«Die Neutralität ist uns ein kostbares Gut»

Interview von AUF1 mit Daniel Jenny*, Neutrales Freies Österreich

AUF1: Was ist die Gruppe «Neutrales Freies Österreich» und welche Ziele haben Sie?
Daniel Jenny: Das «Neutrale Freie Österreich» (NFÖ) versteht sich als politische Initiative (mit dem rechtlichen Status einer politischen Partei) zur politischen Bewusstseinsbildung und Aufklärung. Sie wurde im März 2003 gegründet, und wir feiern in einem Monat unseren 20. Geburtstag.
  Wie der Name schon sagt, ist uns die Neutralität ein kostbares Gut.
  Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass sich unsere Regierung als Vermittler im Ukraine-Konflikt betätigt, statt einfach Vorgaben aus Brüssel umzusetzen.

NFÖ hat auch die Parlamentarische Bürgerinitiative «Stoppt die Sanktionen gegen Russland» auf den Weg gebracht. Was genau wird gefordert, und wie kann man die Initiative unterstützen?
Die Beteiligung am Wirtschaftskrieg gegen Russland mit der Waffe «Sanktionen» ist strikt abzulehnen.
  Die getroffenen Sanktionen verstossen gegen das Völkerrecht. Nur der Uno-Sicherheitsrat darf Sanktionen verhängen. Die USA halten sich seit Jahren nicht daran, was die Sanktionen aber nicht legaler macht. Wenn Österreich die Sanktionen unterstützt, verletzt Österreich das Völkerrecht.
  Leider trägt Österreich mit der EU viele Sanktionen gegen Länder mit, auch gegen sehr arme Länder wie Afghanistan oder Syrien. Aber ist das Aushungern eines Volkes eigentlich ein humaneres Gewaltmittel als der Waffeneinsatz? Und warum muten wir den von Hungerkrieg und Arbeitsplatzverlust betroffenen Mitmenschen zu, Österreich im Falle des Mitmachens an den Sanktionen noch als neutral zu beurteilen?
  Bei den Sanktionen gegen Russland schadet sich Westeuropa zudem auch selbst. Wir fordern eine sofortige Beendigung der Sanktionen gegen Russland. Auf unserer Webseite nfoe.at kann man den Bogen der parlamentarischen Bürgerinitiative herunterladen, unterschreiben, am besten zusammen mit den Nachbarn, und uns wieder zurückschicken.

Die österreichische Regierung unterstützt einseitig die Ukraine rhetorisch, mit der Lieferung von Ausrüstung für die Armee, mit Geld für Waffen und mit der Erlaubnis von Truppentransporten. Obwohl all das eigentlich verboten ist. Wie ist angesichts dieser Umstände Ihre Sicht auf das demokratische System in Österreich?
Sie sprechen die Frage an, wie die Regierung mit der Neutralität umgeht.
  Die österreichische Neutralität, wie sie 1955 beschlossen wurde und der wir unsere Freiheit und Souveränität und auch unseren Frieden verdanken, ist für unser Land ganz wesentlich. Kluge, vorausschauende und charakterfeste Politiker (z. B. Figl, Raab, Kreisky) nutzten die Gunst der Stunde und der Verhandlungen. Sie hatten auch den Wert der Neutralität erkannt, die sich als das bestmögliche friedenssichernde Instrument erwiesen hat, sofern man die Neutralität glaubwürdig lebt.
  Leider wird dieses wertvolle Friedensinstrument heutzutage ausgelegt, verdreht, uminterpretiert, obwohl man sieht, dass der Ukraine-Konflikt eskaliert.
  Einzelne Persönlichkeiten sehnen sich nach einer «Sendung», nach Visionen und spektakulären Taten. Gewiss, die Neutralität schränkt den Handlungsspielraum und die aussenpolitischen Aktivitäten der Regierung in einer für sie ärgerlichen, sogar schmerzhaften Weise ein. Die Neutralität gewährt ihnen kaum Heldentaten und selten glanzvolle internationale Auftritte. Aber sie gibt der Nation auch keinen Raum für die Faszination des Krieges, die wir rational nicht erklären können, aber immer wieder als Tatsache feststellen müssen.
  Wir erwarten von unserer Regierung, dass sie die Neutralität vollständig einhält. Die Neutralität ist ein Garant dafür, dass die Regierung die Bürger nicht in Konflikte hineinzieht, die dann die Bürger auslöffeln und aus ihrer Geldtasche oder gar mit ihrem Leben bezahlen müssen.

Auch die EU macht sich zunehmend zu einer Kriegspartei. Die deutsche Aussenministerin Baerbock hat sogar schon selbstherrlich erklärt, dass «wir» angeblich einen Krieg gegen Russland führen würden. Wenn ein EU-Land jetzt wirklich in den Krieg verwickelt werden sollte, würde Österreich wegen der Beistandsklausel auch mitmachen müssen. Ist die EU-Mitgliedschaft mit der österreichischen Neutralität vereinbar?
Eine vollständige, d. h. auch politische und wirtschaftliche Neutralität, ist natürlich mit der «Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik» der EU nicht vereinbar. So enthielt das offizielle Beitrittsansuchen Österreichs an die EU vor der Volksabstimmung 1994 einen sogenannten «Neutralitätsvorbehalt», d. h. Österreich ist «vorbehaltlich seiner Neutralität» der EU beigetreten. Allerdings ist die EU auf diesen Neutralitätsvorbehalt nie eingegangen. Sie hat ihn nie bestätigt, sich aber auch nicht dagegen geäussert. In der Akut-situation (also jetzt) müsste Österreich unbedingt diesen «Neutralitätsvorbehalt» ins Spiel bringen und öffentlich thematisieren.
  Wenn die vollständige Neutralität und ein Verzicht auf Sanktionen wegen der EU nicht möglich sind, müssen wir einen Weg ausserhalb der EU finden.
  Wohlverstanden: Neutralität verpflichtet uns Österreicher nicht, den Mund zu halten, moralisch gleichgültig zu sein angesichts der ständigen Verletzungen des Völkerrechts. Aber sie verpflichtet den Staat, die Regierung und auch das Parlament zur Zurückhaltung. Die Neutralität ist der weisse Fleck auf der Welt, ein allseits anerkannter Ort, an dem die Konfliktparteien sich ohne Waffen begegnen und miteinander reden können. Solange es neutrale Staaten gibt, hat der Frieden eine Chance. Jeder neutrale Staat ist ein Beitrag zum Frieden.

Unser letzter Schweizer Gast, Stefan Rietiker, betonte besonders, dass er sich wie die Schweiz eine bewaffnete Neutralität wünsche. Wie sehen Sie das für Österreich, brauchen wir ein besseres Bundesheer oder gar ein neues, richtiges Milizsystem?
Ja, Sie haben Recht: Die bewaffnete Neutralität erfordert ein Bundesheer, das garantieren kann, dass keine Gewalt von unserem Hoheitsgebiet ausgeht, und das die Verteidigungsbereitschaft des eigenen Staatsgebietes ernst nimmt.
  Leider ist Österreich ein Mitglied der von der Nato kreierten «Partnerschaft für den Frieden». Anstatt die Geldmittel zur Erfüllung der Nato-Vorgaben zu verwenden, müssten die eigenen Grenzen verteidigt und die Bevölkerung geschützt werden können. Auch hier zeigt sich die Nähe zwischen EU und Nato: 21 oder in Zukunft 23 der 27 EU-Staaten sind Nato-Mitglieder.
  Die EU und die Nato zeigen sich als Kriegstreiber. Wir sollten uns als souveräner Staat davon distanzieren und uns neutral verhalten.
  Im österreichischen Bundesverfassungsgesetz heisst es ausdrücklich, dass Österreich «die Neutralität mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verteidigen wird». Neutralität erfordert Kraft und Festigkeit. Mitmachen ist bequemer. Der neutrale Staat misstraut dem schnellen Urteil und weigert sich, die Welt in ein einfaches Gut und Böse einzuteilen. Friedensstifter sind gefragt.

Herr Jenny, ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Zeit und für dieses Gespräch.  •



Daniel Jenny hat im September 2022 die Vorsitzführung der Initiative «Neutrales Freies Österreich» (kurz NFÖ) übernommen, die sich besonders für den Erhalt der Österreichischen Neutralität einsetzt.

Quelle: https://auf1.tv/nachrichten-auf1/eu-und-nato-sind-kriegstreiber-daniel-jenny-nfoe-zur-neutralitaet/ vom 21.2.2023

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