von Dr. iur. Marianne Wüthrich
Das gibt’s nur in der Schweiz: Jahrelang stritten die Parlamente der neun Kantone, denen die Axpo zu 100 Prozent gehört, über die «Modernisierung» ihrer Verträge beziehungsweise der Eigentumsverhältnisse. Fast ging die Rechnung der Privatisierungstreiber auf: In acht Kantonen lief der geplante Umbau der Axpo vom Service-public-Betrieb in der Hand der Bürger zum Spielball ausländischer Konzerne an den Stimmbürgern vorbei. Kein gutes Zeugnis für uns der Demokratie verpflichtete Schweizer! Aber dann ergriff in Schaffhausen ein überparteiliches Komitee, vor allem aus Linken und Gewerkschaftern, das Referendum gegen den Beschluss ihres Kantonsrates, und die Schaffhauser stimmten mit 53 Prozent nein zum Ausverkauf des Schweizer Stroms an ausländische Energiekonzerne. So geschehen am 18. August 2024. Gschämig für die «Volksvertreter», die den Entwurf mit 52 Ja und einer einzigen Gegenstimme befürwortet hatten. Dafür zur Freude von allen, denen die direktdemokratische Entscheidungsmacht des Schweizervolkes und ein starker Service public am Herzen liegen.
Die Axpo – ein Kernstück
des Schweizer Service public
Die Axpo ist das grösste Energieunternehmen der Schweiz, mit über 100 Kraftwerken und einem über 2200 Kilometer langen Verteilnetz. Heute ist sie längst ein international tätiger Grosskonzern mit Beteiligungen an Kraftwerken in ganz Europa und sogar in Übersee. Aber, und das ist zentral, sie gehört nach wie vor zu 100 Prozent den neun Kantonen Zürich, Aargau, St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Thurgau, Schaffhausen, Glarus und Zug. Der NOK-Vertrag (Nordostschweizerische Kraftwerke) von 1914, der bis heute in Kraft ist, verbietet explizit den Verkauf von Aktien an Private. Damit wird die Infrastruktur, die 40 Prozent des Schweizer Strombedarfs abdeckt und so massgeblich zur Versorgungssicherheit des Landes beiträgt, vor privaten Interessen geschützt.
Geplante Privatisierung in Raten
«Kein Ausverkauf der Axpo mit dem neuen Vertragswerk möglich», behauptet der Schaffhauser Regierungsrat in seiner Abstimmungszeitung und fährt fort: «Die Mehrheit der Aktien bleibt aber in allen Fällen in schweizerischer öffentlicher Hand. Die Axpo kann somit – entgegen den Befürchtungen des Referendumskomitees – nicht privatisiert werden.»1 Das ist eine faustdicke Lüge! Es stimmt hoffnungsvoll, dass die Schaffhauser Stimmbürger sich dadurch nicht die Köpfe verwirren liessen.
Im geplanten Aktionärsbindungsvertrag steht nämlich etwas ganz anderes. Damit es weniger auffällt, sieht der Entwurf die «Öffnung» der Axpo für den Strommarkt in drei Tranchen vor: 1. Fünfjähriges Veräusserungsverbot der Aktienanteile, das heisst weiterhin 100 % im Eigentum der Kantone (Art. 7.1 Lock-up-Periode), 2. Haltung von mindestens 51 Prozent der Aktien in der öffentlichen Hand nach der Lock-up-Periode (Art. 7.3), 3. Freie Veräusserung von Aktien nach Ablauf der festen Vertragsdauer von 8 Jahren mit der Zustimmung von mindestens 50 % der Aktienstimmen und mindestens fünf Vertragsparteien (Art. 7.3, 7.4 und 14).2
Dieser dritte Schritt, der Totalausverkauf der Axpo an ausländische Grosskonzerne, werde kaum stattfinden, wird den Stimmbürgern vorgegaukelt: «Dass diese Bedingungen erfüllt werden, scheint auf Grund der in den Eignerkantonen geführten Diskussionen und erfolgten Gesetzesanpassungen in den Kantonen Zürich und Schaffhausen aus heutiger Sicht unrealistisch.» (Abstimmungs-Magazin, S. 9) Damit dies auch künftig unrealistisch bleibt: ganz einfach aus dem Vertragsentwurf streichen. Denn auf die Beteuerungen unserer Regierungsräte, sie setzten sich dafür ein, «dass die Schweizer Netzinfrastruktur, wichtige Kraftwerke und Speicheranlagen vollständig in öffentlicher Hand verbleiben»3, sollten wir uns gescheiter nicht verlassen. Im Schaffhauser Papier steht nämlich auch das pure Gegenteil: «Die Handlungsfähigkeit der Axpo würde [mit einem Nein zum Vertrag, mw] eingeschränkt bleiben und sie würde durch die fehlende, aber notwendige strategische Flexibilität erheblich geschwächt.» (S. 8) Was gilt nun? Wir haben es lieber schwarz auf weiss und zum Wohl der Bevölkerung. Das heisst: Die Lockerung und schliesslich Aufhebung des Veräusserungsverbots gemäss Artikel 7 des Aktionärsbindungsvertrags ist zu streichen und statt dessen in den beteiligten Kantonen ein Veräusserungsverbot gesetzlich festzuschreiben. Gegen eine allfällige spätere Aufweichung könnte dann das Referendum ergriffen werden.
Ein moderner Vertrag für einen
gemeinschaftsbezogenen Service public
In einer Welt, in der die globalen Konzerne (noch) das Sagen haben, erweist sich das direktdemokratische Schweizer Staatssystem einmal mehr als Fels in der Brandung. Der bisher geltende Gründungsvertrag der Nordostschweizer Kraftwerke (NOK) aus dem Jahr 1914 «hinkt den heutigen Rahmenbedingungen schon lange hinterher», so das Schaffhauser Abstimmungs-Magazin. Zweifellos könnten einige Formulierungen der heutigen Zeit angepasst werden, da sind sich Befürworter und Gegner einig. Aber als «nicht mehr zeitgemäss» gilt vor allem der genannte Fakt, dass immer noch 100 Prozent des Eigentums am Schweizer Strom in der Hand der Axpo-Kantone und ihrer Kraftwerke liegen und die Schweizer Bevölkerung wenig Begeisterung für dessen Privatisierung zeigt. Dabei sei der Strommarkt ja für grössere Strombezüger schon seit 2009 «geöffnet», so der Schaffhauser Regierungsrat (und verschweigt, dass damit der Wille des Stimmvolks missachtet wurde, das am 22. September 2002 nein gestimmt hatte zur Strommarktöffnung). Zudem sei die Axpo «nicht mehr ein regionaler Energieversorger, sondern ein international tätiger Konzern mit rund 7000 Mitarbeitenden» (S. 9). Also muss die unserem Staatswesen entsprechende Regelung der Welt der internationalen Konzerne angepasst werden? Oder nicht lieber umgekehrt? An einem Vertrag festhalten, der nicht der Gewinnmaximierung der Energiekonzerne verpflichtet ist, sondern dem Wohl der Bevölkerung. An einer Regelung, die den Service public für alle Einwohner in Stadt und Land ins Zentrum stellt und das Eigentum an der Strominfrastruktur allen Gegenströmungen zum Trotz in der öffentlichen Hand belässt und damit der direktdemokratischen Kontrolle unterstellt.
Konsequenz: Aus für
das Rahmenabkommen mit der EU
Es ist bekannt, dass auch viele Stimmbürger in anderen Kantonen an einem guten Service public in der Hand des Staates festhalten, nicht nur im Energiebereich. Falls die Schweiz ein neues Rahmenabkommen mit Brüssel aushandeln sollte, wäre das 100prozentige Eigentum der Kantone an der Axpo aber nicht kompatibel mit dem EU-Verbot der staatlichen Beihilfe. Ohne Privatisierung kein Stromabkommen, aber zum Beispiel auch kein «modernisiertes» Landverkehrsabkommen, gemäss dem ausländische Eisenbahngesellschaften das intakte Schweizer Schienennetz und den funktionierenden Taktfahrplan überrennen und absahnen dürften.
Der Schaffhauser Volksentscheid vom 18. August 2024 ist somit auch geeignet als Augenöffner für die Tücken eines institutionalisierten Regelwerks mit der EU. •
1 «Schaffhauser Abstimmungs-Magazin zur Volksabstimmung vom 18. August», S. 9
2 Aktionärsbindungsvertrag der Aktionäre der Axpo Holding AG, Entwurf vom 20.11.2018
3 Schaffhauser Abstimmungs-Magazin, S. 9; ähnlich der Aargauer Regierungsrat Stephan Attiger in der Aargauer Zeitung vom 24.8.24 («Wie weiter mit der Axpo?»)
«Die NOK wurde gegründet, um eine sichere und günstige Stromversorgung zu gewährleisten. Als Nachfolgeorganisation hat die Axpo noch immer den gleichen Zweck. Der NOK-Gründungsvertrag ist zwar veraltet und muss erneuert werden. Nur darf diese Vertragserneuerung nicht dazu führen, dass Axpo-Aktien an Private verkauft werden und damit unser Volksvermögen verscherbelt wird.
Für private Investoren sind Monopolinfrastrukturen wie das Stromnetz und grosse Wasserkraftwerke sehr lukrativ, denn ein Verlustgeschäft ist ausgeschlossen. In guten Zeiten wirft das Unternehmen hohe Gewinne ab. So hat die Axpo im ersten Halbjahr 2022/23 1,22 Milliarden Franken Gewinn erwirtschaftet! Dieser geht an die Eignerkantone, so auch an den Kanton Schaffhausen. In schwierigen Zeiten muss der Staat das Unternehmen retten, denn die Stromversorgung ist systemrelevant und darf nicht Konkurs gehen. Deshalb hat der Bund kürzlich einen milliardenschweren Axpo-Rettungsschirm aufgespannt, um einen möglichen Konkurs zu verhindern. Würden Aktien an Private verkauft, trägt die Bevölkerung weiterhin das Risiko, während Investoren den Profit einstreichen. Gewinn privat, Verlust dem Staat – das darf nicht sein! […] Unser Stromnetz ist systemrelevant, es gehört ausschliesslich in öffentliche Hand und nicht an die Börse. Tragen wir Sorge zu unserem Volksvermögen, deshalb: Nein zum Axpo-Vertrag.»
Leserbrief von Martina Munz, Nationalrätin SP, Schaffhausen, vom 28. Juli 2024
(https://www.martinamunz.ch)
«Wir haben das Referendum gegen den neuen Aktionärsbindungsvertrag ergriffen, weil wir verhindern wollen, dass die Stromversorgung privatisiert wird. […] Die Axpo, das grösste Energieunternehmen der Schweiz, gehört heute vollständig den Nordostschweizer Kantonen. Der historische NOK-Gründungsvertrag verhindert bis heute den Aktienverkauf an Dritte und schützt so unser Volksvermögen. Der neue Vertrag aber will den Verkauf von bis zu 49 % der Aktien ermöglichen. Ausserdem können mit Zustimmung von fünf Vertragsparteien und einer Mehrheit der Aktienstimmen auch die restlichen 51 % verkauft werden.
Diese vorgeschlagene Änderung ist nicht im öffentlichen Interesse. Ein Verkauf an Dritte lenkt Gewinne in private Taschen und schwächt die demokratische Kontrolle über unsere Energieversorgung. […] Ein ‹NEIN› zum neuen Vertrag verhindert die zukünftige Privatisierung der Axpo und ermöglicht eine Revision, welche die demokratische Kontrolle über das öffentliche Eigentum stärkt.»
Quelle: Argumente des Referendumskomitees.
Schaffhauser Abstimmungs-Magazin, S. 11
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