von Marianne und Werner Wüthrich
Die Beseitigung der 167 Jahre alten Traditionsbank Credit Suisse (Schweizerische Kreditanstalt) erfolgte in einer Nacht- und-Nebel-Aktion am Sonntag, dem 19. März. Wenige Tage vorher, am 8. März, war dem aufmerksamen Leser in verschiedenen Schweizer Zeitungen die Meldung ins Auge gestochen: «CS erhält Vermögensverwaltungslizenz in China». Schon am nächsten Tag war dies kein Thema mehr. Statt dessen fanden, wie später zu erfahren war, Geheimverhandlungen mit US- und UK-Beteiligung über die schleunigste Abschaffung der Credit Suisse statt. Obwohl sie nicht zahlungsunfähig war, wird die CS nicht am Leben erhalten und mit Staatsgeldern über die Runden gebracht wie die UBS 2008, sondern sie wird dieser einverleibt – mit dreimal so viel Bundes- und Nationalbankgarantien wie damals. Mit katastrophalen Auswirkungen für die Arbeitnehmer, die Aktionäre und vor allem für die Schweiz.
Aus dem Tagebuch des Luzerner Privatbankiers Karl Reichmuth
«Der 19. März 2023 wird als schwarzer Sonntag in die Schweizer Geschichtsbücher eingehen. Es war der Tag, an dem die Credit Suisse durch unüberlegtes und vorschnelles Handeln zu Grabe getragen wurde.» Der 83jährige Karl Reichmuth (der sich selbst als «Methusalem der Schweizer Bankiers» bezeichnet) fährt fort: «Die Schweiz ist ein Land, dessen Qualitäten darauf gründen, dass die Basis der Bevölkerung bestimmt – dass der Entscheidungsweg quasi von unten nach oben verläuft. Bei der Credit Suisse war dies umgekehrt. Die Entscheidung wurde auf starken Druck von oben diktiert.» Auf Druck des Auslands, so der Schweizer Bankier, kam es «zu einer Notfallübung […], in der es praktisch nur Verlierer gibt». Reichmuth kommt zum Schluss: «Ich stufe dies auch als Verrat an unseren schweizerischen Grundwerten wie Freiheit, Rechtssicherheit und Demokratie ein.»1
Unschweizerischer Vorgang
«Mit massiver Staatsgewalt, unter Einsatz von Notrecht, wurden die zwei Konzernführungen zu einer Transaktion gebracht, die wie ein Kauf aussehen soll. Gegenkräfte wie Aktionäre oder Wettbewerbsaufsicht wurden staatlich blockiert […]». (Beat Gygi, Wirtschaftsjournalist, und Hans Kaufmann, alt Nationalrat und langjähriger Bankfachmann).2
Marcel Niggli, Rechtsprofessor an der Universität Freiburg (CH), hat «starke Zweifel daran», dass sich der Bundesrat hier auf dem Boden der Schweizer Verfassung bewegt. Sein überstürzter Entscheid sei ein «Attentat» auf den schweizerischen Rechtsstaat. Niggli ruft in Erinnerung: «Wir sind ein langsames Gemeinwesen, weil wir alles miteinander ausdiskutieren. Das ist essentiell für die Schweizer Demokratie. […] Wer schnell einen Entscheid haben will, muss ehrlicherweise für eine Diktatur plädieren.» Die Schweiz «verkommt zu einer Bananenrepublik», mahnt Niggli. «Je nachdem, was die Mächtigen sagen, ist etwas möglich oder nicht.»3
Weltwoche-Redaktor Roger Köppel: «Der Bundesrat hat Forderungen des Auslands über nationale Interessen gestellt. Da fehlt der Wille zur Selbstbehauptung.» Es sei ein Irrglaube, mit Gehorsam irgendwelche Gefälligkeiten zu ergattern: «Das Gegenteil ist der Fall: Wenn man das Krokodil füttert, bekommt es Appetit, zuletzt wird man selbst gefressen.» (Weltwoche Daily vom 23. März)
Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz: «In der Schweiz müssen Investoren ab jetzt damit rechnen, ohne rechtliche Grundlage enteignet zu werden. Das wird den Finanzplatz nachhaltig beschädigen […].» Und weiter: «Er [der Bundesrat] hat wohl dem Druck aus dem Ausland nachgegeben. Der Bundesrat hat sich als willfährig erwiesen.»4
Die Geschädigten sind bekannt: die enteigneten Aktionäre, die Inhaber von speziellen CS-Obligationen (insgesamt 16 Milliarden Franken), die keinen Rappen zurückerhalten, wir Steuerzahler, die diesen fragwürdigen Deal berappen werden – und die Arbeitnehmer: Tausende von Stellen werden «wegrationalisiert» werden. Die grösste Verliererin ist jedoch die Schweiz, ihre Rechtsstaatlichkeit und ihr Ansehen in der Welt.
«Financial Times» gut informiert – schon im voraus
Während die Schweizer Bevölkerung am Sonntag, 19. März, vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, berichtete die «Financial Times» schon am Mittwoch, 15. März, als die Schweizer Börse noch geöffnet war (!), über eine Fusion von UBS und CS. Dazu schreiben Beat Gygi und Hans Kaufmann: «Ob diese [Meldungen] aus dem britischen Finanzministerium stammten, mit dem Bundesrätin Keller-Sutter offensichtlich in intensivem telefonischem Kontakt stand, kann nur vermutet werden.» Und sie fügen hinzu: «Wenn die Finanzministerin, wie sie andeutete, schon fast täglich mit ihren Kollegen Janet Yellen, der amerikanischen Finanzministerin, und Jeromy Hunt, dem britischen Finanzminister, in Kontakt stand, dann muss man sich fragen, warum sie dann nicht die mangelhafte Überwachung der in den USA und Grossbritannien domizilierten Betrügerfirmen Greensill und Archegos thematisiert hat, denn die Verluste aus diesen Engagements waren wohl der letzte Tropfen, der bei der Credit Suisse das Fass zum Überlaufen brachte.»
Wie konnte es so weit kommen mit den Schweizer Grossbanken?
Diese wichtige Frage bedarf einer genaueren Analyse. Hier nur in aller Kürze die treffende Zusammenfassung von Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich: Die negative Entwicklung «begann mit der Internationalisierung der Bank in den 1980ern. Sie setzte auf das Geschäft in den USA, wurde immer stärker angelsächsisch geprägt. Das führte zu Identitätsproblemen. Man war dieser amerikanischen Investmentbank-Kultur mit ihrem Fokus auf Risiken und hohe Gewinne schlicht nicht gewachsen. Die hohen Boni übernahmen die Schweizer [Topmanager] natürlich gerne. Aber die Kombination von angelsächsischem Investmentbanking und schweizerischer Vermögensverwaltung hat auf die Dauer nicht funktioniert. Es war ein Kulturkampf, bei dem die Schweizer den Kürzeren gezogen haben. […] Möglicherweise wären die grossen Verluste ausgeblieben, wenn man etwas bescheidener gewesen wäre, etwas realistischer.»5
Bankier Karl Reichmuth sieht den Untergang der Credit Suisse als «eine Spätfolge der Bankenkrise von 2008. Seither wurde immer mehr billiges Geld ins System gepumpt, das zu Spekulationen und risikoreichen ‹Wetten› veranlasste. Die Überschuldung nahm immer mehr zu. Dass dann die Silicon Valley Bank in Konkurs ging, befeuerte die Panik an den Märkten und beschleunigte den zerstörerischen Prozess.»
Unseres Erachtens hätte die amerikanische Finanzkrise 2008, welche die «Rettung» der UBS mit unseren Steuergeldern zur Folge hatte, ein Stoppsignal sein müssen für die Spekulationswirtschaft der Schweizer Grossbanken. Das war nicht der Fall. Während die UBS das Investment Banking wenigstens reduziert hat, baute die Credit Suisse es weiter aus.
Auf die Frage: Was kann man als Schweizer tun, um dieser beunruhigenden Entwicklung Einhalt zu gebieten? antwortet Professor Marcel Niggli: «Wir müssen aufhören, uns zu schämen, dass wir ein kleines, langsames Land sind. Denn diese Langsamkeit produziert Stabilität, und Stabilität ist etwas, was man in dieser Welt lange suchen muss. Wir sind ein kleines, langweiliges, langsames Land. Das ist das Schönste, was man sagen kann. Von Oscar Wilde stammt der Satz: ‹Sei du selbst, alle anderen sind schon vergeben.›»
Schweizer Banken wieder auf
seriöses Bankgeschäft verpflichten
Mit der Einverleibung des einen globalisierten Bankkolosses in den anderen wird nun ein weiteres Mal eine Chance vertan. Zurück zum Kerngeschäft der Schweizer Banken! lautet die Forderung vieler Fachleute und Bürger: Zahlungsverkehr, Sparanlagen, Hypotheken, Vermögensverwaltung. Dazu gehört auch ein seriöses Investment Banking, zum Beispiel die Unterstützung bei einer Unternehmensgründung, ohne Wettgeschäfte und Ähnliches. Damit sind die Schweizer Banken gut gefahren, so Tobias Straumann: «Historisch war die Vermögensverwaltung für die Schweizer Banken stets ein sicheres Geschäftsfeld, das grosse finanzielle Reserven garantierte.» Wenn auch die Aufbrechung des Bankkundengeheimnisses durch US-UK-EU die in der Schweiz verwalteten Vermögen verringerte, wie Straumann anmerkt, ist doch festzuhalten, dass der weltweit gute Ruf der Schweizer Banken als sicherer Hafen trotzdem bestehen blieb. Das Vertrauen beruht nämlich nicht nur auf dem Bankkundengeheimnis, sondern vor allem auf dem seriösen Geschäftsgebaren, dem stabilen politischen System, dem sicheren Franken sowie der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz.
Der National- und der Ständerat werden sich an ihrer Sondersession nach Ostern mit den anstehenden Fragen befassen. Viele Schweizer würden es begrüssen, wenn das Schweizer Geschäft der CS mit dem alten Namen «Schweizerische Kreditanstalt» als selbständige Unternehmung ausgelagert würde. Fachleute schätzten die CS Schweiz trotz allem als intakte Schweizer Bank ein, mit einem ähnlich grossen Eigenkapital wie die UBS. «Ich bin überzeugt, dass die Credit Suisse genügend Substanz besessen hätte, sich selber zu erholen – wenn man ihr die Zeit gelassen hätte», schreibt Bankier Karl Reichmuth. Wer konnte etwas dagegen haben?
Aus für die CS und ihr China-Geschäft
Am 8. März 2023 meldete die Schweizer Finanz und Wirtschaft, die Credit Suisse habe verschiedene chinesische Lizenzen für das Vermögensverwaltungs-Geschäft in China erhalten und könne «im ersten Halbjahr 2023» (!) starten.6 Die CS ist die erste westliche Bank, die grünes Licht für China erhalten hat. Denn sie hatte in Asien, im Gegensatz zu ihren Geschäften an der Wall Street und in London, eine ruhige, erfolgreiche Politik praktisch ohne Skandale geführt. Das klassische Schweizer Bankgeschäft hat in Asien seit jeher einen guten Ruf.
Die neu erworbenen Lizenzen wurden von chinesischen Partnern als «Meilenstein für die China-Pläne der Grossbank» bezeichnet. Die «Neue Zürcher Zeitung» vom 8. März urteilte: «Tatsächlich wäre ein vollständiger Marktzugang in China ein bedeutender Gewinn für eine Grossbank wie die CS.» Diese Neuigkeit komme für die angeschlagene CS zur richtigen Zeit, so die «Neue Zürcher Zeitung», und könnte ihr «tatsächlich starken Auftrieb und eine positive Zukunftsperspektive geben».
Von dieser möglichen positiven Wende war seit dem 9. März kein Wort mehr zu lesen. Ganz im Gegenteil: Die Auslöschung der Credit Suisse in völlig unschweizerischem Tempo hat nun auch ihr China-Geschäft – ganz im Sinne des US-UK-Finanz-, Polit- und Wirtschafts-Klüngels – erledigt. Zwar sind die meisten von uns Schweizern ebenfalls wenig begeistert vom Griff unserer ehemals schweizerischen Grossbanken nach welchem Land auch immer. Aber hier spielten geopolitische Interessen, wie die NZZ-Redaktion am 8. März warnend voraussah: «Falls die Schweiz in diesem Konflikt [USA-China] von ihren westlichen Partnern dereinst ihrerseits zu einer schärferen Linie gedrängt werden sollte, könnte dem China-Geschäft der Schweizer Banken der Boden natürlich rasch wieder entzogen werden.»7 Sehr rasch sogar!
«Was steckte eigentlich hinter den Mittelabflüssen bei der CS und woher weiss man, dass eine UBS nicht auch diesen Kräften ausgesetzt sein könnte […]?» fragten Beat Gygi und Hans Kaufmann in ihrem Artikel vom 23. März. «Im Herbst 2022 fand ein plötzlicher Vertrauenseinbruch statt», sagte der Nachrichtensprecher am 28. März in Radio SRF. Bekanntlich ist es keine Kunst seitens der Medienredaktionen, eine solche negative Stimmung zu schaffen und am Köcheln zu halten. Laut Finanz und Wirtschaft hatte die CS im September 2022 in China den Zuschlag bekommen, um ein bisheriges Joint Venture mit einer chinesischen Bank als eigenständiges Unternehmen weiterzuführen. Und am 8. März folgten nun mehrere Lizenzen für die Vermögensverwaltung in China – weg vom unheilvollen Spekulationsgeschäft in New York und London und hin zur angestammten seriösen Vermögensverwaltung im «Feindesland» China. Ob wohl der absehbare Erfolg für die Schweizer Bank mit ein Grund für den Todesstoss war? •
1 Reichmuth, Karl. «Tagebuch». In: Weltwoche vom 23.3.2023
2 Gygi, Beat und Kaufmann, Hans. «Der Untergang». In: Weltwoche vom 23.3.2023
3 Köppel, Roger. «Die Schweiz verkommt zu einer Bananenrepublik». Interview mit Marcel Niggli. In: Weltwoche vom 23.3.2023
4 Burkhardt, Peter. «Der Bundesrat enteignet die Aktionäre ohne Rechtsgrundlage». Interview mit Peter V. Kunz. In: Tages-Anzeiger vom 20.3.2023
5 Scherrer, Giorgio und Biswas, Chanchal. «Herr Straumann, haben die Banken aus der letzten Krise nichts gelernt?». Interview mit Tobias Straumann. In: Neue Zürcher Zeitung vom 17.3.2023
6 «Grossbank im Umbruch. CS erhält Vermögensverwaltungslizenz in China». In: Finanz und Wirtschaft vom 8.3.2023 (AWP*). *Schweizer Nachrichtenagentur für Wirtschafts- und Finanznachrichten
7 Müller, André. «Gute Nachrichten für die Credit Suisse: China öffnet sich weiter für die Grossbank». In: Neue Zürcher Zeitung vom 8.3.2023
mw./ww. Laut einer Meldung des US-Medienkonzerns Bloomberg vom 24. März 2023 macht das US-Justizministerium derzeit Jagd auf Banken und ihre Mitarbeiter, die möglicherweise «russischen Oligarchen geholfen haben, Sanktionen zu umgehen». Dazu gehören die CS und die UBS. Das Ministerium überprüft, «welche Bankangestellten mit sanktionierten Kunden zu tun hatten und wie diese Kunden in den letzten Jahren überprüft wurden». Die Mitarbeiter können persönlich bestraft werden, falls sie «gegen [US-]Gesetze verstossen haben», und den Banken könnten, wie Bloomberg androht, Milliarden-Summen abgepresst werden. Alles gemäss «US rule of law», das heisst in Missachtung des nationalen Rechts der Schweiz oder anderer Staaten. Bloomberg merkt an, dass der Bundesrat am 19. März eine Garantie bis zu 9 Milliarden Franken für Verluste der UBS aus der Übernahme der CS übernommen hat. Letztlich werden also wir Schweizer Steuerzahler blechen.
Die unerhörten Zwangsmassnahmen aus den USA sind das eine, das unerträgliche Kuschen der Schweizer Instanzen das andere. Am 30. März hat das Bezirksgericht Zürich in vorauseilendem Gehorsam vier Angestellte der Gazprombank Schweiz zu bedingten Geldstrafen verurteilt, weil sie «von 2014 bis 2016 eine Geschäftsbeziehung mit dem russischen Cellisten und Dirigenten Sergey Roldugin geführt» hatten, der «als Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin» gelte. Laut dem Bezirksgericht hätten die Bankangestellten «merken müssen, dass dieser unmöglich der tatsächliche wirtschaftlich Berechtigte an den Vermögenswerten in Millionenhöhe gewesen sein konnte». Kein Wunder, wollen immer weniger Russen und Chinesen den Schweizer Banken ihr Geld anvertrauen. Dasselbe gilt unter anderem für die Saudis, deren Nationalbank 80 Prozent vom Wert ihrer CS-Aktien (1,4 Milliarden Franken) verloren hat. Die Wall Street und die City of London freut’s.
Quellen: «Credit Suisse und UBS unter den Banken in der Untersuchung der Russland-Sanktionen durch das US-Justizministerium». Bloomberg vom 24.3.2023.
«Bezirksgericht Zürich verurteilt Gazprombank-Angestellte». swissinfo vom 30.3.2023 (Keystone-SDA)
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