von Cara Marianna*
Kinder in Palästina fallen durch ihre Neugier und Unerschrockenheit auf. Wann immer ich spazieren ging, kamen kleine Gruppen auf mich zu und verfolgten mich oft mehrere Blocks lang, während sie mich mit Fragen löcherten: «Woher kommst du?» war die häufigste. Darauf folgte in der Regel die Frage «Wie alt bist du?»
Ich fand die Frage nach meinem Alter merkwürdig und sogar ein bisschen frech, bis mir ein Lehrer erklärte, dass dies zu den Standardfragen gehört, die man im Englischunterricht lernt.
Der Mutigste unter ihnen stellte unweigerlich die Frage, deren Antwort sie am meisten interessierte, vor allem, wenn sie von einem Amerikaner kam: «Israel oder Palästina?» So wurde die Frage immer formuliert. Keine Ausführlichkeit. Jeder verstand, was gefragt wurde, und ich erwies ihnen immer den Respekt, die Frage zu beantworten: Unterstütze ich Israel, oder bin ich loyal gegenüber Palästina?
Auf Grund der Sprachbarriere war es unmöglich, diesen Kindern eine ernsthafte oder durchdachte Antwort zu geben, die den historischen Kontext und das Ausmass des völkermörderischen Angriffs Israels auf Gaza auch nur annähernd erfassen konnte, ganz zu schweigen von der Mitschuld meines eigenen Landes – eine Tatsache, der sich diese Kinder ausnahmslos bewusst waren und auf die ich mehr als einmal angesprochen wurde.
Was diese Kinder am meisten wissen wollten, ja, sogar wissen mussten und zu wissen verdienten, war, dass es Menschen auf der Welt – und insbesondere Amerikaner – gibt, die auf der Seite Palästinas stehen. Ihre Zustimmung zu meiner Antwort wurde im allgemeinen mit lautem Jubel zum Ausdruck gebracht. Die Tatsache, dass die Solidaritätsbekundung eines einzelnen Amerikaners Anlass zu solch offensichtlicher Hoffnung und Freude ist, hat mich immer sehr traurig gestimmt.
Die Kinder, die ich kennenlernte, waren vor allem neugierig auf die Anwesenheit eines Fremden und begierig darauf, das gelernte Englisch anzuwenden.
Das Spielplatzprojekt
Die Kinder, die ich in dem Bauerndorf al-Mughayyir am Ende meiner Reise durch das Westjordanland traf, waren anders. Zumindest schien es mir so. Da sie aus einer kleinen ländlichen Gemeinde stammen, waren sie vielleicht von Natur aus vorsichtiger und zurückhaltender. Sie waren auch jünger als die Gruppen von Kindern, die ich in den Strassen von al-Khalil traf. Aber diese jungen Leute hatten guten Grund, sich vor dem plötzlichen Auftauchen von Fremden zu hüten.
Der Kindergarten war unsere letzte Station im Dorf an dem Tag, an dem ich dort war. Diese Kinder und diese Schule brauchen Hilfe. Aus diesem Grund schreibe ich diesen Beitrag: Ich möchte Sie bitten, mit mir zusammen ein Spielplatzprojekt zu unterstützen, das dieser Kindergarten dringend benötigt. Es ist ein bescheidenes Projekt, das finanziert werden muss und das für die Kinder des Dorfes einen grossen Unterschied machen wird.
Als wir uns der winzigen Zweizimmerschule näherten, begann ein kleiner Junge zu schreien. Sehr bald erschien seine Lehrerin. Weitere Kinder folgten ihr. Und dann kam eine zweite Lehrerin aus ihrem Klassenzimmer, um zu sehen, was los war.
Meine Übersetzerin, eine Frau in den späten Zwanzigern, die sich sehr für ihr Volk einsetzt und deren Namen ich zu ihrem Schutz nicht nennen kann, lehnte sich dicht an mich an, um die plötzliche Aufregung zu erklären: «Er rief ‹Soldaten! Soldaten! Soldaten!›» Die Soldaten der israelischen Besatzungstruppen hatten das Dorf drei Tage zuvor gestürmt und befanden sich direkt gegenüber dem Kindergarten. Der verängstigte Junge, der die Fremden, die sich seiner Schule näherten, nicht erkannte, schlug Alarm.
Häufige Überfälle und Razzien
Al-Mughayyir wurde seit dem 7. Oktober häufig von israelischen Soldaten und illegalen Siedlern überfallen. Autos und Häuser wurden angezündet. Dorfbewohner wurden erschossen und getötet. Häuser wurden geplündert. Felder wurden zerstört. Kinder wurden verprügelt. Männer und Jungen wurden ohne Anklage verhaftet und verschleppt, wo sie im brutalen israelischen Gefängnissystem verschwanden. Bei einer Razzia im April wurden zwei Wassertanks auf dem Dach des Kindergartens absichtlich angeschossen und zerstört. Mir wurde ein Foto gezeigt, auf dem die Einschusslöcher deutlich zu sehen waren.
Mein Rundgang durch die Schule ging schnell; ausser den beiden Räumen und einem Spielbereich mit zu wenig Platz und fast keinem Spielzeug oder Spielgeräten gab es nicht viel zu sehen. Mein Führer wies mich auf ein bescheidenes Grundstück neben der Schule hin, das leer steht und von Unkraut überwuchert ist. Das Grundstück ist Gemeinschaftseigentum der Dorfbewohner, und hier wollten sie ihre Ressourcen zusammenlegen und einen neuen Spielplatz bauen. Leider wurde das Projekt auf Eis gelegt.
Seit dem 7. Oktober ist die lokale Wirtschaft nahezu zusammengebrochen. Die Olivenernte, die im November und Dezember stattfindet und eine Haupteinnahmequelle für das Dorf ist, fand letztes Jahr nicht statt, weil bewaffnete Siedler den Zugang zu den Olivenhainen blockierten. Auf jeden, der sich näherte, wurde geschossen. Schulmaterial und Lehrergehälter werden durch Schulgeld finanziert, das sich viele Dorfbewohner nur schwer leisten können. Ein Spielplatz, so wichtig er auch für das Wohlergehen ihrer Kinder sein mag, hatte bisher keine Priorität.
Die Kinder sassen auf kleinen Stühlen an der Wand, während ich mit ihrer Lehrerin sprach, einer Frau, die auch die Schule leitet. Sie waren ruhig und aufmerksam, eindeutig interessiert an der ungewöhnlichen Szene, die sich ihnen bot. Ich fragte mich, welche Geschichten sie später ihren Familien über die seltsam gekleidete Frau erzählen würden, die mit ihrer Lehrerin Englisch sprach. An den Wänden hingen bunte Beispiele ihrer Arbeit, Zeichnungen und Gemälde, Papiere mit Zahlen und arabischen Wörtern und Buchstaben.
Überleben
Jemand berührte mein Bein, und ich schaute nach unten, und sah, dass sich eine Gruppe von Jungen genähert hatte. Alle hielten mir Zettel entgegen, auf denen in arabischer Schrift Einladungen an ihre Eltern zu ihrem bevorstehenden Schulabschluss standen. Diese Schüler waren stolz auf ihre Arbeit.
Als ich fragte, wie es den Kindern angesichts der Gewalt, die sie erleben, geht, wurde mir gesagt: «Wir versuchen, sie in guter Stimmung zu halten.» Dieser Satz wurde überall, wo ich hinkam, immer wieder geäussert. Lehrer und Eltern konzentrieren sich darauf, ihren Kindern positive Erfahrungen zu bieten. «Wir veranstalten Theaterstücke für die Familien. Wir unterrichten traditionelle Musik und Tänze. Wir feiern den Abschluss des Kindergartens.» Man zeigte mir die Facebook-Seite der Schule. Es ist eine fröhliche Dokumentation von Geburtstagen, religiösen Feiertagen, Abschlussfeiern, Schulprojekten und Kindern beim Spielen.
Wenn das Dorf überfallen wird, was häufig der Fall ist, schicken die Lehrer die Kinder so schnell wie möglich nach Hause. Aber nur, wenn sie vorher gewarnt wurden und noch Zeit dafür haben. Andernfalls müssen die Kinder in der Schule bleiben und sich in ihren Klassenzimmern einschliessen, bis die Razzia vorbei ist. Die Geschichten über Gewalt, die ich während meiner Wochen im Westjordanland hörte, waren so überwältigend, dass ich oft vergass, die offensichtlichsten Fragen zu stellen. Ich habe nicht gefragt, ob die Kinder in der Schule waren, als auf die Wassertanks über der Schule geschossen wurde.
Auf der Rückfahrt nach al-Bireh sass unser Dorfführer auf dem Rücksitz und telefonierte in schnellem Arabisch. Er hatte die Gelegenheit genutzt, um mit uns mitzufahren. Mein Übersetzer, der das Auto fuhr, erklärte: «Er spricht mit dem YMCA in Ramallah und versucht, jemanden zu finden, der kommt und den Kindergartenkindern hilft.»
Erst vor wenigen Tagen berichtete Unicef, dass die Tötung von Kindern im Westjordanland durch die israelische Armee in den letzten zehn Monaten sprunghaft angestiegen ist. Seit dem 7. Oktober wurden 143 Kinder von der israelischen Armee getötet – ein Anstieg um 250 Prozent im Vergleich zu den vorangegangenen neun Monaten. Die Auswirkungen der israelischen Gewalt auf Familien und Kinder sind gravierend. Wie in dem Bericht festgestellt.
Wiederaufbau – ein Akt des
Widerstandes und des Überlebens
Die zunehmenden Spannungen im Westjordanland, einschliesslich Ostjerusalems, wirken sich auch auf das körperliche und seelische Wohlbefinden Tausender Kinder und Familien aus, die nun täglich um ihr Leben fürchten müssen. Kinder berichten, dass sie Angst haben, in ihren Vierteln herumzulaufen oder zur Schule zu gehen.
Erst gestern hat mir ein Freund per E-Mail berichtet, dass Siedler eine kleine Schule in den südlichen Hebron-Hügeln zerstört haben – eine Schule, die er und viele andere 2018 mit aufgebaut hatten. Die Fotos, die er schickte, waren erschütternd. Ich habe Tage mit ihm verbracht, als ich in al-Khalil war, bin mit ihm ins Umland gefahren und habe seine Arbeit und die vielen Projekte, die er unterstützt, beobachtet. Sein persönliches Motto: «Sie zerstören, wir bauen wieder auf.» Gemeinschaften auf diese Weise zu unterstützen, ist ein Akt des Widerstands und des Überlebens.
Als ich meinem Dorfführer, einem fleissigen Olivenbauern und Gemeindevorsteher, dabei zuhörte, wie er Vorbereitungen für den Besuch eines Therapeuten traf, der al-Mughayyir besuchen sollte, damit die Kinder, die ich gerade kennengelernt hatte, ein Mindestmass an psychosozialer Betreuung erhalten konnten, beschloss ich, Geld zu sammeln, damit die Kindergartenkinder einen Spielplatz bekommen können. Diese Kinder, die routinemässig ein Ausmass an Gewalt erleben, dem kein Mensch jemals ausgesetzt sein sollte, brauchen und verdienen es, Momente in ihrem Leben zu haben, in denen sie lachen und spielen können.
Ebenso wichtig ist es, dass die Menschen in Palästina wissen, dass sie gesehen und nicht vergessen werden. Den Dorfbewohnern von al-Mughayyir die Möglichkeit zu geben, einen Spielplatz für ihre jüngsten Schulkinder einzurichten, ist ein starkes Zeichen der Unterstützung und Solidarität – und der Liebe. Die Gemeinde ist bereits sehr dankbar für die Arbeit, die mein Übersetzer und ich geleistet haben, um dieses Projekt auf den Weg zu bringen.
Ich lade Sie nun ein, uns bei diesen Bemühungen zu unterstützen. •
Quelle: https://thefloutist.substack.com/ vom 24.7.2024
(Übersetzung Zeit-Fragen)
Die Spenden sind für Folgendes bestimmt:
1) Erschliessung des Geländes, einschliesslich neuer Böden, Entwässerung, notwendiger Ausbau des Abwassersystems, Betonarbeiten, überdachter Sitzbereich, Umzäunung und neuer Kunstrasen
2) neue Spielplatzgeräte
Spenden, auch aus dem Ausland, können auf der GoFundMe-Webseite getätigt werden: https://www.gofundme.com/f/almughayyir-kindergartners-need-a-playground
Weitere Informationen über das Projekt finden Sie unter dem oben genannten Link und auf Winter Wheat: https://winterwheat.substack.com/p/soldiers-soldiers-soldiers und https://winterwheat.substack.com/p/west-bank-update.
Ich danke Ihnen.
Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.