Keine Einmischung des Auslands in Venezuela!

von Gisela Liebe

Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Venezuela vom 28. Juli 2024 ist heftig umstritten. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Wahlresultat in Venezuela angezweifelt wird. Betrugsvorwürfe, Putschversuche und gewalttätige Proteste gab es bei fast allen grösseren Wahlen in Venezuela. Seit dem Regierungsantritt von Hugo Chávez 1998 ist Venezuela nach Kuba das Feindbild Nummer Eins der USA in Lateinamerika und wird mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft.
  Aus diesem Grund wurde bereits unter Chávez ein hochkomplexes elektronisches Wahlsystem eingeführt, das weltweit als eines der sichersten gilt und sogar dreifach abgesichert ist. Jeder Wähler gibt seine Stimme an einer Maschine ab, die eine Quittung ausdruckt, die der Wähler in ein Kästchen einwirft. Die Maschine zeichnet jede Stimme auf, und am Ende des Wahlvorgangs wird von den Mitarbeitern des jeweiligen Wahllokals ein Abschlussprotokoll durchgeführt, bei dem die Maschine ein Papierprotokoll ausdruckt. Zeugen sind dabei die Vertreter der politischen Parteien, die ebenfalls Papierprotokolle erhalten. Anschliessend werden die Ergebnisse elektronisch an ein Auszählungszentrum des Nationalen Wahlrats CNE übermittelt. Die aktuellen Wahlen verliefen nach übereinstimmenden Meldungen ruhig und ohne Zwischenfälle. Internationale Wahlbeobachter, von denen mehr als 500 anwesend waren, lobten die «Fairness und Transparenz des venezolanischen Wahlprozesses».
  Am Tag nach den Wahlen gab der Präsident des Wahlrats Elvis Amoroso bekannt, dass Nicolás Maduro 51.9 % der Stimmen und Edmundo González, der Hauptkandidat der Opposition, 43.1 % der Stimmen erhalten habe. Zugleich berichtete er, dass es einen massiven Cyberangriff auf das Datenübertragungssystem gegeben habe, der zu Verzögerungen geführt habe. Während der Wahlnacht posteten Oppositionsanhänger Fotos von einzelnen Auszählungen der Wahlmaschinen auf verschiedenen Homepages und postulierten einen Sieg von González mit 67 % der Stimmen. Es habe ein Wahlbetrug stattgefunden. In den folgenden zwei Tagen gab es zahlreiche Demonstrationen, gewalttätige Ausschreitungen und Zusammenstösse mit der Polizei, bei denen mindestens 20 Menschen ums Leben kamen. Mehr als 2000 Personen wurden festgenommen.
  Die eigentliche Oppositionsführerin María Corina Machado, die bei den Wahlen nicht antreten durfte und den weitgehend unbekannten González als Marionettenkandidaten eingesetzt hatte, rief zu weiteren Mobilisierungen auf, um «ihren Wahlsieg einzufahren». In einem Artikel im «Wall Street Journal» meldete sie sich laut eigenen Angaben aus einem Versteck zu Wort, da sie um ihr Leben fürchten müsse. Am Tag darauf trat sie allerdings öffentlich an einer Demonstration in Caracas auf.

Reaktionen des Auslands auf die Wahlen

Das Ausland reagierte, entsprechend der politischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung, sehr unterschiedlich auf die Wahlen. Während Russland, China und eine Reihe lateinamerikanischer Staaten Maduro zu seiner dritten Amtszeit gratulierten, erklärten die USA und die EU sowie eine Reihe ihrer lateinamerikanischen Verbündeten wie Ecuador, Argentinien, Peru, Costa Rica, Uruguay und Panama González zum Wahlsieger. 
  Die Regierungschefs von Brasilien, Kolumbien und Mexiko äusserten sich in einer bemerkenswerten gemeinsamen Erklärung ab. Sie riefen dazu auf, Gewalt zu vermeiden und die offiziellen detaillierten Wahlergebnisse abzuwarten, die laut Verfassung spätestens 30 Tage nach den Wahlen vom Wahlrat veröffentlicht werden müssen. López Obrador kritisierte in seiner täglichen Pressekonferenz am 2. August die Anerkennung des Oppositionskandidaten als Wahlsieger durch US-Aussenminister Anthony Blinken als unangemessenen Übergriff. «Das, was das Aussenministerium gestern getan hat, ist ein Übergriff. Das steht ihnen nicht zu, sie überschreiten ihre Grenzen, das trägt nicht zur friedlichen Koexistenz der Nationen bei, das hat nichts mit Politik zu tun, die ja erfunden wurde, um Konfrontation und Krieg zu vermeiden.»1 Er rief alle Regierungen dazu auf, sich nicht einzumischen. «Keine Regierung ist dazu berechtigt, es ist nicht legal, nicht legitim, eine Entscheidung zu verkünden, die einen Kandidaten eines anderen Landes zum Sieger oder Verlierer erklärt. Was ist das, wo es doch keine Weltregierung gibt? Das entspricht nicht der Demokratie und auch nicht dem Respekt vor der Unabhängigkeit, der Freiheit und der Souveränität der Völker.»
  Brasiliens Präsident Lula nahm ähnlich Stellung. Er bezeichnete den Wahlprozess in Venezuela als normal und friedlich und sprach sich dafür aus, dass «die Leute, die nicht zustimmen, das Recht haben, sich zu äussern und zu zeigen, dass sie nicht zustimmen, und dass die Regierung das Recht hat, zu belegen, dass sie im Recht ist». Im Hinblick auf die von den USA gegen Caracas verhängte einseitige Wirtschaftsblockade, die das Land völlig ruiniert hat und Millionen gezwungen hat auszuwandern, sprach er sich ebenfalls für ein Ende der ausländischen Einmischung aus. «Venezuela hat das Recht, sein Wachstums- und Entwicklungsmodell ohne eine Blockade aufzubauen. Eine Blockade, die Kuba seit 60 Jahren umbringt, eine Blockade, die den Iran bestraft, die Venezuela bestraft, wir müssen das beenden. Jeder baut seinen eigenen demokratischen Prozess auf, jeder hat seinen eigenen Wahlprozess.»2 Lula äusserte sich entsprechend im Anschluss an ein Telefonat mit US-Präsident Joe Biden, in dem sie beide darin übereingestimmt hätten, dass die Veröffentlichung der Wahlprotokolle unerlässlich sei.

Unterstützung des Militärs für Maduro

Die Armeeführung drückte sehr deutlich ihre absolute Loyalität zu Maduro aus und erkannte seine Wahl für eine dritte Amtszeit an.
  Nachdem die Führer der Opposition María Corina Machado und Edmundo González zuvor einen offenen Brief an die Armeeführung geschrieben hatten mit der Aufforderung, sich nach dem Wahlbetrug «an die Seite des Volkes» zu stellen, eröffnete die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen sie wegen Anstiftung zum Aufruhr.
  Die Generalin Laura Richardson, die Chefin des Comando Sur der US-Armee, erklärte daraufhin im Rahmen einer Reise nach Panama, dass die Krise in Venezuela nicht militärisch, sondern auf demokratischem Wege gelöst werden müsse. Im Januar letzten Jahres hatte sie anlässlich einer Konferenz des Atlantic Council noch die grosse Bedeutung der reichen Bodenschätze und Vorkommen an seltenen Erden in Lateinamerika für die USA betont, wobei sie dem Lithium-Dreieck zwischen Chile, Bolivien und Argentinien besondere Bedeutung beimass. Diese Botschaft wurde von den betroffenen Ländern sehr wohl verstanden.

Versuch einer
 neuerlichen Farbrevolution?

Am 12. August erklärte Präsident Maduro in einer Sitzung des nationalen Verteidigungsrates, die Gewaltakte, die grösstenteils innerhalb von 48 Stunden nach den Wahlen verübt worden seien, müssten genau untersucht werden. Generalstaatsanwalt Tarek William Saab legte einen zweibändigen Bericht über die rund 600 strafrechtlich relevanten Gewaltakte vor, die angezeigt worden seien. Venezuela habe eine nie zuvor gesehene Gewalteskalation erlebt, es sei der Versuch gewesen, eine Farbrevolution in Gang zu setzen. Er erinnerte an die Situation in der Ukraine.
  Die Ministerin für Wissenschaft und Technologie Gabriela Jiménez erklärte, dass es rund 30 Millionen Angriffe pro Minute auf das elektronische Wahlsystem gegeben habe. Hinter solchen massiven Angriffen, nicht nur auf die Inhalte, sondern auf die Funktonsfähigkeit des Systems, müsse eine potente Wirtschafts- und Finanzmacht stehen. Maduro kündigte  die Einsetzung einer nationalen Kommission für Cybersicherheit an (telesur vom 12. August 2024).  •



1 La Jornada vom 2.8.24; https://www.jornada.com.mx/noticia/2024/08/02/politica/un-201cexceso201d-anuncio-de-blinken-sobre-ganador-en-venezuela-afirma-amlo-4007
2 https://amerika21.de/2024/08/270764/lula-brasilien-venezuela

Weitere Quelle: https://www.jornada.com.mx/noticia/2024/08/06/mundo/investigan-a-opositores-en-venezuela-por-instigar-a-la-insurreccion-2849

Integration Lateinamerikas, um die ausländische Einmischung zu stoppen

von Ana María Aragonés, Mexiko

Die venezolanischen Wahlen vom 28. Juli, bei denen zehn Kandidaten antraten, fanden zwischen zwei Lagern statt. Auf der einen Seite die rechte Opposition in Gestalt von Edmundo González und auf der anderen Seite der aktuelle Chavismo in Gestalt von Präsident Nicolás Maduro. Die internationalen Mächte – natürlich die Vereinigten Staaten in Gestalt von Anthony Blinken und die Europäische Union mit Josep Borrell und danach einstimmig die 27 Länder der Europäischen Union – bezweifelten die von Maduro vorgelegten guten Ergebnisse, d.h. die Daten der venezolanischen Wahlbehörde CNE, die ihm 51,9 Prozent und González 43,1 Prozent bescheinigten, und schenkten den von der Opposition vorgelegten Ergebnissen mehr Glauben.
  In diesem Zusammenhang wurde von den Präsidenten Gustavo Petro (Kolumbien), Lula da Silva (Brasilien) und Andrés Manuel López Obrador (Mexiko) ein Vorschlag unterbreitet, in dem sie zur Ruhe aufriefen. Die definitiven Wahlergebnisse sollten abgewartet werden. Sie baten Maduro, diese so schnell wie möglich vorzulegen, damit die Unsicherheit nicht zu gewaltsamen Eskalationen führte.
  Und während die Vereinigten Staaten und die Europäische Union in den ersten Tagen kategorisch gegen die von Maduro vorgelegten Zahlen ablehnten, scheinen sie plötzlich einen Rückzieher zu machen und sind vorsichtig geworden, indem sie erklären: «Solange die Ergebnisse nicht vorliegen, sollten sie nicht vorweggenommen werden». Diese vorsichtige Haltung ist natürlich aufmerksam zur Kenntnis genommen worden. Man kann sie einerseits mit dem Engagement der drei Präsidenten erklären, die zu Ruhe und Vernunft aufrufen. Andererseits hat Nicolás Maduro angedeutet, dass er, da die Vereinigten Staaten ja Öl haben wollen, gewillt sei, Öl zu einem vorteilhaften Preis an die BRICS-Länder weiterzugeben.
  Aus meiner Sicht ist die aktive Beteiligung und die Einigkeit der Präsidenten der drei grössten Länder des Kontinents, die Klarheit ihrer Botschaft, Streitigkeiten durch Dialog und Diplomatie zu lösen, ein vernünftiger intelligenter Vorschlag. Er deutet auf eine beginnende lateinamerikanische Integration hin, mit dem klaren Ziel, die Einmischung der Westmächte – der Vereinigten Staaten und ihrer bedingungslosen Verbündeten, der Europäischen Union – zu vermeiden und lateinamerikanische Lösungen unter Lateinamerikanern vorzuschlagen.
  Man darf nicht vergessen, dass die Vereinigten Staaten eine echte Bedrohung für jedes Land in der Region waren und sind, welches versucht, die Strukturen von Abhängigkeit und Unterordnung zu beseitigen, und dass die mächtigste Waffe der USA gerade darin besteht, mit allen Mitteln und um jeden Preis zu verhindern, dass sich ein Projekt der regionalen Einheit und Integration konsolidiert. Das zweite Element, das offensichtlich die Äusserungen derjenigen Persönlichkeiten mässigte, die einen sanften Staatsstreich eskalieren lassen könnten, war der Hinweis auf die BRICS und die Erwähnung von Öl. Venezuela ist einer der weltweit führenden Erdölproduzenten, ein wichtiger Punkt für die Vereinigten Staaten, die die Ressourcen Lateinamerikas als eine Angelegenheit ihrer «nationalen Sicherheit» betrachten, so dass sie ihre erste, rüde Position überdacht haben.
  Doch wie Ingrid Urgelles betont, geht das, was in Venezuela geschieht, darüber hinaus, und im globalen Süden finden eine Reihe alternativer Prozesse statt, die darauf abzielen, die geopolitischen Verhältnisse zu verändern, die vom Westen dominiert werden. Deren Hegemonie befindet sich in der Krise.
  Einerseits verlagert sich die wirtschaftliche Dynamik in Richtung der eurasischen Region, wobei die Neue Seidenstrasse des chinesischen Präsidenten Xi Jinping hervorsticht, die die Vereinigten Staaten mit allen Mitteln zu behindern und zu bremsen versuchen. Auf der anderen Seite gibt es ein Streben nach Multipolarität und die Notwendigkeit, die internationalen Handelsbedingungen zu verändern. Dies zeigt die Bedeutung der Entdollarisierung, an der die BRICS mit ihrer neuen Entwicklungsbank mit Sitz in Shanghai offensichtlich beteiligt sind.
  Auf der anderen Seite beginnt man eine Politik der aktiven Blockfreiheit zu diskutieren. Dies bedeutet, dass eine Aussenpolitik der Unterordnung unter die Vereinigten Staaten abgelehnt wird zugunsten einer proaktiven und tatsächlich blockfreien Politik, die die nationale Souveränität in den Vordergrund stellt.

  María Corina Machado [Oppositionsführerin Venezuelas] warnteden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador vor einer riesigen Welle von 3, 4 oder 5 Millionen Venezolanern, falls Nicolás Maduro an der Macht bleiben sollte. Diese Drohung bestätigt,  dass eine Komplizenschaft dieses rechten Flügels mit den einseitigen und illegalen Sanktionen der Vereinigten Staaten besteht, die eine riesige wirtschaftliche Tragödie ausgelöst haben. Die Bevölkerung, die dadurch zur Emigration gezwungen wurde, ist davon dramatisch betroffen.
  Deshalb werden die Veränderungen, die sich in der internationalen Ordnung abzeichnen, trotz des Wunsches von Joe Biden (dixit) nicht von Washington angeführt werden.

Quelle: La jornada 10.8.24 ;
https://www.jornada.com.mx/noticia/2024/08/10/opinion/integracion-para-detener-injerencias-extranjeras-7359

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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