Frieden schaffen – aber wie?

von Karl-Jürgen Müller

Die vergangenen zwei Wochen standen ganz im Zeichen des neuen Ost-West-Konfliktes. Zum neunten Mal jährte sich der von der US-Regierung und der EU massiv beförderte gewalttätige und verfassungswidrige Regierungswechsel in der Ukraine am 22. Februar 2014 und zum ersten Mal die direkte militärische Intervention der Russischen Föderation am 24. Februar 2022 im seit Frühjahr 2014 tobenden ukrainischen Bürgerkrieg. Ein Krieg, in dem die Zentralregierung in Kiew die Unterstützung von Nato und EU hatte und die nach Autonomie strebenden Regionen im Osten und Südosten der Ukraine (Donezk und Luhansk) mit grossmehrheitlich russischstämmiger Bevölkerung von der Russischen Föderation unterstützt wurden.
  Es gab in den vergangenen zwei Wochen nicht nur die Reden des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau1 und des US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden in Warschau2 – beide am 21. Februar –, sondern auch zahlreiche Medienerzeugnisse sowie Demonstrationen und Kundgebungen weltweit.

Breites Meinungsspektrum …

Das Meinungsspektrum dabei war sehr gross – was sich allerdings nicht in den Erzeugnissen unserer westlichen Mainstream-Medien und öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten widerspiegelte. Deren Nachrichten, Berichte, Reportagen und Kommentare folgten erneut der von der US-Politik vorgegebenen politischen Linie. Andere Auffassungen bekamen allenfalls das Etikett «Desinformation» und wurden mit scharfer Polemik bedacht. Ganz im Sinne der Drohung des Aussenbeauftragten der EU Josep Borrell in Strassburg von Mitte Februar, die EU werde künftig gegen Personen und Organisationen vorgehen, die «den öffentlichen Raum mit Desinformationen und böswilligen Erzählungen verschmutzen».3

… was von der US- und EU-Politik nicht gern gesehen wird

Drohungen wie die von Josep Borrell sind eine Reaktion auf die Tatsache, dass es der westlichen Propaganda und den schon jetzt vielfältigen staatlichen und halbstaatlichen Massnahmen gegen vermeintliche «Desinformation» bislang nicht gelungen ist, die öffentliche Meinung – was etwas anderes ist als die veröffentlichte Meinung durch unsere Mainstream-Medien – im Sinne der US-Politik gleichzuschalten. Im Gegenteil: Die vergangenen zwei Wochen haben erneut gezeigt, dass nach wie vor zahlreiche deutsch- und vor allem auch englischsprachige «alternative» Stimmen mit Beiträgen zugänglich sind, die das Blickfeld erweitern können. Im deutschsprachigen Raum sind das neben Zeit-Fragen und der Schweizer Wochenzeitung Die Weltwoche zum Beispiel globalbridge.ch, zeitgeschehen-im-fokus.ch, schweizer-standpunkt.ch, seniora.org, nachdenkseiten.de, apolut.net oder anti-spiegel.ru. Die deutschsprachige Internet-seite rt.de ist innerhalb der EU zwar verboten, aber auch dort noch immer über Umwege zugänglich. Im englischsprachigen Raum ist das Spektrum noch viel grösser. Hier sei nur auf ein paar wenige Internetseiten verwiesen, aus denen immer wieder auch Zeit-Fragen Übersetzungen dokumentiert: consortiumnews.com, scheerpost.com, indianpunchline.com oder counterpunch.org.

Mitgefühl mit den Opfern des Kriegs
und immer wieder Friedensvorschläge

Es ist ja gar nicht anders denkbar: Fast alle Menschen haben Mitgefühl mit den von Gewalt, Kriegstod und Zerstörung Betroffenen und stellen sich zu Recht die Frage, wie Kriege – auch der in der Ukraine – beendet werden können. Deshalb sind alle Friedensvorschläge, auch die der vergangenen zwei Wochen, sehr wichtig – und in diesen Tagen gab es wieder einige aus der ganzen Welt.
  Wenn von US- und EU-Seite auch die Bemühungen um Frieden das Etikett «Desinformation» bekommen und mit scharfer Polemik bedacht werden, dann ist das besonders stossend. Das gilt nicht nur für die Bemühungen der europäischen und US-amerikanischen «Friedens-bewegung», sondern auch für die Friedensinitiative der Volksrepublik China vom 24. Februar mit ihrem 12-Punkte-Plan (siehe Kasten).

Der chinesische Friedensplan

Alle ehrlichen Friedensbemühungen sind zu würdigen und bieten mit diesem Ziel eine Diskussionsgrundlage. Ich selbst halte den chinesischen Plan vom 24. Februar für den interessantesten.
  Warum?

  • Der chinesische Friedensplan orientiert sich strikt am Völkerrecht, so wie es in der Charta der Vereinten Nationen und deren Folgeverträgen vereinbart wurde. Zu bedenken ist, ob nicht auch ein weiterer zentraler Grundsatz des Völkerrechts namentlich zu nennen wäre: das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Für die Situation in der Ukraine ist dies von besonderer Bedeutung.
  • Der chinesische Friedensplan setzt niemanden auf eine Anklagebank, sondern fragt implizit und von der Sache her nach den Ursachen des schon Jahrzehnte schwelenden und nun offen ausgebrochenen «Weltkrieges» mit dem gegenwärtigen Zentrum in der Ukraine (aber er tobt nicht nur dort).
  • Der chinesische Friedensplan formuliert Perspektiven für eine künftige Weltordnung, mit denen eigentlich alle Völker guten Willens gut leben könnten.

Sicher ist aber auch, dass der chinesische Friedensplan den verantwortlichen Politikern einiges abverlangen würde, vor allem denen des Westens.

Ein Gorbatschow des Westens

Pointiert möchte ich es so formulieren: Die Staaten des Westens bräuchten einen oder mehrere Gorbatschows des Westens. Michail Gorbatschow hat als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU seit seinem Amtsantritt 1985 versucht, seine Erkenntnis, dass sich die Sowjetunion grundlegend wandeln müsse, um überleben zu können, in praktische Politik umzusetzen. Seine innenpolitischen Pläne für Glasnost und Perestroika und seine aussenpolitischen Initiativen zur Abrüstung und zur Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Hauses4 sind auch heute noch beziehungsweise erneut zu würdigen. Gorbatschow war von seinem Vorvorgänger als Generalsekretär, dem ehemaligen KGB-Chef Juri Andropow, sehr gefördert und unterstützt worden. Wohl früher als viele in der Parteihierarchie hatte der sowjetische Geheimdienst erkannt, dass die Lage der Sowjetunion bei einer Fortsetzung des bisherigen Kurses eine Sackgasse war, die in den Untergang führen musste. Grundlegende Reformen waren unumgänglich.
  Dass Gorbatschow am Ende mit seiner Politik gescheitert ist, spricht nicht gegen die Grundsätze seiner Politik und die Notwendigkeit grundlegender Reformen in der damaligen Sowjetunion. Die Widerstände im eigenen Land, vor allem aber auch das falsche Spiel des Westens – allen voran der US-Politik – haben Gorbatschows Bemühungen 1991 zu Fall gebracht. Gorbatschows Vertrauen in die ursprünglichen Zusagen des Westens war wohl zu gross.
  «Treu und Glauben», ohne welche die internationalen Beziehungen langfristig immer auf Sand gebaut sind, was immer wieder zu neuen schweren Konflikten bis hin zu Kriegen führt, müssten für alle internationalen Verhandlungen und Vertragsabschlüsse verpflichtend sein.
  Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass die weltpolitischen Gegenüber des Westens «Treu und Glauben» wohl ernster nehmen als die politischen Führer des Westens. Deshalb wären die Aussichten für einen oder mehrere Gorbatschows des Westens wahrscheinlich besser als die für den Russen Michail Gorbatschow. Sicher ist, dass ein Beharren auf seiner bisherigen Position für den Westen selbst eine Sackgasse ist und den Frieden in der Welt auf Dauer zu zerstören droht. Höchste Zeit also, dass sich diese Erkenntnis auch bei uns im Westen durchsetzt.  •



1 in autorisierter englischer Übersetzung: http://en.kremlin.ru/events/president/transcripts/70565; in deutscher Übersetzung: https://seniora.org/politik-wirtschaft/ansprache-des-russischen-praesidenten-vor-der-bundesversammlung-am-21-februar-2023
2 https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2023/02/21/remarks-by-president-biden-ahead-of-the-one-year-anniversary-of-russias-brutal-and-unprovoked-invasion-of-ukraine/
3 zitiert nach Neue Zürcher Zeitung vom 16.2.2023
4 vgl. Gorbatschow, Michail. Perestroika. Die zweite russische Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt. Droemer Knaur 1987

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