Zeit-Fragen: Herr Pohlmann, bis 2016 haben Sie für öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland als Autor und Regisseur bedeutender Dokumentarfilme gearbeitet, haben sich dann aber von diesen getrennt und seitdem nur noch für unabhängige Medien gedreht und geschrieben. Was fehlt Ihrer Meinung nach im heutigen Mainstream-Journalismus?
Dirk Pohlmann: Was fehlt, ist eine Offenheit, sich mit Argumentationslinien und Fragen zu beschäftigen, die nicht regierungsimperial oder überhaupt konform sind mit dem herrschenden Diskurs. Das Anhören von Menschen, die sich ausserhalb des erlaubten Diskurskorridors bewegen. Es fehlt Fairness gegenüber Andersdenkenden. Es fehlt Ritterlichkeit gegenüber den Menschen, die sich weniger artikulieren können. Deren Probleme werden nicht ernstgenommen. Sie werden eher beurteilt, als dass man ihnen zuhört. Es fehlt die klassische Form der Reportage: Geh hin und schreib es auf, schau dir an, was los ist. Zeig einfach Empathie, fühl dich ein in das, was dir entgegenkommt. Dies gegenüber dem unteren Teil der Gesellschaft. Und gegenüber dem oberen Teil fehlt die neugierige Kritik und die Frage: Was meint ihr eigentlich mit dem, was ihr da sagt?
Ganz grundsätzlich kann ich noch sagen, dass eine künstlerische Herangehensweise ans Leben fehlt. Dass man nicht vorgefertigt beurteilt und so weiter, sondern neugierig ist und sich auf etwas einlässt – und das auch auf andere Kulturen ausweitet. Zum Beispiel: Warum haben wir so wenige Interviews mit Chinesen über das Thema China? Warum gibt es keine Interviews mit Nordkoreanern? Warum wissen wir so wenig über den Iran? Es geht also darum, dort mit Menschen zu reden, und nicht darum, sie zu beurteilen. Ein gutes Beispiel war das Interview, das The Greyzone 2001 mit einem Vertreter von Ansar Allah («Helfer Gottes») im Jemen geführt hat – wir nennen sie Huthi, aber sie selbst nennen sich nicht so. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich hatte so ein Karl-May-Gefühl. Ich hatte gedacht, Kara Ben Nemsi spricht zu mir. Es war auf eine Weise ehrenwert, was gesagt wurde, und ich dachte: Da gibt es etwas, das viel näher an der Wahrheit ist als das, was ich bei uns in den Medien hören kann. Da kriege ich diese vorgefertigten Statements von PR-Profis. Das war ganz anders, wie er geredet hat, der Sprecher der Huthi. Obwohl es ein Sprecher für eine politische Organisation war, hatte es eine grosse Wirkung auf mich; denn ich hatte das Gefühl, noch nie jemand so reden gehört zu haben.
Was waren in Ihrer bisherigen journalistischen Tätigkeit Meilensteine bzw. Höhepunkte?
Das war die schwedische U-Boot-Affäre. Zu verstehen, wie mit psychologischer Kriegsführung eine Regierung beseitigt werden konnte, nämlich die von Olof Palme, inklusive ihrer Aussenpolitik, die auf Entspannung mit dem Osten gerichtet war. Das waren zwei Dokumentarfilme – «In feindlichen Tiefen. Der geheime U-Boot-Krieg der Supermächte» (2005) und «Täuschung, die Methode Reagan» (2014) – die ich im Abstand von 9 Jahren gemacht habe, wodurch ich ganz grundlegende Dinge verstanden habe. Viele Leute kennen die beiden Filme. Aber das hat nicht dazu geführt, dass das politische Muster durchschaut wurde, z.B. in Schweden. Ein Jahrzehnt, von 2000 bis 2010, waren sich die Menschen des Vorganges bewusst, aber heute nicht mehr. Man kann also sehen: Was nicht oft genug wiederholt wird, ist für die Menschen keine Realität.
Wie heissen weitere Dokumentarfilme von Ihnen?
Einer meiner ersten Dokumentarfilme, den ich gemacht habe, hiess: «Abschuss über der Sowjetunion. Der geheime Luftkrieg der Supermächte» (2003). Das war der Punkt, an dem ich angefangen habe, mich mit Geheimdienstoperationen zu beschäftigen. Ich habe im Zentrum einiger dieser Operationen, am Frankfurter Flughafen und in der Nähe von Wiesbaden, gelebt und hatte keine Ahnung von diesen Vorgängen. Und die Menschen in Frankfurt am Flughafen und in Wiesbaden hatten auch keine Ahnung. Es war so, als wenn man 1850 eine Expedition in den Zentralkongo macht und alles neu ist. Wie wenig wir darüber wussten, das war frappierend.
Und dann der Dokumentarfilm über das israelische Nuklearwaffenprogramm – «Israel und die Bombe – Ein radioaktives Tabu» aus dem Jahr 2012 –, weil ich da gemerkt habe, dass es Grenzgebiete gibt. Wenn man die betritt, merkt man, dass es vermintes Gelände gibt; da gibt es Wachtürme, Suchscheinwerfer und andere Sachen, man merkt an der Reaktion, dass man sich jetzt in einem gefährlichen Areal befindet. Man kann dann nur in den Fernseh-Sendern arbeiten, wenn man so tut, als wenn es diese Areale nicht gibt. Man merkt aber, wenn man sie betritt, dass es sie wirklich gibt, dann geht es rund, und dann hat das auch Konsequenzen.
Dann auch eine archäologische Dokumentation. Wir sind nach Tibet zu Fuss über den Himalaya, in ein Gebiet, das militärisches Sperrgebiet war, nach Kaschmir. Und es war eine sehr interessante Erfahrung, in 4200 m Höhe zu Fuss über den Himalaya, das war eine Lebensreise. Und dann noch meine allererste Doku 1990, als ich bei einer Expedition in Grönland dabei war. Das war im Festlandeis, nichts ausser Schnee und Eis, auf der Suche nach sechs Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg. Das war extrem eindrucksvoll. Es gab noch mehr Meilensteine, aber das soll erst einmal reichen.
Was war für Sie der Grund dafür, die Zusammenarbeit mit den öffentlich-rechtlichen Medien zu beenden?
2016 gab es die letzte Doku, die ich gemacht habe, für den rbb [der öffentlich-rechtliche Sender Rundfunk Berlin Brandenburg], auf Grund der freundlichen Hilfe eines sehr ehrenwerten Mannes im rbb. Er war Leiter der Abteilung Wissenschaft und wurde dann pensioniert. Er hat mich immer wieder geholt. Der Grund, dass ich nicht mehr für das ZDF gearbeitet habe, war, dass ich zwei absolut frappierende Interviews in Aussicht hatte, die mir nicht gestattet wurden. Eines mit dem ehemaligen Chef der Sowjetabteilung in der CIA, Douglas MacEachin, der sich bereit erklärt hatte, mir ein Interview zu geben. Ich wollte mit ihm reden über die sogenannte Unterwasser-U2. Das war der Fall eines alliierten westlichen, also eines von der Nato geleiteten U-Bootes in schwedischen Gewässern. Nach einem Angriff der Schweden auf dieses U-Boot musste ein US-Taucher in einem schwedischen Krankenhaus behandelt werden. Alle Leute dachten damals, es wären sowjetische U-Boote, die in Hunderten Fällen in die schwedischen Gewässer eindrangen. Es war aber ein amerikanischer Taucher, der aus diesem U-Boot herauskam, und er musste in einem schwedischen Krankenhaus behandelt werden. Deswegen U2. Wenn das öffentlich gemacht worden wäre, hätte das schlagartig klargemacht, dass die Geschichte der sowjetischen Operation «Eindringen in schwedische Gewässer» Unsinn war. Tatsächlich war es ein westliches U-Boot. Und dieses Interview hat die Produktionsfirma abgelehnt.
Der zweite Fall, beim selben Dreh in Washington: Ein US-Kollege hatte mir zugesagt, zwei Personen aus der Reagan-Administration zu vermitteln, die bereit waren zu bezeugen, dass der Wechsel in Deutschland von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl – das Misstrauensvotum 1982 – mit freundlicher Unterstützung der CIA gelaufen sei, indem man die FDP finanziell unterstützt hat, die damals pleite war. Das war sehr umstritten innerhalb der amerikanischen Reagan-Regierung, sagte mir der Kollege, denn Schmidt war ein treuer Atlantiker, aber er wollte mit dem Erdgas-Röhren-Geschäft auch gegen die US-Strategie verstossen, die UdSSR in die Pleite zwingen, durch Minimierung der Einnahmen und Erhöhung der Ausgaben durch Rüstung. Und diese zwei Personen waren bereit, darüber auszusagen. Diese beiden Interviews hatte ich angemeldet bei der Produktionsfirma und dann später auch noch mal beim ZDF. Sie waren nicht erwünscht. Dann habe ich gedacht, ich werde zum Angeln geschickt, ich komme mit einem weissen Hai zurück, und keiner will das haben, weil die Story fundamental zu bedeutsam ist.
Ich hatte nicht gesagt, ich komme zurück und will das senden, sondern ich hatte gesagt, ich komme mit den Interviews zurück, und dann können wir das mit Blick auf den Machtwechsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl zusammen anschauen und entscheiden, ob das belastbar genug ist. Grosse Behauptungen brauchen grosse Beweise. Und so wollte ich auch das handhaben. Aber man wollte da überhaupt nicht ran. Das ist das Gegenteil von Journalismus.
Was war die Begründung?
Es gab keine, d.h. die Produktionsfirma hat einfach gesagt, eine solche Verlängerung der Interviewreise um einen Tag liege nicht im Rahmen des Budgets. Sie hatten den Kameramann und mich in einem Hotel im Drogenviertel von Washington untergebracht Am Morgen lag einmal eine Leiche im Hausflur, und wir hatten keinen Strom auf den Zimmern. Da habe ich schon gedacht: Das macht man mit Leuten, die man loswerden will, solche Unterbringungen. Es gab auch andere Gründe, so war mir angekündigt worden, dass meine Filme in Zukunft auch ohne mich umgetextet und umgeschnitten werden würden, um ihre Qualität entsprechend der ZDF-Anforderungen zu sichern. Eigentlich gingen die Schwierigkeiten bei mir los nach der Doku über die israelischen Nuklearwaffen 2012. Mir wurde über einen Kontakt vertraulich mitgeteilt, dass diese Doku in Israel und Deutschland Aufsehen erregt hatte. Man war «not amused» auf seiten der deutschen Regierung. Mir wurde gesagt: Da laufen ganz oben Gespräche zwischen der Regierung und dem ZDF. Deshalb kam die Doku auch nicht auf das Cover des Auslandsverkaufsprospekts des ZDF, wie ursprünglich geplant, weil es ja die erste Doku über die Geschichte des israelischen Nuklearwaffenprogramms war. Neu in der Doku war auch – die frei geklagten Akten des Eichmann-Prozesses beinhalteten dies –, dass Deutschland die israelischen Nuklearwaffen mindestens zu einem wesentlichen Teil mitfinanziert hat. Und zwar mit 200 Millionen D-Mark pro Jahr über 10 Jahre! Das waren um 1960 herum aberwitzige Beträge. Und dafür gab es ein Dokument in den freigeklagten BND-Unterlagen des Eichmann-Prozesses. Und das habe ich auch gezeigt, und das ist auch gesendet worden, auch im ZDF, aber das ist anscheinend nicht besonders gut angekommen. Es war eine Entscheidung, die ins von mir beschriebene Grenzgebiet geführt hatte. Und es ging auch um die U-Boote, die Deutschland an Israel geliefert hat. Diese U-Boote haben die Israeli in die Lage versetzt, aus ihren U-Booten Nuklearwaffen abzufeuern, mit modifizierten Harpoon-Marschflugkörpern aus US-Produktion, und jeder wusste, was das bedeutet, aber es wurde nicht darüber berichtet. Und da hat die deutsche Regierung mitgemacht nach dem Motto: Für Israel kann es ja nur gut sein.
Was ist für Sie guter Journalismus?
Den Dingen so auf den Grund zu gehen, dass man versteht, was die Beweggründe der Akteure sind, und dies für die Öffentlichkeit aufzubereiten. Ich sage mit Absicht «Öffentlichkeit», ich arbeite für die Öffentlichkeit, nicht für meinen Chefredakteur, nicht für den Sender, nicht für meinen privaten Ruhm, sondern für die Menschen draussen, die Kollegen, auch die Politiker, die es interessiert, die wissen wollen, was es mit diesem Sachverhalt auf sich hat. Ich habe ja eine ganze Reihe sehr wichtiger Sachverhalte auf diese Weise untersucht, so dass man versteht, was dort tatsächlich los gewesen ist, ohne Dinge wegzulassen, ohne Dinge hervorzuheben, die unwichtig sind. Also die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Das heisst, nach bestem Wissen und Gewissen. Und zwar so, dass man sich nicht daran orientiert, ob es einem für die Zukunft nützlich ist, sondern so – hätte man früher gesagt –, dass man seinem Schöpfer gegenübertreten und sagen kann, ich habe das richtige getan. So sollte man als Journalist arbeiten.
Was braucht es Ihrer Meinung nach heute hierfür?
Ich fände es sehr wichtig, wenn wir uns – und das gilt eigentlich international – darüber unterhalten würden, wie eine Ethik des Journalismus unter diesem Gesichtspunkt aussehen kann. Was ist die Aufgabe eines Journalisten? Welche Dinge kann er anwenden, muss er anwenden, wie ist die Verantwortlichkeit? Also diese ganzen Fragen, dass es einen Regelkodex gibt, auf den man sich innerlich und auch nach aussen berufen kann, dass man im Sinne von Kant sagen kann, ich habe meine Pflicht getan.
Gerade habe ich gehört, dass mein ehemaliger Professor von der Uni Mainz gesagt hat, Julian Assange sei gar kein Journalist, weil er nicht schreibe und selektiere oder Berichte mache. Aber er hat die Wahrheit herausgebracht. Das ist einer der zentralen Aspekte, was Journalismus machen soll. Das war übrigens auch die Argumentation des Supreme Court in den USA in seinem Urteil zu den Pentagon Papers. Es gibt die Redefreiheit und Pressefreiheit, weil die Bevölkerung ein Recht auf die Wahrheit hat. Ich würde sagen, die Mitwirkung an der Verbreitung von Tatsachen, die wichtig sind und die man nicht erfährt, weil sie wichtig sind, wie zum Beispiel die Aufklärung der ganzen Nord-Stream-Geschichte. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben. Und dann würde ich ihm sagen, gerade, weil er eine Nachrichtenagentur der Whistleblower aufgebaut hat, ist Julian Assange einer der wichtigsten Journalisten überhaupt.
Das war auch der Grund, warum man mit einer solchen Verve gegen ihn gekämpft hat, dass man ihn sogar umbringen wollte. Ich wünsche ihm, dass er in Frieden mit seiner Familie jetzt hoffentlich all das abschütteln kann, was ihm widerfahren ist. Er hat es verdient, er muss nicht mehr kämpfen, er hat sehr viel gekämpft. Er darf jetzt in Frieden erstmal sein, einfach sein.
Er hat schon gesagt, dass er weitermachen wird.
Ich glaube nicht, dass er zu stoppen ist. Ich sage nur, er hat genug geleistet, er dürfte in Rente gehen und sollte überall, wo er hingeht, einen ausgegeben bekommen.
Vielen Dank, Herr Pohlmann, für dieses Interview. •
* Dirk Pohlmann, Jahrgang 1959, studierte Publizistik, Philosophie und Jura, erwarb eine Berufspilotenlizenz und die Instrumentenflugberechtigung, war Geschäftsführer der CargoLifter World GmbH und absolvierte eine Ausbildung als Projektmanager. Er produzierte als Drehbuchautor und Filmregisseur mehr als 20 Dokumentationen für arte, ZDF und ARD, die in mehr als 20 Ländern im TV ausgestrahlt wurden, etwa in den USA, Kanada, Russland und Australien. Er schreibt für zahlreiche Blogs, veröffentlicht in den eigenen YouTube-Programmen «Das 3. Jahrtausend» und «Geschichten aus Wikihausen» und ist Chefredakteur von Free21. Ende des Jahres erscheint sein Buch «Im Auftrag der Eliten» über den Mord an Alfred Herrhausen und andere politische Morde.
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