gl. Francisco Villar ist klinischer Psychologe und arbeitet seit zehn Jahren mit Familien von suizidgefährdeten Kindern und Jugendlichen am Spital Sant Joan de Déu in Barcelona. Am 22. Oktober letzten Jahres erschien in der weitverbreiteten spanischen Tageszeitung «El País» sein ausführlicher Artikel mit dem Titel «Handys müssen bis zum Alter von 16 Jahren verboten werden». Dieser Artikel hat sicher dazu beigetragen, dass die spanische Erziehungsministerin zwei Monate später die regionalen Bildungsministerien aufforderte, etwas gegen den Handygebrauch an den Schulen zu unternehmen.
Villar erklärt, dass sich die Notfallbehandlungen von Kindern und Jugendlichen auf Grund von Suizidgefährdung an seinem Spital von 2014 bis 2022 vervierfacht haben, von 250 Fällen auf 1000 Fälle pro Jahr. Und dies, obwohl zahlreiche Notfallpläne und eine eigene Notrufnummer 024 eingerichtet worden waren. Wie ist es möglich, dass ein Jugendlicher soweit gehen kann, sein eigenes Leben beenden zu wollen? In den letzten Jahren sei der Einfluss der Bildschirme als wichtiger Faktor in den Vordergrund getreten. «Nein, die Bildschirme haben den Selbstmord nicht erfunden, sie sind nicht für seine Existenz verantwortlich. Aber im Kindes- und Jugendalter scheinen sie einer der Faktoren zu sein, die für seine Zunahme verantwortlich sind, und zwar in Verbindung mit der zunehmend schlechten psychischen Verfassung der Heranwachsenden, den neuen Formen von Gewalt, denen sie ausgesetzt sind, und auch, und das ist sehr wichtig, mit dem Verlust von Fähigkeiten zur Lebensbewältigung. Während es bei der Suizidprävention darum geht, den Kindern Strategien an die Hand zu geben, mit denen sie die Welt lebenswert gestalten können, wird vielen von ihnen durch den Bildschirm das Instrumentarium entzogen und die Gelegenheit genommen, es zu erwerben. Und das ist meiner Meinung nach die versteckte Ursache.» Die Jugendlichen berichten ihm von Cybermobbing, sexuellen Aggressionen und der Demütigung durch die Verbreitung in den Sozialen Medien. In zahllosen sozialen Netzwerken werden sie zum Selbstmord aufgefordert. Darüber hinaus sieht er auch noch ein tieferliegendes Problem: «Bei den Jugendlichen stellen wir vermehrt Gefühle von Leere fest, eine vollkommen passive Haltung der Welt gegenüber, Unfähigkeit, Lösungsvorschläge für ihre Situation zu entwickeln. Sie warten auf eine Art magische Lösung von aussen, abgesehen von ihrer Entmutigung, ihrem Mangel an Lebensfreude und dem Wunsch, neue Erfahrungen zu machen; sie sind gesättigt mit sinnlosem Spektakel, ohne Inhalt, ohne Sinngebung.»
Eine Vielzahl von Studien aus den USA und Europa bestätigt inzwischen Entwicklungsverzögerungen bei Kleinkindern. Villar nennt als Beispiel die Fähigkeit des Warten- könnens, die trainiert werden muss. Der Bildschirm greift dabei in die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten zur Bewältigung des Alltags ein. Das betrifft auch die Langeweile, die Villar als grosse Quelle für die Phantasie und als eine Antriebskraft für die Kreativität sieht. Der Bildschirm wird so zum grössten Feind der Phantasie. Auch für Freundschaft und Beziehungen seien Bildschirme nicht förderlich. «In der Kindheit und Jugend ist all die Zeit, die mit dem Starren auf einen Bildschirm verbracht wird, eine verpasste Gelegenheit zur Entwicklung sozialer Fähigkeiten, eine verpasste Gelegenheit zur Entwicklung von Empathie.»
Die beste und einfachste Massnahme, um Suizide im Kindes- und Jugendalter zu verhindern, ist nach Francisco Villars Auffassung ein Verbot von Mobiltelefonen bis zum Alter von 16 Jahren, wobei es auch von 16 bis 18 Jahren restriktiv genutzt werden sollte. «Ein Kind vor dem sechsten Lebensjahr sollte niemals Zugang zu einem Bildschirm haben, und ab diesem Alter sollte es höchstens eine halbe Stunde pro Tag damit verbringen. Niemals vor der Schule, niemals mindestens zwei Stunden vor dem Schlafengehen, niemals im Multitasking-Modus (essen, reisen, Hausaufgaben machen …).» •
Quelle: El País vom 22. Oktober 2023; https ://elpais.com/ideas/2023-10-22/hay-que-prohibir-los-moviles-hasta-los-16-anos.html#?rel=mas
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