Ganz anders als die westlichen Kriegstrommeln: III. Forum zum Projekt «Neue Seidenstrasse»

von Karl-Jürgen Müller

Das sind Behauptungen der schlimmsten Art: Schon längere Zeit wird der russische Präsident Wladimir Putin von westlichen Stimmen als neuer Hitler und Stalin bezeichnet. Auch der chinesische Präsident Xi Jinping sei der «Diktator» (Annalena Baerbock) eines «totalitär beherrschten Einheitsstaates» (Wikipedia). Westliche Politiker und Journalisten bedienen sich der Rhetorik der Alliierten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Eine die «freie» und «demokratische» Welt bedrohende grösste Gefahr soll herbeigeredet werden, der «Feind» wird über alle Massen verteufelt, die eigene Politik als grösster Segen für die Menschheit hingestellt.1
  Früher hiess es, der US-Regierung gehe es darum, mit ihrem Kriegseintritt die Welt «sicher für die Demokratie» zu machen (so Präsident Wilson im Ersten Weltkrieg), später, die aggressive Seuche der Aussenpolitik der Achsenmächte Japan, Italien und Deutschland durch eine «Quarantäne» einzudämmen (so Präsident Roosevelt 1937).
  Nun nannte US-Präsident Biden in einer Rede aus dem Oval Office die Hamas und den russischen Präsidenten in einem Atemzug: «Die Hamas und Putin haben eines gemeinsam, sie wollen eine benachbarte Demokratie komplett vernichten.» Die USA hätten eine Verantwortung als «grosse Nation»: «Wir können und werden Terroristen wie die Hamas und Tyrannen wie Putin nicht gewinnen lassen.» – Biden will zusätzliche zig Milliarden für Waffenlieferungen an Israel, Taiwan und die Ukraine … und ist im Wahlkampfmodus.
  Eric Gujer, Chefredakteur der «Neuen Zürcher Zeitung», schrieb in seinem Leitartikel vom 14. Oktober, in dem auch er die Hamas und Russland in einem Zug nannte, der «Appetit auf einen Umsturz der Machtverhältnisse» beschränke sich «nicht auf eine einzelne Region. […] Westliche Ordnungen, ob in Osteuropa, Afrika oder im Nahen Osten, sollen zum Einsturz gebracht werden.»
  Solche Aussagen bedeuten noch nicht, dass der totale Krieg des Westens gegen alle seine «Feinde» geplant ist. – Aber die kriegsmüden Bürger der westlichen Staaten sollen mental noch schärfer mobilgemacht werden. Sei es letztlich auch nur, um mit der autoritären Brechstange totale Gefolgschaft zu erzwingen und eigenständiges Denken und Handeln auszuschalten. Das politische Klima in unseren Ländern wird vergiftet. Wer wagt es noch, sich frei zu äussern, wenn der Hammer der «Guten» droht?

Ein Gegengift

Ein Gegengift ist es, die Tatsachen zu erkunden.2 Was taten und tun unsere westlichen Regierungen tatsächlich? Und was taten und tun die vermeintlich «Bösen»?
  «Böse» haben sich am 17. und 18. Oktober – zehn Jahre nach dem Start der Initiative – beim III. Forum «Neue Seidenstrasse» in Peking getroffen – unter ihnen auch der Präsident Serbiens Vučić und der ungarische Ministerpräsident Orbán. Die deutschsprachigen Medienkommentare waren grösstenteils abschätzig. Die Schweizer Weltwoche bot indes die Gelegenheit, die Eröffnungsrede des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu diesem Forum in deutscher Übersetzung zu lesen.3
  Der chinesische Präsident sagte eingangs, das Projekt der «‹Neuen Seidenstrasse› ziele darauf ab, die Verbindungen in den Bereichen Politik, Infrastruktur, Handel, Finanzen und zwischenmenschliche Beziehungen zu verbessern, der Weltwirtschaft neuen Schwung zu verleihen, neue Möglichkeiten für die globale Entwicklung zu schaffen und eine neue Plattform für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit aufzubauen».

«Gemeinsam planen, gemeinsam bauen
 und gemeinsam profitieren»

Bislang hätten «mehr als 150 Länder und über dreissig internationale Organisationen […] Kooperationsdokumente für die ‹Belt and Road›-Initiative unterzeichnet». Das Prinzip der Kooperation sei: «gemeinsam planen, gemeinsam bauen und gemeinsam profitieren».
  Das Projekt stehe «für das gemeinsame Streben der Menschheit nach Entwicklung für alle» und solle «die Unterschiede zwischen den Zivilisationen, Kulturen, Gesellschaftssystemen und Entwicklungsstadien» überwinden. «Wenn Länder zusammen-arbeiten und an einem Strang ziehen», so Xi Jinping, könne «eine tiefe Kluft in eine Durchgangsstrasse verwandelt werden, können Länder, die von der Aussenwelt abgeschnitten sind, miteinander verbunden werden, und ein Ort der Unterentwicklung kann in ein Land des Wohlstands verwandelt werden. Die Länder, die in der wirtschaftlichen Entwicklung führend sind, sollten ihren Partnern, die noch aufholen müssen, unter die Arme greifen. Wir sollten uns alle gegenseitig als Freunde und Partner behandeln, uns gegenseitig respektieren und unterstützen und uns gegenseitig zum Erfolg verhelfen. Ein Sprichwort sagt: Wenn man anderen Rosen schenkt, bleibt ihr Duft an der Hand haften. Mit anderen Worten: Wer anderen hilft, hilft auch sich selbst. Wenn man die Entwicklung der anderen als Bedrohung ansieht oder die wirtschaftliche Verflechtung als Risiko betrachtet, wird das eigene Leben nicht besser und die eigene Entwicklung nicht schneller.»
  Der Geist der Seidenstrasse sei «von Frieden und Zusammenarbeit, Offenheit und Einbeziehung, gegenseitigem Lernen und gegenseitigem Nutzen geprägt».

Allen Menschen
 ein gutes Leben ermöglichen

Es gehe darum, «nicht nur den Menschen eines Landes, sondern auch denen in anderen Ländern ein gutes Leben zu ermöglichen. […] Ideologische Konfrontation, geopolitische Rivalität und Blockpolitik kommen für uns nicht in Frage.» Was man jedoch ablehne, seien «einseitige Sanktionen, wirtschaftlicher Zwang, Abkopplung und Unterbrechung der Lieferketten».
  «Veränderungen in der Welt, in unserer Zeit und von historischer Bedeutung» seien im Gange – «wie nie zuvor». Xi Jinping listete acht grosse Vorhaben des Projektes «Neue Seidenstrasse» auf, Vorhaben, die über die wirtschaftliche, technologische und wissenschaftliche Kooperation hinausgehen und menschliche Begegnungen und einen «Dialog der Zivilisationen» anstreben. Am Ende seiner Rede ruft er dazu auf: «Lassen Sie uns die Modernisierung aller Länder vorantreiben, eine offene, integrative und vernetzte Welt für die gemeinsame Entwicklung aufbauen und gemeinsam eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit schaffen.»
  Sicher: Auch beim Projekt «Neue Seidenstrasse» ist nicht alles perfekt gelaufen. Perfektion gibt es nirgendwo im politischen Leben. Indes: Was die zahlreichen Teilnehmer aus der ganzen Welt und die vertretenen Staatspräsidenten und Ministerpräsidenten (siehe Bild) von Xi Jinping zu hören bekamen, war gar nicht «böse». Oder klingt es nach «totalitärer Diktatur» und Bedrohung für Freiheit und Demokratie? Oder sind die in Peking zahlreich anwesenden Staatsführer alle auf chinesische Propaganda hereingefallen?
  Übrigens: Der russische Präsident Putin war ebenso zugegen und hat sich auch geäussert.4 Ein Meinungsunterschied zu Xi Jinping ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil.  •



1 Eines des vielen Beispiele dafür ist ein Kommentar bei Zeit online vom 25.10.2023. Der Titel des Textes: «Joe Biden: auf der richtigen Seite der Geschichte». Und im Vorspann heisst es: «Erst in der Ukraine, jetzt in Israel: Joe Biden beweist moralische Klarheit und weltpolitische Führungskraft – gegen das Lager der Autokraten um Xi Jinping und Putin
2 Jeder, der sich diesbezüglich genauer informieren möchte, kann dies auch im deutschsprachigen Raum. Hier sei nur auf zwei frei zugängliche Bücher verwiesen: die im Juli 2023 erschienene deutschsprachige Version des zuerst in Französisch erschienenen Buches von Jacques Baud: «Putin. Herr des Geschehens?» (ISBN 978-3-86489-426-8) und das im Oktober 2023 erschienene Buch von Patrik Baab: «Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine» (ISBN 978-3-946778-41-7).
3 https://weltwoche.ch/daily/symphonie-der-freundschaft-chinas-praesident-xi-jinping-eroeffnet-das-forum-zum-10-jahrestag-der-neuen-seidenstrasse/ vom 18.10.2023
4 http://en.kremlin.ru/events/president/news/72528 vom 18.10.2023

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