von Wolfgang Effenberger
km. In ihren Antworten auf die Frage, wer und was den Krieg in der Ukraine verursacht hat und wie dieser Krieg beendet werden kann, sind sich diejenigen, die sich in Deutschland einmal «Friedensbewegung» nannten, nicht einig. Das Spektrum reicht von der Forderung nach Waffenlieferungen an die Ukraine (so selbst in den ehemals friedensbewegten deutschen Amtskirchen) bis hin zur Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und anschliessenden Friedensverhandlungen. Charakteristisch dabei sind das Festhalten an ideologischen und parteipolitischen Positionen sowie Ab- und Ausgrenzungen.
Das «Ostdeutsche Kuratorium der Verbände» (OKV) – dem vorgeworfen wird, «vereinigungsfeindlich» zu sein, das selbst aber davon spricht, sich für die «innere Einheit des deutschen Volkes» einzusetzen – hatte hingegen zwei Briefe ehemaliger hochrangiger DDR-Militärs zum Anlass genommen, für den 27. März 2023 Referenten aus Ost- und Westdeutschland einzuladen1, die ganz verschiedene weltanschauliche Positionen haben. Einig sind sie sich darin, dass vom Krieg in der Ukraine eine massive Gefahr für den Weltfrieden ausgeht und alles getan werden müsse, um zu einem «Frieden mit Russland» zu kommen – nicht, weil man ein Freund Russlands sein muss, sondern als «ein Gebot der Vernunft» – so der ehemalige DDR-Agent bei der Nato und heutige Publizist Rainer Rupp zu Beginn der Konferenz.
Wir dokumentieren den Vortrag des ehemaligen Bundeswehr-Offiziers und heutigen Publizisten Wolfgang Effenberger und die Abschlusserklärung.
Liebe Friedens-Freunde,
danke für die Einladung. Und Dank an die Generäle Manfred Grätz und Sebald Daum, ohne deren mutige Briefe diese Veranstaltung vermutlich nicht stattfinden würde.
1946 kam ich zwei Monate nach der Vertreibung meiner Eltern aus Schlesien in Südoldenburg zur Welt und wurde dann mit 18 Jahren Soldat. 1973 hatte ich als junger Hauptmann in meiner Verwendung als Nato-Offizier im Kalten Krieg Einblick in das geplante atomare Gefechtsfeld. In der Funktion als Wirkungsberater habe ich auf diesem rötlichen Befehls-papier Befehle für den sogenannten Ernstfall verfasst.
Auf der Rückseite habe ich meine damals geheimen Aufgaben abgetippt:
Unter anderem:
Im sogenannten Verteidigungsfall hätte ich damals einen atomaren Sperrzug führen müssen.
Angesichts der Bereitschaft der Vereinigten Staaten, hier in Europa die atomare Verwüstung in Kauf zu nehmen, setzte sich in mir bald die Erkenntnis durch, dass Frieden in Freiheit höchste Priorität haben muss. Er ist die Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben. Freiheit und Wahrhaftigkeit sind Grundvoraussetzungen für den Frieden. Im Krieg gibt es weder Freiheit noch Wahrheit noch Demokratie, sondern auf beiden Seiten nur unvorstellbares Leid!
1989 hoffte ich, dass nun endlich wirklicher Frieden in Europa einkehren würde! Doch die Hoffnungen wurden enttäuscht. Russland wurde ausgeplündert, und die Nato wurde entgegen den Zusagen beständig nach Osten erweitert, bis hin zum Putsch in der Ukraine.
Das erste Opfer des Krieges ist stets die Wahrheit. Das habe ich als Zeitzeuge bewusst miterlebt, und zwar bei den illegalen Kriegen der USA: Vietnam, Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien.
Die Voraussetzungen für eine freie, demokratische Gesellschaft sind heute kaum noch gegeben.
Wir dürfen uns nicht wieder, wie beispielsweise 1999 im Jugoslawien-Krieg geschehen, mittels Lügen in einen Krieg hineinmanipulieren lassen. Wie immer standen hinter den üblichen Floskeln von Freiheit und Demokratie handfeste wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Diese wurden Ende April 2000 bei einer Konferenz des US-Aussenministeriums zu den Themen Balkan und Nato-Osterweiterung in Bratislava unverblümt erläutert: «Es gelte, bei der jetzt anstehenden Nato-Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es am Höhepunkt der römischen Ausdehnung gewesen sei. Dazu müsse Polen nach Norden und Süden mit demokratischen Staaten als Nachbarn umgeben werden, Rumänien und Bulgarien die Landverbindung zur Türkei sicherstellen und Serbien auf Dauer aus der europäischen Entwicklung ausgeklammert werden.» Dieser Plan wird seitdem konsequent umgesetzt.
Das US-Camp Bondsteel sichert die US-Militärpräsenz vom Kosovo aus bis nach Kaschmir auf 99 Jahre. Der Jugoslawien-Krieg liess auch den Ungeist des polnischen Marschalls Pilsudski wieder aus der Flasche – Pilsudski strebte vor 100 Jahren einen von Polen dominierten Raum zwischen Ostsee und Schwarzem Meer an.
Am 21. Juli 2021 verpflichteten sich die USA und Deutschland zur Sicherung der ukrainischen Souveränität und Energiesicherheit. Und darüber hinaus zum Ausbau der Drei-Meere-Initiative – hier ist jetzt noch die Adria hinzugekommen. Polen ist nun der geostrategische Anker des US-Flugzeugträgers in Europa.
Nachdem die USA 1999 für ihren Krieg gegen Jugoslawien kein UN-Mandat bekamen, mandatieren sie seither ihre Kriege selbst. Damit regiert das Faustrecht.
Im Juli 2009 sprach ich auf dem Berliner Friedensfestival zum Thema «Neue Kriege um Rohstoffe?»
Meine Schwerpunkte waren:
Mit Artikel 42 des EU-Vertrags werden militärische Missionen «zur Wahrung der Werte der Union und im Dienst ihrer Interessen» real. Das heisst im Klartext: Angriffskriege zur Wahrung ökonomischer und strategischer Interessen.
2010 erhielt ich dann erstmals eine Einladung zum Dresdner Symposium. Gern denke ich an Oberst Professor Dr. Dr. Ernst Woit zurück, der mich wiederholt nicht nur als Referent, sondern sogar persönlich zu sich eingeladen hat. Die Arbeitspapiere der Dresdner Studiengemeinschaft behandelten durchweg richtungsweisende Themen, so zum Beispiel 2011 «Multipolare kollektive Sicherheit statt Pax americana». Seither setze ich mich in meinen Büchern für eine multipolare Friedensordnung ein, z. B. in «Wiederkehr der Hasardeure – Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute», zusammen mit Willy Wimmer.
Im Juli 2014 hielten wir im Vorwort fest: «Die gleichen Kreise, die vor hundert Jahren nationale Konflikte für ihre Interessen instrumentalisierten, sind heute wieder am Werk. Wieder wird bedenkenlos gepokert und dabei billigend die Gefahr eines Weltkriegs und damit neues unermessliches Leid in Kauf genommen.»
2016 folgte «Geoimperialismus – die Zerstörung der Welt». 2020 das «Schwarzbuch EU & Nato – Warum die Welt keinen Frieden findet» und 2022 «Die unterschätzte Macht – Von Geo- bis Biopolitik – Plutokraten transformieren die Welt».
Am 21. September 2022, dem Internationalen Tag des Weltfriedens, sprach ich als ehemaliger Bundeswehrangehöriger zusammen mit pensionierten wie aktiven Obersten und Generälen des österreichischen Bundesheeres auf dem Platz der Menschenrechte in Wien. Dort wurde die Beibehaltung der gesetzlich verankerten Neutralität Österreichs gefordert. Während die Bundesrepublik Deutschland im Frühjahr 1952 Stalins Neutralitätsangebot zugunsten einer Westintegration abgelehnt hat, implementierten die Österreicher 1955 die Immerwährende Neutralität im Verfassungsrang.
Am 27. Oktober 2022 verabschiedete die Biden-Administration die neue Nationale Sicherheitsstrategie. An erster Stelle steht die wachsende multidisziplinäre Bedrohung durch China und dessen Herausforderung im indopazifischen Raum sowie die von Russland ausgehende Herausforderung in Europa. Es folgen Nordkorea und der Iran. In der neuen Nuklearstrategie wird explizit jeder Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag ausgeschlossen. In den Handreichungen des US-Kongresses vom 15. November 2022 wird aus der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie zitiert: «Die Vereinigten Staaten sind eine globale Macht mit globalen Interessen. Wir sind in jeder Region stärker, weil wir uns auch in den anderen Regionen engagieren.» Weiter heisst es im Kongresspapier: «[…] die politischen Entscheidungsträger der USA verfolgen das Ziel, das Entstehen regionaler Hegemonen in Eurasien zu verhindern […]; die militärischen Operationen der USA im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie zahlreiche militärische Operationen der USA und alltägliche Operationen seit dem Zweiten Weltkrieg […] haben offenbar zu einem nicht geringen Teil zur Unterstützung dieses Ziels beigetragen.»
Es geht seit einem Jahrhundert vor allem darum, den Reichtum einer Gruppe von Tycoons in der Londoner City und an der Wall Street zu mehren. Ein Blick auf die aktuellen Finanzströme bestätigt das. So scheinen die Finanzeliten in den USA und in Grossbritannien wenig Interesse an einer Beilegung des Ukraine-Konflikts zu haben. Heute möchten uns die gleichen Kreise in einen dritten Weltkrieg führen.
Es wäre äusserst tragisch, wenn Thomas Manns Appell an die europäischen Hörer 1953 ungehört verhallen würde. Er hatte im amerikanischen Exil die Neigung der USA erkannt, «Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Russland zu behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt.»
Der chinesische Staatspräsident Xi verabschiedete sich am 22. März in Moskau mit den Worten: «Jetzt gibt es Veränderungen, die es seit 100 Jahren nicht gegeben hat. Wenn wir zusammen sind, treiben wir diese Veränderungen voran.» – Veränderungen in Richtung multipolarer Welt.
Der Globus darf nicht länger Spielball einer verantwortungslosen Finanzoligarchie sein, die den Boden für eine rücksichtslose Ausbeutung bereitet. Werfen wir das unheilvolle Narrativ «hier das Gute, dort das Böse» in den Mülleimer der Geschichte! Ächten wir den Krieg! Und vor allem: Wagen wir mehr Menschlichkeit!
Vielen Dank! •
1 siehe für einen Überblick https://www.nachdenkseiten.de/?p=95840 vom 3.4.2023 (Anm. d. Red.)
2 ADM ist die Abkürzung für «Atomic Demolition Munition», also taktische Kernwaffen. Oft wird auch von Atomminen, Kernminen oder nuklearen Landminen gesprochen (Anm. d. Red.).
Wir, die Teilnehmer unseres heutigen Forums, rufen alle friedliebenden Menschen auf, sich unserem Protest gegen den Krieg und für einen gerechten Frieden anzuschliessen.
In der grossen Gefahr, in der sich aktuell unsere Völker befinden, haben wir keine Zeit mehr, uns über parteipolitische Differenzen und unterschiedliche gesellschaftspolitische Orientierungen zu streiten. Stattdessen müssen wir uns auf das konzentrieren, was uns eint!
Die Zukunft unserer Kinder und Enkel und die Erhaltung menschlichen Lebens auf unserer Erde erfordern, dass Deutschland und seine Wirtschaft nicht einer -Politik westlicher „regelbasierter Ordnung“ zum Opfer fallen, die Russland «zerstören» will und sich auf einen Krieg gegen China vorbereitet.
USA und Nato stehen mit ihrer militärischen Macht an den Grenzen Russlands, rüsten Taiwan gegen China auf und bedrohen so die Sicherheit der Russischen Föderation und der Volksrepublik China.
Begleitet wird diese Politik von Wirtschafts-, Finanz- und Medienkriegen, völkerrechtswidrigen Sanktionen und Falschinformationen, verbunden mit Abbau von Demokratie und Meinungsfreiheit.
Doppelmoral kennzeichnet die «regelbasierte Weltordnung» des Westens. Sie ist in Wahrheit imperiale Kriegspolitik unter Führung der USA. Dafür entrichten die Völker Blutzoll und verlieren die hart erkämpften sozialen Errungenschaften. Seit 1999, dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Restjugoslawien, mandatieren sich die USA ihre Kriegseinsätze gemäss ihrer sog. «regelbasierten internationalen Ordnung» selbst.
Auch der Krieg in der Ukraine, langfristig geplant und spätestens 2014 begonnen, steht uns täglich vor Augen.
Deutschland trägt als Kriegspartei mit Waffenlieferungen, Geld und militärischer Ausbildung an vorderster Front zur weiteren Eskalation dieses Krieges bei. Es rüstet auf, macht die Bevölkerung kriegsreif und verfolgt Friedensaktivisten. Mit Hass und Hetze schürt es die Feindschaft gegen Russland. Die Regierung verstösst gegen ihren Amtseid [Artikel 56 GG, «… Wohle des deutschen Volkes widmen, … Schaden von ihm wenden…»], verletzt die wichtigste Verpflichtung des Grundgesetzes: das Friedensgebot [Art. 26 GG]. Diese Politik führt in einen Weltkrieg, der keine Sieger kennen wird.
Deshalb
Warten wir nicht, bis es wieder zu spät ist!
Wir sehen unsere Veranstaltung eingeordnet als weitere Stimme für den Frieden, damit sie stärker wird und Kraft in der Breite gewinnt.
Berlin, den 27. März 2023
Quelle: https://fdvr.de/wp-content/uploads/2023/04/Entschliessungend.pdf
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