China geht voran, eine neue Ära in der Weltpolitik ist angebrochen

von M. K. Bhadrakumar*

Die am 10. März in Peking verkündete Vereinbarung über die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran und die Wiedereröffnung ihrer Botschaften ist ein historisches Ereignis. Sie geht weit über eine Frage der saudi-iranischen Beziehungen hinaus. Chinas Vermittlung bedeutet, dass wir Zeugen einer grundlegenden Verschiebung der tektonischen Platten in der Geopolitik des 21. Jahrhunderts sind.

Die gemeinsame Erklärung, die am Freitag in Peking veröffentlicht wurde, beginnt mit der Feststellung, dass die saudi-iranische Vereinbarung «als Reaktion auf die noble Initiative von Präsident Xi Jinping» erzielt wurde. Spektakulär heisst es zu Beginn weiter, dass Saudi-Arabien und der Iran Xi Jinping und der chinesischen Regierung ihre «Wertschätzung und Dankbarkeit» dafür zum Ausdruck gebracht haben, «dass sie die Gespräche ausgerichtet und gefördert und sich für deren Erfolg eingesetzt haben».
  Das gemeinsame Kommuniqué erwähnt auch, dass der Irak und Oman bei der Förderung des saudi-iranischen Dialogs in den Jahren 2021–2022 mitgewirkt haben. Auffallend ist jedoch, dass die Vereinigten Staaten, die seit fast acht Jahrzehnten traditionell die dominierende Macht in der westasiatischen Politik sind, nirgends genannt werden.

Versöhnung am Persischen Golf ohne USA

Dabei geht es doch um die Versöhnung zwischen den beiden grössten Regionalmächten in der Region des Persischen Golfs. Das Zurückweichen der USA bedeutet ein kolossales Versagen der amerikanischen Diplomatie. Er wird ein schwarzer Fleck im aussenpolitischen Vermächtnis von Präsident Biden bleiben.
  Denn Biden muss die Schuld dafür auf sich nehmen. Dieses katastrophale Scheitern ist zum grossen Teil auf seinen Eifer zurückzuführen, seine neokonservativen Dogmen als Ergänzung zu Amerikas militärischer Macht durchzusetzen, sowie auf sein ständiges Beharren darauf, dass das Schicksal der Menschheit vom Ausgang des kosmischen Kampfes zwischen Demokratie und Autokratie abhängt.
  China hat gezeigt, dass Bidens Übertreibungen wahnhaft sind und sich an den Realitäten stossen. Wenn Bidens moralistische, unüberlegte Rhetorik Saudi-Arabien entfremdet hat, so stiessen seine Versuche, den Iran zu unterdrücken, auf den hartnäckigen Widerstand Teherans. Und letztlich hat Biden sowohl Riad als auch Teheran buchstäblich dazu getrieben, nach Gegenkräften zu suchen, die ihnen helfen würden, seine unterdrückerische, anmassende Haltung zurückzuweisen.
  Der demütigende Ausschluss der USA von der zentralen Bühne der westasiatischen -Politik stellt für die Supermacht einen «Suez-Moment» dar, vergleichbar mit der Krise, die Grossbritannien 1956 erlebte. Damals mussten die Briten erkennen, dass ihr imperiales Projekt in eine Sackgasse geraten war und dass die alte Art, die Dinge zu regeln – schwächere Staaten aus angeblicher Verpflichtung zur globalen Führung auf Linie zu bringen – nicht mehr funktionieren und nur zu einer katastrophalen Abrechnung führen würde.
  Erstaunlich dabei sind die schiere Intelligenz, die intellektuellen Ressourcen und die «soft power», die China ins Spiel gebracht hat, um die USA zu überlisten. Die USA haben mindestens 30 Militärstützpunkte in Westasien – allein fünf in Saudi-Arabien –, aber sie haben die Führungsrolle verloren. Wenn man es genau nimmt, haben Saudi-Arabien, der Iran und China ihre bahnbrechende Ankündigung am selben Tag gemacht, an dem Xi Jinping für eine dritte Amtszeit als Präsident gewählt wurde.

China als Faktor des globalen Gleichgewichts

Was wir hier sehen, ist ein neues China unter der Führung von Xi Jinping, das über den hohen Berg trabt. Dennoch nimmt es eine bescheidene Haltung ein, die keine Lorbeeren für sich beansprucht. Es gibt keine Anzeichen für das «Syndrom des Reichs der Mitte», vor dem die US-Propagandisten gewarnt hatten.
  Im Gegenteil, für die Weltöffentlichkeit – insbesondere für Länder wie Indien oder Vietnam, die Türkei, Brasilien oder Südafrika – hat China ein heilsames Beispiel dafür geliefert, wie eine demokratisierte multipolare Welt in Zukunft funktionieren kann – wie es möglich ist, die Grossmachtdiplomatie auf eine einvernehmliche, versöhnliche Politik, auf Handel und Interdependenz zu gründen und ein «Win-win-Ergebnis» zu erzielen.
  Dies impliziert eine weitere wichtige Botschaft: China als Faktor des globalen Gleichgewichts und der Stabilität. Es sind nicht nur der asiatisch-pazifische Raum und Westasien, die zuschauen. Zu den Zuschauern gehören auch Afrika und Lateinamerika – eigentlich die gesamte nicht-westliche Welt, die die grosse Mehrheit der Weltgemeinschaft bildet und als globaler Süden bekannt ist.
  Was die Pandemie und die Ukraine-Krise an die Oberfläche gebracht haben, ist die seit Jahrzehnten latent vorhandene geopolitische Realität, dass der globale Süden die vom Westen im Gewand des «liberalen Internationalismus» verfolgte Politik des Neo-Merkantilismus ablehnt.
  Der Westen strebt eine hierarchische internationale Ordnung an. Kein Geringerer als der Chef der EU-Aussenpolitik, Josep Borrell, hat dies kürzlich in einem unbedachten Moment mit einem Hauch von rassistischem Unterton herausposaunt, als er auf einer öffentlichen Plattform sagte: «Europa ist ein Garten. Der Rest der Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen.»
  Morgen könnte China auch die Hegemonie der USA über die westliche Hemisphäre in Frage stellen. Das jüngste Papier des chinesischen Aussenministeriums mit dem Titel «US-Hegemonie und ihre Gefahren» zeigt uns, dass Peking nicht länger in der Defensive sein wird.
  Inzwischen findet auf der Weltbühne eine Neuordnung der Kräfte statt, mit China und Russland auf der einen und den USA auf der anderen Seite. Ist es nicht eine wichtige Botschaft, dass der saudiarabische Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan Al Saud am Freitag, dem Vorabend der historischen Ankündigung in Peking, plötzlich zu einem «Arbeitsbesuch» in Moskau landete und sich mit Aussenminister Sergej Lawrow traf, der sichtlich erfreut war?
  Natürlich werden wir nicht erfahren, welche Rolle Moskau hinter den Kulissen in Abstimmung mit Peking gespielt haben mag, um Brücken zwischen Riad und Teheran zu bauen. Wir wissen nur, dass Russland und China ihre aussenpolitischen Schritte aktiv koordinieren. Interessanterweise hatte Präsident Putin am 6. März ein Telefongespräch mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi.

Kühnheit der Hoffnung

Sicherlich wird die Geopolitik Westasiens nie wieder dieselbe sein. Realistisch betrachtet hat sich der erste Spatz des Frühlings gezeigt, aber das Eis war nur drei oder vier Ruten vom Ufer entfernt geschmolzen. Nichtsdestoweniger geben die Sonnenstrahlen Hoffnung und signalisieren, dass wärmere Tage bevorstehen.
  Es ist denkbar, dass Riad nichts mehr mit den teuflischen Plänen zu tun haben wird, die in Washington und Tel Aviv ausgeheckt wurden, um eine Anti-Iran-Allianz in Westasien zu schaffen. Es liegt auch nicht im Bereich des Möglichen, dass sich Saudi-Arabien an einem US-israelischen Angriff auf den Iran beteiligt.
  Dies isoliert Israel in der Region und macht die USA zahnlos. Inhaltlich macht es die fieberhaften Bemühungen der Regierung Biden zunichte, Riad zum Beitritt zu den Abraham-Abkommen zu bewegen.
  Bezeichnenderweise stellte ein Kommentar in der «Global Times» jedoch etwas kühn fest, dass das saudi-iranische Abkommen «ein positives Beispiel für andere regionale Brennpunktthemen wie die Entspannung und Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts darstellt. Und in Zukunft könnte China eine wichtige Rolle dabei spielen, den Ländern eine Brücke zu bauen, um die seit langem bestehenden heiklen Probleme im Nahen Osten zu lösen, so wie es dieses Mal der Fall war.»
  In der Tat heisst es in dem gemeinsamen Kommuniqué, das in Peking veröffentlicht wurde: «Die drei Länder [Saudi-Arabien, Iran und China] haben ihre Entschlossenheit bekundet, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den regionalen und internationalen Frieden und die Sicherheit zu stärken.» Kann China ein Kaninchen aus dem Hut zaubern? Die Zeit wird es zeigen.
  Vorerst wird die saudi-iranische Annäherung jedoch sicherlich positive Auswirkungen auf die Bemühungen um eine Verhandlungslösung im Jemen und in Syrien sowie auf die politische Lage in Libanon haben.

Westliche Sanktionen gegen Iran wirkungslos geworden

In dem gemeinsamen Kommuniqué wird betont, dass Saudi-Arabien und der Iran beabsichtigen, das Allgemeine Abkommen von 1998 über die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Investitionen, Technologie, Wissenschaft, Kultur, Sport und Jugend wiederzubeleben. Alles in allem ist die Strategie des maximalen Drucks der Biden-Regierung gegenüber dem Iran gescheitert und die Sanktionen des Westens gegen den Iran sind wirkungslos geworden. Die politischen Optionen der USA gegenüber dem Iran sind geschrumpft. Der Iran gewinnt an strategischer Tiefe, um mit den USA zu verhandeln.
  Das Entscheidende an den US-Sanktionen sind die Beschränkungen für den iranischen Ölhandel und den Zugang zu westlichen Banken. Es ist durchaus denkbar, dass es zu einer Gegenreaktion kommt, wenn Russland, der Iran und Saudi-Arabien – drei der wichtigsten Öl- und Gasförderländer – ihre Suche nach Zahlungsmechanismen beschleunigen, die den amerikanischen Dollar umgehen.
  China diskutiert bereits mit Saudi-Arabien und dem Iran über eine solche Vereinbarung. Der chinesisch-russische Handel und die Wirtschaftstransaktionen versuchen, den amerikanischen Dollar für Zahlungen zu umgehen. Es ist klar, dass jede signifikante Erosion des Status des Dollars als «Weltwährung» nicht nur den Untergang der amerikanischen Wirtschaft bedeuten wird, sondern auch die Fähigkeit der USA, im Ausland «ewige Kriege» zu führen und ihre globale Hegemonie durchzusetzen, lahmlegen wird.
  Unterm Strich ist die Versöhnung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auch ein Vorläufer für die Aufnahme der beiden Länder in die BRICS in naher Zukunft. Sicherlich gibt es bereits eine russisch-chinesische Verständigung in dieser Hinsicht. Die BRICS-Mitgliedschaft von Saudi-Arabien und dem Iran wird die Machtdynamik im internationalen System radikal verändern.  •

Quelle: www.indianpunchline.com vom 11.3.2023

(Übersetzung Zeit-Fragen)



M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, im Iran und in Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst Indian Punchline.

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