Südafrikas Aussenministerin Naledi Pandor: «Unsere gemeinsame Menschlichkeit gebietet es»

Erklärung von Dr. Naledi Pandor, Ministerin für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit, in der Nationalversammlung der Republik Südafrika vom 7. November 2023 zum andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt

[…]
Verehrte Mitglieder des Parlaments
  Ich danke Ihnen, dass Sie mir erlauben, diese Erklärung abzugeben.
  Heute schliessen wir uns der Welt an und bringen unser Entsetzen über die Kriegsverbrechen zum Ausdruck, die in Palästina begangen werden, indem Zivilisten, zivile Infrastruktur, UN-Gebäude und andere gefährdete Ziele angegriffen werden.
  Diese Handlungen erinnern uns an unsere Erfahrungen als schwarze Südafrikaner, die unter der Apartheid lebten. Dies ist einer der Hauptgründe, warum Südafrikaner, wie Menschen in Städten auf der ganzen Welt, auf die Strasse gegangen sind, um ihre Wut und Besorgnis über die Geschehnisse in Gaza und im Westjordanland zum Ausdruck zu bringen.
  Diese Demonstrationen sind Ausdruck der weltweiten Empörung darüber, dass Menschen angegriffen werden und ihr Leben verlieren, während kaum etwas unternommen wird, um diese Greueltaten zu beenden.
  Die Fakten, die über die verheerenden Auswirkungen des aktuellen Konflikts veröffentlicht wurden, sind entsetzlich. Über 10 000 Tote [mittlerweile mehr als 23  000], Tausende von Verletzten, zerstörte öffentliche Einrichtungen und grausame und mutwillige Bombardierungen sind an der Tagesordnung.
  Deshalb fordern wir als Südafrika weiterhin standhaft eine sofortige Beendigung des Konflikts; die vollständige Öffnung aller humanitären Korridore, um sicherzustellen, dass die dringend benötigte Hilfe und Grundversorgung die Bedürftigen erreicht.

Frau Vorsitzende
  Die Aktionen Israels, die wir alle täglich miterleben, sind eine Verletzung des Völkerrechts, einschliesslich der UN-Charta, der Genfer Konvention und ihrer Protokolle. Mit ihren Angriffen auf und Entführungen von unschuldigen Zivilisten hat die Hamas ebenfalls gegen das Völkerrecht verstossen.
  Während wir unser Entsetzen über die Gewalt zum Ausdruck bringen, ist es entscheidend, dass wir anerkennen, dass die jahrzehntelange illegale Besetzung Palästinas durch Israel zu bitterem Hass und zunehmender Gewalt geführt hat. Und es ist nicht das erste Mal, dass die Menschen in Palästina diese Gewalt erleben. Sie dauert schon seit vielen Jahrzehnten an. Nichts, was wir sagen, wird diese Tatsache auslöschen.
  Die Ermordung von Kindern, Frauen und alten Menschen durch Israel ist jedoch ein Akt, der dazu führen sollte, dass der Internationale Strafgerichtshof einen sofortigen Haftbefehl gegen wichtige Entscheidungsträger, einschliesslich Herrn Netanjahu, ausstellt, die für Verstösse gegen das Völkerstrafrecht verantwortlich sind.

Frau Vorsitzende
und Mitglieder des Parlaments
  Es ist wichtig zu betonen, dass der israelisch-palästinensische Konflikt nur durch die Errichtung von zwei Staaten, Palästina und Israel, die Seite an Seite in Frieden leben, gelöst werden kann. Der palästinensische Staat sollte in den Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt und im Einklang mit den UN-Resolutionen gegründet werden. Damit diese Zwei-Staaten-Lösung zustande kommt, muss dringend ein von den Vereinten Nationen initiierter Friedensprozess eingeleitet werden.
  Wir sind uns bewusst, dass die Schaffung eines palästinensischen Staates durch die Zunahme der Siedlungen und die illegale Besetzung unmöglich gemacht wird. Die Welt muss die bantustanartige Balkanisierung ablehnen, die zu mehr Bitterkeit und Hass geführt hat. Wir müssen daher alle Anstrengungen für die beiden Staaten verstärken.

Frau Vorsitzende und verehrte Mitglieder
  Die kollektive Bestrafung, die Israel dem gesamten palästinensischen Volk auferlegt, ist ein Affront, der schon viel zu lange andauert. Die Welt hat ihr Entsetzen zum Ausdruck gebracht, aber nicht wirksam gehandelt, um das Leben der Palästinenser zu retten. Traurigerweise gibt es sogar in unserem Land viele, die vor diesen Greueltaten die Augen verschliessen.
  Am 27. Oktober 2023 gehörte Südafrika zu den mehr als zwei Dritteln der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, die in der Generalversammlung einen sofortigen Waffenstillstand forderten. Dieser Beschluss der Vereinten Nationen ist ignoriert worden.
  Wir können nicht die Bedeutung des Völkerrechts und die Bedeutung der UN-Charta in einigen Situationen proklamieren und in anderen nicht, als ob die Rechtsstaatlichkeit nur für ein paar Auserwählte gelten würde. Damit das Völkerrecht glaubwürdig ist, sollte es einheitlich und nicht selektiv angewendet werden.
  Wir sollten uns darüber im klaren sein, dass Israel eine Besatzungsmacht ist, wie vom Internationalen Gerichtshof und den Vereinten Nationen bestätigt wurde. Als Besatzungsmacht kann Israel auf rechtsstaatliche Instrumente zurückgreifen, einschliesslich polizeilicher Befugnisse, um gegen kriminelle Handlungen in dem von ihm besetzten Gebiet vorzugehen. Ein Besatzungsstaat kann nicht die Kontrolle über das von ihm besetzte Gebiet ausüben und dieses Gebiet gleichzeitig militärisch angreifen mit der Begründung, es sei «fremd» und stelle eine äussere nationale Bedrohung der Sicherheit dar.
  Der Begriff des Rechts Israels, sich mit militärischen Mitteln zu verteidigen, wurde von einigen fälschlicherweise und von anderen absichtlich benutzt, um die unrechtmässige Gewaltanwendung Israels gegen die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen und im Westjordanland zu rechtfertigen.

Frau Vorsitzende
  Das Verbrechen des Völkermordes ist in der gegenwärtigen Situation in Gaza leider von grosser Bedeutung. Wir erinnern uns, dass 1994 auf dem afrikanischen Kontinent ein Völkermord stattfand, bei dem ein Grossteil der Welt zusah, wie unschuldige Menschen massakriert wurden.
  Während des Zweiten Weltkriegs wurden unschuldige Menschen massakriert und unter Belagerung gestellt. Als Reaktion darauf wurde am Ende des Krieges ein internationales System geschaffen, das die Vereinten Nationen, Menschenrechtsinstrumente und Justizmechanismen umfasste, damit sich solche Grausamkeiten nicht wiederholen würden.
  Die selektive Anwendung dieser internationalen Instrumente und die Nutzung einiger dieser Mechanismen zur Durchsetzung engstirniger Interessen hat jedoch dazu geführt, dass die Wirksamkeit des Systems in Frage gestellt wird.
  Es ist ein System, das die Menschen in Gaza im Stich gelassen hat, so wie es 1994 die Menschen in Ruanda und in Bosnien im Stich gelassen hat. Mehr denn je ist jetzt eine Reform des Systems der Weltordnungspolitik erforderlich, damit es fair und gerecht ist und den Bedürfnissen aller Menschen in Situationen der Bedrohung und des Schadens gerecht werden kann. Das erforderliche System sollte nicht nur ein Instrument für die mächtigsten Länder der Welt sein, sondern eines, das den Schutz der Schwächsten gewährleistet.
  Die Unzulänglichkeit des UN-Sicherheitsrats, dessen Mandat zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sich aus der UN-Charta ableitet, ist eklatant geworden.
  Auf Grund der zunehmenden Politisierung war der Sicherheitsrat nicht in der Lage, zuallermindest eine humanitäre Waffenruhe auszurufen, damit die dringend benötigten humanitären Hilfsgüter zu den Bedürftigsten gelangen können. Dies zeigt einmal mehr, wie dringend notwendig die Reform dieses Gremiums ist.

Frau Vorsitzende und verehrte Mitglieder
  Viele von uns fühlen sich hilflos, wenn sie die Bilder des Leids sehen, das Kinder und andere unschuldige Zivilisten erleiden müssen. Als Südafrikaner müssen wir unsere Stimme erheben und die folgenden konkreten Massnahmen fordern, um das Leid zu beenden:

  1. einen sofortigen umfassenden Waffenstillstand,
  2. die Öffnung von humanitären Korridoren, damit Hilfsgüter und andere grundlegende Dienstleistungen alle Bedürftigen erreichen,
  3. alle Parteien müssen Zurückhaltung üben und davon absehen, diesen offenkundig ungerechten Krieg und das menschliche Leid weiter anzuheizen, indem sie unter anderem die Waffenlieferungen an die Parteien einstellen,
  4. die Freilassung aller zivilen Geiseln,
  5. in Anbetracht der Erklärungen über den Einsatz von Atomwaffen die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten, wie wir sie in Afrika haben,
  6. die Wiederaufnahme eines umfassenden Dialogs, der von Palästinensern und Israeli selbst geführt und verantwortet und von den Vereinten Nationen unterstützt wird,
  7. die Entsendung einer schnellen Eingreiftruppe der Vereinten Nationen nach Palästina, die den Auftrag hat, die Umsetzung eines Waffenstillstands und die Einstellung der Feindseligkeiten zu überwachen und vor allem die Zivilbevölkerung zu schützen.

Frau Vorsitzende und verehrte Mitglieder
  Unsere gemeinsame Menschlichkeit gebietet es, jedes Menschenleben zu achten; die Zeit für die internationale Gemeinschaft, zusammenzustehen und zu handeln, ist jetzt gekommen. Wir, die wir die Freiheit von der Apartheid geniessen, können niemals diejenigen sein, die einer Form der Unterdrückung durch die Apartheid zustimmen. Das sagen nicht nur wir selbst. Es sind internationale Organisationen, die Untersuchungen über Folter, Inhaftierung und Mord durchgeführt haben, die früher, wenn sie über andere Dinge berichteten, als glaubwürdig galten; aber wenn es um Israel geht, werden ihre Berichte nicht akzeptiert. Das kann nicht toleriert werden. Diese Brutalität darf nicht hingenommen werden. Wir müssen jetzt zu einem Waffenstillstand aufrufen, wie das ehrenwerte Haus von Südafrika.
  Ich danke Ihnen dafür.  •

Quelle: https://dirco.gov.za/ministerial-statement-on-the-ongoing-israeli-palestinian-conflict-by-dr-gnm-pandor-minister-for-international-relations-and-cooperation-in-the-national-assembly-house-of-parliament-7-november-2023/

(Übersetzung Zeit-Fragen)

ef. In der Parlamentsdebatte, die der Rede von Naledi Pandor folgte, wurde sie gefragt: «Sie behaupten, dass die Greueltaten, über die wir hier sprechen, die Enthauptung von Kindern, «fake news» sind, dass das nicht stimmt. Ist das die Position der südafrikanischen Regierung? Das möchte ich Sie jetzt fragen.»
  Sie antwortete: «Nein, es sind Beweise, die von einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen sowohl in Israel als auch in Palästina vorgelegt wurden. Denn wir sprechen nicht nur mit Palästinensern, sondern auch mit friedliebenden Israeli. Und wir wissen, dass es eine Menge «fake news» gibt, die versuchen, die Palästinenser in ein schlechtes Licht zu rücken. Und selbst der Sprecher des Weissen Hauses hat zugegeben, dass diese Erklärung, die auf höchster Ebene abgegeben wurde, nicht den Tatsachen entsprach. Herr Abgeordneter, ich habe also auf Ihre Frage geantwortet, und es ist wichtig, wie ich zu Beginn meines Beitrags sagte, dass wir, wenn wir uns zu diesen Themen äussern, ehrlich und sachlich sein sollten.
  Tatsache ist, dass den Menschen in Palästina das Recht verweigert wird, als menschliche Wesen zu existieren. Man verweigert ihnen das Recht, die Freiheiten und Rechte zu geniessen, die wir als Südafrikaner so lieben.
  Die Rechte und Freiheiten, für die wir so hart gekämpft haben, die Rechte und Freiheiten, auf die wir uns als ein vielfältiges südafrikanisches Volk geeinigt haben.
  Heute sind einige von uns in diesem Haus der Meinung, dass diese Rechte den einen gehören und den anderen nicht. Dies ist nicht die südafrikanische Auffassung, an die wir glauben.
  Alle Menschen haben das Recht, in Freiheit zu leben und sich der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu erfreuen. Und das ist die Botschaft, die von diesem Haus ausgehen muss. Dieses Haus kann keinen Missbrauch dulden, es kann nicht dulden, dass andere Menschen in ihren Rechten verletzt werden, ganz gleich, wer diese Menschen sind. Wir haben nie nach Rache gestrebt.
  Ich kann die Geschichte meines Grossvaters erzählen, der an einem gebrochenen Herzen starb. Er war Schneider und hatte sehr hart gearbeitet, mit seinen Fingern bis unter die Haut, um genug Geld zu verdienen, damit er sich ein Haus in Durban kaufen konnte. Und sie bekamen dieses Haus, mein Grossvater und meine Grossmutter.
  Zwei Jahre, nachdem sie es erworben hatten, wurde das Gebiet zu einem weissen Gebiet erklärt. Sie verloren das Haus ohne Entschädigung, und er starb im Grunde an gebrochenem Herzen.
  Ich empfinde keine Rache, denn heute bin ich Teil der Bemühungen, ein besseres Südafrika aufzubauen. Und unsere Aufgabe muss es sein, eine bessere Welt zu schaffen, in der wir in den Genuss der Menschenrechte, einer fantastischen Verfassung und demokratischer Institutionen kommen, die für alle von uns arbeiten.
  Dieses Privileg gilt nicht nur für uns. Es muss für alle gelten. Und in jeder Debatte, die wir führen, werden wir, wenn wir uns selbst treu sind, wenn wir unserer Geschichte treu sind, wenn wir dem treu sind, was wir erreicht haben, aufstehen und sagen, dass das, was dem palästinensischen Volk angetan wird, falsch ist, dass es unerträglich ist und dass wir nicht bereit sind, das hinzunehmen.»

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=5GiAEBPSZ3g 

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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