Eltern- und Kind-Sein heute

von Daniel Wirz*

Gar manches brauchen Kinder, damit sie gedeihen. Allem voran: Dass wir für sie da sind. Ganz einfach und dennoch heute keineswegs selbstverständlich. Oft werden Kinder als Belastung empfunden. Was sie uns abfordern, geht vielen Eltern zu weit. Sie fühlen sich auf dem Weg der eigenen Selbstverwirklichung bedroht und nehmen sich zurück, wenn vielleicht auch bloss innerlich.
  Was bedeutet das für den Lebensalltag unserer Kinder? Wie gehen sie damit um? Fördern wir durch den eigenen Rückzug die Erziehung zur Selbständigkeit? Was erwarten denn überhaupt Kinder von ihren Eltern? Was sind ihre grundlegenden Bedürfnisse, und wie kommen wir ihnen nach, ohne uns selbst zu verleugnen?
  Was Kinder immer und überall suchen: Die Begegnung mit uns, die hautnahe, direkte, unverstellte, aufrichtige. Uns wollen sie spüren. So wie wir sind und – noch bedeutender – was wir werden wollen. Nichts können wir ihnen dahingehend verbergen. Und wir tun den Kindern weh, wenn wir ihnen irgend etwas vormachen.
  Dass wir Fehler machen, ist das eine, unvermeidliche. Dass wir aber daraus lernen, ist das andere, viel Bedeutungsvollere. Kinder sind grosszügig im Verzeihen. Sie tragen uns nichts nach und sind bereit, jeden Tag neu anzufangen. In diesem Sinne ist das Zusammenleben mit Kindern eine grossartige Chance, immer neu zu werden. Dass wir den Kindern vermitteln, selber auf dem Weg zu sein, aus uns etwas machen zu wollen, ist entscheidend.
  Grundsätzlich halten sie sehr viel von uns, und nichts ist ihnen eigentlich lieber, als sich an uns zu orientieren. Aber eben: Nicht, dass wir ihnen etwas vormachen. Unser Mühen müssten sie spüren. Im Klartext heisst das: Keine Erziehung ohne Selbsterziehung.
  Was Kinder ansonsten noch existentiell brauchen, leitet sich eigentlich aus dem eben Gesagten ab.
  Das heisst: Ist dieser «Boden» einmal gelegt, ergibt sich das andere wie von selbst.
  Eines wäre vielleicht noch zu erwähnen: Auch wenn wir an unseren Kindern manch Vertrautes wiedererkennen, sind sie im Grunde genommen nicht «unsere» Kinder. Ich meine: Sie sind nicht nur zu verstehen als «Abklatsch» ihrer Vorfahren. Unabhängig von manch zweifellos prägenden Faktoren sind sie eine Individualität. Das heisst wörtlich: unteilbar. Das sollen wir immerzu respektieren. Wir geben ihnen damit erst den Freiraum, das zu werden, wozu sie im Innersten bestimmt sind. Ein Segen für das Kind muss es also bedeuten, wenn Erwachsene in seinem Umfeld sind, die in sich – unausgesprochen – beständig die Frage tragen: Wer bist du?  •



Daniel Wirz ist Psychologe, Lehrer und Buchautor. Mitbegründer des «Freien Pädagogischen Arbeitskreises» (heute: «Menschenbildung»), der Rudolf Steiner-Schule Baar und der Neuen Schule Zug.

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