UN-Menschenrechtsrat fordert Abschaffung einseitiger Sanktionen

von Eva-Maria Föllmer-Müller

Mit überwältigender Mehrheit hat der UN-Menschenrechtsrat am 3. April 2023 eine Resolution (A/HRC/52/L.18) zu den «[…]negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen auf die Wahrung der Menschenrechte» verabschiedet. Die Resolution fordert die Aufhebung der völkerrechtswidrigen einseitigen Zwangsmassnahmen. Das sind alle Sanktionen ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss.

Gemäss dieser Resolution fordert der Rat «alle Staaten nachdrücklich auf, keine einseitigen Zwangsmassnahmen mehr zu beschliessen, beizubehalten, durchzuführen oder einzuhalten, die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, dem Humanitären Völkerrecht, der Charta der Vereinten Nationen und den Normen und Grundsätzen für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten stehen». Der Menschenrechtsrat «bittet die UN-Sonderberichterstatterin über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen, ihre Arbeit fortzusetzen und konkrete Mass-nahmen vorzuschlagen, um die Abschaffung einseitiger Zwangsmassnahmen sicherzustellen, und sich […] auf die Mittel und Entschädigungen zu konzentrieren, die zum Voranbringen der Rechenschaftspflicht und der Wiedergutmachung für die Opfer erforderlich sind.» (UN-Meeting summaries vom 3. April 23)
  Eingebracht hatten die Resolution Aserbaidschan im Namen der Blockfreien Staaten und die Russische Föderation als Nicht-Mitglied des Menschenrechtsrats.

Das Abstimmungsergebnis oder:
der Westen gegen den «Rest der Welt»

Von den 47 Mitgliedern des Menschenrechtsrats stimmten 33 Länder für die Resolution, 13 Länder dagegen, eine Enthaltung:
  Dafür (33): Algerien, Argentinien, Bangladesch, Benin, Bolivien, Kamerun, Chile, China, Costa Rica, Elfenbeinküste, Kuba, Eritrea, Gabun, Gambia, Honduras, Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Malawi, Malaysia, Malediven, Marokko, Nepal, Pakistan, Paraguay, Katar, Senegal, Somalia, Südafrika, Sudan, Vereinigte Arabische Emirate, Usbekistan und Vietnam.
  Dagegen (13): Belgien, Tschechische Republik, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Litauen, Luxemburg, Montenegro, Rumänien, Ukraine, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten.
  Stimmenthaltung (1): Mexiko.
  Ben Norten, Investigativjournalist und Herausgeber von Geopolitical Economy Report, schreibt: «Laut einem Bericht des US-Finanzministeriums aus dem Jahr 2021 wurden Ende des Jahres 9421 Parteien [Einzelpersonen oder Organisationen] von der US-Regierung mit Sanktionen belegt, was einem atemberaubenden Anstieg von 933 % seit dem Jahr 2000 entspricht.
  Über ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in Ländern, die unter Sanktionen zu leiden haben.» (geopoliticaleconomy.com vom 6. April 2023)
  Allein im Jahr 2022 hat die Aufsichtsbehörde des US-Finanzministeriums OFAC (Office of Foreign Assets Control) 2549 neue Benennungen (d. h. die Verhängung umfassender Sanktionen gegen Personen oder Organisationen) ausgesprochen. Von den 2549 neuen Benennungen im letzten Jahr waren allein 1772 Russland-spezifisch.
  Eigentlich ist die angenommene Resolution nichts Aussergewöhnliches, denn die zustimmenden Staaten fordern nichts mehr als die Einhaltung des Völkerrechts. Die UN-Sonderberichterstatterin über die negativen Auswirkungen von unilateralen Zwangsmassnahmen, Alena Douhan, weist, seit sie ihr Amt im März 2020 angetreten hat, in ihren Berichten und Stellungnahmen unermüdlich auf die verheerenden und tödlichen Auswirkungen von Sanktionen hin. Ebenso zahlreiche Völkerrechtler, Wissenschaftler, Journalisten wie Hans Köchler, Alfred de Zayas, Hans von Sponeck, Hannes Hofbauer, Karin Leukefeld, um nur einige Beispiele zu nennen. Immer wieder kommen sie auch in Zeit-Fragen zu Wort.
  Es gibt bereits zahlreiche Resolutionen, in denen die Abschaffung der Sanktionen gefordert wird: von der UN-Generalversammlung, vom Menschenrechtsrat und seinem Vorgänger, der Menschenrechtskommission, sowie auf den Uno-Konferenzen der neunziger Jahre, die ebenfalls die völkerrechtswidrigen Sanktionen verurteilen. Schon längstens sind ihre verheerenden Auswirkungen bekannt. Um so mehr muss festgehalten werden, dass neben ihrer Abschaffung auch von allen Staaten gefordert wird, die einseitigen Sanktionen nicht einzuhalten, und dass die Opfer ein Recht auf Wiedergutmachung haben. Betont wird explizit die Völkerrechtswidrigkeit von Erlassen, die durch die extraterritoriale Anwendung nationaler Gesetzgebungen verursacht werden («rules based order» lässt grüssen). Explizit auch, Sanktionen dürfen nicht als politisches oder wirtschaftliches Druckmittel angewendet werden. Dass Alena Douhan bei ihrer schwierigen Aufgabe mit dieser Resolution der Rücken gestärkt wird, ist ein Segen für alle sanktionsgeplagten Menschen, Völker und Länder.  •

Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen – Resolution A/HRC/52/L.18 (Auszüge)

«Der Menschenrechtsrat

  • unter Hinweis darauf, dass einseitige Zwangsmassnahmen und -gesetze sowie Sekundärsanktionen im Widerspruch zum Völkerrecht, zum Humanitären Völkerrecht, zu den internationalen Menschenrechtsnormen, zur Charta und zu den Normen und Grundsätzen für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten stehen, […]
  • beunruhigt über die Tatsache, dass die Industrieländer den am wenigsten entwickelten Ländern und den Entwicklungsländern alle Formen und Erscheinungsformen einseitiger Zwangsmassnahmen auferlegt haben, die die Menschenrechte der Ärmsten und der Menschen in prekären Situationen erheblich beeinträchtigen – ein unmenschliches Vorgehen, das er in diesem Zusammenhang aufs schärfste verurteilt,
  • zutiefst beunruhigt über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmass-nahmen auf das Recht auf Leben, das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an körperlicher und geistiger Gesundheit und medizinischer Versorgung, das Recht auf Freiheit von Hunger und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, Nahrung, Bildung, Arbeit und Wohnung sowie das Recht auf Entwicklung und das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt,
  • betont, dass der Menschenrechtsrat bei seiner Aufgabe, alle Menschenrechte, einschliesslich des Rechts auf Entwicklung, zu verwirklichen, die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmass-nahmen in vollem Umfang berücksichtigen muss, einschliesslich derjenigen, die durch den Erlass und die extraterritoriale Anwendung nationaler Gesetze und Beschlüsse verursacht werden, die nicht mit der Charta und dem Völkerrecht im Einklang stehen,
  • hebt die Notwendigkeit hervor, Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit einseitigen Zwangsmassnahmen zu überwachen und zu melden, die Rechenschaftspflicht zu fordern, um von künftigen Verstössen abzuschrecken und den Opfern Wiedergutmachung zu leisten,
  • unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, wonach u. a. ein Volk in keinem Fall seiner eigenen Lebensgrundlage und seiner Grundrechte beraubt werden darf,
  • fordert [der Rat] alle Staaten nachdrücklich auf, keine einseitigen Zwangsmassnahmen mehr zu ergreifen, beizubehalten, durchzuführen oder einzuhalten, die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, dem Humanitären Völkerrecht, der Charta der Vereinten Nationen und den Normen und Grundsätzen für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten stehen, insbesondere keine Zwangsmass-nahmen mit extraterritorialer Wirkung, die Hindernisse für die Handelsbeziehungen zwischen den Staaten schaffen und somit die volle Verwirklichung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderen internationalen Menschenrechtsübereinkünften verankerten Rechte, insbesondere des Rechts der Menschen und Völker auf Entwicklung, behindern;
  • verurteilt aufs schärfste die fortgesetzte einseitige Anwendung und Durchsetzung solcher Massnahmen durch bestimmte Mächte als Druckmittel, einschliesslich politischen und wirtschaftlichen Drucks, gegen jedes Land, insbesondere gegen die am wenigsten entwickelten Länder und die Entwicklungsländer, mit dem Ziel, diese Länder daran zu hindern, ihr Recht auszuüben, aus freien Stücken über ihr eigenes politisches, wirtschaftliches und soziales System zu entscheiden;
  • ersucht die Sonderberichterstatterin, mit Wissenschaftlern, Forschern und anderen in der akademischen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, um die für das Mandat relevante Forschung zu fördern, unter anderem in den Bereichen Recht, Wirtschaft, Politikwissenschaft, Sozialwissenschaft, Medizin und Landwirtschaft, und auch durch die Einrichtung einer Forschungsplattform für Sanktionen;
  • ersucht den Generalsekretär, die Sonderberichterstatterin bei der wirksamen Erfüllung ihres Mandats zu unterstützen, indem er ihr insbesondere angemessene personelle und materielle Ressourcen zur Verfügung stellt; […]»

Quelle: Res. A/HRC/52/L.18;
https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/LTD/G23/059/34/PDF/G2305934.pdf?OpenElement

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Laut einer Studie des österreichischen Meinungsforschungsinstituts INSA von Anfang April 2023 fordern 41 % der Österreicher ein Ende der EU-Sanktionen gegen Russland. Auffallend viele junge Österreicher (16–29 Jahre), nämlich 39 %, fordern ein Ende der Anti-Russland-Sanktionen.

Quelle: www.express.at vom 7. April 2023

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