Schon mehrfach wurde in dieser Zeitung darauf hingewiesen, dass die künstlich angefachte und von vielen Medien verstärkte neue «Kriegsbereitschaft» im EU-Europa nicht nur unsere Denkfähigkeit auf die Probe stellt, sondern auch unser Empfinden stumpfer macht. Gerade im deutschsprachigen Raum ist das besonders deutlich geworden. In meiner Jugend wäre die vor einiger Zeit in Nato-Kommandozentralen gefallene Äusserung, «Deutschland muss wieder lernen, Kriege zu führen», auf den einhelligen Schrei des Entsetzens der Öffentlichkeit gestossen. Es hat sich aber im EU-Musterland Deutschland und in der aussenpolitisch träge gewordenen Schweiz, leider auch im früher oft wacheren Österreich, keine wahrnehmbare Opposition manifestiert. Im Gegenteil. Die für die Nachkriegszeit kriegerische Botschaft Deutschlands an die Welt wurde kürzlich in noch schärferer Form vom amtierenden deutschen Verteidigungsminister bestätigt: Deutschland muss wieder «kriegstüchtig» werden.1
Kurze Phase der Besinnung
Das war früher anders. Wir sind als Kinder noch unter dem Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen, von denen wir am Mittagstisch und später in der Schule viel erfahren haben. Es galt als akzeptiert, dass Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte sich in der Geschichte als hoffnungslos überaltertes und untaugliches Mittel erwiesen hat. Kriege verwandeln Völker in Feinde. Im Kalten Krieg ging diese Erkenntnis dann wieder weitgehend verloren. Heute ist erwiesen, dass die Wurzel des Zweiten Weltkrieges schon im «Friedensabkommen» von Versailles am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 lag. Wenn die wirkliche Absicht hinter Friedensabkommen die dauernde Schwächung des Gegners ist, dann stehen die Chancen für dauerhaften Frieden schlecht. Das zeigte sich schon 15 Jahre später, als Hitler in Deutschland die Macht ergriff und Deutschland in kürzester Zeit auf sein Weltkrieg-2-Programm einspurte. Danach hiess der neue Konkurrent für die neue Weltmacht Vereinigte Staaten Russland und blieb es, auch als der Kalte Krieg (kalt war er nur in Europa, heiss an unzähligen geschürten Feuersbrünsten in der ganzen Welt, von Vietnam bis Afghanistan) durch den Feldzug der USA gegen wechselnde «Schurkenstaaten» abgelöst wurde. Und heute kommt für die bis heute ungebrochenen Weltherrschaftsansprüche der USA China ins Visier. Was soll daraus werden für den arg bedrohten Weltfrieden? Aus diesem gefährlichen Poker, bei dem der Finger immer auf dem Auslöser des atomaren Vernichtungsschlages liegt (der trifft dann allerdings alle), hilft nur eine radikale Umkehr im Denken. Diese wird von unerschrockenen Forschern, weit denkenden Politikern und, ein Hoffnungsstrahl, auch von Regierungen anderer, sogar sehr mächtiger Länder unterstützt.
Nie wieder Krieg!
Kürzlich wurde in dieser Zeitung darauf hingewiesen, dass die Uno, drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, aus der Einsicht, dass Kriege und Kriegsbereitschaft vor allem aus der seelischen Dimension erwachsen, ihre Unterorganisation Unesco (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) gegründet hat.
In der Präambel zu ihrer Satzung steht: «Die Regierungen der an dieser Verfassung beteiligten Staaten erklären im Namen ihrer Völker, […] dass, da Kriege ihren Ursprung in der Seele des Menschen haben, die Schutzwehr des Friedens gleichfalls in der Seele des Menschen errichtet werden muss»; und weiter, «dass der grosse und schreckliche Krieg, der soeben zu Ende gegangen ist, nur dadurch möglich wurde, dass das demokratische Ideal der Würde, der Gleichheit und der gegenseitigen Achtung des Menschen verleugnet wurde, um an seine Stelle, unter Ausbeutung von Unwissenheit und Vorurteilen, die Lehre von der Ungleichheit der Rassen und der Menschen zu setzen […]».2
Hauptziel der Unesco war und ist es, die «Schutzwehr des Friedens» durch gezielte Massnahmen zu unterstützen. Dabei dachte sie in erster Linie an die junge Generation, und damit an die Schulen. Es stand die innere, seelisch ansprechende Friedensausrichtung der Schulen auf der ganzen Welt im Vordergrund, neben der Wissensvermittlung. Gerade Schulen, wenn sie denn die Friedfertigkeit der ihnen anvertrauten Kinder fördern, leisten einen unschätzbaren Dienst am Weltfrieden.
Friedensfähigkeit ist unverzichtbares
Bildungsziel der Volksschule
Eliane Perret, erfahrene Psychologin, Pädagogin und Schulleiterin, schreibt dazu im oben erwähnten Artikel: «Es muss endlich ein Nachdenken unsererseits einsetzen, wie wir in den Kindern und Jugendlichen einen Widerwillen erzeugen, sich für Gewalt und Krieg instrumentalisieren zu lassen. Die soziale Natur des Kindes ist auf unserer Seite. Das erhellt auch unsere Aufgabe, die wir vor uns haben. Gerade jetzt, in der aktuellen Weltlage!»
Die Autorin, die auf ein ganzes Leben gesammelter Erfahrung zurückblicken kann, zeigt an Beispielen auf, dass Erziehung zur Friedensfähigkeit Pflicht einer humanistischen Volksschulbildung in der Demokratie ist, und Chance, gerade für Eltern und Lehrkräfte. Kinder und Jugendliche sind Realisten, sie lieben es, über Fragen des Lebens nachzudenken, natürlich in altersspezifischer Form und – die Autorin betont es – in enger Kontaktnahme der verantwortlichen Lehrperson mit den Kindern, auch auf der emotionalen Ebene. Es ist das, was die bei uns über Bord geworfenen Lehrpläne als «Gemütsbildung» bezeichneten. Gesang, auswendig gelernte Gedichte, Lehrausgänge in die Natur gehörten dazu und, dies vor allem, das von der dazu ausgebildeten Lehrperson permanent in der Klasse gepflegte Gespräch aller mit allen. Wie das auch unter gegenwärtigen Bedingungen gelingen kann, dazu ist das kürzlich von Eliane Perret zusammen mit Rüdiger Maas herausgegebene Buch «Wie ich mit Kindern über Krieg und andere Katastrophen spreche»3 eine wahre Fundgrube.
Andere Katastrophen…
Naturkatastrophen hat es, wie Krieg, schon immer gegeben. Oft wirken sie sich aber durch die Tatsache von Kriegen noch zusätzlich dramatisch aus. In jüngerer Zeit häufen sich Felsstürze, Schlammlawinen und Überschwemmungen, abwechselnd mit bitteren Dürrephasen, die oft auf die Erderwärmung zurückgeführt werden. Deren Folgen sind in weniger entwickelten Ländern besonders peinvoll. In der nichtwestlichen Welt, die davon stärker betroffen ist, mehren sich Stimmen, die auch hier von Ungerechtigkeit sprechen, oder vom Ergänzungsbegriff, von der Klima-Gerechtigkeit. Länder, die der westlichen Wirtschaft als Kolonien nicht gleichberechtigt gegenüberstanden, empfinden es als doppelte Last, dass sie neben ihrer oft hohen Verschuldung nun auch noch einschneidende Nachteile kompensieren müssen, die in vielen Fällen mit dem damaligen oder immer noch stattfindenden Raubbau an ihren Ressourcen verknüpft sind. Auch hier könnte man berechtigterweise von einem Krieg sprechen, dem globalen Wirtschaftskrieg.
Erderwärmung, Entkarbonisierung, Nullwachstum der Treibhausgase, Klimaneutralität und das Erreichen bzw. Nichterreichen ehrgeizig gesteckter «weltklimatischer» Ziele werden neben den kriegerischen Schlagzeilen bald auch bei uns wieder die internationalen Medien bevölkern. Vom 30. November bis zum 12. Dezember 2023 tagt in Dubai (VAE) die 28. Uno-Weltklimakonferenz, abgekürzt «COP28». Erstmals ging dieser Konferenz ein Gipfeltreffen oberster religiöser Würdenträger (Faith Leaders) aus der ganzen Welt voraus. Wie im Vorspann zum dort gehaltenen Appell von Jeffrey Sachs zitiert (siehe diese Ausgabe von Zeit-Fragen), appellierten die geistigen Führer verschiedener Bekenntnisse an die ganze Menschheit, sich der Frage des Klimawandels und seiner Folgen in Frieden und im Geiste des Zusammenwirkens zu widmen.
Das Sekretariat der Uno-Klimakonferenz befindet sich in Berlin. Das Auswärtige Amt der deutschen Bundesregierung hat im Vorfeld der Konferenz von Dubai zu einem «Briefing» zur Vorbereitung der Konferenz eingeladen. Allerdings nicht im Geiste des Weltfriedens und des Zusammenwirkens, sondern der grünen Rechthaberei. In ihrer Stellungnahme zu diesem Anlass insistierte Annalena Baerbock (Die Grünen) unter anderem auf den Pariser Zielen, die Treibhausgasemissionen «bis 2050 auf netto Null zu senken».4
«Die Schuldigen» bezeichnen
ist kein Beitrag zur Klimafrage
Baerbock weiss, wer als grosser Klimasünder zu betrachten und deshalb auch bei der bevorstehenden COP28 besonders eindringlich zur Kasse für die Welt-Energiewende nach ihren Rezepten zu bitten ist. Es sind in ihrer Optik insbesondere, das kann kaum überraschen, China und die Golf-Staaten (von denen einer der Gastgeber sein wird). Sie gehören eben, wie Baerbock wörtlich sagte, «historisch betrachtet, zu den grössten Verursachern von Treibhausgasen». Und fügte hinzu: «Wer geostrategisch Verantwortung tragen will, der muss auch weltweit klimapolitisch Verantwortung tragen.» Und voll in die Tasche greifen.
Damit ist, zumindest von der aktuellen deutschen Führung, schon im Vorfeld scharf Position bezogen. Es werden Hauptschuldige benannt, die nun den Klima-Topf aufzufüllen haben. Damit ist von grüner Seite, auch hier nach westlicher Optik, weiter für Streit und Hader gesorgt, etwas, das den Empfehlungen der erwähnten Vorkonferenz religiöser Häupter auf der ganzen Welt diametral entgegenläuft. Zank und Schuldzuweisungen lösen gar nichts, weder bei diesem Weltproblem noch bei dem des gemarterten Weltfriedens. Mit Besserwisserei ist den am meisten von Umweltkatastrophen heimgesuchten Völkern dieses geplagten Planeten in keiner Art und Weise geholfen. Auch da sind Kräfte am Werk, die den Krieg fördern und den Frieden hemmen. Sie sind genährt vom Geist der Überheblichkeit. Jeffrey Sachs nennt sie als Hauptproblem unserer zerrissenen Welt. Sie ist als Haltung und Weltsicht ein schweres Erbe des europäischen Kolonialismus. Dieser teilte die Völker der Welt in zwei Teile: Eliten und Massen. Der Leitgedanke war auch hier rassistisch: Es gibt geborene Herrscher und geborene Diener. Dagegen sagt die Uno-Charta: Alle Menschen sind gleich an Rechten geboren. Warum? Weil sie Menschen sind.
Und wenn wir schon von «geostrategischer Verantwortung» sprechen und von historisch klaffenden Klimasünden (siehe oben): Hat eigentlich jemand einmal den Versuch unternommen, bei den zahlreichen bewaffneten Interventionen der USA seit 1945 – die meisten davon in flagranter Verletzung internationalen Rechts, besonders bei den Angriffskriegen gegen Jugoslawien, Sudan, Libyen, Afghanistan, Irak, um nur die neueren zu nennen – neben den menschlichen, industriellen und sozialen Schäden auch die ökologischen hochzurechnen? Wohin, denken die Kämpfer für reine Luft und Dekarbonisierung, die bei der Verwüstung, auch der ökologischen, in mindestens drei Fällen Mitschuld tragen (Jugoslawien, Irak, Afghanistan), wohin, denken sie wohl, sind dort überall die Schadstoffe hingegangen und wohin gehen sie noch immer? Und dann sogar noch Munition mit abgereichertem Uran, krebserregend, mit ungeheuerlichen Folgen (vgl. Interview mit Prof. Srdan Aleksić in dieser Ausgabe). Diese wird übrigens auch wieder in der Ukraine eingesetzt.
Grosse Krisen können
nur durch Mittun bewältigt werden
Auch in der Klimafrage ist die Welt durch frühzeitige Ideologisierung der Debatte entzweit. Es herrscht auch dort der schnelle Positionsbezug, die Zuteilung der Schuld. Wie die Frage der Welternährung, der Weltgesundheit und des Weltfriedens, ist auch die Frage des Umgangs der Menschen mit ihrem übernutzten Planeten eine Frage der Weltgemeinschaft. Ohne das Ganze im Auge zu haben, ist jede Bemühung zum Scheitern verurteilt. Die Welt kann nicht gerettet werden, solange ein Land für sich keine andere Lösung sieht als den Untergang «seines» Feindes. Schon früher waren Weltreiche eine Ausgeburt des Grössenwahns. Heute ist angesichts des drohenden Atomschlags das militärische Streben nach Weltmacht schon rein militärisch der galoppierende Wahnsinn.
Den tieferen Hintergrund jedes heutigen Weltproblems, also auch ihrer Erwärmung, leuchtet die Intervention von Jeffrey Sachs an der genannten Vor-Konferenz in Abu Dhabi zur COP28 mit aller Deutlichkeit aus. Auch er sieht die Kriegsgefahr in unseren Seelen, angetrieben von den Negativimpulsen Arroganz, Neid, Habgier und der Unfähigkeit, falsche Propheten (Kriegstreiber) zu erkennen und den Blick auf die Wahrheit zu richten. Damit sind aber auch die Heilkräfte auf der anderen Seite des Spektrums genannt, auch sie seelischer Natur: statt Arroganz Bescheidenheit; statt Neid und Habgier Freude am eigenen, anständig erworbenen Besitz und Befriedigung darüber, dass auch andere besitzen dürfen; statt Kriegstreiberei und Dominanzstreben friedlicher Austausch der errungenen Güter und Kenntnisse – mit einem Wort: Kooperation. Die im Menschen evolutionär angelegte Ureigenschaft des Kooperierens hat die bisherigen Katastrophen überdauert. Sie muss und kann uns auch angesichts der heutigen leiten. •
1 vgl. Müller, Karl-Jürgen. «Was tun in Zeiten des Krieges», in: Zeit-Fragen Nr. 24 vom 14.11.2023
2 vgl. Perret, Eliane. «Krieg ist kein notwendiges Übel der Menschheit», in: Zeit-Fragen Nr. 22 vom 17.10.2023
3 Perret, Eliane und Maas, Rüdiger. «Wie ich mit Kindern über Krieg und andere Katastrophen spreche»; ISBN 978-3-96890-115-2
4 Bundesrepublik Deutschland, Auswärtiges Amt: Rede der Aussenministerin Annalena Baerbock zur Eröffnung des Briefings zur COP 28 «Globale Energiewende jetzt»; https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/briefing-cop28/2631614
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