BRICS-Gipfeltreffen verpflichten wir uns weiterhin, den Rahmen der für alle Beteiligten förderlichen BRICS-Zusammenarbeit unter den drei Säulen der politischen und sicherheitspolitischen, der wirtschaftlichen und finanziellen sowie der kulturellen und zwischenmenschlichen Zusammenarbeit zu stärken und unsere strategische Partnerschaft zum Wohle unserer Völker durch die Förderung des Friedens, einer repräsentativeren, gerechteren internationalen Ordnung, eines wiederbelebten und reformierten multilateralen Systems, einer nachhaltigen Entwicklung und eines integrativen Wachstums auszubauen.»
(Auswahl und Übersetzung Zeit-Fragen)
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