Es ist mir eine grosse Freude, wieder einmal unter Ihnen zu sein. Hierher in die Schweiz zu kommen ist für mich eine Art Rückkehr zu einem Zufluchtsort.
Die USA sind eine zerrissene Nation, in der es viele gute Menschen gibt. Sie ist aber durch eine Führungsschicht schwer geschädigt, die keine Ahnung von gemeinsamer Menschlichkeit hat und der das Gemeinwohl gleichgültig ist, weil sie nach wie vor auf der Vorherrschaft im In- und Ausland beharrt.
Ich bin dieses Mal hier, um genau über die Frage unserer gemeinsamen Menschlichkeit zu sprechen. Wir haben dieses Thema bereits im letzten Frühjahr angesprochen, als ich Sie fragte: «Wer sind wir? Was bedeutet es, ‹wir› zu sein»? Heute möchte ich diese Frage vertiefen und mit Ihnen über die «Verteidigung der Menschlichkeit der Menschheit» sprechen. Und es hat mich sofort betroffen gemacht.
Jede Diskussion dieser Art muss mit der Gaza-Krise beginnen, oder – angesichts der eskalierenden Gewalt im Westjordanland – der umfassenderen Palästina-Krise. Diese Geschehnisse sind von weltgeschichtlichem Ausmass. Sie stellen jede Vorstellung von Menschlichkeit in Frage, die wir bisher ohne grosses Nachdenken für selbstverständlich hielten – für Wahrheiten, die wir für selbstverständlich hielten, wie wir Amerikaner sagen würden. Damit scheint es jetzt vorbei zu sein. Es ist, als ob eine Ära in der Geschichte der Menschheit zu Ende gegangen ist und wir in eine Zeit eintreten, die von uns verlangt, neu zu denken, vielleicht zum ersten Mal seit den Siegen von 1945, als wir auf die Trümmer der 1930er und 1940er Jahre zurückblickten und uns fragten: Wo ist unsere Menschlichkeit?
Andererseits müssen wir vielleicht bis zur Aufklärung zurückgehen, wenn wir uns fragen, was wir unter unserer gemeinsamen Menschlichkeit verstehen. Die Vorgänge, die uns an diesen Punkt gebracht haben, sind teuflisch, geradezu bösartig. Und wie befremdlich ist es, dass die Nation, die uns an diesen Punkt geführt hat, die erste Hälfte dessen repräsentiert, was wir gemeinhin als «jüdisch-christliche Zivilisation» bezeichnen.
Die Aufgabe: Wiederherstellung
gemeinsamer Menschlichkeit
Ich vermeide den Begriff «tragisch», wenn ich mich auf die Palästina-Krise beziehe, denn nach der klassischen Definition der Tragödie lernt die tragische Figur etwas über sich selbst, nachdem sie durch eine Feuerprobe gegangen ist. Wir werden sehen müssen, ob die Menschheit aus den Abgründen, in die das zionistische Israel die Menschheit bereits gezogen hat, lernen wird. Wenn die menschliche Gemeinschaft nichts daraus lernt, wie es die Führung der Westmächte vorschlägt, werden wir nach dem Ende dieser Krise genauso weitermachen wie vorher. Und wir werden kein Recht auf die Bezeichnung «tragisch» haben. Unsere Aufgabe, die Aufgabe, die uns verbindet, ist es, die Arbeit zu beginnen – ich würde sogar sagen, einen anderen Krieg zu führen –, um unsere gemeinsame Menschlichkeit wiederherzustellen. Es ist ein Krieg gegen die Gleichgültigkeit, die uns die verschiedenen Formen der Macht unaufhörlich nahelegen.
Diesen Krieg gegen die Macht zu führen bedeutet, aus der Krise zu lernen, die unsere Zeit bestimmt, die sie zu einem weltgeschichtlichen Moment macht, und dann eine neue Richtung einzuschlagen. Es wäre pervers zu behaupten, dass die Krise in Palästina irgend etwas Positives oder Gutes mit sich bringt, aber in den griechischen Tragödien werden neue Wahrheiten erlangt, und die Figuren in den Stücken werden durch eine neue Verbindung mit der Wahrheit verwandelt, eine Verbindung, die zuvor verdeckt war.
Im Laufe meiner Zeit hier werde ich noch viele Dinge zu der Frage sagen, die ich heute aufwerfe. Ich kann sie nicht alle auf einmal vorbringen. Ich habe meine Antwort auf diese Frage, wie die Menschlichkeit der Menschheit zu verteidigen ist, in zwei Teile gegliedert. Einer davon betrifft das, was ich unser öffentliches Selbst oder unser bürgerliches Selbst nennen möchte. Ich denke dabei an den öffentlichen Raum, an die Institutionen, die uns zur Verfügung stehen, um den Krieg zu führen, den ich gerade erwähnt habe – den Krieg gegen die Macht zur Verteidigung unserer gemeinsamen Menschlichkeit. Und dann ist da noch die Dimension dieses Problems, die jeden von uns als Individuum angehen muss. Die Verteidigung der Menschlichkeit der Menschheit, will ich sagen, ist in vielerlei Hinsicht eine Frage der Psychologie des Einzelnen und stellt somit für jeden von uns eine psychologische Aufgabe dar. Jeder von uns muss überlegen, was die Verteidigung der Menschlichkeit der Menschheit von uns verlangt, sowohl gegenüber anderen als auch in uns selbst. «Was müssen wir tun?» Das ist, kurz gesagt, die Frage.
Postdemokratien mit
zerbrochenen Institutionen …
Heute werde ich mich vor allem auf die erste meiner Antworten konzentrieren, die Frage des öffentlichen Raums und der Institutionen. Es gibt zu viel, was es wert ist, in einem einzigen Vortrag über das Denken und Handeln zu sagen, was wir zur Verteidigung der Menschlichkeit der Menschheit tun müssen, und so werde ich dies für einen weiteren Vortrag aufheben.
Wie ich in verschiedenen meiner veröffentlichten Kommentare erwähnt habe, konfrontiert uns die Palästina-Krise mit einer sehr bitteren Realität. Es ist die Tatsache, dass sich unsere Demokratien in «Postdemokratien» verwandelt haben – der freundlichste Begriff, den ich für unseren gemeinsamen Niedergang habe – und wir feststellen, dass keine der Institutionen, von denen wir dachten, dass sie in dieser Weise funktionieren, mehr funktioniert.
Was Amerika angeht, sind die Institutionen, die den Volkswillen repräsentieren sollen, mehr oder weniger zerbrochen. Wir haben keine Möglichkeit, unseren Einwand gegen die Unterstützung der USA für den Völkermord des zionistischen Israels zum Ausdruck zu bringen – keine Möglichkeit, die etwas bewirkt, möchte ich damit sagen.
Die Mehrheit der Menschen im Westen ist für den Weltfrieden und nicht für den Krieg, um ein anderes Beispiel zu nennen. Umfragen belegen dies. Die Mehrheit der Deutschen befürwortet koexistierende, für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen zu Russland. Aber in diesen und vielen anderen Fällen spielt es für diejenigen, die die Politik planen und ausführen, keine Rolle, was die Bürger befürworten. Dieser Umstand mag von einer postdemokratischen Nation zur anderen unterschiedlich schwerwiegend sein, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das, was ich als den amerikanischen Fall beschreibe, in den meisten oder allen europäischen Nationen mehr oder weniger ähnlich ist.
Es scheint, als ob sich die Bürger der westlichen Postdemokratien dieses Zustandes vor den Ereignissen des letzten 7. Oktober und bei allen Folgen nicht bewusst waren, bis die Unterstützung des Westens für den Apartheidstaat uns plötzlich diese Realität vor Augen führte. Ich denke, für viele von uns ist dies tatsächlich der Fall. Dies stellt die Bürgerinnen und Bürger unserer Postdemokratien vor individuelle Entscheidungen, wenn sie überlegen, wie sie auf diese institutionellen Versäumnisse reagieren sollen, und wie ich soeben angedeutet habe, möchte ich mich gerne später mit diesen Fragen befassen.
… und deren Wiederbelebung
Hier möchte ich unsere Frage in eine andere Richtung lenken und über Institutionen nachdenken. Angesichts des Versagens unserer nationalen Institutionen und der feigen Gleichgültigkeit gegenüber unseren Bestrebungen und Präferenzen seitens derer, die vorgeben, uns zu führen, schlage ich vor, dass wir über multilaterale Institutionen nachdenken, vor allem, aber nicht nur, über die Vereinten Nationen, und ich schlage vor, dass wir durch eine Wiederbelebung dieser Institutionen die vielversprechend-sten Mittel finden, um die Menschlichkeit der Menschheit zu verteidigen.
Es gibt eine ausführliche Debatte darüber, ob wir uns in einem Zeitalter befinden, in dem der Nationalstaat der Geschichte angehört, und ich halte dies für einen interessanten Diskurs, den ich jedoch vorerst beiseite lassen möchte. Mir geht es um die Lebensfähigkeit und die potentielle Wirksamkeit dessen, was wir «die Multilateralen» nennen, nachdem sie viele Jahre lang von den Vereinigten Staaten und ihren westlichen Verbündeten vernachlässigt, unterminiert und vereinnahmt worden sind.
Menschenrechte
Sehen wir uns hier die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen an, die unter denjenigen, die darauf bestehen, die Sprache mit Akronymen zu verschmutzen, unvermeidbar als AEMR bekannt ist. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete die Erklärung am 10. Dezember 1948 in Paris, nur drei Jahre und zwei Monate nach der formellen Gründung der Vereinten Nationen. Hier ist Artikel 1 der Erklärung. Er ist kurz und bringt es auf den Punkt:
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollten einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
Halten wir einen Moment lang inne und versuchen wir uns vorzustellen, dass eine Gruppe von Staats- und Regierungschefs heute in diesem Sinne spricht. Diese kurze Übung gibt uns eine Vorstellung davon, wo wir heute in der Frage der Verteidigung der Menschlichkeit der Menschheit stehen. Die Erklärung der Vereinten Nationen enthält 30 Artikel, die alle kurz sind, manche sogar nur einen Satz lang.
Artikel 6:
Jeder hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.
Und einige davon sind bemerkenswert relevant für die Krise, die unsere Zeit prägt.
Artikel 15:
Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Niemandem darf willkürlich seine Staatsangehörigkeit entzogen werden, und niemandem darf das Recht verweigert werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.
Auch hier ist es interessant, darüber nachzudenken, wie weit wir seit der Zeit, als dies geschrieben wurde, gekommen sind, und das in die falsche Richtung. Das gibt uns eine gute Vorstellung von der Arbeit, die wir vor uns haben. Und wenn wir den offensichtlichen Gründen für die Entmutigung, mit denen wir leben, widerstehen, können wir uns daran erinnern, dass die Menschenrechtserklärung als unmittelbare Reaktion auf die Katastrophen verfasst wurde, die zum Zweiten Weltkrieg führten, und dass sie mit jeder Silbe den Glauben an die gemeinsame Fähigkeit der Menschheit zum Ausdruck bringt, das Unrecht zu korrigieren, das sie kurz zuvor beinahe zerstört hätte.
Manifestationen der Macht
Sehr bald nach der Gründung der Uno machten sich die Vereinigten Staaten in ihrem Streben nach der globalen Hegemonie, die sie nach den Siegen von 1945 für ihr Recht hielten, daran, das hohe Ziel zu untergraben, das die Staatengemeinschaft mit der Gründung der Uno verfolgte. Die grobe Manipulation der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, der OPCW, in den letzten Jahren ist nur eines von vielen Beispielen. Vielleicht erinnern Sie sich an die Aussage von John Bolton – einem fürchterlichen Mann, den die zweite Bush-Regierung absurderweise zu ihrem Botschafter bei der Uno ernannt hat –, dass es keinen Unterschied machen würde, wenn die obersten zehn Stockwerke des Sekretariats in New York entfernt würden. Es würde keinen Unterschied machen.
O.K. Aber lassen Sie uns dies nicht übersehen: Amerikas Entschlossenheit, seine globale Vormachtstellung beizubehalten, hat die Welt an einen weiteren Gefahrenpunkt geführt, an dem Gewalt und Rechtlosigkeit katastrophale Ausmasse erreicht haben, die denen der 1930er und 1940er Jahre nicht unähnlich sind. Wir sollten die Palästina-Krise aus dieser Perspektive sehen: Sie gehört zweifellos zu den ungeheuerlichsten Manifestationen amerikanischer Macht in der Geschichte, aber sie steht in einer Reihe mit dem Aufstieg des Faschismus, dem Holocaust und den Atombombenabwürfen von 1945 – und damit auch mit Vietnam, Afghanistan, Irak und allem anderen.
Die USA werden heute in verschiedenen Umfragen allgemein als Hauptursache für die globale Unordnung erkannt. Und als direkte Reaktion darauf gibt es neue und sehr wichtige Bemühungen, das «globale Gemeingut», für das die Gründung der Vereinten Nationen stand, wiederherzustellen. Lassen Sie uns gemeinsam einige davon betrachten.
Das «globale Gemeingut» wiederherstellen
Vor einigen Jahren bildete eine Reihe von Staaten, allesamt nicht-westlich, eine Gruppe, die sich für eine Rückkehr zur UN-Charta als Grundlage des Völkerrechts und des Verhaltens der UN-Mitgliedsstaaten einsetzte. Es handelte sich dabei um keine sehr grosse Gruppe, und wie sich zeigen wird, hat diese Gruppe an und für sich keine grosse Wirkung erzielt. Auf deren Zielsetzung möchte ich Sie aufmerksam machen. Zu den Mitgliedern dieser Gruppe gehörten unter anderem Russland, China, Indien, Brasilien und, ich glaube, Südafrika. Wir wissen aus den damaligen Äusserungen, dass diese Staaten als Reaktion auf die wilde Unordnung handelten, die sich einstellte, als die USA ihre inzwischen berühmt-berüchtigte «regelbasierte internationale Ordnung» vorantrieben – ein Widerspruch in sich. Ich erinnere mich, dass Moskau und Peking im Februar 2022 ihre Gemeinsame Erklärung zu den internationalen Beziehungen auf dem Weg in eine neue Ära verabschiedeten, und dass sie dies zum Teil deshalb taten, weil sie ernsthaft befürchteten, dass die Unordnung der «regelbasierten Ordnung» zu einer ernsten Gefahr für die globale Stabilität geworden war. Ich halte die Gemeinsame Erklärung nach wie vor für das bedeutendste politische Dokument, das in diesem Jahrhundert veröffentlicht wurde. Wir sprechen heute allgemein von einer «neuen Weltordnung», die diesen Namen auch verdient. Und in den Jahren seit der Gemeinsamen Erklärung haben Organisationen wie die BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit deutlich an Einfluss gewonnen. Wir sollten diese Entwicklungen als eine Einheit mit der kleinen Gruppe verstehen, die die Wiederherstellung des Primats der UN-Charta und der chinesisch-russischen Initiative fordert. Wenn wir sie so sehen, geben sie uns einen Anhaltspunkt, mit dem wir unser Denken neu ausrichten können.
Ich möchte nun vorschlagen, dass wir die Propagandawellen, die uns täglich überschwemmen – antirussisch, antichinesisch, insgesamt gegen den Nicht-Westen – beiseiteschieben und dabei auch die Einwände beiseite lassen, die wir vielleicht haben, dass die Regierungsformen, die wir in den nicht-westlichen Nationen vorfinden, nicht den unseren entsprechen. Unsere eigenen Regierungsformen entsprechen nämlich nicht mehr dem, was wir über sie dachten.
Und dann können wir erkennen, dass diese Bemühungen, die ich ganz kurz beschreibe, im Grunde der Gültigkeit und dem Zweck multilateraler Institutionen und insgesamt der Verbesserung der Menschheit dienen – in unseren heutigen Begriffen der Verteidigung der Menschlichkeit der Menschheit. Ich weiss um den Vorwurf, diese Gedanken seien hoffnungslos idealistisch, ein Zeichen von schierer Naivität und falschem Vertrauen. Sie spiegeln das wider, was die Franzosen Angélisme nennen, wird man sagen. Das sind die Gedanken von Leuten, die nicht nach vorne sehen können, und sie sind mir völlig egal. Warum, um das Thema abzuschliessen, setzt sich keine der westlichen Postdemokratien, anstatt leere Phrasen zu dreschen, für die Wiederherstellung der Grundsätze ein, die in Institutionen wie der Uno verkörpert sind und in der UN-Charta zum Ausdruck kommen?
Eine Welt, die auf Ethik,
internationalem Recht und
multilateralen Institutionen beruht
Erst neulich hat Jeffrey Sachs, der Wissenschaftler, Autor und vielseitige Kommentator, dessen Arbeiten in Zeit-Fragen und ähnlichen Zeitschriften erschienen sind, privat ein Papier in Umlauf gebracht, das er «Achieving peace in the new multipolar age» nennt. Er kommt direkt auf unser heutiges Thema zu sprechen und bietet mir somit eine gute Möglichkeit, meine Ausführungen zu beenden. Sachs verweist auf den sinkenden Anteil Amerikas am globalen BIP, sein überfordertes Militär und seine andauernde Haushaltskrise und kommt zu dem Schluss: «Wir befinden uns bereits in einer multipolaren Welt.» Was für eine Welt wird das sein, fragt er dann und skizziert drei Möglichkeiten: Eine ist die fortgesetzte Rivalität zwischen Grossmächten. Die zweite ist, wie er es ausdrückt, «ein prekäres Gleichgewicht der Kräfte». Es ist die letzte Idee, die er favorisiert und die mich interessiert.
«Die dritte Möglichkeit, die in den letzten 30 Jahren von den US-Führern abgetan wurde, aber unsere grösste Hoffnung ist, ist ein echter Frieden zwischen den Grossmächten», schreibt Sachs. «Dieser Frieden würde auf der gemeinsamen Erkenntnis beruhen, dass es keinen globalen Hegemon geben kann und dass das Gemeinwohl eine aktive Zusammenarbeit zwischen den Grossmächten erfordert.» «Es gibt mehrere Grundlagen für diesen Ansatz», fährt Sachs fort, «darunter Idealismus (eine Welt, die auf Ethik beruht) und Institutionalismus (eine Welt, die auf internationalem Recht und multilateralen Institutionen beruht).»
Ich liebe diese Betrachtung, weil sie Dinge miteinander verbindet, an die wir normalerweise nicht denken. Man könnte sagen, dass Sachs über eine Weltordnung schreibt, in der die Menschlichkeit der Menschheit als vorrangig anerkannt und verteidigt wird.
Mir geht es heute darum, dass wir über die Fehler unserer Institutionen und derer, die vorgeben, uns zu führen, hinausblicken und diese Möglichkeit als genau das betrachten können und sollten, nämlich als «unsere grösste Hoffnung», wie Sachs es bezeichnet. Sachs erwähnt Idealismus als Teil dessen, was notwendig ist, um eine Welt zu schaffen, in der es möglich ist, die Menschlichkeit der Menschheit zur Entfaltung zu bringen. Das freut mich besonders, denn ich bin schon öfter, als ich zählen kann, missbilligend als Idealist und nicht als Realist bezeichnet worden. Ja, das stimmt! Das kann ich jetzt sagen. Damit bin ich nicht allein. Wie zur Bekräftigung überreichte mir eine gute Freundin neulich nach unserer Ankunft hier ein Buch. Die beiden Autoren sind Richard Falk, den ich kenne und zu meinen Freunden zähle, und Hans von Sponeck, die beide im Zuge ihrer Laufbahn als hohe UN-Beamte tätig waren.
Sie nennen das Buch «Liberating the United Nations» (Befreiung der Vereinten Nationen), mit dem interessanten Untertitel «Realismus mit Hoffnung». Dieses Buch ist zum Teil Geschichte und zum Teil Prognose. Falk und von Sponeck beginnen, wie ich es gemacht habe, und stellen fest, dass die Vereinten Nationen, wie sie es ausdrücken, «heute als politischer Akteur weniger relevant sind als jemals zuvor seit ihrer Gründung im Jahr 1945». Sie schildern dann ausführlich, wie es zu diesem Zustand gekommen ist, und ich bewundere ihre schonungslose Ehrlichkeit, mit der sie dies tun. Dann wechseln sie ihren Blickwinkel und sagen:
Wir glauben, dass eine neue Bewegung für die Wiederbelebung der Demokratie, eine stärkere Uno und eine wohlwollendere globale Führung entstehen wird, und wir schreiben im Vertrauen darauf, dass am Ende Besonnenheit, Rationalität, Empathie, erweiterte Zeithorizonte und Mechanismen, die die Zusammenarbeit erleichtern und Rechenschaftspflicht auferlegen, entstehen werden.
Ich habe nur an zwei Dingen dieser wunderbaren Feststellung von Ziel und Erwartung etwas auszusetzen. Bei der Suche nach einer Reformbewegung in den Vereinten Nationen ist es nicht nötig, das Futur zu verwenden: Dies ist bereits offensichtlich, und die beiden seit langem angesehenen Fachleute sind ein Teil davon.
So sehr wir auch auf unseren Glauben vertrauen, wenn wir das Leben betrachten und unseren Weg darin finden – die Welt, die Falk und von Sponeck erwarten, wird nicht durch Glauben entstehen. Sie wird entstehen, wenn jeder von uns entschlossen ist, sie in unserer gemeinsamen Verteidigung der Menschlichkeit der Menschheit zu verwirklichen. Und genau dieses Thema werde ich in einem zweiten Vortrag behandeln. •
(Übersetzung Zeit-Fragen)
* Patrick Lawrence, langjähriger Auslandskorrespondent, vor allem für die «International Herald Tribune», ist Kolumnist, Essayist, Autor und Dozent. Sein vorletztes Buch ist «Time No Longer: Americans After the American Century», Yale 2013. 2023 ist sein neues Buch «Journalists and Their Shadows» bei Clarity Press erschienen. Seine Webseite lautet patricklawrence.us. Unterstützen Sie seine Arbeit über patreon.com/thefloutist.
«Patrick Lawrence, der so witzig und gewitzt ist, wie man es nur sein kann, hat eine schwärmerische und zugleich messerscharfe Geschichte des Journalismus zu Zeiten von Amerikas Eindämmung nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben. Seine Liebe zu unserem fehlerhaften Beruf und seine Freude darüber, dabei gewesen zu sein, lassen sein Bedauern und seine Kritik nur mit den besten Absichten klingen. Ausserdem macht es einen Heidenspass, sie zu lesen.» (Seymour Hersh)
«Patrick Lawrence hat ein hervorragendes, wortgewaltiges Buch über Journalismus geschrieben. Es ist wütend, ermutigend und weise, und es gibt uns Hoffnung. Es sagt, dass die Unterwanderung eines Grossteils unseres Handwerks durch plumpe Propaganda noch nicht abgeschlossen ist und dass eine ‹Fünfte Gewalt› unabhängiger Wahrheitsfinder im Entstehen begriffen ist. Eine Wahrheit ist unverrückbar: Wir Journalisten sind nichts anderes als Diener der Menschen, aber niemals der Macht.» (John Pilger)
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