Die «Pax Americana» in der neueren Geschichte der Demokratischen Republik Kongo

von Prof. Dr. Stanislas Bucyalimwe Mararo, Antwerpen*

Meine Ausführungen haben den Titel: Die Pax Americana in der Demokratischen Republik Kongo seit dem Abkommen von Lusaka vom 10. Juli 1999. Das Abkommen von Lusaka steht am Anfang des im Westen sogenannten kongolesischen Friedensprozesses nach den beiden verheerenden Kongo-Kriegen 1996–2002. Sie werden fälschlicherweise als «Rebellionen» dargestellt, sind aber in Wirklichkeit Interventionskriege unter amerikanischer Regie gewesen. Bei den genannten Abkommen haben wir es mit allem anderen zu tun als mit einem Weg zum Frieden. Es ist ein ganz von amerikanischen Interessen gesteuerter Vorgang, eben ein amerikanischer Frieden, eine Pax Americana. Hinter ihm steht eine ausgeklügelte Methode der Versklavung von Nationen. Was in westlichen politischen Kreisen und ihren Medien in keiner Weise zum Ausdruck kommt, ist die Tatsache, dass diese Kriege angefacht und erhalten werden von denjenigen Grossmächten, die alle Formen von Gewalt anwenden, um sich die Kontrolle über kleinere Nationen und ihre Reichtümer zu sichern.

Völkermord im Kongo

In dieser Hinsicht ist mein Land, die Demokratische Republik Kongo, vormals Zaïre, ein Schulbeispiel. Denn tatsächlich steht mein Land seit 1885 unter gewaltsamer Besetzung, ist der Ausbeutung unterworfen und der massiven Vernichtung menschlichen Lebens. Der erste Kontakt mit unseren europäischen «Entdeckern» gipfelte schon bald in einem ersten Holocaust an unserer als billige Kautschuk-Sklaven missbrauchten Bevölkerung unter dem Regime des belgischen Königs Leopold II (1885–1908). In Hinsicht der Zahl der Opfer ist dieser erste Völkermord an unserem Volk vergleichbar mit dem gegenwärtig dort stattfindenden Morden, das seit dreissig Jahren anhält.
  Der aktuelle Völkermord unter unseren Augen geht täglich einher mit dem endlosen Abnützungskrieg im Ostkongo, und dies ununterbrochen seit der ruandisch-ugandischen verdeckten Invasion unseres Landes mit Beginn im November 1996. Seriöse Kommentatoren benennen diesen stummen, weil versteckten Krieg in unserem Land als den Krieg, der den höchsten Blutzoll gefordert hat von all den vielen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs von westlichen Mächten geführten Aggressionskriegen. 

«Democracy» als Friedhofsfrieden

Alle diese Kriege wurden von den kriegsführenden westlichen Regierungen und den Medien in ihrem Sold fälschlicherweise mit der bewussten Lüge legitimiert, sie dienten der Freiheit, der Demokratie und dem Frieden. Wo sind Freiheit, Demokratie und Frieden in Libyen, Somalia, Irak, Afghanistan und der Ukraine? Wo sind Demokratie und Menschenrechte in unserem Land? Ein solches Verhalten nenne ich Zynismus. Und dann machten sich die Kriegsherren im Hintergrund auch noch zu unseren Friedensbringern. In Wahrheit brachte jedes einzelne der sogenannten Friedensabkommen nach den beiden jüngsten Kongo-Kriegen der neunziger Jahre unserem Volk nicht Frieden, sondern die Fortführung des Krieges bis zum heutigen Tag. Jedes dieser Abkommen enthielt bewusst gestellte tödliche Fallen für die Autonomie unseres Landes.

«Rebellen» und Regime change

Ausgangspunkt des kongolesischen neuen Martyriums nach der langen Mobutu-Diktatur war die ruandisch-ugandische versteckte Invasion von 1996 unter der falschen Flagge der AFDL (Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération du Congo). Schon der Name ist Lüge. Das war keine Allianz demokratischer Kräfte, sondern eine Söldnerarmee, ausgerüstet und beraten von amerikanischen Spezialisten. Sie brachte unserem Land weder demokratische Wahlen noch Befreiung vom Diktat ausländischer Schürfrechte. Sie hatte zum Resultat die Okkupation weiter Teile des östlichen Landesteils, eine Okkupation, die durch einen darauffolgenden Abnützungskrieg weiter stabilisiert wurde. Der Nachfolger von Mobutu, Laurent-Désiré Kabila, – er hatte dieser Invasion als falsches Aushängeschild gedient (unter der bewusst verfälschenden Etikette eines «innerkongolesischen Rebellionskrieges») – wurde kurz nach seiner Einsetzung als Präsident, am 16. Januar 2001, ermordet. Er hatte zur Überraschung seiner amerikanischen und ruandischen Hintermänner den wirklichen Befreiungsprozess des Kongo von ausländischen Interessen wieder aufgenommen, der schon gleich nach der Unabhängigkeitserklärung des Kongo durch die Ermordung von Patrice Emery Lumumba, am 17. Januar 1961, kaum ein halbes Jahr nach seiner Amtsübernahme, im Keim erstickt worden war. Seit diesem weiteren politischen Mord kam mein Land unter die sogenannte internationale Aufsicht. Diese wurde so organisiert, dass sich de facto die beiden angreifenden Regierungen, Ruanda und Uganda, diese Aufsicht teilten. Es wurden aus den Angreifern ganz einfach «Friedensgaranten».

Aufrechterhaltung des Chaos

Sie wurden dabei unterstützt durch die Schaffung der MONUC/MONUSCO, einer Schein-Ordnungstruppe der Uno ohne jede friedenserhaltende Wirkung. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um ein politisches Instrument in der Hand der USA zur Durchsetzung ihrer Interessen im post-mobutistischen Kongo. Es ist in diesem Kontext, dass wir die endlosen Friedensabkommen im Kongo verstehen müssen, nämlich als getarnte Verlängerungen des Krieges.1 Zu den ersten dieser Abkommen zählt man die drei folgenden: das Abkommen von Lusaka (Sambia) vom 10. Juli 1999, das Abkommen von Sun City (Südafrikanische Republik) vom 9. April 2002 und dasjenige von Pretoria (Südafrika) vom 17. Dezember 2002. 
  Diese Abkommen hatten zum Inhalt den Waffenstillstand, die Anerkennung von Joseph Kabila als Nachfolger des 2001 ermordeten Laurent-Désiré Kabila und die Machtaufteilung im Kongo zwischen der neu gebildeten Regierung Joseph Kabila, dann den pro-ruandischen und -ugandischen sogenannten Rebellen-Gruppen und der nichtbewaffneten Opposition. Die Ausgestaltung dieser Abkommen hat es den beiden amerikahörigen Regierungen Ruandas und Ugandas erlaubt, eine grosse Zahl ihrer eigenen Leute in die von den USA gesteuerte internationale Aufsicht einzuschleusen. Die MONUC hat dabei die traurige Rolle übernommen, als Sicherungsraum für diese institutionelle Fremdübernahme des Kongo zu dienen. Dabei kamen weder sie noch die kongolesische Armee ihrer Hauptaufgabe nach, den Waffenstillstand zu garantieren. Ganz im Gegenteil. Das Wüten der sogenannten Rebellengruppen , in Wirklichkeit der verlängerte terroristische Arm von Uganda und Ruanda, gegen die ostkongolesische Zivilbevölkerung nahm laufend zu. Die weiteren Abkommen unter internationaler Aufsicht dienten faktisch nur dazu, den militärischen Druck durch die Guerillagruppen auf die kongolesische Regierung weiter aufrechtzuerhalten, ganz nach den Rezepten dieser Pax Americana.

Flucht in «Sterbe-Lager»

Das war der Hauptgrund dafür, dass in den Jahren danach im Ostkongo zahlreiche neue solche «Rebellenformationen» nach bewährtem Muster entstanden sind. Sie kämpfen unter falscher Flagge, in Wahrheit sind es fremdgesteuerte Kampfgruppen mit Ausrüstung und Logistik aus Uganda und Ruanda. Ihr Auftreten war immer mit dem der schwachen Regierung in Kinshasa militärisch aufgezwungenen Anspruch verbunden, Vereinbarungen zu unterzeichnen, die es den internationalen Drahtziehern erlaubten, ihre Agenten in die Institutionen der kongolesischen nach-provisorischen Regierung (von 2007–2013) zu platzieren sowie grosse Teile der ruandischen Bevölkerung in den von den Guerillagruppen «gesäuberten» Territorien im Ostkongo anzusiedeln. Was die verängstigte und terrorisierte kongolesische Zivilbevölkerung in den schutzlosen Siedlungen des Ostkongo seit einigen Jahren vor allem im Nordkivu betrifft: Sie konnten den Massakern nur entrinnen durch Flucht in die Vertriebenen-Lager, für welche die Kongolesen die traurige und leider zutreffende Bezeichnung «Sterbe-Lager» verwenden.

Balkanisierung als Programm

Dies alles als Beispiele für die vielen Gründe, die ausmachen, dass ein Friede im Ostkongo in weite Ferne gerückt ist und dass die vielen ausgerichteten diplomatischen «Ballett-Inszenierungen» und angeblichen Friedensgespräche nur das eine Ziel verfolgen: Die Kongolesen von dem abzulenken, was wirklich gespielt wird: die Balkanisierung des Kongo.
  Eine der aussenpolitischen Strategien der Vereinigten Staaten besteht darin, in den Zielländern Chaos zu schaffen und dann in diesen die politische Ordnung sowie die Wirtschaft, das soziale und kulturelle Leben nach ihren Interessen umzustrukturieren. Das ist auch das, was sich in meinem Land real abgespielt hat und weiter abspielt. Das wird in westlichen Medien und Regierungen unbeirrt als Friedensprozess gehandelt. Dieser hat in den 25 Jahren seines Bestehens (1999–2024) der kongolesischen Bevölkerung kein einziges der von ihr sehnlichst erwarteten Resultate erbracht. Im Gegenteil, unsere Regierungen haben in diesen Jahren die Entscheidungs-Autonomie von uns Kongolesen verspielt und damit auch die Würde des kongolesischen Volkes. Es ist weiter dem Diktat des angelsächsischen Westens ausgeliefert und ihrer Helfershelfer, der Hima-Tutsi-Elite in Uganda und Ruanda. Der Zynismus dieser Politik hat leider Tradition.

Pax Americana

So zeigt die Rolle der Vereinigten Staaten schon in den Friedensverhandlungen des Zweiten Weltkriegs, welche die Nachkriegs-Wiederaufbauphase und die Europäische Union vorbereitet haben, ganz klar, dass ihr Ziel schon damals darin bestand, die europäischen Eliten den Interessen der Vereinigten Staaten unterzuordnen, eine Unterordnung, die in letzter Zeit immer stärker sichtbar wird. Die Unterordnung unter amerikanische Interessen wurde schon damals als Aufbauhilfe kaschiert. An anderen Orten ging es genau so brutal zu wie bei uns.
  Ein Beispiel dafür bildet das Schicksal des Kosovo, der auf illegale Weise, mit den Mitteln eines imperialistischen illegalen Krieges, von Serbien abgetrennt worden ist, dies entsprechend sogenannter Friedensverhandlungen, die von Washington und Brüssel diktiert worden sind. Heute ist der Kosovo faktisch eine Nato-Provinz unter amerikanischer Regie.
  Der Süd-Sudan hat das gleiche Schicksal erlebt. Er ist heute den Vereinigten Staaten und Israel auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, welche über das Monopol seiner Bodenschätze verfügen, währenddem die Süd-Sudanesen sich gegenseitig aufreiben, um zu überleben. Der Rest des Sudan befindet sich in einem Krieg, dessen Ziel darin besteht, ihm Darfur zu entreissen.
  Der Irak und Libyen sind zerstört. Ihre heutige Situation ist schrecklicher als diejenige, welche unter ihren beiden ermordeten Staatspräsidenten, Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi, herrschte. Und was sich aktuell in der Ukraine, im Sahel und in den palästinensischen Gebieten abspielt, gehorcht der gleichen unmenschlichen Logik.
  Damit ist die Bilanz düster: Die Kongolesen sind weiterhin statt Nutzniesser Opfer ihrer Bodenschätze2 sowie einer unverantwortlich handelnden und korrupten politischen Führungsschicht. Es stellt sich mithin eine entscheidende Frage: Können auch die Kongolesen Hoffnung schöpfen angesichts der Veränderungen, die in dieser unserer Welt gegenwärtig vor sich gehen in Richtung auf die Rückeroberung zu mehr Entscheidungs-Autonomie der Völker, mehr Autonomie ihres Handelns und damit zu mehr Menschenwürde und Selbstbestimmung? Das ist nicht unmöglich, ist aber an eine entscheidende Bedingung geknüpft. Unsere Völker müssen ihre eigene Verantwortung in der Lösung der harrenden Probleme selbst übernehmen. Um es konkreter zu sagen: Sie müssen sich folgenden Herausforderungen stellen:

Das Schicksal in
 die eigenen Hände nehmen

Zum einen das Herausbilden einer verantwortlichen und patriotisch gesinnten Führungsschicht, die in der Lage sein muss, mit Sachverstand und Mut zu entscheiden, im Innern wie gegen aussen. Sie steht vor der Hauptaufgabe, eine republikanische und professionelle kongolesische Armee zu schaffen, die in der Lage ist, sich den aktuellen geopolitischen Herausforderungen zu stellen und die bisherige Milizarmee mit ihren Generälen, die zu reinen Geschäftemachern verkommen sind,3 zu ersetzen.
  Sie muss sodann an die Spitze des Staates eine Persönlichkeit stellen können mit innerer Stärke, welche den Willen und die Kraft besitzt, die fremden Eindringlinge in unseren nationalen Institutionen von dort zu vertreiben (dies vor allem in der Armee und den Sicherheitskräften) und alle Verräter der Republik vor die Schranken der Gerichtsbarkeit zu stellen.

Multipolarität als Chance

Sie muss weiter die Gesundung unserer Gerichtsbarkeit fördern und wirtschaftliche Verbrechen, den Völkermord an der einheimischen Bevölkerung und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in unserem Land hartnäckig verfolgen. Unsere Justizbehörden müssen von korrupten Amtsinhabern befreit werden. Sie müssen durch Amtsträger ersetzt werden, welche von ihrer unantastbaren moralischen Gradlinigkeit Zeugnis abgelegt haben.
  Sie muss zudem die Kraft entwickeln, Frauen und Männer an jene Schaltstellen unseres sozialen Lebens zu berufen, an denen sie unentbehrlich sind, und dies auf Grund von schon erbrachten Leistungen und Verdiensten für die Allgemeinheit, und nicht auf Grund von Klientelismus, familiären Einflüssen sowie ethnisch, stammesmässig oder regional beeinflussten Druckversuchen.
  Schliesslich muss sie garantieren, dass die politischen und wirtschaftlichen Abkommen unseres Landes mit internationalen Partnern die Interessen unseres Landes zu vertreten. Die internationale Entwicklung in Richtung auf eine multipolare Welt ist nicht mehr aufzuhalten. Das ist auch für uns ein günstiger Faktor und eine wichtige Chance. Wir müssen sie nutzen.  •



1 C. Onana. Ces tueurs Tutsi. Au cœur de la tragédie congolaise, éditions Duboiris, 2009; J.-C. Willame. Les Faiseurs de paix au Congo. Gestion d’une crise internationale dans un Etat sous tutelle, Paris, GRIP/Editions Complexe, 2017; S. B. Mararo, La Monuc/Monusco: une réédition de l’Onuc? (2018)
2 C. Pierret. «Les richesses minières de la République Démocratique du Congo suscitent l’avidité des puissances locales et globales», in: Le Monde vom 12.6.2024. Quant à Freddy Mulumba Kabuyi, il soutient que la RDC a été érigé depuis 1885 en une entreprise qui n’a pas besoin d’un chef d’état mais plutôt d’un gérant. Cf. F. M. Kabuyi. «Situation en RDC: Une guerre entretenue par l’Occident pour piller les ressources», Minute.bf, 6.8.2024
3 J.-J. Wondo Omanyundu. Les Armées au Congo-Kinshasa: Radioscopie de la Force publique aux FARDC, Monde Nouveau/Afrique Nouvelle, Seconde Edition, août 2019

(Übersetzung aus dem Französischen Peter Küpfer)

* Prof. Dr. Stanislas Bucyalimwe Mararo ist ein kongolesischer Historiker, Philosoph und Politikwissenschafter. Seine profunde wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Gründen der anhaltenden Krise in den Ländern der Grossen Afrikanischen Seen hat sich in einer grossen Zahl grundlegender Publikationen niedergeschlagen. Geschätzter Lehrer an Pädagogischen Hochschulinstituten des Ostkongo, musste er nach dem Einmarsch der AFDL in den Kongo 1996 wegen akuter Bedrohung seines Lebens und seiner Familie sein Land verlassen. Während vieler Jahre wirkte er als Forscher und Herausgeber der wissenschaftlichen Jahrbuchreihe «L'Afrique des Grands Lacs» am Forschungsinstitut des Gebietes der Grossen Afrikanischen Seen der Universität Antwerpen (BE). Seine ununterbrochene Zeitzeugenschaft hat ihm in seiner Heimat eine grosse Wirkung auch auf die jüngere Forschergeneration verschafft. Prof. Dr. Stanislas Bucyalimwe ist schon früh auf die Arbeitsgemeinschaft «Mut zur Ethik» gestossen und hat durch seine regelmässige Mitarbeit wichtige Impulse gesetzt.

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