von Karl-Jürgen Müller
Kaum einer hat darüber berichtet1: Am 12. Juli 2024 hatte der zuständige Abteilungsleiter «Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte» im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, den seit 2018 gültigen «Traditionserlass» der Bundeswehr durch eine elf Seiten umfassende «Ergänzung zum Traditionserlass»2 verändert. Im «Traditionserlass» geht es um die Frage, was und wer Vorbild der Bundeswehrsoldaten sein kann und soll. Wohl ganz im Sinne seines Dienstherrn gedacht, der seit dem Spätsommer des letzten Jahres eine «kriegstüchtige» Bundeswehr fordert, die in spätestens fünf Jahren für einen Krieg gegen Russland bereit sein soll, wollte der Abteilungsleiter die Traditionspflege der Bundeswehr nicht mehr auf die Orientierung an den Werten des Grundgesetzes beschränken. Von nun an sollten sich die Soldaten der Bundeswehr auch wieder auf ehemalige Offiziere der deutschen Wehrmacht, die im Kalten Krieg beim Aufbau der Bundeswehr mitgewirkt haben, als «Vorbilder» berufen können.
Schon in Punkt 3 des elfseitigen Papiers heisst es: «Mit der durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelösten Zeitenwende ist die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich massgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen.» Es gelte, die «Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf» zu stärken. Deshalb müsse ein «grösseres Augenmerk auf militärische Exzellenz» gelegt werden und nicht mehr nur auf «klassische soldatische Tugenden (Charakter) oder Leistungen für die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft».
«Die rund 40 000 von der Wehrmacht [in die Bundeswehr] übernommenen ehemaligen Soldaten hatten sich zu grossen Teilen im Gefecht bewährt», heisst es in den «Ergänzungen». Und dann folgen auch zahlreiche Beispiele aus allen Waffengattungen der Wehrmacht für solche neuen «Vorbilder». «Militärische Exzellenz» hatten sie im Zweiten Weltkrieg gezeigt, indem sie erfolgreiche Besatzer fremder Länder, Kampfpiloten mit mehreren hundert «Luftsiegen» oder «hochdekorierte Frontoffiziere» waren. Alles für Hitlers III. Reich.
Unter den Bundeswehrsoldaten selbst wurden die Ergänzungen, das zeigt der Chatroom des Bundeswehrforums, kaum kritisch diskutiert. Aber der eng mit den Grünen verbundenen und keineswegs friedvollen Redaktion der Berliner «tageszeitung» war es dann wohl doch noch ein Schritt zu weit. Sie hat sich am 8. August kritisch zu Wort gemeldet und schreibt am 14. August, ihre Kritik habe Wirkung gezeigt. In der Bundespressekonferenz vom selben Tag hatte der Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums erklärt, man habe die «Ergänzungen» zurückgenommen.3 Wörtlich heisst es: «Die ergänzenden Hinweise haben Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen. Um diese auszuräumen und ein klares Bekenntnis zu den zentralen Bezugspunkten des Traditionsverständnisses, den Festlegungen zu traditionswürdigem Verhalten und der Verpflichtung der Bundeswehr auf die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen der Bundesrepublik Deutschland zu unterstreichen, haben wir entschieden, die Ergänzenden Hinweise mit sofortiger Wirkung ausser Kraft zu setzen.»
Also: Ende gut, alles gut? Keineswegs. In der Bundeswehr bis hinauf zum Minister zeigt sich in vielfacher Hinsicht eine Kriegslüsternheit, die jeden Deutschen alarmieren müsste – so wie das Ausland, das sich nicht als Vasall der USA versteht, auch tatsächlich alarmiert ist. Hier und da gibt es einflussreichen Widerspruch aus Deutschland selbst. Dann wird nach dem Prinzip verfahren: Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück. Man könnte auch sagen: nach der Methode Juncker. Das ist ein hochgefährliches Russisches Roulette. Dass Kanzler Scholz seit Februar 2022 von einer «Zeitenwende» hin zu einem nun wieder kriegerischen Deutschland spricht und devot allen Vorgaben aus Washington folgt (jetzt wieder mit neuen Mittelstreckenraketen ab 2026); dass deutsche Waffen – unter Bruch der Tradition nach 1945 – massenweise in den Krieg in der Ukraine geliefert werden; dass deutsche Soldaten aktiv an diesem Krieg beteiligt sind; dass hohe deutsche Offiziere vor ein paar Monaten ganz unumwunden Angriffspläne mit deutschen Mittelstreckenraketen (TAURUS) gegen Russland planten; dass nun wieder deutsche Panzer wie im deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion in Russland eingefallen sind … was muss denn noch passieren, bevor eine Mehrheit der Deutschen aufwacht? •
1 Bei der Suche im Internet waren lediglich zwei kritische Artikel der «tageszeitung» vom 8. August, ein kritischer Artikel der Internetseite Perspektive und ein kritischer Artikel der trotzkistischen WSWS zu finden. Erst nach der Rücknahme der «Ergänzungen» durch den Generalinspekteur der Bundeswehr am 14. August berichtete zum Beispiel auch der Deutschlandfunk vom selben Tag.
2 Öffentlich zugänglich waren die Ergänzungen erst ab dem 26. Juli 2024: https://augengeradeaus.net/2024/07/neue-akzente-fuer-den-traditionserlass-mehr-kriegstuechtigkeit-auch-in-der-traditionspflege/
3 https://augengeradeaus.net/2024/08/verteidigungsministerium-zieht-ergaenzung-zu-bundeswehr-traditionserlass-zurueck/ vom 14.8.2024
Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.