Die Kriegsmacht Nato streckt ihre Tentakel nach der neutralen Schweiz aus

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Die Weltordnung ist im Umbruch, von einer «regelbasierten Ordnung» der westlichen Mächte, die zahlreichen anderen Ländern aufgezwungen wurde, zu einer Staatengemeinschaft gleichberechtigter Nationen. Bekanntlich ist auch die Schweiz in einen Strudel gröberen Ausmasses geraten. Damit unser einzigartiges Modell nicht in den Blöcken der EU und der Nato und damit im Kriegsgetöse versinkt, sind unsere vereinten Kräfte vonnöten – was leider nicht allen Schweizern klar ist. Die neueste Aktion gegen unsere Souveränität und Neutralität ist die geplante Eröffnung eines Nato-«Verbindungsbüros» in Genf. Obwohl noch kein offizieller Antrag vorliegt, stehen der Bundesrat und seine Verwaltung bereits in den Startlöchern, um das Kriegsbündnis in der neutralen Schweiz «willkommen zu heissen». Dies meldeten am 11. Oktober die meisten Schweizer Medien (zum Beispiel «Tages-Anzeiger», «Blick», Handelszeitung, «20 Minuten», aber auch das österreichische Fernsehen ORF und Radio Liechtenstein).

Was hat das Kriegsbündnis Nato
 in der Friedensstadt Genf zu suchen?

Auf der Homepage des Bundesrates sucht man vergeblich nach einem Hinweis zu diesem absoluten No-go. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA äussert sich auf Anfrage der Medien, es handle sich nicht um ein «bilaterales Büro der Allianz zur offiziellen Schweiz», sondern um «ein Verbindungsbüro zwischen der Nato und den internationalen und nicht staatlichen Organisationen mit Sitz in Genf».1
  Um so schlimmer! Also ein Zentrum des westlichen Kriegsbündnisses, das an unseren Behörden vorbei in der neutralen Schweiz andocken will, um sein Netz enger zu spannen. Bereits im Juli nach dem Gipfel in Vilnius gab die Nato in Punkt 86 ihres Communiqués bekannt: «Wir prüfen die Möglichkeit der Einrichtung eines Verbindungsbüros in Genf, um unser Engagement bei den Vereinten Nationen und anderen einschlägigen internationalen Organisationen weiter zu verstärken.»2 Als ob die Welt nicht genügend Erfahrung hätte mit dem «Engagement» der Nato, beziehungsweise ihren furchtbaren Kriegen. Und warum hören wir Bürger erst jetzt von diesem «Büro», wenn wir praktisch vor dem Fait accompli stehen? Wer liest denn schon Punkt 86 eines Communiqués, wenn er nicht mit der Nase darauf gestossen wird. Der «Tages-Anzeiger» bemerkt zu dieser Taktik: «Die Notiz ist unscheinbar und gut versteckt. Für die Schweiz hat sie aber politische Sprengkraft.» Allerdings!

Eidgenössische Privilegien für ein
 Nato-Zentrum mit unbekanntem Auftrag?

Das fleissig verwendete Etikett «neutral» wäscht die neutralitätswidrigen Aktionen des Bundesrates nicht weisser. Das EDA behauptet, die Eröffnung eines Nato-Verbindungsbüros in der Schweiz sei «neutralitätsrechtlich kein Problem, […] denn das Verteidigungsbündnis stelle eine zwischenstaatliche Organisation gemäss Schweizer Gaststaatgesetz dar». Eigentlich sollte es sich auch in Bundesbern herumgesprochen haben, dass die Nato spätestens seit ihrem Angriffskrieg gegen Jugoslawien kein «Verteidigungsbündnis» mehr ist, sondern Kriegspartei in zahlreichen Kriegen ausserhalb ihres Territoriums.
  Das Gaststaatgesetz3 hat die Schweiz geschaffen als Beitrag unseres neutralen Landes zur Förderung der Kooperation in der Weltgemeinschaft. Es legt die rechtlichen Grundlagen für die Unterstützung des IKRK und der zahlreichen Uno-Organisationen, die ihren Sitz in Genf haben, aber auch für viele weitere in- und ausländische kulturelle, humanitäre und wirtschaftliche Organisationen in der Schweiz, die sich der Kooperation der Länder und Völker in den verschiedensten Bereichen widmen, ebenso für internationale Konferenzen und Schiedsgerichte. Das Gesetz regelt «die Gewährung von Vorrechten, Immunitäten und Erleichterungen» sowie von «finanziellen Beiträgen» der Schweiz (Art. 1 Abs. 1) an solche Organisationen.
  Falls die Schweiz dem Kriegsbündnis Nato Gastrecht gäbe, würde das folglich bedeuten, dass dessen Mitarbeiter in der Schweiz freie Hand hätten für die Erfüllung ihres uns unbekannten Auftrags von ennet dem Atlantik. Darüber hinaus wären sie nicht einmal dem Schweizer Rechtsstaat unterstellt, sondern würden von weitreichenden Privilegien wie der Immunität vor Strafverfolgung oder der Steuerbefreiung (Art. 3) profitieren, die für das IKRK und die Uno-Organisationen eingerichtet wurden. Das kann ja wohl nicht der Ernst des Bundesrates sein!

Kritische Stimmen in Medien und Politik
erinnern den Bundesrat
 an die Neutralität der Schweiz

Beni Gafner, Bundeshausredaktor beim «Tages-Anzeiger», wundert sich über die Aussage des Bundesrates, mit einem Nato-Zentrum in Genf sei «die Neutralität […] nicht tangiert».4 Gafner hält demgegenüber fest: «Öffentlich vermittelt der Bund den Eindruck, mit der Nato wolle er eine weitere Friedensorganisation nach Genf holen – eine Art Hilfswerk, das parteiübergreifend für alle da ist. Dem ist aber nicht so, denn die Nato ist ein Verteidigungsbündnis unter Kommando der USA – und ein militärischer Gegner für Länder wie Russland oder China.» Weil die USA innerhalb der Nato «die absolut dominierende Militärmacht» sei, so Gafner, würde eine Zustimmung des Bundesrates zum Nato-Standort in Genf «die Schweiz gefährlich nahe an die USA bringen». Der Redaktor weist darauf hin, dass für die Schweiz «bisher eine permanente Nato-Präsenz im Land kein Thema» war, denn «es galt vorrangig, neutrale Vermittlung zwischen Kriegsparteien zu ermöglichen». Deshalb fordert er den Bundesrat auf, sich gründlich zu überlegen, «was eine Nato-Präsenz für die Schweiz als Vermittlerin genau bedeutet».
  Dem ist zuzustimmen. Die Friedensstadt Genf hat bisher als neutraler Ort für Gute Dienste für alle Staaten und Völker in Kriegs- und Konfliktsituationen zur Verfügung gestanden, und so soll es auch bleiben. Da ist kein Platz für das Bestreben der Nato, ihre Tentakel in die Friedens- und Menschenrechtsorganisationen hinein zu strecken. Es ist gschämig, dass wir den Bundesrat daran erinnern müssen.
  Für Nationalrat Franz Grüter (SVP), Präsident der Aussenpolitischen Kommission (APK-N) ist es ebenfalls klar, dass die Schweiz «als unabhängiges, neutrales Land» nicht Standort sein darf für die Nato. Auch SP-Nationalrat Fabian Molina steht «der Eröffnung eines offiziellen Nato-Büros in Genf kritisch gegenüber».5
  Andere Schweizer Parlamentarier, die im selben Zeitungsartikel zitiert werden6, bringen hingegen wenig durchdachte Argumente für ein Nato-Zentrum in Genf: «Die Nato-Präsenz stärke das internationale Genf», behauptet Nationalrätin Andrea Gmür (Mitte) kühn, während FDP-Sicherheitspolitikerin Maja Riniker offen bekennt: «Die Ansiedlung würde jener Annäherung an die Nato entsprechen, wie sie die FDP fordere.» (Von Riniker stammt übrigens die Idee, das Weiterlieferungsverbot von Schweizer Waffen mit einem faulen Trick zu umgehen: Wir verkaufen Leopard-Panzer an Deutschland, dieses behält sie und schickt eigene Leoparden in die Ukraine.) Der grüne Nationalrat Nicolas Walder schiesst den Vogel ab: Wenn die Schweiz der Nato die Möglichkeit biete, in Genf mit dem IKRK und der Uno «in Kontakt zu treten», könnte sich das «positiv auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch Nato-Truppen auswirken». Verzell du das im Fährimaa! (Erzähl doch keinen Unsinn).

Ein Stopp ist noch möglich!

Wie geht es weiter? Auf Nachfrage bestätigt Nationalrat Franz Grüter eine Zeitungsmeldung, es sei Sache des Bundesrates, über die Eröffnung des Nato-Zentrums zu entscheiden. Er müsse lediglich die Aussenpolitischen Kommissionen (APK) beider Räte vorher konsultieren. Grüter plant für die Wintersession, einen Vorstoss dazu einzureichen, um das Ansinnen zu stoppen.  •



1 Gafner, Beni; Reichen, Philippe; Israel, Stephan. «Nato-Büro in der Schweiz: Militärbündnis will nach Genf expandieren». Tages-Anzeiger vom 11.10.2023
2 Communiqué der Nato-Staats- und Regierungschefs vom 11.7.2023, Punkt 86 (https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_217320.htm)
3 «Bundesgesetz über die von der Schweiz als Gaststaat gewährten Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen sowie finanziellen Beiträge» (Gaststaatgesetz, GSG) vom 22. Juni 2007
4 Gafner, Beni. «Kommentar zum Verbindungsbüro. Vorsicht bei einem Ja zur Nato in Genf». Tages-Anzeiger vom 11.10.2023
5 Gafner, Beni; Reichen, Philippe; Israel, Stephan. «Nato-Büro in der Schweiz: Militärbündnis will nach Genf expandieren». Tages-Anzeiger vom 11.10.2023
6 Alle hier Genannten sind in den Wahlen vom 22. Oktober in ihrem Amt bestätigt worden.

Die Nato – ein Verteidigungsbündnis?

mw. Die Nato wird von etlichen Schweizer Medien und Politikern nach wie vor als «Verteidigungsbündnis» bezeichnet, was seit der neuen Nato-Doktrin vom 24.4.1999 de iure nicht mehr zutrifft (Ziffer 24 und 25) und durch die Nato-Kriege ausserhalb des Territoriums ihrer Mitglieder de facto obsolet ist. Mit dem Angriffskrieg auf Serbien von 1999 – ohne Zustimmung des Uno-Sicherheitsrates – verletzte die Nato ausserdem erstmals die eigene Regel, ihre Einsätze «in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht» durchzuführen (Ziffer 31).

Das Strategische Konzept
 des Bündnisses vom 24.4.1999

Ziffer 24: «Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet der Bündnispartner, aus welcher Richtung auch immer, finden Artikel 5 und 6 des Vertrags von Washington Anwendung. Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschliesslich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer grossen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses aufwerfen.[…]»
  Ziffer 25: «Das Bündnis ist einem breit angelegten sicherheitspolitischen Ansatz verpflichtet, der die Bedeutung politischer, wirtschaftlicher, sozialer und umweltpolitischer Faktoren neben der unverzichtbaren Verteidigungsdimension anerkennt.» (Hervorhebungen mw)
  Ziffer 31: «Im Zuge ihrer Politik der Friedenserhaltung, der Kriegsverhütung und der Stärkung von Sicherheit und Stabilität […] wird die Nato in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen darum bemüht sein, Konflikte zu verhüten oder, sollte eine Krise auftreten, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu deren wirksamer Bewältigung beitragen, einschliesslich durch die Möglichkeit der Durchführung von nicht unter Artikel 5 fallenden Krisenreaktionseinsätzen.» (Hervorhebungen mw)


Quellen:

Nato-Gipfel 1999. Das Strategische Konzept des Bündnisses vom 24.4.1999. https://www.nato.int/docu/pr/1999/p99-065d.htm
«NATO und Energiesicherheit». Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag vom 18.4. 2012 WD 2 – 3000 – 055/12
«Vom Verteidigungsbündnis zur Kriegsmaschine». Zeit-Fragen Nr. 25 vom 11.6. 2012

Schweizer Mandat für Friedensverhandlungen in Kolumbien

Gute Dienste gehören ins Zentrum der Aussenpolitik der neutralen Schweiz

mw. Neben dem unerträglichen Buhlen um die Gunst der Nato von VBS-Chefin Viola Amherd und EDA-Chef Ignazio Cassis gehen die dringenden Aufgaben, die in dieser von Kriegen und Elend zugeschütteten Welt auf eine neutrale Schweiz warten, fast unter. Immerhin berichtet eine aktuelle Medienmitteilung des Bundesrates von den Guten Diensten der Schweiz in Kolumbien. Bei den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Rebellengruppe Estado Mayor Central de las FARC-EP (EMC) «übernimmt die Schweiz auf Wunsch der Parteien ein offizielles Mandat als Garantin für die Verhandlungen. Dieses Mandat ist ein Zeichen der Wertschätzung der friedenspolitischen Arbeit der Schweiz und der Schweizer Diplomatie.» Ausserdem trägt die Schweiz «auch zur Verminderung der Folgen des Konflikts bei, etwa durch humanitäre Massnahmen, Minenräumung und Unterstützung der ländlichen Entwicklung». Die Schweiz unterstützt den Friedensprozess in Kolumbien schon seit zwanzig Jahren. Botschafter Simon Geissbühler, Leiter der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA, sagt: «Die Anfrage der Parteien ist ein klares Zeichen des Vertrauens in die Schweiz und ihre Friedenspolitik. Dies ist auch auf die langjährige Präsenz vor Ort zurückzuführen.» (eda.admin.ch).
  «Mit dem Engagement für Frieden und Sicherheit, das sich in der Unterstützung des kolumbianischen Friedensprozesses manifestiert», so der Bundesrat, «setzt der Bund einen der thematischen Schwerpunkte der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 des Bundesrates um.»
  Gut zu wissen, dass dieses Engagement in der Aussenpolitischen Strategie der Schweizer Regierung nicht ganz vergessen wurde. Die Guten Dienste müssen wieder im Zentrum der Schweizer Aussenpolitik stehen. Damit holt man sich als VBS-Strahlefrau oder eifriger Kopfnicker im EDA zwar keine Lorbeeren bei den Mächtigen der Welt, aber dafür die Gewissheit, als neutrales Land das Richtige zu tun.

Quelle: «Eröffnung der Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen in Kolumbien:die Schweiz ist Garantenstaat».
Medienmitteilung des Bundesrates vom 17.10.2023

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK