Die Alhambra ist neben der Moschee von Cordoba das bedeutendste Bauwerk maurischer Architektur und islamischer Kunst. Die Epoche steht für Religionsfreiheit, Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen und Blüte der Wissenschaft. Meist wird der Name «Alhambra» mit «rote Festung» übersetzt, ein Hinweis auf die rötliche Farbe der Mauern und Türme. Der Anlage ist ein Sommerpalast und Landsitz mit Gärten, Kolonnaden und Brunnen angegliedert, der sogenannte «Palacio de Generalife». Im Jahr 1984 zum Weltkulturerbe erhoben, erfreut sich die Stadtburg in Granada mit ihren prachtvollen Räumen und malerischen Innenhöfen seit Jahren eines regelrechten Besucheransturms.
Das maurische Spanien – geschichtlicher Überblick
Zwischen 711 und 1492 stand ein Teil der Iberischen Halbinsel unter muslimisch-maurischer Herrschaft, arabisch «al-Andalus» genannt. Die frühe Periode der arabischen Herrschaft war meist gekennzeichnet durch Toleranz gegenüber den verschiedenen Religionen: Christen, Juden und Muslime lebten friedlich zusammen. Arabische Gelehrte überlieferten griechische Wissenschaft und Philosophie, z. B. Platon und Aristoteles, die im Bagdad des Mittelalters aus dem Griechischen ins Arabische übertragen worden waren, aber auch arabische Schriften zur Astronomie, Mathematik und zur islamischen Religion. Die Moslems waren wegen ihrer Gelehrsamkeit hoch angesehen. Die maurischen Städte waren wahre «Bienenkörbe von Dichtern, Gelehrten, Juristen, Ärzten und Wissenschaftlern», schrieb Kulturpublizist Will Durant. So verfasste der bedeutende andalusische Philosoph und muslimische Gelehrte, Jurist, Arzt und arabische Schriftsteller Averroes eine medizinische Enzyklopädie und zu Aristoteles’ Werk einen Kommentar.
Es gab zahlreiche Grundschulen für Jungen und Mädchen, und der maurische Herrscher Hakam II. (915–976) richtete 27 weitere Schulen zur Unterrichtung der Armen ein. Höhere Schulen wurden in Granada, Toledo, Sevilla, Murcia, Almeria, Valencia und Cadiz gegründet. Die höhere Bildung wurde von unabhängigen Lehrern vermittelt, die Vorlesungen in Moscheen hielten. Die Universität von Cordoba stand mit ihrem Ruf nur den Universitäten von Bagdad und Kairo nach. Das muselmanische Spanien besass siebzig Bibliotheken. Die Bibliotheken von Cordoba und Toledo waren wegen ihrer Bestände mit dem fortgeschrittenen Wissen des Islams und des Abendlandes berühmt.
Im Jahr 1492 musste sich im Zuge der Reconquista der letzte Emir Abul Hasan von Cordoba geschlagen geben: Nach langer Belagerung ergab er sich dem spanischen Königspaar Ferdinand und Isabella, womit die Herrschaft der Mauren auf der iberischen Halbinsel endete. Wer sich nicht zum Christentum bekehren liess, musste das Land verlassen. Viele Mauren – darunter auch Juden – flohen nach Marokko.
Mittelalterliche befestigte Oberstadt der Nasriden-Dynastie
Die Bedeutung des Islams für Kunst und Architektur wird in der beeindruckenden Alhambra augenfällig, bei deren Gestaltung christliche und muslimische Künstler wirkten. Die Dynastie der Nasriden, im Jahr 1238 dort gegründet, liess die Anlage im 13. und 14. Jahrhundert errichten. Ihre Herrscher erwiesen sich als Mäzene der Künste sowie der Natur- und Geisteswissenschaften. Die Ausmasse der Palastanlage sind beeindruckend: Die befestigte Stadtburg ist 740 m lang und bis zu 220 m breit. Die sogenannte Alkazaba ist der Zugangsbereich, umschlossen von dicken Mauern, versehen mit massiven Türmen, Wehrgängen und Gräben. Die Mauern bestehen aus einem speziellen Lehm von hoher Festigkeit. Doppelmauern, verwinkelte Gänge, Fallgatter u. a. machten die Anlage nahezu uneinnehmbar.
Der alte Königspalast mit Myrtenhof,
Botschaftersaal und Löwenhof
Das Innere der Anlage gliedert sich in vier Bereiche: in das Herzstück der Alhambra mit dem Verwaltungstrakt Mexuar, in den aus mehreren Gebäuden bestehenden Comares-Palast (Residenz des Fürsten), den Myrtenhof als Empfangsraum und den Leones-Palast mit dem Löwenhof als Zentrum.
Elemente andalusischer Architektur sind Hufeisenbögen, Kolonnaden und Innenhöfe mit Brunnen. Kennzeichnend für die künstlerische Gestaltung der Alhambra sind schlanke hohe Säulen mit reich verzierten Kapitellen. Überall zieren Stuckarbeiten, Keramik und kunstvoll geschnitztes Holz die Wände, Bögen und Decken mit Arabesken und vegetabilen Motiven. Dekorative Elemente sind oft auch in arabischer Kalligraphie geschriebene religiöse Sprüche und Gedichte. Wohin das Auge schaut: geschmackvolle Ornamentik und hochaufstrebende Innenräume, die den Anschein erwecken, man blicke ins Firmament.
Besonders hervorzuheben ist im Comares-Palast der Myrtenhof mit dem Wasserbecken. Durch gleichmässigen Zufluss ist die Wasseroberfläche vollkommen glatt, so dass sich darin Fassade und Säulen spiegeln. Der Ort, dessen Atmosphäre einen sofort gefangen nimmt, ist dem Paradies nachempfunden, das der Koran als «Blumengarten, durch den die Bäche fliessen», beschreibt.
Der anschliessende Botschaftersaal ist mit prachtvollen Stukkaturen und einer kunstvoll gestalteten Zedernholzdecke ausgestattet. Das Licht fällt weit oben durch bunte Glasfenster in den Raum. Auf den offiziellen Charakter des Raumes verweist eine Inschrift am Kapitell eines Alkovens, die lautet: «Sprich wenig Worte und du wirst in Frieden gehen.» (S. 89)
Der Löwenhof verdankt seinen Namen zwölf Wasser speienden Löwen-Skulpturen, die in der Hofmitte ein grosses zwölfeckiges Wasserbecken zu tragen scheinen. Der um 1050 entstandene Brunnen besteht aus andalusischem Marmor und ist eines der bedeutendsten Beispiele muslimischer Bildhauerkunst. Den Brunnenrand ziert ein Gedicht in arabischer Schrift, das dem Wasser als Quelle allen Lebens gewidmet ist. Der Hof war das Zentrum der Privatresidenz des Sultans, um ihn herum lagen die Räume für die Frauen.
Der Generalife – Sommerpalast mit Gärten
Der Sommerpalast des Sultans liegt, umgeben von Blumen- und Gemüsegärten, oberhalb der Palastanlage. Hier konnte man sich erholen und war doch in unmittelbarer Nähe des Regierungssitzes. Die prachtvolle Anlage ist ein gut erhaltenes Beispiel für einen mittelalterlichen spanisch-moslemischen Garten in Andalusien; sie besteht aus dem Patio de la Acequia (Hof des Wasserkanals) mit einem langen rechteckigen Wasserbecken, eingerahmt von Blumenbeeten, Brunnen, Kolonnaden und Pavillons, und dem Jardin de la Sultana (Garten der Sultanin). Abgeschlossenheit, Stille und Gestaltung sollen den Eindruck des vorweggenommenen Paradieses erwecken. Der Palast und die terrassenförmig angelegten Gärten üben auf den Betrachter eine bezaubernde, unvergessliche Wirkung aus.
Bewässerungssystem und Pflanzenwelt
Unerlässliche Grundlage für das Leben im Palast und für den Unterhalt der Brunnen sowie der Zier-, Obst- und Gemüsegärten war die ständige Zufuhr von Wasser. Es wurde durch einen Bewässerungsgraben vom Fluss Darro sechs Kilometer flussaufwärts entnommen, zum Generalife und zur Alhambra geführt und in Wasserdepots gesammelt. Mit einem Schöpfrad und verzweigten Bewässerungsgräben gelang es, eine grössere Fläche zu bewässern. Zur Alhambra gelangte das Wasser über ein Aquädukt. Restwasser und Abwasser wurden wieder in den Fluss geleitet. Auch in der Landwirtschaft nutzten die Mauren ein effektives Bewässerungssystem, dessen Prinzip in der Region heute noch Anwendung findet.
Bis heute gedeihen hier neben Orangen-, Bitterorangen-, Granatapfel- und anderen Obstbäumen die verschiedensten Blumen und Sträucher wie Gerbera, Ringelblume, Glyzinie, Winterhortensie, Schneeball, Kletterrose, Meerlavendel, Rosmarin, Trompetengeissblatt, Tulpen-, Kaki- und Paradiesbaum, Magnolie, Rosskastanie und andere mehr.
Die Alhambra, die zahlreiche Schriftsteller inspirierte, ist ein beeindruckendes Beispiel für die Blüte der islamischen Kultur im maurischen Spanien, das Vorbild sein kann für ein friedliches Miteinander und die gegenseitige Bereicherung von Islam, Christentum und Judentum (oder auch anderer Religionen und Kulturen). Wenn Kulturen sich nicht voneinander abgrenzen und sich nicht befehden, sondern in regen Austausch treten, kann dies zum friedlichen Miteinander und zur Hochblüte einer Epoche führen. •
Quellen, Literatur:
Debicki, Jacek; Favre, Jean-Francoise; Grünewald, Dietrich; Pimentel, Antonio Filipe. Geschichte der Kunst, Malerei, Plastik, Architektur im europäischen Kontext, Stuttgart 1996 (Klett) 2001, ISBN: 3-12-205500-7
Die Alhambra und Generalife aus der Nähe betrachtet, Bildreiseführer für die Besichtigung der Alhambra und des Generalife, Granada (o.J.), ISBN 978-84-87282-38-6
Durant, Will. Kulturgeschichte der Menschheit, Bd. X (Sonderausgabe für Buchclub Ex Libris u. Kunstkreis Luzern), o.J., S. 580
Gostelow, Martin. Andalusien, Gibraltar, JPM Guides, ISBN: 978-2-88452-668-5
Hunke, Sigrid. Allahs Sonne über dem Abendland, Frankfurt am Main (Fischer Bücherei) 1965
Irving, Washington. Erzählungen von der Alhambra, MUSAICUM BOOKS, OK Publishing 2022, ISBN 978-80-272-5397-5
Pischel, Gina. Grosse Kunstgeschichte der Welt, Malerei, Plastik, Architektur, Kunsthandwerk, München 1980 (Südwestverlag), ISBN: 3517005282
Winkler, Tanja. Wasser ist Zukunft, Andalusiens geheimer Schatz (Episode 3), Film, arte vom 17.1.2023
«Birgt dieser Garten etwa nicht ein Werk, von dem Gott wollte, dass ihm nichts an Schönheit gleichkommen sollte? Geformt aus Perlen von flackerndem Glanz schmückt er sein Fundament mit Perlen, die er im Überfluss hat. Flüssiges Silber rieselt zwischen seinen Juwelen, ohnegleichen ist deren weisse, strahlende Schönheit. Flüssiges und Unbewegliches vermischen sich im Auge, so dass der Betrachter nie weiss, was nun fliesst. Sieh doch, wie das Wasser über die Ränder hinausläuft, um sofort von den Wasserrinnen verschluckt zu werden! Gleich einem Liebenden, dessen Augen voller Tränen sind und der sie zurückhält aus Angst, bemerkt zu werden.»
Aus: Ode am Löwenbrunnen von Ibn Zamrak (1333–1393), arabischer Staatsmann und Hofpoet von Granada
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