Sag mir, was du denkst …

Meinungsumfragen als Mittel der Manipulation?

von Eliane Perret und Urs Graf

Die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Sotomo (vom 13. bis zum 16. Februar 2023)1 zur aktuellen Politik der Schweiz angesichts des Kriegsgeschehens in der Ukraine ist in verschiedener Hinsicht aufschlussreich. In einer Online-Befragung hatten Stimmberechtigte aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz die Möglichkeit, in ihrer Antwort auf 17 Fragestellungen eine abgestufte Bewertung zur aktuellen Ukraine-Politik der Schweiz und der Neutralität zum Ausdruck zu bringen. Die 16 249 Antworten wurden nach unterschiedlichen Kriterien ausgewertet und gelten als repräsentativ für die Meinungen der Schweizer Bevölkerung. Die Antworten wurden ausgewertet: nach Geschlechtszugehörigkeit (wird immer komplizierter …), wohnhaft dies- und jenseits des sogenannten «Röstigrabens», nach Parteizugehörigkeit, Schulabschluss (hier verwechselt mit «Bildung») und nach Altersgruppen. Da es bei der Frage nach der Stellungnahme der Schweiz zu Kriegsgeschehen stets – und heute mehr denn je – um die künftige Gestaltung unseres Landes geht, werden im Folgenden die Ergebnisse nach Altersgruppen der verschiedenen Generationen beleuchtet, in der Umfrage unterteilt in die drei Gruppen: 18–35-, 36–55- und über 55jährige.

Meinungsumfragen haben einen Auftraggeber …

Diese zweite Meinungsumfrage von Sotomoto wurde wiederum vom Medienkonzern Ringier in Auftrag gegeben2, der zum Beispiel das Boulevardblatt «Blick» und die Wirtschaftszeitung Cash herausgibt und an verschiedenen Radiostationen beteiligt ist.
  Mit Meinungsumfragen kann auch überprüft werden, wo «Handlungsbedarf» ist, weil die Menschen noch nicht «richtig denken». Entsprechend kann die Berichterstattung meinungsbildend gesteuert werden.

… und ein Ziel

Meinungsumfragen gehören heute zu den Propagandainstrumenten, mit denen Meinungen zu politischen Entscheidungen gesteuert werden. Oft werden sie in Entscheidungsphasen vor Abstimmungen durchgeführt, im Wissen darum, dass viele Menschen die Neigung haben, sich der Mehrheit anzuschliessen, die «es ja wissen muss». Das ist auch bei dieser Umfrage so, welche in die emotional sehr aufgeheizte Stimmung zum Kriegsgeschehen in der Ukraine eingreift. Während einige Fragen um den Kern des Kriegsgeschehens kreisen, verfolgen andere deutlich die Zementierung des Narrativs eines «unmotivierten Angriffskriegs von Russland», eines Krieges, der ohne Vorgeschichte vor einem Jahr begonnen habe, und eines Europas, das sich vor den unverhohlenen Machtansprüchen Russlands und seinem «autokratischen» Präsidenten schützen müsse und mit keinerlei internationalen Interessen verbunden sei. Wenn zum Beispiel gefragt wird «Was ist Ihre Einschätzung: Wird Wladimir Putin in einem Jahr noch russischer Präsident sein?» oder «Soll Wladimir Putin vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal gestellt werden?», so fehlt nicht nur dieselbe Frage zum ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski oder zum US-Präsidenten Joe Biden (oder früheren amerikanischen Präsidenten) und anderen am Krieg beteiligten Politikern der treulosen Garantiemächte der Minsker Verträge, nämlich Deutschland und Frankreich nebst England. Zudem wird gleichzeitig eine Vorverurteilung in die öffentliche Diskussion eingespeist, was an ähnliche Vorgänge bei den Kriegen im Irak und in Libyen erinnert.
  Neben diesen direkt das Kriegsgeschehen betreffenden Fragen zielen andere auf die verfassungswidrige Aufweichung der Neutralität, und es wird überprüft, wie weit die Befragten bereit wären, Schweizer Recht zu brechen (ohne den Rechtsbruch in der Fragestellung zu thematisieren): «Derzeit wird darüber diskutiert, ob eingezogene Vermögen russischer Oligarchen mit Beziehungen zu Putin beschlagnahmt und der Ukraine für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt werden sollen. Begrüssen Sie eine solche Massnahme?»
  Einige Fragen der Meinungsumfrage sind jedoch aufschlussreich, stimmen aber auch nachdenklich.

Vertrauen in die Presse

«Wie empfinden Sie die generelle Berichterstattung in den Schweizer Medien?» war die erste Frage, die mit «Zu unkritisch gegenüber Russland», «Zu unkritisch gegenüber der Ukraine» oder «Objektiv und informativ» beantwortet werden konnte. Während nahezu die Hälfte der mittleren und älteren Generation die Berichterstattung als eindeutig «Objektiv und informativ» beurteilte, fanden das nur 38 % der jüngeren, und 54 % von ihnen waren sogar der Meinung, die Medien seien zu unkritisch gegenüber der Ukraine.
  Fazit: Es scheint so zu sein, dass das Vertrauen in die Berichterstattung der Schweizer Medien bei der jüngeren Generation erschüttert ist. Grund dafür könnte sein, dass sich viele von ihnen heute ihre Informationen anderweitig als über die Mainstream- und Konzernmedien beschaffen – z. B. über digitale Kanäle oder alternative Presseerzeugnisse –, sich dadurch ihre Meinung auf Grund einer grösseren Vielfalt an Einschätzungen der aktuellen Situation bilden können und dem Narrativ der gängigen Medien misstrauen.

Neutralität und Sanktionen

Bei der Frage «Als Reaktion auf den Ukraine-Krieg hat die EU Sanktionen gegen Russland beschlossen. Die Schweiz hat diese Sanktionen im Grundsatz übernommen. Wurde dadurch das Prinzip der Schweizer Neutralität verletzt?» konnte «Ja», «Eher Ja», «Eher Nein» oder «Nein» angekreuzt werden.
  Während bei der jungen Generation (39 %) die Kreuzchen bei «Nein» gegenüber denjenigen bei «Ja» (35 %) leicht überwogen, waren sich die mittlere Generation mit 51 % und die ältere Generation 59 % darin einig, dass die von der EU übernommenen Sanktionen die Schweizer Neutralität nicht verletzten.
  Fazit: Offensichtlich war der in der Mainstream-Presse eingespeiste «Spin» des nicht Abseits-stehen-Dürfens oder der Angst vor wirtschaftlicher Erpressung besonders für die ältere Generation meinungsbildend, während die jüngeren Menschen unsicher waren.

Neutralität der Schweiz

Bei den Fragen «Russland führt nun ein Jahr Krieg gegen die Ukraine. Wie soll sich die Schweiz in dieser Situation verhalten?» war sich fast die Hälfte (49 %) der jüngeren Befragten sicher, dass sich die Schweiz neutraler verhalten müsste, während sich die mittlere Altersgruppe mit 42 % und die ältesten Befragten mit 49 % für eine stärkere Unterstützung der Ukraine aussprachen. Nur eine kleine Gruppe wollte den bisherigen Kurs fortführen.
  Fazit: Es ist erstaunlich und auch erfreulich, dass die jüngere Generation offensichtlich die Neutralität der Schweiz als erhaltenswürdigen Wert einschätzt, während die älteren Befragten die Unterstützung der Ukraine nicht als Verletzung der Neutralität erachten.

Kampf für Demokratie und gegen Autokratie?

Bei der Frage «Wie schätzen Sie den russisch-ukrainischen Krieg grundsätzlich ein?» erhielt die Antwortvariante, dass es «Auch als Kampf Demokratie gegen Autokratie» bezeichnet werden könnte, bei den jüngeren Befragten eine Zustimmung von 52 %, sie war jedoch geringer als die der mittleren (64 %) und der älteren Gruppe (72 %).
  Fazit: Bei diesen Fragen wirkte offensichtlich der seit Jahren eingespeiste Spin, dass die von den USA geführten Kriege ein «Kampf für die Demokratie» seien. Er war in den vergangenen Kriegen von den Mainstream-Medien als rechtfertigendes Argument für die Kriege gegen den Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien immer wieder eingebracht worden. Die Folgen wären eigentlich heute für alle sichtbar.

Waffen liefern

Bei den nächsten drei Fragen ging es um Waffenlieferungen der Schweiz in Kriegsgebiete:
  «Soll die Schweiz ihre eingelagerten Leopard-2-Panzer an Deutschland und Polen verkaufen, damit diese in einem Ringhandel eigene Panzer der Ukraine liefern können?»
  «Die Sicherheitskommission des Nationalrats will eine auf zwei Jahre befristete Ausnahme beim Kriegsmaterialgesetz für die Ukraine (Lex Ukraine). Damit könnten Länder wie Deutschland oder Polen sofort Waffen und Munition aus Schweizer Produktion an die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland liefern. Sind Sie dafür?»
  «Die Sicherheitskommission des Ständerats will das Kriegsmaterialgesetzes permanent anpassen. Damit sollen Länder mit ähnlichen Standards wie die Schweiz Waffen und Munition aus Schweizer Produktion weiterliefern können. Das Material muss vor mehr als fünf Jahren gekauft worden sein, und es darf nur an Länder, die Menschenrechte einhalten, zur Selbstverteidigung weitergeliefert werden. Sind Sie dafür?»
  Für die jüngere Generation war bei allen drei Fragen mit 53 %, 53 % und 44 % klar, dass sich die Schweiz an ihr Kriegsmaterialgesetz (KMG) halten muss und kein Kriegsmaterial in Kriegsgebiete oder an kriegführende Länder liefern darf. Auch hier war ein deutlicher Graben zu den Meinungen der beiden anderen Altersgruppen festzustellen, die sich sogar eine Aufweichung bisheriger Gesetze durchaus vorstellen konnten.
  Fazit: Es ist erstaunlich, dass jüngere Menschen offenbar standfester dabeibleiben, dass die Schweiz kein Kriegsmaterial ausführen soll, und die vor kurzem beschlossene Verschärfung des entsprechenden Gesetzes ernster nehmen als die damals tonangebenden Parteien.

Nato-Anschluss der Schweiz

Eine deutliche Stellungnahme hat die Gruppe der 18–35jährigen auch zu einer engeren Zusammenarbeit der Schweiz mit der Nato oder gar einem Beitritt zu dieser. Ihre Antworten zu den Fragen «Sind Sie für oder gegen eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit dem Nato-Verteidigungsbündnis?» und «Sind Sie für oder gegen einen Beitritt der Schweiz zur Nato?» waren klar. Mit 41 % waren sie gegen eine engere Zusammenarbeit, mit 61 % gegen einen Beitritt. Die beiden anderen Altersgruppen standen wiederum auf wackligen Füssen und waren lediglich mit 29 % bzw. 22 % gegen eine engere Zusammenarbeit mit der Nato und sogar nur mit 47 % und 40 % gegen einen Beitritt.
  Fazit: Die jüngere Generation scheint die Zusammenarbeit mit der Nato deutlich weniger zu befürworten als die älteren Befragten und einen Beitritt schon gar nicht. Es ist erstaunlich, dass die beiden anderen Altersgruppen hier wiederum der Mainstream-Meinung wenig entgegenzusetzen haben.

Neutralitätsinitiative ja oder nein?

Wie schon bei der ersten Umfrage wurde nach der Meinung zur Neutralitätsinitiative gefragt (damals als Initiative von «SVP-Vordenker Christoph Blocher» bezeichnet und in einen bestimmten politischen Rahmen gestellt): «Die SVP will mit einer Volksinitiative die Schweizer Neutralität in der Verfassung festschreiben: als dauernd, bewaffnet und umfassend. Wenn schon jetzt über diese Initiative abgestimmt würde, wie würden Sie stimmen?» Auch hier erfolgt mit der Frage wiederum manipulativ und sachlich falsch eine politische Zuordnung der Initiative zu einer Partei, die seit langen Jahren mit einer Kampagne überzogen und als sehr rechtslastig apostrophiert wird. Die Befragten konnten mit «Ja», «Eher Ja», «Weiss nicht», «Eher Nein» oder «Nein» antworten – und man staunte: Wiederum war es die jüngere Generation, die heute der Initiative mit 41 % zustimmen bzw. sie mit 28 % ablehnen würde, wohingegen die mittlere Generation mit 31 % Ja- und 39 % Nein- und die ältere Generation 29 % Ja- und 46 % Nein-Stimmen einlegen würde.
  Fazit: Unsere nachfolgende Generation kann offenbar in dieser Frage nicht mit einem sicheren Sukkurs ihrer älteren Mitmenschen rechnen. Was ist eigentlich los mit ihnen? Darüber kann man nur mutmassen.

Es gibt zu denken …

Es ist zu vermuten, dass die PR-Strategien der letzten Monate bei den beiden Gruppen älterer Befragten gezielt an eine emotionale Stimmung des «Kalten Krieges» andockten. Man ist gegen Russland, weil man es mit der Sowjetunion gleichsetzt, und bewundert unkritisch das «Land der unbegrenzten Möglichkeiten» auf der anderen Seite des Ozeans. Die Informationsbeschaffung erfolgt wohl im Vertrauen auf die Redlichkeit der hiesigen Medien und damit notgedrungener Weise innerhalb einer seit Jahrzehnten kulturbestimmenden Meinungsblase ohne Blick auf den Rest der Welt.

… ist aber erfreulich

Ja, die Meinungsumfrage von Sotomo zeigt eine erfreuliche Tendenz bei unseren jungen Menschen. Sie nutzen für ihre Meinungsbildung offenbar unterschiedliche Quellen und lassen sich nicht so schnell auf die eine Sichtweise festlegen. Die Schweiz als neutrales Land ist ihnen ein Anliegen, und sie sehen keine Notwendigkeit, sich in den Dienst kriegsführender Mächte einbinden zu lassen.  •



1 Sotomo. Die Schweiz und der Ukrainekrieg: Ein Jahr Krieg.
https://sotomo.ch/site/projekte/die-schweiz-und-der-ukraine-krieg-ein-jahr-krieg/
2 Die erste Umfrage wurde im April 2022 durchgeführt.
https://sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2022/04/so_denkt_die_schweiz_april22.pdf

 

 

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